eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 53/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2024-0030
121
2024
532 Gnutzmann Küster Schramm

Leonhard KROMBACH: Schriftliche Sprachmittlung im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe. Eine qualitativ-empirische Studie. Tübingen: Narr 2022 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 403 Seiten [74,00 €, eBook 59,20 €]

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2024
Daniela Caspari
flul5320145
Besprechungen 145 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0030 Leonhard K ROMBACH : Schriftliche Sprachmittlung im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe. Eine qualitativ-empirische Studie. Tübingen: Narr 2022 (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), 403 Seiten [74,00 €, eBook 59,20 €] „Zum Schluss dieser Arbeit steht die Hoffnung, dass die erlangten Erkenntnisse in Fremdsprachenunterricht und Fremdsprachenforschung zur Anwendung gebracht sowie im Wechselspiel vorangetrieben werden“ (S. 365). Dieser Hoffnung schließt sich die Rezensentin an - denn geradezu ernüchternd ist der von Leonhard Krombach erhobene Einblick in die schulische Praxis der Förderung schriftlicher Sprachmittlung in der gymnasialen Oberstufe. Seine umfangreiche Dissertationsschrift untersucht empirisch Prozesse und Ergebnisse bei der Bearbeitung schriftlicher Sprachmittlungsaufgaben im Fach Englisch, denen seit 2017 als obligatorischem Bestandteil der zentralen Abiturprüfung für moderne Fremdsprachen „eine zentrale Rolle als Lerngegenstand und Prüfungsdisziplin“ (S. 13) zukommt. Da die Erhebung in den Jahren 2018 bis 2020, also kurz nach dieser Vorgabe, durchgeführt wurde, geben die Ergebnisse zugleich einen - ebenfalls ernüchternden - Einblick in den Erfolg der Implementierung bildungspolitischer Innovationen. Denn bei Sprachmittlung in der Modellierung von 2003/ 2004 (Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss) bzw. 2012 (Bildungsstandards für die Abiturprüfung) handelt es sich um einen vergleichsweise neuen Kompetenzbereich, der mit der Einführung kompetenzorientierten Fremdsprachenunterrichts erstmalig Teil des fremdsprachlichen Curriculums wurde. Diesen Kompetenzbereich stellt Leonhard Krombach in den ersten beiden inhaltlichen Kapiteln seiner Dissertationsschrift umfassend und zugleich prägnant vor: In Kapitel 2 stehen die Modellierung der Kompetenz in den bildungspolitischen Verordnungen sowie der fremdsprachendidaktischen Forschung im Mittelpunkt, in Kapitel 3 die wesentlichen fachdidaktischen Konzepte bzw. Überlegungen zur Förderung und Evaluation schriftlicher Sprachmittlungskompetenz in der gymnasialen Oberstufe. In beiden Kapiteln legt der Verfasser die gesamte deutschsprachige Forschung zu diesem Kompetenzbereich zugrunde, was nicht nur Ausdruck der Tradition einer sich als übersprachlich verstehenden Fremdsprachendidaktik, sondern ebenfalls der Tatsache geschuldet ist, dass die russisch- und romanistischdidaktische Literatur wesentliche Beiträge speziell zu diesem Kompetenzbereich beigesteuert hat (vgl. S. 76). Die Beschränkung auf deutschsprachige Forschung ist aufgrund der Spezifik der Modellierung in Deutschland ebenfalls funktional. Allen, die einen fundierten und zugleich gut lesbaren Überblick über den Kompetenzbereich Sprachmittlung suchen, seien diese beiden Kapitel daher als Einführung empfohlen. Dabei spart der Verfasser die aufgrund des Begleitbandes zum GeR (2020) zu erwartenden Veränderungen ebensowenig aus (Kap. 2.6) wie einen Exkurs in die Translationswissenschaft (Kap. 2.7), der zusammen mit dem einleitenden Kapitel zur historischen Entwicklung (Kap. 2.1) die Darlegung des aktuellen Forschungsstandes in der Fremdsprachendidaktik rahmt. Kapitel 2 und 3 liefern gleichzeitig die Begründung sowie die inhaltliche Grundlage für das angestrebte Ziel, mit der Arbeit „empirische Grundlagenforschung“ (S. 11) betreiben zu wollen. Am Ende der entsprechenden Unterkapitel von Kapitel 2 und 3 resümiert K ROMBACH aufgrund der festgestellten (Forschungs-)Lücken, Inkongruenzen und Desiderata jeweils, welchen Beitrag seine empirische Studie zum dargestellten Aspekt leisten könnte bzw. sollte. Dies betrifft zuvörderst das generelle Fehlen von empirischen Studien zur Sprachmittlung insgesamt wie auch zu Teilprozessen (vgl. Kap. 2.5.1) und notwendigen Teilkompetenzen der Sprachmittlung (vgl. Kap. 2.6). Es betrifft ebenfalls Einzelaspekte wie den Umgang mit Strategien, Spiegeltexten und Wörterbüchern (vgl. Kap. 3.2), die Einbettung in den unterrichtlichen Zusammenhang und ggf. in Lernaufgaben (vgl. Kap. 3.3), die Beachtung von genre-, textfunktions- und regis- 146 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0030 53 • Heft 2 terspezifischen Anforderungen (vgl. Kap. 3.4), die Orientierung an Qualitätskriterien (Kap. 3.5), den Umgang mit Progression (Kap. 3.5.3) und Bewertungskriterien (Kap. 3.6). Die dazwischen eingestreuten Kapitel, in denen exemplarisch Lernaufgaben aus je einem Englischlehrwerk für die Sekundarstufen I und II (Kap. 3.5.1) und Prüfungsaufgaben aus Hessen (Kap. 3.5.2) analysiert und im Vergleich zur fachdidaktischen Modellierung als defizitär bewertet werden, lassen bereits vermuten, dass die hoch gesteckten Ziele der empirischen Untersuchung schwerlich eingelöst werden können - zu groß erscheint die Diskrepanz zwischen den Fragen, die sich aus den fachdidaktischen Modellierungen bzw. der Konzeption von Sprachmittlung in den Bildungsstandards für die Abiturprüfung und diesen Materialien, die sich direkt an die Lehrkräfte richten, ergeben. Von daher erscheinen die Forschungsziele in ihrer Allgemeinheit für eine empirische Pionierarbeit sehr verständlich, angesichts der bereits aus den Grundlagenkapiteln 2 und 3 aufgeworfenen vielfältigen Fragen jedoch sehr ambitioniert (S. 79): 1. Wie verlaufen Arbeits- und Unterrichtsprozesse zur schriftlichen Sprachmittlung im Unterricht? 2. Welche Produkte werden erbracht und welche Teilkompetenzen lassen sich an ihnen erkennen? 3. Wie werden die schriftlichen Leistungen von der Lehrkraft und den Mitschülern evaluiert? Zur Beantwortung dieser Fragen bedient sich der Verfasser des Forschungsansatzes qualitativer Fallstudien, der sich gut zur Exploration komplexer Prozesse, so wie sie Interaktionen und Handlungen im Kontext des natürlichen unterrichtlichen Handelns (vgl. S. 82) darstellen, eignet. Als Datengrundlage wurden acht Unterrichtseinheiten zur Sprachmittlung mit insgesamt 56 Unterrichtsstunden an verschiedenen hessischen Oberschulen videografiert, zusätzlich wurden 28 retrospektive Interviews mit den beteiligten Lehrpersonen und Schülergruppen geführt, die Lehrpersonen wurden per Fragebogen zu ihrem vorherigen Umgang mit Sprachmittlung befragt, die von den Lehrpersonen eingesetzten Sprachmittlungsaufgaben, die schriftlichen Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler sowie die Korrektur dieser Ergebnisse durch die Lehrperson wurden analysiert sowie Feldnotizen angefertigt. Aus diesem umfangreichen Korpus wurden drei Fälle (die Pilotstudie plus zwei weitere) ausgewählt, wobei die Kriterien für die Auswahl vage bleiben. Es überrascht, dass in der Zusammenstellung der „Erkenntnisse der empirischen Studie“ in Kapitel 8 nicht markiert Ergebnisse aus den übrigen, nicht näher dargestellten Unterrichtseinheiten einfließen. Möglicherweise ist es mit der expliziten Anlehnung an bereits durchgeführte Studien in der Gießener Fremdsprachendidaktik (vgl. S. 82) zu erklären, dass die forschungsmethodischen Erläuterungen knapp gehalten und die Instrumente bis auf den abgedruckten Vorerfahrungs-Fragebogen nur beschrieben und nicht beigefügt werden. Die Beschreibung der drei Fälle entspricht dagegen den Erwartungen, die man an eine thick description stellt: Anhand der ausführlichen Dokumentation und der sorgsamen, stets textgestützten Analyse und Interpretation des Unterrichtsverlaufs, der Gespräche mit den Schülerinnen und Schülern und der Lehrperson sowie der Schülertexte erhält man als Leserin einen detaillierten und umfassenden Einblick in die Prozesse und Ergebnisse der Sprachmittlungsstunden. Damit liefert der Verfasser gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur empirischen Unterrichtsforschung. Die klare Gliederung mit Resümees und die abschließenden Zwischenfazits sorgen dafür, dass man trotz der Fülle nicht den Überblick verliert. Dies gilt gleichfalls für die abschießenden Kapitel 8 und 9, in denen die Ergebnisse der Studie nach den drei Forschungsfragen gegliedert zusammengestellt und Gelingensbedingungen für die schriftliche Sprachmittlung formuliert werden. Besprechungen 147 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0031 Wie bereits oben angedeutet, sind die Ergebnisse dieser, trotz der notwendigerweise begrenzten Fallzahl, umfangreichen Studie ernüchternd. So scheinen den untersuchten Lehrpersonen weder die fachdidaktische Modellierung der Kompetenz Sprachmittlung noch die damit verbundenen Lernchancen und -herausforderungen bewusst zu sein, stellt sich das von ihnen realisierte Konzept schriftlicher Sprachmittlung doch - grob gesagt - als das einer summary, eingebettet in eine i.d.R. vage formulierte Kommunikationssituation, dar. Die Fallstudien belegen, „wie sich defizitärer Input, der nicht die methodische, inhaltliche, sprachliche, formale und interkulturelle Dimension berücksichtigt, auf die Lernendenleistungen auswirkt und wie Probleme in den Unterrichtsphasen entstehen“ (S. 347). Die Daten belegen weiterhin deutliche Schwierigkeiten der Lernenden bei der Textrezeption und -produktion, die jedoch weder von ihnen selbst noch von den Lehrpersonen erkannt werden - beide Gruppen geben an, „Sprachmittlungsaufgaben seien nicht schwierig. Dies ist jedoch auf eine verkürzte Wahrnehmung ihrer Komplexität zurückzuführen“ (S. 353). Dieses ernüchternde Ergebnis belegt ebenfalls, dass bildungspolitische Neuerungen nur dann eine Chance auf adäquate Umsetzung haben, wenn sie in den entsprechenden Vorgaben, Unterrichts- und Prüfungsbeispielen fachdidaktisch korrekt und sehr konkret dargestellt bzw. umgesetzt werden (vgl. dazu die Analysen in den Kap. 2.4, 3.5.1 und 3.5.2). Dass aber auch das möglicherweise nicht ausreicht, um die subjektiven Vorstellungen von Lehrenden weiterzuentwickeln, zeigt exemplarisch dieses Zitat einer der beteiligten Lehrpersonen: „Aber ich glaube nicht, dass ich in meiner Arbeit gucken muss, welche Kompetenzen müssen die [Schülerinnen und Schüler] erwerben“ (S. 166). Berlin D ANIELA C ASPARI Carola S URKAMP (Hrsg.): Bildung für nachhaltige Entwicklung im Englischunterricht. Grundlagen und Unterrichtsbeispiele. Hannover: Klett Kallmeyer 2022, 256 Seiten [29,95 €, ebook 27,99 €] Was haben Sprache, Sprachenlernen und der Englischunterricht, mit nachhaltiger Entwicklung bzw. Nachhaltigkeit zu tun? Nachhaltigkeit als zu erforschendes Konzept wird vor dem Hintergrund des drohenden Klimawandels zuvorderst mit der Fächergruppe der Natur- und angewandten Ingenieurswissenschaften assoziiert. Hinsichtlich politischer Entscheidungen im Sinne eines gesellschaftlichen Interessensausgleiches kommen auch die sozialwissenschaftlichen Fächer auf den Plan. Human- und Sprachwissenschaften jedoch bleiben gemäß diesem Verständnis zunächst außen vor. Hingegen schlug die KMK in 2017, im Nachgang einer Vereinbarung der UNESCO, vor, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in allen Fächern des schulischen Unterrichts als Querschnittsthema zu verankern. Die normative Grundlage hierfür stellen die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) dar, welche Nachhaltigkeit entgegen einem alltäglichen Verständnis weit über den Klima- und Umweltschutz hinaus definieren und damit als Grundlage für eine BNE fungieren. Bei den SDGs handelt es sich um ein ganzheitliches Konzept mit einem inhärenten Empowerment-Gedanken, der durch hochwertige Bildung nachhaltig in der Gesellschaft verankert werden soll. Hier ist Sprache weitaus mehr als nur ein Vehikel, wie bei der Lektüre des vorliegenden Sammelbandes besonders deutlich wird. Dieser widmet sich in Teil I den theoretischen Grundlagen der BNE im Englischunterricht, während Teil II konzeptuelle, teilhabebasierte Praxisbeispiele für den Unterricht mitsamt Downloadmaterialien für SDG 11 (Nachhaltige Städte und Gemeinden) beinhaltet. Sehr überzeugend und als Vorbild für zukünftige Sammelbände