Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2024-0023
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Gnutzmann Küster SchrammDas Prinzip der Differenzierung:
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Yela Schauwecker
When it comes to inclusive foreign language teaching, differentiation is a key professional competence. The university course discussed here is designed to support future foreign language teachers of French in developing this competence. Students conducted interviews regarding four illustrative types of neurodivergence, and the implications from these interviews in relation to foreign language teaching and learning were examined. Subsequently, students differentiated paradigmatic foreign language lessons and adapted them to accommodate one type of neurodivergence considered relevant to the given lesson. Findings from the empirical evaluation of the course will be presented in this contribution. While the change of the mindset of the students did not prove considerable or significant, possibly due to the small sample size, participants’ attitudes towards inclusive foreign language teaching changed considerably and significantly.
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DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 53 • Heft 2 Y ELA S CHAUWECKER * Da s Prinzip d er Differenzierung: Die Vorbereitung Lehramtsstudierender auf den Umgang mit Neurodiversität im Französischunterricht Abstract. When it comes to inclusive foreign language teaching, differentiation is a key professional competence. The university course discussed here is designed to support future foreign language teachers of French in developing this competence. Students conducted interviews regarding four illustrative types of neurodivergence, and the implications from these interviews in relation to foreign language teaching and learning were examined. Subsequently, students differentiated paradigmatic foreign language lessons and adapted them to accommodate one type of neurodivergence considered relevant to the given lesson. Findings from the empirical evaluation of the course will be presented in this contribution. While the change of the mindset of the students did not prove considerable or significant, possibly due to the small sample size, participants’ attitudes towards inclusive foreign language teaching changed considerably and significantly. 1. Einleitung Angesichts der Neurodiversität in Gesellschaft und Schule vermag unterrichtliche Differenzierung (Binnendifferenzierung) zweifellos einen wesentlichen Beitrag zur Inklusion im Französischunterricht zu leisten. Insbesondere die kompensatorische unterrichtliche Differenzierung zielt darauf ab, mit individuellen Lernausgangsvoraussetzungen verbundene Herausforderungen einzelner Lernender zu minimieren, damit diesen die Teilhabe am Regelunterricht erleichtert wird. Insofern stellen die Fähigkeit und die Fertigkeit zur unterrichtlichen Differenzierung einen unentbehrlichen Bestandteil der professionalen Kompetenzen angehender Lehrkräfte dar (G EBAUER / M C E LVANY / K LUKAS 2013; S TURM 2013). Trotzdem sind viele, und nicht nur angehende, Lehrkräfte unsicher bezüglich dessen, was Differenzierung eigentlich ist, wie sie im Unterrichtsalltag praktisch umgesetzt werden kann und was sie als Lehrkräfte bezüglich der Differenzierung leisten müssen (D EUNK / D OORLARD / S MALE -J ACOBSE 2015; P ARK / D ATNOW 2017). * Korrespondenzadresse: PD Dr. Yela S CHAUWECKER , Universität Stuttgart und Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW), Heilbronner Str. 172, 70191 S TUTTGART E-Mail: yela.schauwecker@ibbw.kv.bwl.de Arbeitsbereiche: Schulleistungsstudien, datengestützte Qualitätsentwicklung, Fachdidaktik Romanistik Das Prinzip der Differenzierung 89 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 An dieser Stelle setzt der hier beschriebene Kurs an. Ziel des Kurses ist es, die Studierenden mit verschiedenen Arten von Neurodiversität (zum Begriff siehe die Einleitung in diesem Band) vertraut zu machen, und sie für die speziellen Lernausgangsvoraussetzungen und Bedürfnisse neurodivergenter Lernender im gymnasialen Fremdsprachenunterricht zu sensibilisieren. Dafür werden, im Sinne der didaktischen Reduktion, vier exemplarische Formen in den Fokus gestellt: die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), die Lese-Rechtschreibstörung (LRS), die Autismus-Spektrum-Störung (ASS, speziell die Ausprägungen, die früher als „Asperger“ bezeichnet wurden (vgl. E VERMANN , o.J.) und Hochbegabung (HB; speziell Underachievement). In Auseinandersetzung mit diesen vier Lernausgangslagen bauen die Studierenden sich ein diversitätssensibles methodisch-didaktisches Repertoire an Unterrichtsmethoden auf, das sie in die Lage versetzt, gezielt auf die individuellen Bedürfnisse einzelner Lernender einzugehen. Damit sind die wesentlichen Bereiche umrissen, die der Kurs adressiert: Auseinandersetzung mit individuellen Lernausgangsvoraussetzungen und praxisbezogene Differenzierung von (Französisch-)Unterricht. Darüber hinaus wurde der Kurs wissenschaftlich begleitet und sowohl hinsichtlich der sich verändernden Mindsets der Studierenden als auch hinsichtlich ihrer Einstellungen gegenüber unterrichtlicher Differenzierung quantitativ und qualitativ evaluiert (Kapitel 3). Im Folgenden werden der Kurs und die begleitende Studie beschrieben. Dazu werde ich zunächst kurz auf zwei für die Begleitforschung maßgebliche Konstrukte eingehen, die Binnendifferenzierung und den Mindset der angehenden Lehrkräfte. Im Anschluss werden der Aufbau und die relevanten Inhalte des fachdidaktischen Kurses beschrieben. Anschließend gehe ich auf die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung in Anlehnung an B LUME et al. (2019a) ein. Zuletzt folgt eine reflektierende Abschlussbetrachtung und Ausblicke für eine mögliche Weiterentwicklung des Kurses. 1.1 Binnendifferenzierung Dieser Studie liegt ein weit gefasster Begriff von Binnendifferenzierung zugrunde, nach der interne Differenzierung, die „Gesamtheit aller Maßnahmen [bezeichnet], die der Abstimmung des Unterrichts auf unterschiedliche Subgruppen von Schüler/ -innen innerhalb einer Lerngruppe dienen“ (L ETZEL / S CHNEIDER / P OZAS 2020). Binnendifferenzierung umfasst hier demnach „alle intentional und planvoll eingesetzten, reflektierten Maßnahmen, die die Lehrkraft im Unterricht anwendet, um der Heterogenität der Schüler/ -innenschaft gerecht zu werden und mit dieser fruchtbar umzugehen“ (L ETZEL 2021: 78). Binnendifferenzierung, wie der Begriff hier verwendet wird, ist damit zwar im Modell von P RAST et al. (2018) auf der Ebene der Makroadaptivität zu verorten, geht aber insofern über diese hinaus, als nicht in erster Linie die geplante Anpassung des Unterrichts an unterschiedliche Schwierigkeitsstufen, sondern jegliche Form der Anpassung der Unterrichtsplanung an unterschiedliche individuelle Lernausgangsvoraussetzungen neurodivergenter Lernender mit einbezieht. Damit ist 90 Yela Schauwecker DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 53 • Heft 2 Binnendifferenzierung zu verorten zwischen externer Differenzierung, bei der Lernende institutionell getrennt oder anhand ihrer individuellen Lernausgangslagen in leistungsdifferenzierten Klassen oder Lerngruppen eingeteilt (ability grouping nach P RAST et al. 2018), und andererseits spontanen Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen eines konkret durchgeführten Unterrichts (Mikroadapivität nach P RAST et al. 2018). Im Falle des hier beschriebenen Kurses, der angehende Lehrkräfte auf den gymnasialen Französischunterricht vorbereitet, liegt der Schwerpunkt auf der kompensatorischen Binnendifferenzierung, die zum Ziel hat, unterschiedliche Lernausgangsvoraussetzungen auszugleichen (N IGGLI 2013), wobei auch die Förderung individueller Stärken mit berücksichtigt wird. Im vorliegenden Kontext wird Binnendifferenzierung als eine Möglichkeit gesehen, die hier fokussierten Formen der Neurodivergenz im Regelunterricht zu adressieren. Beispielsweise erlaubt der Einschluss der Hochbegabung unter die vier exemplarischen Förderbedarfe, angehende Lehrkräfte dafür zu sensibilisieren, dass Differenzierung nicht nur Fördern, sondern durchaus auch Fordern bedeuten kann. Dass Hochbegabung im Kontext der Differenzierung bisher zu wenig berücksichtigt wurde, liegt sicher zum Teil daran, dass Hochbegabung immer noch zumeist als Vorteil für die Schullaufbahn gesehen wird, obwohl die Folgen chronischer Unterforderung schon lange bekannt sind (G OWAN 1955). Durch sie wird deutlich, wie wichtig es ist, angehende Lehrkräfte für Fragen der Hochbegabung und vor allem auch für ihre potenziellen negativen Folgen zu sensibilisieren. 1.2 Mindset Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass der Mindset einer Lehrkraft einen wesentlichen Einfluss nicht nur auf die Selbsteinschätzung der Lernenden hat (M ESLER / C OR - BIN / M ARTIN 2021), sondern sich sogar auf ihre tatsächlichen akademischen Leistungen auswirken kann (B LUME et al. 2019a; S ISK et al. 2018). Dabei werden in der Literatur zumeist zwei grundlegende Typen von Mindsets unterschieden: statisch und dynamisch (D WECK / L EGGETT 1988; D WECK / Y EAGER 2019). Ein statischer Mindset geht davon aus, dass Begabung in einem bestimmten Bereich als solche gegeben ist und eine weitgehend unveränderliche Größe darstellt. Ein dynamischer Mindset nimmt dagegen an, dass Intelligenz und Begabung formbare Größen sind, die sich in ihren Ausprägungen entwickeln können. Studien zu den Auswirkungen des Mindsets der Lehrkraft auf die Lernenden zeigen, dass ein statischer Mindset dazu führt, dass Lehrkräfte beispielsweise die Lernmotivation (H EYDER et al. 2020) und die Autonomie der Lernenden negativ beeinflussen (L EROY et al. 2007) und sich in wesentlichen Bereichen des Unterrichtens, wie zum Beispiel in der Art des Feedbacks (P ISHGHA - DAM / M EIDANI / K HAJAVY , 2015) und der Lernendenunterstützung (B ERNECKER / J OB 2019) von Lehrkräften mit dynamischem Mindset unterscheiden. Eine Veränderung des Mindsets im Sinne einer größeren Dynamik scheint deshalb ein besonders erfolgversprechender Ansatzpunkt für eine Unterrichtsentwicklung, die auf mehr Inklusion im Fremdsprachenunterricht abzielt (B LUME et al. 2021). Das Prinzip der Differenzierung 91 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 Empirische Studien belegen, dass sich implizite Haltungen und Orientierungen von angehenden Lehrkräften in der universitären Phase ihrer Lehramtsausbildung beeinflussen lassen (B LUME et al. 2019a). Deshalb wurde im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Kurses auch untersucht, ob und inwieweit die Studierenden im Verlauf des Kurses einen dynamischeren Mindset entwickeln. 2. Der Kurs Der Kurs, der erstmalig im Sommersemester 2022 im Rahmen des fachdidaktischen Teils der Lehramtsausbildung in den romanischen Sprachen an der Universität Stuttgart angeboten wurde, hat zum Ziel, angehende Lehrkräfte für (bestimmte Formen der) Neurodivergenz im schulischen Fremdsprachenunterricht zu sensibilisieren. Er möchte ihre professionalen Kompetenzen in der gezielten Förderung von Lernenden mit individuellen Lernausgangslagen stärken, indem er einen dynamischen Mindset fördert und die Kompetenzen der angehenden Lehrkräfte im Bereich der Binnendifferenzierung systematisch ausbaut. Als Impuls, um die Auseinandersetzung der Studierenden mit verschiedenen Formen der Neurodivergenz zu fördern, setzt der Kurs auf Interviews mit Personen, die mit ADHS, ASS, LRS oder HB diagnostiziert sind. Hierbei handelt es sich um vier Formen der Neurodivergenz, die erfahrungsgemäß im gymnasialen Unterricht vergleichsweise häufig anzutreffen sind, und deren Teilhabe am Regelunterricht aufgrund ihrer individuellen Lernausgangsvoraussetzungen durch differenzierende Maßnahmen gezielt unterstützt werden kann. Die gewählte Herangehensweise des Kurses ist praxisorientiert: Die Studierenden differenzieren jeweils ein paradigmatisches Unterrichtsszenario (Vokabeleinführung, Grammatikwiederholung, etc.) anhand eines konkreten Unterrichtsverlaufsplanes im Hinblick auf eine der vier Formen von Neurodivergenz. So wird anhand einzelner konkreter Unterrichtssequenzen, auch wenn diese zum Teil der traditionellen Planung verhaftet sind, die innovative Fähigkeit zur auf verschiedene Formen der Neurodivergenz differenzierten Unterrichtsplanung gefördert. Dadurch erwerben die Studierenden idealiter die Kompetenz, eine bessere Passung zwischen ihrem Unterricht und den spezifischen Lernausgangslagen individueller, nicht nur neurodivergenter, Lernender herzustellen. Der Grad, zu dem das gelungen ist, wird in Kapitel 3 empirisch untersucht. Außerdem wurden, weil sich gezeigt hat, dass Reflexionskompetenz entscheidend zum Erwerb und Ausbau professionaler Kompetenzen bei Lehramtsstudierenden beiträgt (B LUME et al. 2019a), reflexionsorientierte Aufgabenstellungen in die Kursplanung aufgenommen. In diesen werden die Studierenden dazu angehalten, ihre Haltungen, ihre Erwartungen und ihre Befürchtungen bezüglich unterrichtlicher Differenzierung sowie Veränderungen derselben im Laufe des Kurses zu formulieren. In den ersten Sitzungen wurden allgemeine Aspekte zur Einführung ins Thema behandelt, wie zum Beispiel die Inklusionsrichtlinien Baden-Württembergs und rechtliche Rahmenbedingungen (Nachteilsausgleich, Notenschutz, etc.), sowie pädagogisch-didaktische Grundlagen wie zum Beispiel Aufgabenformate und Anforde- 92 Yela Schauwecker DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 53 • Heft 2 rungsniveaus, Progression und Lernzieltaxonomien besprochen. Auf diese Einführungsphase folgten die Sitzungen mit den interviewbasierten Einführungen der vier exemplarischen Formen der Neurodivergenz. Durch das interviewbasierte Vorgehen zu Beginn des Kurses wird sichergestellt, dass die Studierenden neurodivergente Lernende als vieldimensionale Persönlichkeiten wahrnehmen, und sie nicht klischeeartig auf ihre Neurodivergenz reduzieren. Bei der Planung der Unterrichtssequenzen durch die Studierenden selbst musste aber mit fiktiven Lernenden gearbeitet werden, bei denen jeweils eine Form der Neurodivergenz als diagnostiziert vorausgesetzt wird. Diese offensichtlich grobe Vereinfachung ist, angesichts der Fülle individueller Ausprägungen an Neurodivergenz (siehe auch Kapitel 4), eine für den Erfolg des Kurses notwendige Vereinfachung, denn immerhin stellt der Kurs für viele der Studierenden die Erstbegegnung sowohl mit Neurodivergenz als auch mit differenzierenden Unterrichtsmethoden dar. Dass es sich hierbei um grob vereinfachende Annahmen hinsichtlich der Kompetenzen und Bedürfnisse dieser Lernenden handelt, braucht im vorliegenden Kontext nicht extra betont zu werden, musste aber im Sinne der didaktischen Reduktion in Kauf genommen werden. Zugleich wurde aber stets hervorgehoben, dass die individuellen Bedürfnisse der Lernenden mit diesen selbst, bzw. mit deren Eltern geklärt werden müssen, und dass auch in regelmäßigen Abständen die Wirksamkeit und Angemessenheit der Maßnahmen überprüft werden müssen. Für jede Form der Neurodivergenz wurde von je einem Studierenden ein Interview literaturbasiert vorbereitet. Die Lehrperson vermittelte den Kontakt zu den betreffenden neurodivergenten Personen. Die Interviews wurden von den Studierenden selbstständig und im geschützten Rahmen geführt. Anschließend stellten die Studierenden die jeweilige Form der Neurodivergenz auf Basis der Literatur und anhand konkreter Beispiele aus den Interviews vor. Auf diese Weise wurde den Studierenden nicht nur ein sachlich fundierter, sondern auch ein persönlicherer Zugang zur jeweiligen Neurodivergenz eröffnet. Im darauffolgenden Abschnitt des Kurses wurden paradigmatische Unterrichtsszenarien des Fremdsprachenunterrichts vorgestellt, wie sie im Rahmen des Französischunterrichts traditionell vorkommen, selbst wenn sie nicht immer der aktuellen, kommunikativen Kompetenzorientierung entsprechen, wie zum Beispiel Vokabel- und Grammatikeinführungen, Einführung von Lehrbuchtexten, Verfassen freier Textproduktionen, Wiederholungsstunden. Dem Nachteil, dass die von den Studierenden aus den Praktikumsphasen mitgebrachten Unterrichtskonzepte nicht immer der aktuellen, kompetenzorientierten Fremdsprachendidaktik entsprechen, steht der überwiegende Vorteil gegenüber, dass die Studierenden die Differenzierung auf der Grundlage von von ihnen tatsächlich bereits durchgeführten Unterrichtssequenzen erarbeiten konnten.Die Studierenden lernten so, im Wissen darum, dass nicht alle unterrichtlichen Vorgehensweisen allen Lernenden gleichermaßen nützen (C RONBACH / S NOW 1977), bestehende Unterrichtskonzepte gezielt im Hinblick auf die Bedürfnisse neurodivergenter Lernender anzupassen. Indem die Studierenden auf eine bereits erfolgreich durchgeführte Unterrichtsplanung aufbauen konnten, wurde gewährleistet, dass die Das Prinzip der Differenzierung 93 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 zugrundeliegende Planung angesichts der limitierten praktischen Unterrichtsplanungserfahrung praktikabel und machbar war. Zudem wurde die Aufgabenstellung durch das Differenzieren bestehender, bereits unterrichteter Stundenplanungen sehr klar auf das Lernziel der konkreten, praktischen Differenzierung fokussiert. Hinzu kommt, dass die Reflexion bezüglich der konkreten Unterrichtsstunde aufgrund des von den betreuenden Lehrkräften bereits erhaltenen Feedbacks bei diesem Vorgehen auf einem wesentlich höheren Niveau stattfinden konnte, als das bei spontaner Planung zu erwarten gewesen wäre. Und nicht zuletzt war es unter motivationalen Aspekten durchaus wünschenswert, dass die Studierenden an ein Erfolgserlebnis anknüpfen können. In der letzten Sitzung wurde den Studierenden schließlich Gelegenheit für Diskussion und Feedback bezüglich des Kursverlaufs gegeben. Eine weitere persönliche Reflexion erfolgte im Rahmen des Portfolios, welches die Studierenden kursbegleitend anfertigten. 3. Empirische Begleitforschung Die begleitende Forschung fokussierte zwei Themenbereiche: die mögliche Veränderung des Mindsets der Studierenden und die mögliche Veränderung in ihren Einstellungen und Gedanken zum Thema Binnendifferenzierung. Lehrkräfte mit einem dynamischen Mindset gehen beispielsweise davon aus, dass Fremdsprachen prinzipiell für alle lernbar sind, und dass es vor allem auf Methode und Einsatzbereitschaft ankommt (B LUME et al. 2021). Unveränderlichen Größen wie angeborener Sprachbegabung (aptitude, H ORWITZ 1988, siehe auch B LUME et al. 2021) messen sie dagegen eine geringere Bedeutung zu. Deshalb soll der Kurs die Studierenden in Richtung eines dynamischeren Mindsets orientieren. Im Rahmen der Begleitforschung wurde deshalb untersucht, ob und inwieweit sich die mit dem Mindset der Studierenden assoziierten Items zwischen der Prä- und der Postumfrage verändert haben. Außerdem wurde untersucht, ob und inwieweit sich die Einstellung der Studierenden gegenüber der Binnendifferenzierung im Laufe dieses Kurses verändert hat. 3.1 Erhebungsinstrumente Für die begleitende Beforschung des Kurses wurde auf drei Instrumente zurückgegriffen: Zwei Fragebögen, die von den Studierenden vor Beginn und nach Ende des Kurses bearbeitet wurden, die Reflexionsteile aus den Portfolios der Studierenden, die einer qualitativen Inhaltsanalyse in Anlehnung an M AYRING / F ENZL (2019) unterzogen wurden, und das Protokoll der Dozentin zur Feedbacksitzung (letzte Sitzung). Die erhobenen Daten stammen von zwei Kohorten mit insgesamt n=32 Lehramtsstudierenden der Romanistik an der Universität Stuttgart in den Sommersemestern 2022 und 2023 (s. Tab. 1, S. 94). 94 Yela Schauwecker DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 53 • Heft 2 Instrument Konstrukt Kohorte N Prä- / Post-Kurs Fragebogen Mindset 2 17/ 15 Reflexionsteil des Portfolios Einstellungen gegenüber Binnendifferenzierung 1, 2 15 Protokoll der Feedbacksitzung Einstellungen gegenüber Binnendifferenzierung 1, 2 15 Tab. 1: Erhebungsinstrumente, Konstrukte und Kohorte 3.2 Der Mindset der Studierenden Um herauszufinden, ob und wie sich der Mindset der Studierenden über den Verlauf des Kurses verändert hat, wurden die Items aus dem Beliefs About Language Learning Inventory (BALLI; H ORWITZ 1988) in die Evaluation des Kurses integriert, und zwar in ihrer von B LUME et al. (2019b ) adaptierten und von mir ins Deutsche übertragenen Form (vgl. Tabelle 2). Die sieben verwendeten Items werden von den Verfasser*innen drei verschiedenen Mindsets zugeordnet. Die ersten beiden in B LUME et al. (2019b) beschriebenen Mindsets sind statisch und insofern ‚exklusiv‘, als sie Erfolg beim Erlernen einer Fremdsprache mit bestimmten, unveränderlichen Größen in Verbindung bringen. Der erste ‚exklusive‘ Mindset (E1) sieht im Erlernen einer Fremdsprache eine Herausforderung, der intelligente und begabte Lernende am besten gewachsen sind. Der zweite ‚exklusive‘ Mindset (E2) nimmt an, dass sich bestimmte Gruppen, wie zum Beispiel Kinder, mit dem Erlernen einer Fremdsprache leichter tun als andere. Anders der dritte Mindset: Er ist dynamisch, bzw. ‚inklusiv‘ (Mindset I) in dem Sinne, dass er annimmt, dass prinzipiell alle in der Lage sind, eine Fremdsprache zu lernen. Erfolg beim Erlernen einer Fremdsprache wird beim inklusiven Mindset I vor allem mit Methoden, Fleiß und Einsatzbereitschaft in Verbindung gebracht. Was die interne Reliabilität der verwendeten Skala betrifft, so wird sie auch im vorliegenden Fall im Posttest bestätigt, wenngleich nur mit einem akzeptablen Cronbachs Alpha von 0.654. Im Prätest liegt das Alpha im vorliegenden Fall bei 0.501 und damit in einem, zumindest für frühe Stadien der Forschung wie hier, noch akzeptablen Bereich (N UNNALLY 1967; S TREINER 2003). Eine mögliche Veränderung des Mindsets der Studierenden im Laufe des Kurses lässt sich ermitteln, indem die Ergebnisse des Prä- und des Post-Tests gegenübergestellt werden. Die Umfrage musste aufgrund der geringen Zahl an Teilnehmenden anonymisiert durchgeführt werden, um keine Rückschlüsse auf individueller Ebene zu ermöglichen. Die Datensätze erlauben leider keine Zuordnung von Prä- und Post- Daten auf Individualebene. Die Auswertung erfolgt über Rang-Summentests (Wilcoxon rank sum test mit Kontinuitätskorrektur und Kruskal-Wallis rank sum test). Die Ergebnisse tendieren bei der untersuchten Kohorte uneinheitlich. Die Werte im Zusammenhang mit dem ersten ‚exklusiven‘ Mindset (E1) nehmen im Laufe des Semesters zu (Median). Bei der Frage B1 (siehe Tabelle 2) steigt er von 2,8 auf 3,2, bei der Frage B2 von 2,6 auf 2,9 auf einer 5-stufigen Likert-Typ-Skala: Das legt den Das Prinzip der Differenzierung 95 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 Schluss nahe, dass sich die befragten Studierenden der Herausforderung des Fremdsprachenlernens wohl mehr bewusst werden. Diese Veränderungen legen den Schluss nahe, dass die Studierenden für die verschiedenen exemplarischen Lernausgangslagen im Kontext des Fremdsprachenlernens sensibilisiert wurden, auch aufgrund der Auseinandersetzung mit und der Diskussion über ihre eigene differenzierte Unterrichtsplanung. Die Werte im Bereich des methodisch orientierten, inklusiven Mindsets (I) tendieren uneinheitlich. B4, welches Sprachenlernen primär mit Fleiß assoziiert, bleibt unverändert (3.2 auf 3.3), was aber möglicherweise der deutschen Übersetzung des Items geschuldet ist, in der Fremdsprachenlernen direkt mit Fleiß assoziiert wird. Möglicherweise sehen die Studierenden damit den Anteil der Begabung unterschätzt und erteilen deshalb geringere Werte. Bei B5, welches Sprachenlernen primär mit dem Lernen von Wörtern und Regeln assoziiert, steigt die Zustimmung von 2.7 auf 3.2: Hier zeichnet sich eine zunehmende Dynamisierung des Mindsets der befragten Studierenden ab. Bei den gruppenspezifischen ‚exklusiven‘ Items (E2) blieben die Zustimmungswerte im Wesentlichen unverändert (B6 und B7). Über alle Items betrachtet zeigen die befragten Studierenden also eine uneinheitliche und statistisch nicht signifikante Tendenz. Zum einen zeigen sie eine Tendenz in Richtung eines des statischen Mindsets (E1), was primär nicht erwünscht wäre, zum anderen eine leichte Tendenz in Richtung eines dynamischeren, stärker inklusiv orientierten Mindsets (I), was erwünscht ist. Zwar sind durchaus Veränderungen zu beobachten, jedoch erreichen sie nicht die Signifikanzgrenze von p=0.05. Ob das daran liegt, dass nur (N=15) Studierende an beiden Befragungen (Prä- und Postbefragung) teilgenommen haben, oder daran, dass tatsächlich kein systematischer Unterschied besteht, lässt sich deshalb auf der Grundlage dieser Daten noch nicht mit Sicherheit sagen. Um deutlichere Aussagen zu gewinnen, wurden die Ergebnisse über eine Hauptkomponentenanalyse in ihrer Komplexität reduziert und varimaxrotiert (Tab. 2, S. 96). Die Hauptkomponenten kann man sich als rechnerische Zusammenfassungen der einflussreichsten Variablen vorstellen. Auf den ersten Hauptkomponenten, welcher sowohl im Präals auch im Posttest bereits über 53% der beobachteten Variation erklärt, laden primär die Fragen B4 (Fleiß) und B5 (Wörter und Regeln). Er entspricht also dem inklusiven Mindset (I): Die Studierenden gehen von Anfang an davon aus, dass Sprachenlernen primär eine Frage geeigneter Methoden ist und sehen sich durch den Kurs in dieser Auffassung bestätigt. Die Hauptkomponenten zwei und drei stellen jeweils unterschiedliche Kombinationen der unveränderlichen Faktoren aus den beiden ‚exklusiven‘ Mindsets Herausforderungen (E1) und Gruppe (E2) dar: Im Prätest laden auf den zweiten Faktor primär die Fragen B7 und B2, auf den dritten primär Fragen B1 und B6. Zusammen erklären die drei Hauptkomponenten im Prätest 89% der Varianz. Im Posttest sind es beim zweiten Hauptkomponenten primär die Items B6 und B3, beim dritten B2 und B1; sie erklären zusammen immerhin 94% der Varianz. Hier besteht ein auffälliger Unterschied zwischen den hier befragten Teilnehmenden und der von B LUME et al. (2019b) untersuchten Gruppe. Die Proband*innen der letzteren Studie weisen, im Unterschied zu den Teilnehmenden in dieser Studie, noch 96 Yela Schauwecker DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 53 • Heft 2 Pre-Test Post-Test Komp. 1 (M) Komp. 2 (E1/ E2) Komp. 3 (E1/ E2) Komp. 1 (M) Komp. 2 (E2/ 0) Komp. 3 (E2/ E1) B1: Eine Sprache zu lernen ist schwierig. (E1) -0-211 0.724 0.379 0.495 B2: Wer mehr als eine Sprache gut spricht, ist sehr intelligent. (E1) 0.625 0.245 0.135 -0.579 B3: Ich bin sprachbegabt. (0) -0.372 0.361 -0.107 0.361 -0.584 -0.106 B4: Sprachen zu lernen ist vor allem eine Sache von Fleiß. (M) 0.518 -0.178 0.215 -0.631 -0.137 B5: Sprachen zu lernen bedeutet vor allem viele Wörter und Regeln zu lernen. (M) 0.685 0.574 -0.571 -0.174 B6: Kinder tun sich leichter eine Sprache zu lernen als Erwachsene. (E2) 0.260 0.574 0.199 0.680 -0.143 B7: Wer gut in Mathematik ist, ist nicht so gut im Sprachenlernen (E2) 0.636 0.184 -0.201 -0.594 Tab. 2: Faktorladungen, basierend auf einer Hauptkomponentenanalyse mit Varimaxrotation für 7 Items aus dem Beliefs about Language Learning Inventory (BALLI), vor (links) und nach der Intervention (rechts), N=15; Zuordnung der Fragen zu den Mindsets: (E1) = Herausforderung; (E2) = Gruppen; (M) = Methode; unabhängig von den übrigen: (0) = Ich bin sprachbegabt (B3) Das Prinzip der Differenzierung 97 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 einen eher statischen Mindset (Typ E1) auf und entwickeln sich erst im Laufe des Semesters hin zu einem dynamischeren Mindset vom methodischen Typ (I). Die hier untersuchten Studierenden zeigen dahingegen von Anfang an einen dynamischen Mindset vom Typ (M). Außerdem lassen sich die anderen beiden Hauptkomponenten bei B LUME et al. (2019b) jeweils mit einem der anderen beiden Mindsets (I) bzw. (E2) in Verbindung bringen, wohingegen im vorliegenden Fall die anderen beiden Hauptkomponenten jeweils eine Kombination der beiden statischen Mindsets darstellen (E1/ 2). Dieses Ergebnis ist möglicherweise dadurch beeinflusst, dass diese Studierenden bereits Masterstudierende waren, wohingegen die Studierenden der Vorläuferstudie erst im dritten Semester waren. 3.3 Binnendifferenzierung Ein Erfolg des Kurses wäre daran zu erkennen, wenn die mit Ratlosigkeit und Überforderungsgefühlen assoziierten Itemwerte der Fragebögen im Laufe des Kurses eine positive Entwicklung zeigen würden. Bei der Frage „Wenn ich an mein zukünftiges Leben als Lehrer*in denke, fühle ich mich der Planung differenzierten Unterrichts gewachsen“, gaben zu Beginn des Semesters zwei von 17 Befragten an, dass Sie sich dieser „gewachsen“ oder „voll und ganz gewachsen“ fühlten, am Ende immerhin 12 von 15; der Median verschob sich höchstsignifikant von 2.7 auf 4.1 (N=32, df=1, p<0.001). Außerdem wurden die Studierenden gefragt, ob sie „sich zu[trauen], auf der Grundlage einer konkreten, vorgegebenen Unterrichtsstunde eine differenzierte Unterrichtsstunde zu planen“. Interessanterweise stieg hier der Median nur moderat, von 3.4 auf 3.7 auf einer 5-stelligen Likert-Typ-Skala, aber die Streuung (Interquartilrange), die zu Beginn des Semesters noch bei 1 lag (immerhin 20%), liegt am Ende des Semesters bei 0. Nachdem sich zu Beginn des Semesters nur 7 von 17 Befragten sich „zutrauten“ oder „voll und ganz zutrauten“, eine konkrete Stundenplanung differenzierend zu überarbeiten, sind es am Ende des Semesters 12 von 15. Allerdings liegt das Ergebnis hier nicht im signifikanten Bereich. Generell fühlen sich die Studierenden also der Planung differenzierten Unterrichts durchaus gewachsen, auch wenn sie sich in den Details, d.h. in der konkreten Planung, noch unsicher sind. In Anbetracht dessen, dass die Befragten noch nicht über viel praktische Unterrichtserfahrung verfügen, ist diese Relativierung in Bezug auf die konkrete Planung nachvollziehbar. Das dritte Item fragte: „Mir ist klar, worauf bei der Planung differenzierten Unterrichts geachtet werden“ müsse. Zu Beginn des Semesters gab niemand an, dass ihm oder ihr „klar“ oder „voll und ganz“ klar sei, worauf bei der Planung differenzierten Unterrichts zu achten sei. Am Ende des Semesters gaben immerhin bei 14 von 15 Studierenden an, dass ihnen das „klar“ bzw. „voll und ganz klar“ sei. Auch hier ist das Ergebnis trotz der geringen Anzahl an Befragten höchstsignifikant (N=32, df=1, p<0.000). Insgesamt bestätigen diese Selbsteinschätzungen den Erfolg des hier vorgestellten Kurskonzeptes. Allerdings sah das Modul keinen Wissenstest vor, so dass diese Selbsteinschätzung nicht unmittelbar durch eine Leistungskontrolle validiert 98 Yela Schauwecker DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 53 • Heft 2 wurde. Hierfür eignet sich eine ergänzende Analyse des Reflexionsteils der kursbegleitend angefertigten Portfolios. 3.4 Reflexionen Um auf eine vertiefte Verarbeitung der Kursthematiken hinzuwirken, enthielt das kursbegleitende Portfolio als letzte Aufgabenstellung eine Reflexion. Die Aufgabenstellung wurde möglichst offen gehalten. Als Impuls wurden Leitfragen gegeben, die die Studierenden nutzen konnten, aber nicht mussten. Sie zielten darauf ab, dass die Studierenden Aspekte thematisieren, die ihnen im Zusammenhang mit Inklusion und Differenzierung besonders nützlich, überzeugend oder auch problematisch erschienen. 1 Grundsätzlich ist bei einer Aufgabe, die im Rahmen einer benoteten Arbeitsleistung gestellt wird, nie ganz auszuschließen, dass primär gewünschte Antworten gegeben werden. Deshalb wurden im vorliegenden Fall im Hinblick auf die Auswertung verschiedene Vorkehrungen getroffen, um die Auftretenswahrscheinlichkeit sozial erwünschter Antworten zu minimieren. Erstens wurde von Anfang an konsequent betont, dass gerade auch skeptische Haltungen bezüglich der Differenzierung die Gespräche voranbringen. Zweitens wurden in den Sitzungen stets sowohl Für als auch Wider differenzierender Maßnahmen kontrovers diskutiert. Drittens wurde mit den Studierenden mehrfach geklärt, dass nicht der Inhalt oder die inhaltliche Stoßrichtung des Reflexionsteils, sondern die Differenziertheit der Überlegungen die Grundlage der Bewertung sein würde. Viertens erhielten die Studierenden im Vorfeld der Bearbeitung das Korrekturraster ausgehändigt, aus dem eben dies noch einmal zweifelsfrei hervorging. Nicht zuletzt spricht nach Sichtung der Beiträge die Diktion der Reflexionsteile dafür, dass die Studierenden sich hier relativ offen äußern. Als Beispiel mag hier die Aussage einer Studierenden gelten, die den Erfolg inklusiven Unterrichts sehr deutlich mit der Forderung nach wesentlich mehr Ressourcen im Bildungswesen in Verbindung bringt und folgendes Fazit zieht: „Bis dahin [d.h. bis diese Forderungen erfüllt sind (YS)] können wir uns in Universitätsseminaren nur darauf vorbereiten, hoffen und weiter Luftschlösser bauen. Das ist aber ungemein wichtig. Denn so wissen wir, wo wir hinwollen und hinmüssen“ (0G2d). Für die Analyse der Reflexionsteile konnten N = 15 Einreichungen berücksichtigt werden. Sie wurden einer qualitativen und quantitativen Inhaltsanalyse in Anlehnung an (Mayring/ Fenzl 2019) unterzogen. Die Punkte, die in den Reflexionen in Bezug auf die Binnendifferenzierung am häufigsten skeptisch angesprochen wurden, lassen sich in drei Kategorien fassen: der 1 Konkret wurden die folgenden optionalen Impulsfragen vorgegeben: a) Welche Aspekte der Differenzierung sind mir so wichtig, dass ich sie hier erneut thematisieren möchte? b) Wie denke ich jetzt über Inklusion und Differenzierung? Was erscheint mir nützlich, überzeugend, problematisch im Hinblick auf meine Tätigkeit als Lehrer*in? Inwiefern haben sich meine Einstellungen verändert? c) Sind Fragen offen geblieben? Wo bin ich skeptisch? Das Prinzip der Differenzierung 99 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 hohe Ressourcenaufwand, die Gerechtigkeit einheitlicher Leistungsmessung im differenzierten Unterricht und die Sorge, nicht allen Lernenden gleichzeitig gerecht werden zu können. Bei den skeptischen Einwänden steht die Besorgnis wegen des mit der Differenzierung verbundenen Mehraufwandes allen anderen weit voran. Sieben Studierende formulieren ihre Besorgnis aufgrund des zusätzlichen Arbeitsaufwandes für die einzelne Lehrkraft („zusätzliche Arbeitsstunden“), und sieben aufgrund eines möglicherweise unrealistischen Mehrbedarfs an Ressourcen („zusätzliche Deputatsstunden, zusätzliche Räume, Zusatzmaterialien“). Drei Studierende beschäftigt weiterhin die Frage, wie Leistungsmessung in einem differenzierten Unterricht gerecht erfolgen kann, wenn einzelne Lernende beispielsweise immer mit einfacheren Aufgaben gearbeitet hätten. Zwei Studierende sehen Grenzen der Differenzierung und verweisen darauf, dass man nicht für jeden Lernenden differenzieren könne, weil man dann übermäßig viel Mehrarbeit, Burnout und Frustration riskiere. Eine Dritte betont, dass Binnendifferenzierung ihre Grenzen habe und ist der Meinung, dass sie bei ausgeprägten Formen der besprochenen Neurodivergenzen nicht ausreiche, um den Betroffenen die Teilhabe am Regelunterricht zu ermöglichen. Interessant ist, dass die Studierenden insbesondere ihre Skepsis bezüglich des mit der unterrichtlichen Differenzierung verbundenen Mehraufwandes zum Ausdruck bringen, aber diese, anders als in den Gesprächen zu Beginn des Semesters (Gesprächsnotizen der Autorin), nicht mehr absolut stellen. Immerhin 14 Studierende, die ihre Skepsis im Reflexionsteil thematisieren, besprechen zugleich verschiedene relativierende Argumente. Eine Studierende merkt beispielsweise an, dass ja „auch schon kleine Maßnahmen viel bewirk[en]“, eine weitere, dass es bei alledem „nicht um Perfektion, sondern um ein Optimum“ gehe, wieder eine andere, dass es bei unterrichtlicher Differenzierung schlicht „um Ideen und den Mut Neues aus[zu]probieren“ gehe. Drei Studierende merken an, dass der Umgang mit Differenzierung zwar am Anfang sicher schwer sei, aber mit zunehmender Erfahrung sicher leichter werde. Zwei weitere vertreten die Meinung, dass man auch „nicht immer allen gerecht werden“ müsse, sondern dass es primär um den Versuch und den Willen gehe, stets allen gerecht zu werden. Die Studierenden haben im Laufe des Kurses eine deutlich positive Haltung gegenüber der unterrichtlichen Differenzierung entwickelt. Fünf Studierende betrachten Binnendifferenzierung als eine Notwendigkeit, die sich aus der zunehmenden Erkenntnis um die Neurodiversität der Lerngruppen ergibt. Vier argumentieren in Richtung Teilhabe, eine betont die positive Wirkung auf das „Selbstwertgefühl und die Eigenständigkeit“ (0M6j) der Betroffenen, eine sieht in der Differenzierung einen „wichtigen Aspekt eines zunehmend stärkenorientierten Unterrichts“ (1S0c). Zwei Studierende thematisieren den Zusammenhang von Differenzierung und besserer Disziplin in der Klasse. Besonders erfreulich war die Aussage einer Studierenden, sie habe durch die Begegnung mit betroffenen Personen ein „besseres Verständnis“ für deren Situation entwickelt und habe für sich Berührungsängste abgebaut. Durch Kurse wie diesen, fährt sie fort, würde Missverständnissen vorgebeugt. Sie versuche nun, „während [ihres Unterrichtens] vermehrt darauf zu achten, was zu diesem Verhalten 100 Yela Schauwecker DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 53 • Heft 2 führen könnte, anstatt zu unterstellen, dass es ein absichtlich böswilliges Verhalten ist“ (0R9a). Und eine schließlich bestätigt das Vorgehen im Kurs indem sie sagt: „Beginnt man […] die Unterrichtsplanung vom Endprodukt und dem Ziel der Stunde aus und arbeitet Schritt für Schritt die Stunde ab, so finden sich fast immer Gelegenheit zur Differenzierung“ (1T2d). Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Studierenden nach dem Kurs zwar nach wie vor die Herausforderungen der Differenzierung deutlich sehen, diese aber unter verschiedenen Perspektiven für sich relativieren. Außerdem fällt auf, dass sie ein beginnendes Verständnis für Inklusion und Differenzierung zeigen, aber in ihren Bemerkungen kaum explizit auf das Konzept von Neurodiversität eingehen. Auch wenn jüngst der Appell formuliert wurde, Neurodivergenz im allgemeinen Kontext der Inklusion zu betrachten (B LUME & B ÜNDGENS -K OSTEN 2022), zeigen die Formulierungen der Studierenden, wie wichtig es andererseits auch ist, in Kursen speziell Neurodivergenz zu adressieren. In diesem Sinne validieren die Aussagen der Studierenden in ihren Reflexionsteilen die Werte der Befragung, aus denen hervorging, dass die Studierenden sich nach dem Kurs höchstsignifikant eher zutrauen, eine differenzierte Stunde zu planen und sich differenziertem Unterricht höchstsignifikant eher gewachsen fühlen. 4. Feedback und Lessons Learned Die Reflexionen einiger Studierenden zeigen, dass offenbar noch mehr darauf insistiert werden muss, dass es sich bei Differenzierung nicht um Anpassungen der kognitiven Schwierigkeit der Aufgabenstellungen handelt, sondern um die Anpassung der Aufgabenstellungen an die spezifischen Lernausgangslagen neurodivergenter Lernender. Nicht einfachere Aufgaben, sondern erleichterte Teilhabe sind in diesem Fall das Ziel der Differenzierung. Eine weitere Frage, die sich aus der Rückschau ergibt, ist, inwiefern die Arbeit mit paradigmatischen Neurodivergenzen Stereotype und Klischees fördert. Wenn es sich bei Neurodivergenz um eines nicht handelt, dann sind es klar zu umreißende Phänomene: nicht nur die Neurodivergenzen selbst, sondern auch ihre jeweiligen Ausprägungen sind zutiefst individuell. Ein Kurs kann hier nur sensibilisieren, zum Fragen anregen und zum Kommunizieren ermuntern, alles Weitere muss im konkreten Fall mit den Lernenden und / oder ihren Eltern direkt abgeklärt werden. Kritisch zu sehen ist schließlich noch der Hinweis einer Studierenden (0M4l, Protokoll), ihr sei erst relativ spät klargeworden, dass es sich bei den besprochenen Neurodivergenzen um theoretische Bezugsgrößen für die Differenzierung gehandelt habe, dass im Unterrichtsalltag wohl aber zumeist geringer ausgeprägter Differenzierungsbedarf bestünde. In Anbetracht dessen wäre es zum Beispiel wichtig, von Anfang an stärker zu betonen, dass es sich bei den vier thematisierten Neurodivergenzen um Bezugspunkte im Sinne einer didaktischen Reduktion handelt und dass in einer gymnasialen Regelklasse vermutlich stets nur einzelne ausgeprägt neurodivergente Kinder Das Prinzip der Differenzierung 101 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0023 anzutreffen sein werden. Auf der anderen Seite darf diese Erkenntnis, so beruhigend sie für die Studierenden auch sein mag, nicht dazu führen, dass das Phänomen der neurodivergenten Lernenden insgesamt abgetan wird mit dem Argument, dass es nicht viele Lernende beträfe, denn Heterogenität und Neurodivergenz sind allgegenwärtig in Schulklassen. Literatur B ERNECKER , Katharina / J OB , Veronika (2019): „Mindset theory“. In: S ASSENBERG , Kai / V LIEK Michael L. W. (Hrsg.): Social Psychology in Action: Evidence-Based Interventions from Theory to Practice. Cham: Springer International Publishing, 179-191. https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-030-13788-5_12 B ÜNDGENS -K OSTEN , Jules / B LUME , Carolyn (2022): „Neurodiversität- (k)ein Thema für die Fremdsprachendidaktik? “ In: Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachenunterricht 27.2, 225-247. 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