Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2024-0029
121
2024
532
Gnutzmann Küster SchrammJon CLENTON, Paul BOOTH (Hrsg.): Vocabulary and the Four Skills: Pedagogy, Practice, and Implications for Teaching Vocabulary. Milton Park: Routledge 2020 (Routledge Studies in Applied Linguistics), 250 Seiten [£ 38,99]
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2024
Matthias Hutz
flul5320142
DOI 10.24053/ FLuL-2024-0029 53 • Heft 2 Jon C LENTON , Paul B OOTH (Hrsg.): Vocabulary and the Four Skills: Pedagogy, Practice, and Implications for Teaching Vocabulary. Milton Park: Routledge 2020 (Routledge Studies in Applied Linguistics), 250 Seiten [£ 38,99] Hinsichtlich des Wortschatzerwerbs wird zwar seit jeher zwischen ,aktivem‘ und ,passivem‘ (bzw. zwischen produktivem und rezeptivem Wortschatzwissen) unterschieden, bislang liegt jedoch noch kein wissenschaftlicher Band vor, der sich zum Ziel gesetzt hat, den Wortschatzerwerb aus der Perspektive der vier klassischen skills (Hörverstehen, Leseverstehen, Sprechen und Schreiben) zu beschreiben. Genau dies ist der Anspruch, den die beiden Herausgeber des Sammelbandes in ihrem Vorwort formulieren. Der Band verfolgt dabei zum einen das Ziel, einen Überblick über bereits vorhandene Studien und Forschungsinstrumente zu liefern, zum anderen aber auch, diverse neue Studien zur Wortschatzarbeit in allen vier Bereichen zu präsentieren. Der Sammelband folgt dabei einer sehr klaren Gliederung: Zunächst werden die receptive skills (Hörverstehen bzw. Leseverstehen) präsentiert - anschließend werden die beiden productive skills (Sprechen und Schreiben) behandelt. Alle vier Hauptkapitel weisen dabei eine identische Struktur auf, die vier weitere Unterkapitel umfasst: Im ersten Kapitel wird jeweils ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu dem spezifischen Kompetenzbereich und den vorhandenen Forschungsinstrumenten und -praktiken geliefert. Im Anschluss daran folgen jeweils zwei Kapitel, in denen empirische Studien zu bestimmten fertigkeitsbezogenen Einzelaspekten vorgestellt werden. Im abschließenden vierten Unterkapitel werden in kurzer Form jeweils eine Reihe potenzieller Forschungsfragen für zukünftige Arbeiten aufgelistet. Das Buch gliedert sich in die folgenden vier Kompetenzbereiche: a) Listening: Die Zusammenfassung der vorhandenen Studien zum Bereich Listening (Kap. 2: „Vocabulary and listening: current research, tools, and practices“) verdeutlicht, dass das Vokabellernen mittels Hörverstehen ein bislang noch relativ wenig erforschtes Gebiet ist, z.B. hinsichtlich der verschiedenen Arten von listening activities oder hinsichtlich unterschiedlicher Lernervariablen. Auch zum Bereich Hörsehverstehen liegen kaum Untersuchungen vor. In der Interventionsstudie von Pengchong Z HANG und Suzanne G RAHAM (Kap. 3: „Vocabulary learning through listening: Which words are easier or more difficult to learn and why? “) wird untersucht, welcher Typus der drei untersuchten Semantisierungsformen (einfache Übersetzungen, ein kontrastiver Focus-on-Form-Ansatz oder Worterklärungen in der Erstsprache) sich am effektivsten auf die Behaltensleistung auswirkt. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass zwar alle drei Formen positive Auswirkungen haben, aber dass insbesondere der kontrastive FoF-Ansatz bei den chinesischen Studierenden die besten Effekte sowohl hinsichtlich des Arbeitsals auch des Langzeitgedächtnisses erzielte. Andere verbale oder nonverbale Semantisierungstechniken, die im Fremdsprachenunterricht angewendet werden, wurden hierbei jedoch nicht überprüft. Darüber hinaus zeigt die Studie, dass Wörter mit konkreten Bedeutungen leichter zu erlernen waren als Wörter mit abstrakten Bedeutungen. Die Studie zum Hörsehverstehen von James M ILTON und Ahmed M ASREI (Kap. 4: „Vocabulary and listening“) beschäftigt sich mit der Aneignung von Wortschatz durch das Anschauen von englischsprachigen Nachrichtensendungen bei Englischlernenden an einer saudi-arabischen Hochschule. Die Untersuchung kommt zum Schluss, dass es im Vergleich zu schriftlichen Texten den Studierenden schwerer fällt, sich mittels Hörtexten Wörter anzueignen. B e s p r e c h u n g e n Besprechungen 143 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0029 b) Reading: Das Überblickskapitel von Jeanine T REFFERS -D ALLER (Kap. 6: „Vocabulary and reading: current research, tools, and practices“) unterstreicht die zentrale Stellung, die dem Wortschatz in Bezug auf die Entwicklung der Lesefähigkeit für Lernende, Lehrende und Forschende zukommt. Dabei geht es jedoch nicht nur um die Aneignung der Wortbedeutung, sondern auch um die Berücksichtigung der drei Dimensionen „form“, „meaning“ und „use“. Die Autorin geht dabei auch auf die verschiedenen bereits zur Verfügung stehenden Tests (z.B. den Vocabulary Size Test oder Lextutor) ein. Auch das Kapitel von Irina E LGORT (Kap. 7: „Building vocabulary knowledge from and for reading: improving lexical quality“) beinhaltet einen Überblick über verschiedene Studien zur Beziehung zwischen dem Leseverstehen und der Entwicklung des Wortschatzes, wobei der besondere Schwerpunkt hier auf der Lexical Quality Hypothesis liegt. In ihrer Studie erörtert sie insbesondere die Lerner-, Text- und Wortvariablen beim kontextabhängigen Lernen von Wörtern, die die Entwicklung der lexikalischen Qualität beeinflussen. Im achten Kapitel („Measuring reading and vocabulary with the Test for English Majors Band 4: a concurrent validity study“) präsentieren Jeanine T REFFERS -D ALLER und Jingyi H UANG eine Untersuchung zur Validität des Test of English Majors, der häufig zur Überprüfung des Leseverständnisses und Wortschatzwissen in China eingesetzt wird. c) Sprechen: Das Überblickskapitel zur Beziehung von Wortschatzaneignung und Sprechen von Takumi U CHIHARA (Kap. 10: „Vocabulary and speaking: current research, tools, and practices“) zeigt auf, dass diesem Bereich der Wortschatzforschung in jüngster Zeit verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Hinsichtlich der Forschungsinstrumente werden in dem Kapitel sowohl persönliche Einschätzungen des mündlichen Outputs von Lernenden als auch objektive Bewertungsstandards berücksichtigt. In Kapitel 11 („Investigating the extent to which vocabulary knowledge and skills can predict aspects of fluency for a small group of pre-intermediate Japanese L1 users of English“) und 12 („Re-examining the relationship between productive vocabulary and second language oral ability“) werden zwei unterschiedliche Fallstudien vorgestellt, die jeweils an einer japanischen Hochschule durchgeführt wurden und die zum Ziel hatten, mittels visuell unterstützter Sprechaufgaben das flüssige Sprechen von Englischlernenden zu untersuchen. Dabei wurden bestimmte Variablen (z.B. Länge der Pausen, Wiederholungen) untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass ein hohes Maß an Wortschatzwissen und flüssiges Sprechen bzw. die Fähigkeit zur lexikalischen Differenzierung miteinander korrelieren. d) Schreiben: Im Übersichtskapitel (Kap. 14: „Vocabulary and writing: current research, tools, and practices“) werden diverse Forschungsinstrumente beschrieben (z.B. das Lexical Frequency Profile, P-Lex, N-grams), mit deren Hilfe lexikalische Häufigkeitsprofile bei Texten erstellt werden können, die von Lernenden verfasst wurden. In Kap. 15 („Specialized vocabulary in writing: looking outside ELT“) wird eine Studie aus dem Bereich English for Academic Purposes (EAP) in Neuseeland vorgestellt, in diesem Fall zu sogenannten „builders‘ diaries“, eine Art Ausbildungsportfolio, das Auszubildende im Tischlerhandwerk anfertigen müssen. Hierbei zeigt sich, dass die Lernenden dazu neigen, eher Hochfrequenzwörter zu verwenden, die sie bereits gut kennen, als weniger bekannte Vokabeln, deren Gebrauch möglicherweise mit einem höheren Risiko verbunden wäre. Darüber hinaus findet sich im 16. Kapitel (Paul B OOTH : „Lexical development paths in relation to academic writing“) eine weitere EAP-Studie. Die Studie, in der über einen Zeitraum von einem Semester lexikalische Entwicklungsmuster beim Schreiben akademischer Essays untersucht wurden, zeigt, dass die lexikalische Entwicklung bei den Lernenden nicht immer linear verläuft und dass daher auch individuelle Unterschiede in den Entwicklungsmustern beim Schreiben berücksichtigt werden müssen. 144 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0029 53 • Heft 2 Der Sammelband richtet sich - anders als es der sehr praxisbezogene Titel vermuten lässt - weniger an Lehrkräfte, sondern eher an Forschende in der Angewandten Linguistik, die evidenzbasiert zur Wortschatzarbeit forschen. Der vorliegende Band bietet insgesamt einen stateof-the-art-Überblick über diverse Studien zu den vier Kompetenzbereichen und trägt dazu bei, die spezifischen lexikalischen Verarbeitungs- und Speicherungsprozesse, die für die jeweiligen Bereiche charakteristisch sind, näher zu beleuchten. Es wäre jedoch wünschenswert gewesen, die vier Bereiche nicht nur isoliert, sondern auch integrativ zu betrachten. So wie die Fremdsprachendidaktik inzwischen seit längerer Zeit einen integrativen Ansatz verfolgt, hätte man auch hier die einzelnen Bereiche aufeinander beziehen können, indem man z.B. das Zusammenspiel der Prozesse beim mündlichen Wortschatzerwerb (listening und speaking) bzw. beim schriftlichen Wortschatzerwerb (reading und writing) in einer Gesamtbetrachtung erörtert hätte, zumal diese skills in realen kommunikativen Situationen häufig zusammen verwendet werden. Es wäre darüber hinaus auch interessant gewesen, die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den rezeptiven Fertigkeiten (listening bzw. reading) einerseits und den produktiven Fertigkeiten (speaking bzw. writing) andererseits noch detaillierter zu erörtern. In methodischer Hinsicht handelt es insgesamt um eine sehr einheitliche Vorgehensweise. Die vorgestellten empirischen Untersuchungen verfolgen sehr ähnliche Ansätze - selbst die Darstellung der methodischen Grundlagen in den einzelnen Artikeln ist offensichtlich aufeinander abgestimmt. Aus fachdidaktischer Perspektive lassen sich aus den vorgestellten Studien bestimmte Aspekte ableiten - so sind z.B. die Hinweise auf die verschiedenen Testinstrumente zur Bestimmung der Breite bzw. Tiefe des Wortschatzumfangs von Lernenden sehr nützlich. Allerdings spielen die Implikationen für die Unterrichtspraxis insgesamt nur eine sehr untergeordnete Rolle. Gerade angesichts des Titels wäre es jedoch wünschenswert gewesen, zu jedem der vier Bereiche zusätzlich noch ein weiteres Unterkapitel zu integrieren, in dem auch Implikationen für die konkrete Wortschatzarbeit thematisiert worden wären. Der mitunter fehlende Bezug zu den Erkenntnissen der Fremdsprachendidaktik zeigt sich auch darin, dass in den Studien zumindest implizit davon ausgegangen wird, dass Wortschatzerwerb in erster Linie im Unterricht als Lernen isolierter Wörter erfolgt. Bei den durchgeführten Studien steht fast ausschließlich die Abrufbarkeit von Einzelwörtern im Vordergrund, während Kollokationen oder feststehende Wendungen nicht berücksichtigt werden, obwohl solchen lexical chunks schon allein aufgrund ihrer Frequenz und ihrer großen interaktionalen Bedeutung eine entscheidende Rolle beim Wortschatzerwerb zukommt. Die Homogenität der einzelnen Kapitel äußert sich auch darin, dass sich die Studien fast durchgängig auf eher fortgeschrittene Englischlernende an Hochschulen beziehen, insbesondere im Bereich English for Specific Purposes, z.B. in China, Saudi-Arabien oder Neuseeland. Der schulische Kontext bleibt jedoch weitgehend unberücksichtigt. Eine größere Vielfalt von Unterrichtskontexten, die vielleicht auch den Anfangsunterricht miteinbezogen hätte, hätte hier möglicherweise noch weitergehende Erkenntnisse hinsichtlich der vier skills bringen können. Insgesamt handelt es sich bei dem Sammelband um eine methodisch äußert fundierte Sammlung von Einzelstudien zu den vier Fertigkeiten mit vielen aufschlussreichen Ergebnissen - die konkreten Implikationen für die Wortschatzarbeit im Englischunterricht sind jedoch nur in Ansätzen erkennbar. Freiburg M ATTHIAS H UTZ
