Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2024-0034
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2024
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Gnutzmann Küster SchrammRui YUAN, Icy LEE (Hrsg.): Becoming and Being a TESOL Teacher Educator. Research and Practice. London/New York: Routledge, 2022, 288 Seiten [48,70 €]
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2024
Anne Mihan
flul5320155
Besprechungen 155 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0034 gleichermaßen im Unterricht davon profitieren können. Der Beitrag von Uliana Y AZHINOVA , der ebenfalls im Bereich des Russischen als Fremdsprache angesiedelt ist, schließt den Sammelband ab. Sie plädiert dafür, die Fähigkeit, Korpora von authentischem erstsprachlichem Sprachgebrauch im Unterricht einzusetzen, in die Lehreraus- und -fortbildung zu integrieren mit dem Ziel, Lernern sprachliche Regularitäten und Zusammenhänge besser bewusst zu machen. Wer sich kritisch mit der Auffassung auseinandersetzen möchte, dass allein Global English für den Fächerkanon der Schule bzw. die Wissenschaftskommunikation ausreichend sei, wird die Beiträge von S CHRÖDER und H OFMANN / H U im ersten Abschnitt des Sammelbands mit Gewinn lesen. Die beiden Beiträge zur Digitalisierung greifen angesichts der Frage, ob die aktuellen Digitalisierungsschübe nicht auch dazu führen könnten, das Erlernen fremder Sprachen insgesamt überflüssig zu machen, zu kurz. Leider stellen die Beiträge des dritten Abschnitts keinen expliziten Bezug zu den beiden Hauptthemen her. Gleichwohl geben sie bedenkenswerte Antworten auf die im Untertitel aufgeworfene Frage, auch wenn die angeführten Anregungen nicht wirklich neu sind. Am überzeugendsten erscheinen der einleitende Beitrag von M AYER / P LIKAT sowie die Beiträge von C ASPARI und K ÜPPERS , da sie ausgehend von Einschätzungen zur Bedeutung des Global English Anstöße für die Diskussion um eine Neuausrichtung des Fremdsprachenunterrichts ingesamt und der Ziele für die zweiten und dritten Fremdsprachen im Besonderen liefern. Osnabrück M ARK B ECHTEL Rui Y UAN , Icy L EE (Hrsg.): Becoming and Being a TESOL Teacher Educator. Research and Practice. London/ New York: Routledge, 2022, 288 Seiten [48,70 €] Was wissen wir über die professionellen Selbstverständnisse, berufliche Motivation, Zielstellungen, Herausforderungen und Erfolgserlebnisse von Lehrkräftebildner*innen in fremdsprachlichen Fächern an Universitäten und pädagogischen Hochschulen? Nichts Genaues, denn in der Professionsforschung im Bereich der fremdsprachlichen Bildung gehören Lehrkräftebildner*innen, besonders jene im universitären Kontext, zu den Akteur*innengruppen, zu denen noch wenig geforscht wurde. Der vorliegende Sammelband rückt sie nun in unser Blickfeld: Er beleuchtet Forschungs- und Lehrpraxis, Interaktionen mit Studierenden und Mentor*innen in Praktikumsschulen, Wissensbestände und Identitätskonstruktionen von Lehrkräftebildner*innen im Bereich Englisch als Fremd- und Zweitsprache (TESOL teacher educators, im Folgenden: TESOL TEs) aus Hong Kong, der Volksrepublik China, Vietnam, Australien, Argentinien, Chile, den USA und Kanada. Im Sammelband präsentieren TESOL TEs ihre qualitativen Studien, vorwiegend aus dem Bereich der reflexiven Selbstforschung (S-STEP: Self- Study in Teacher Education Practice), die mit unterschiedlichen Methoden ihr professionelles Handeln in universitären Kontexten der Lehrer*innenbildung analysieren. Mit der Auswahl der Beitragenden bieten die Herausgeber*innen Y UAN und L EE einen Querschnitt der in der universitären Lehrkräftebildung beschäftigten Personen: Die Autor*innen arbeiten in Studiengängen für Lehramtsstudierende und postgraduierte Lehrer*innen, die sich für eine Karriere als TESOL TEs entschieden haben, sich aber in unterschiedlichen Etappen ihrer Laufbahnen befinden und verschiedenen TESOL Teildisziplinen an vielfältigen Hochschulen angehören. Auch ihre Bildungsbiografien sind sehr unterschiedlich: Da sind Forscher*innen, die nach einer Karriere als Englischlehrpersonen an Hochschulen wechselten und sich über einige Jahre hinweg für Hochschullehre und Forschung qualifiziert 156 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0034 53 • Heft 2 haben, junge Promovierte, die ohne Unterrichtserfahrungen und Kenntnisse der institutionellen Strukturen und lokalen Bildungskontexte an lehrer*innenbildende Institutionen kommen, wo sie sich berufsbegleitend in ihr Betätigungsfeld einarbeiten müssen, und auch Masterstudierende am Anfang ihres Programms für TESOL TEs. Anlass und Kontext für den Sammelband ist die komplexe, herausfordernde Situation, in der sich TESOL TEs international befinden. Durch Globalisierung und Migration hat Englischunterricht zwar große Bedeutung, aber Englisch als lingua franca ist durch seine koloniale Geschichte umstritten, und Unterricht wie auch Lehrkräftebildung sind Orte komplexer, oft konfliktreicher Aushandlungen zu hegemonialen Machtverhältnissen. Die 13 Beiträge bilden dies je nach geografischem und institutionellem Kontext und in Abhängigkeit von ihrer Thematik in unterschiedlicher Ausprägung ab. Sie präsentieren qualitative Forschungsprojekte, die das Agieren, Werden und Selbstverständnis von TESOL TEs untersuchen (Teil I) und die Entwicklung ihrer Überzeugungen zu Design und Pädagogik der Lehrer*innenbildung nachzeichnen (Teil II). Trotz der geografischen Ferne und Verschiedenheit der Strukturen der Lehrkräftebildung im Vergleich zum deutschsprachigen Raum ist dieser Sammelband in mehrfacher Hinsicht interessant und relevant - für die Professionsforschung in der Fremdsprachenlehrkräftebildung, aber auch mit Blick auf die Vorbereitung von noch unerfahrenen TESOL TEs auf ihre Arbeit mit Studierenden und auf die Konzeption von Lehramtsstudiengängen. In Teil I des Sammelbandes beleuchten Beiträge die z.T. konfliktreichen Umstände, unter denen Lehrerkräftebildner*innen arbeiten, und die Bewältigungsstrategien, die sie entwickeln. Eine Langzeit-Interviewstudie zur Motivation von TESOL TEs im südlichen Argentinien (B ANEGAS / DEL P OZO B EAMUD ) identifiziert motivierende Effekte der intrinsischen Herausforderung, im ländlichen Kontext zukünftigen Englischlehrpersonen eine qualitativ hochwertige Bildung zu ermöglichen und selbst eine hohe fremdsprachliche Kompetenz aufrechtzuerhalten, sowie des Bedürfnisses, zur Weiterentwicklung der eigenen Community of Practice und des lokalen gesellschaftlichen Umfelds des Studiengangs beizutragen. Die selbstreflexive Interview-Studie einer TESOL- Masterstudentin mit einem jungen Englischlehrer in Kalifornien (H ER / G REEN -E NEIX / D E C OSTA ) bietet Einblicke in ihr Methodenlernen durch learning by doing, ihren Umgang mit unvorhergesehenen Änderungen der Rahmenbedingungen („messy research“, so auch im Titel des Beitrags) und ihre dialogische Zusammenarbeit mit dem Forschungspartner. Kevin Wai Ho Y UNG s Beitrag macht die zwiespältige, spannungsreiche Position eines Dozenten deutlich, der ohne schulische Unterrichtserfahrung Studierende zur theoriegeleiteten Reflexion ihrer z.T. schon langjährigen Unterrichtspraxis befähigen soll. Y UNG absolviert berufsbegleitend ein längeres Unterrichtspraktikum und erforscht in einem autoethnografischen Verfahren seine Rollenkonflikte und die Entwicklung seines Selbstverständnisses als Forscher, Lehrer und Lernender. Ein weiterer autoethnografischer Beitrag zeichnet Wegmarken der Karriere einer chinesischen TESOL-Professorin nach (Y AN ) und analysiert Entscheidungen, die ihr dabei halfen, strukturelle Hürden zu überwinden. Eine Interviewstudie mit zwei Dozentinnen in einem australischen TESOL-Studiengang (N GUYEN ) belegt die Bedeutung von Unterrichtsbesuchen in Praktika für ihre Selbstpositionierung als Lehrkräftebildner*innen. Zum einen ermöglichen sie theoriebasierte Praxisreflexionen der Studierenden, zum anderen bieten sie Dozierenden Einblicke in Entwicklungen im Schulbereich, die für ihre Arbeit mit zukünftigen Lehrpersonen unverzichtbar sind. Juyoung S ONG ergründet in ihrer autoethnografischen Studie die Bedeutung von Emotionen für ihre Lehre, Forschung und professionelle Identität. Der Ansatz der emotionalen Reflexivität ermöglicht ihr, Marginalisierungserfahrungen, die sie in den USA im Laufe ihrer 10jährigen Tätigkeit als Nicht-Muttersprachlerin aus Asien ohne schulische Unterrichtserfahrung sammeln musste, als identitätsstiftend und bedeutsam für ihr professionelles Handeln einzuordnen. S HARKEY / P EERCY / S OLANO -C AMPOS / S CHALL -L ECKRONE demonstrieren in ihrem Besprechungen 157 53 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2024-0034 Aufsatz die Relevanz von Forschung von und über TESOL TEs mit vier Methoden aus dem S- STEP-Spektrum. Mit kritischer Autoethnografie erforscht S OLANO -C AMPOS das Dilemma, das sie als von Rassismus betroffene Dozentin aus Costa Rica in der US-amerikanischen Lehrkräftebildung begleitet, die selbst institutionellen Rassismus perpetuiert. P EERCY untersucht und entwickelt zusammen mit einer kritischen Freundin ein praxisbasiertes didaktisches Konzept weiter, das Englischlehrkräfte in ihrer Arbeit mit mehrsprachigen Schüler*innen unterstützen soll. S CHALL -L ECKRONE verwendet ein Mixed-Method-Design, um einen ihrer Kurse dahingehend zu analysieren, inwiefern er angehenden Englischlehrer*innen Gelegenheit bietet, differenzsensible, diskriminierungskritische Einstellungen zu entwickeln. S HARKEY , schließlich, nutzt eine Kombination aus empirischer und konzeptioneller Forschung, um Erkenntnisse zu gewinnen über die Schwierigkeiten weißer monolingualer Lehramtsstudierender, für ihre mehrsprachigen migrantischen Schüler*innen relevante, motivierende Lehrpläne zu entwickeln. In Teil II stehen Analysen von Studiengängen im Blickpunkt sowie Überzeugungen universitärer Lehrpersonen, die diesen Programmen oder einzelnen Kursen zugrunde liegen. L I und B IAN präsentieren ihre Mixed-Methods-Forschung über die Fähigkeit und Bereitschaft von Lehrkräftebildner*innen in den USA, Studierende verschiedener Lehramtsfächer auf den Unterricht mit Schüler*innen vorzubereiten, die Englisch als Zweit- oder Fremdsprache sprechen. Wie sie zeigen, ist es dem Zufall überlassen, ob und in welcher Qualität diese Vorbereitung geschieht. Da keine Strukturen existieren, die neben der allgemeinen pädagogischen und fachbezogenen eine systematische auf Sprachbildung bezogene Professionalisierung der zukünftigen Lehrer*innen einfordern, ist die professionelle Entwicklung der Studierenden in dieser Hinsicht ausschließlich von Bereitschaft, Expertise und verfügbaren Ressourcen der Dozierenden abhängig. T RAN -D ANG und N GUYEN untersuchen in ihrer Studie die Umsetzung aufgabenorientierter Didaktiken in Lehrveranstaltungen zweier lehrkräftebildender Colleges in Vietnam. Sie zeigen, dass auch hier entsprechende Strukturen fehlen und es vom Vorhandensein einschlägiger Vorbildung bei den Dozierenden und vom lokalen Kontext abhängig ist, ob und in welcher Ausprägung sie aufgabenorientierte Formate einsetzen. Mit den Herausforderungen praxisbasierter Lehre beschäftigen sich TESOL TEs an einer chilenischen Hochschule in ihrer kollaborativen Selbstforschung (B ARAHONA / G LAS / P ESCARA ). Sie unterstreichen die Notwendigkeit, authentische, an der lokalen Schulrealität orientierte Übungsformate für die Anbahnung praxisrelevanter Fertigkeiten anbieten zu können und von der Praxis ausgehend theoretische Hintergründe zu vermitteln. F RASER erkundet in seinem Beitrag die Bedeutung schriftlicher kritischer Reflexion für die Entwicklung einer professionellen Identität angehender Lehrer*innen und als Werkzeug für die Interpretation ihrer eigenen Erfahrungen. Angesichts der Herausforderung, studentische reflexive Texte bewerten zu müssen, beeinflusst die Auseinandersetzung mit ihnen zudem auch die Entwicklung einer komplexen TE-Identität des Dozenten. Voraussetzungen für sinnstiftende Reflexionen sind jedoch Zeit, ein strukturierter Möglichkeitsraum und ein externer Impuls. S ARASA plädiert im Zuge ihrer Studie zur Bedeutung narrativer biografischer Texte für Identitätskonstruktionen von TESOL-Studierenden dafür, die Arbeit mit Hintergründen und Biografien der Studierenden in Studienordnungen festzuschreiben. So könnten Unterstützungsstrukturen geschaffen werden, um in biografischen Texten und durch den Austausch über sie existente Wissensbestände zum Vorschein zu bringen und zu aktivieren. Der letzte Beitrag im Band beleuchtet autoethnografisches Schreiben als reflexiven, datenbasierten qualitativen Forschungsansatz zur Identität von Lehrpersonen (Y AZAN ). Dabei entwickelt der Autor für sich die Selbst-Position eines Autoethnografie- Coaches, problematisiert aber auch die Möglichkeit der Einflussnahme durch Betreuende auf studentische Forschungsarbeiten und auf die Entwicklung eigener Ansätze der Studierenden. Der erste Sammelband mit Forschungsarbeiten zu TESOL TEs belegt eindrücklich die 158 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2024-0034 53 • Heft 2 Relevanz der Forschung zu Wissensbeständen und Selbstentwürfen von Lehrkräftebildner*innen, zu Bedingungen und Erfahrungen, die diese Entwürfe beeinflussen, und dazu, welche Auswirkungen die Identitäten der TEs auf ihre Arbeit mit zukünftigen Lehrer*innen haben. Alle Beiträge sind theoriebasiert angelegt, forschungsmethodologisch sorgfältig aufbereitet und präsentieren greifbare Ergebnisse sowie Erkenntnisse, die über die im Band vertretenen Regionen hinaus Relevanz entfalten können. Die Chancen stehen gut, dass Leser*innen eigene Forschungsideen gefasst haben, wenn sie dieses Buch zu Seite legen. Berlin A NNE M IHAN
