Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2025-0003
0428
2025
541
Gnutzmann Küster SchrammFeedback am Nexus von feedback literacies und berufsspezifischen Sprachkompetenzen:
0428
2025
Olivia Rütti-Joy
Relevant feedback can largely contribute to foreign language attainment if it is framed in an addressee-appropriate manner. In this explorative study, the linguistic appropriateness of preservice EFL teachers’ oral feedback was addressed. In semi-structured interviews, five lower-secondary school learners assessed the linguistic quality and comprehensibility of pre-service English teacher’s audio-recorded feedback. Preliminary results of the qualitative content analysis indicate that learners rate general language competence as less crucial than addressee-appropriate language to ensure understanding of feedback. Furthermore, addressee-appropriateness seems to be a highly dynamic skill that requires the situational use of linguistic and paralinguistic strategies. Based on these findings, perspectives are outlined for expanding the teacher-student feedback literacies concept to include language components.
flul5410021
54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0003 O LIVIA R ÜTTI -J OY * Feedback am Nexus von feedback literacies und berufsspezifischen Sprachkompetenzen: Über die sprachliche Facette von Feedback-Kompetenzen angehender Fremdsprachenlehrender Abstract. Relevant feedback can largely contribute to foreign language attainment if it is framed in an addressee-appropriate manner. In this explorative study, the linguistic appropriateness of preservice EFL teachers’ oral feedback was addressed. In semi-structured interviews, five lower-secondary school learners assessed the linguistic quality and comprehensibility of pre-service English teacher’s audio-recorded feedback. Preliminary results of the qualitative content analysis indicate that learners rate general language competence as less crucial than addressee-appropriate language to ensure understanding of feedback. Furthermore, addressee-appropriateness seems to be a highly dynamic skill that requires the situational use of linguistic and paralinguistic strategies. Based on these findings, perspectives are outlined for expanding the teacher-student feedback literacies concept to include language components. 1. Einleitung Aus der Bildungswissenschaft ist bekannt, dass Feedback ein zentraler Wirksamkeitsaspekt zur Förderung und Verbesserung von Lerner*innenleistungen sein kann (vgl. H ATTIE / T IMPERLEY 2007). Auch in der Spracherwerbsforschung und Fremdsprachendidaktik ist Feedback prominent und wird grösstenteils unter den Termini Rückmeldung, (Fehler)Korrektur und korrektivem Feedback diskutiert (vgl. V IEBROCK 2022: 206-207). Während sich das bildungswissenschaftliche Verständnis tendenziell auf komplexe, mit weitreichenden Prozessen verbundene Phänomene der professionellen oder persönlichen Entwicklung bezieht, fokussiert der fremdsprachendidaktische Ansatz grösstenteils auf eigenständige, spezifische fremdsprachliche Phänomene. Für den Fremdsprachenerwerb sind beide Zugänge relevant: punktuelles korrektives Feedback, also eine fremdsprachendidaktische Handlung zur Entwicklung, Festigung und Präzisierung von sprachlichen Kompetenzen, und prozessorientiertes, dialogi- * Korrespondenzadresse: Dr. Olivia R ÜTTI -J OY , Departement für Mehrsprachigkeitsforschung und Fremdsprachendidaktik, Université de Fribourg, Av. de Rome 1, CH-1700 F REIBURG . E-Mail: olivia.ruetti-joy@unifr.ch Arbeitsbereiche: Sprachlehr-/ lernforschung, Sprachlerneignung, Professionalisierung von Fremdsprachenlehrenden, Lehrerinnen- und Lehrerbildung 22 Olivia Rütti-Joy DOI 10.24053/ FLuL-2025-0003 54 • Heft 1 sches Feedback zur Förderung komplexer, in längerfristigen Entwicklungsprozessen erworbener Kompetenzen. Um im Fremdsprachenunterricht effektive Feedback-Prozesse umzusetzen, bedürfen Fremdsprachenlehrende somit entsprechender Feedback-Kompetenzen (vgl. R ICHARDS et al. 2013: 237, 240). Diese lassen sich aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Aus Sicht der Bildungsforschung - insbesondere im hochschuldidaktischen Kontext - und auf Ebene der professionellen Kompetenz wird davon ausgegangen, dass effektive Feedback-Prozesse feedback literacies voraussetzen (N IEMINEN / C ARLESS 2022: 2). Aus der Perspektive der Spracherwerbsforschung sollten Fremdsprachenlehrende über die Kompetenz verfügen, korrekte sprachliche und inhaltliche Leistungen anzuerkennen und fehlerhafte sprachliche und inhaltliche Leistungen zu markieren sowie diese mit einer entsprechenden Fehlerkorrektur zu verbinden (B UR - WITZ -M ELZER 2022: 12). Letztlich bedürfen Fremdsprachenlehrende aus Sicht der Fremdsprachendidaktik berufsspezifischer Sprachkompetenzen (K USTER et al. 2014: 13-14) zur Gestaltung lernförderlicher Feedback-Dialoge in der Zielsprache. Da alle drei Perspektiven für den Fremdsprachenunterricht relevant sind, sollte die Förderung der Feedback-Kompetenzen in der Ausbildung von Fremdsprachenlehrenden interdisziplinär in Kooperation mit den Bildungswissenschaften, der Spracherwerbsforschung und der Fremdsprachendidaktik erfolgen (D IEHR 2022: 40). Angehende Lehrkräfte müssen somit differenzieren lernen, ob die vorliegende Lerngelegenheit eine Rückmeldung auf ein spezifisches fremdsprachliches Phänomen oder eine Rückmeldung zu einer komplexen Aufgabe (task level), zu Arbeits- und Lernstrategien (process level) oder zu selbstregulativem Verhalten und Fähigkeiten (self-regulation level) verlangt (H ATTIE / T IMPERLEY 2007: 87). Basierend auf dieser Differenzierung müssen sie entscheiden können, wie sie die Rückmeldungen strategisch, sprachlich, inhaltlich und dem Kontext angemessen in Feedback-Dialoge integrieren, damit diese verständlich, motivierend und lernförderlich sind. Damit Feedback-Prozesse gelingen, müssen alle involvierten Personen die kommunizierten Inhalte sowohl inhaltlich als auch sprachlich verstehen (K LIPPEL 2022: 56). Ein Feedback-Prozess kann noch so gut gestaltet sein - wenn die Lernenden sprachlich nicht folgen, entsteht keine lernförderliche Situation (D IEHR 2022: 36-38). Vor dem Hintergrund der sprachlichen Verständlichkeit von Feedback-Prozessen werden hier die bildungswissenschaftliche und fremdsprachendidaktische Perspektive zusammengeführt. Vorliegende explorative Studie verortet sich am Nexus von feedback literacies und berufsspezifischen Sprachkompetenzen und untersucht jene Aspekte, welche ein mündliches Feedback angehender Fremdsprachenlehrender aus Sicht der Lernenden verständlich machen. Dabei wird diskutiert, inwiefern eine mögliche konzeptuelle Erweiterung von feedback literacies um die sprachliche Facette sinnvoll sein dürfte. Feedback am Nexus von feedback literacies und berufsspezifischen Sprachkompetenzen 23 54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0003 2. Feedback Literacies In der Diskussion um die Wirksamkeit von Feedback in der Bildung ist feedback literacy ein zentrales Element (C ARLESS / B OUD 2018). Feedback literacy entspringt dem zeitgenössischen Feedback-Paradigma, in welchem Feedback-Prozesse als dialogische, auf Augenhöhe und unter geteilter Verantwortung durchgeführte Handlungen verstanden werden. Als junges, facettenreiches und breit diskutiertes Konzept wird es mit einer Vielzahl an Definitionen verbunden (N IEMINEN / C ARLESS 2022). So wird feedback literacy einerseits als eigenständiges und andererseits als zwei diametrale Konzepte student feedback literacy und teacher feedback literacy konzeptualisiert (C ARLESS / B OUD 2018). Student feedback literacy beschreibt die Kompetenzen und Dispositionen, die Lernende benötigen, um Feedback-Prozesse konstruktiv zur Verbesserung ihrer Leistungen zu nutzen (H OO / D ENEEN / B OUD 2021: 7-8), evaluative Urteile zu fällen sowie Feedback zu generieren, aktiv aufzusuchen und zu verstehen (C ARLESS / B OUD 2018: 1316). Demzufolge sind Lernende aktive Teilnehmende im Feedback-Prozess (M OLLOY / B OUD / H ENDERSON 2020: 529). Aus dieser sozio-konstruktivistischen Perspektive gewinnt die Auffassung an Stellenwert, dass auch Lehrende über feedback literacy verfügen sollten (T AI et al. 2021: 10). Teacher feedback literacy umfasst die Fähigkeiten, innovative und lerner*innenzentrierte Feedback- Methoden umzusetzen, lern- und feedback-literacy-förderliche Beurteilungs- und Prüfungsumgebungen zu schaffen, ein Lernumfeld zu kreieren, welches die konstruktive Auseinandersetzung mit Feedback ermöglicht und fördert, und Feedback Praktiken umzusetzen, welche die Entwicklung von student feedback literacy begünstigen (B OUD / D AWSON 2023: 159). Student feedback literacy und teacher feedback literacy deuten also darauf hin, dass Feedback-Kompetenzen nicht nur Schüler*innen, sondern auch angehende und praktizierende Lehrende tangieren (vgl. K LIPPEL 2022). Lehrende - darunter insbesondere angehende Lehrpersonen - übernehmen diesbezüglich eine duale Rolle. Während sie einerseits als Lehrende Feedback-Prozesse steuern und dadurch als Mediierende im Lernprozess ihrer Lernenden agieren (vgl. E UROPARAT 2020), sind sie auch regelmässigem Feedback zu ihren Leistungen und (berufsbezogenen) Handlungen ausgesetzt - durch ihre Lernenden (M ARTINEZ 2022: 78), Hochschullehrende, Kolleg*innen etc. - und nutzen dieses für die kontinuierliche Weiterentwicklung der eigenen professionellen sowie sprachlichen Kompetenz (K LIPPEL 2022: 60-62). Um diese duale Rolle zu erfüllen, ist naheliegend, dass sowohl angehende als auch berufstätige Lehrpersonen über student und teacher feedback literacy verfügen sollten. Diese Annahme haben C ARLESS und W INSTONE (2020) in ersten Grundzügen konzeptualisiert. In ihrem Beitrag verstehen sie teacher feedback literacy als komplementär zu student feedback literacy und argumentieren, dass die Entwicklung von student feedback literacy gefördert werden kann, wenn Lehrende ihre Feedback-Kompetenzen für die Schaffung optimaler Feedback-Prozesse einsetzen. Um student feedback literacy zu fördern, sind daher seitens der Lehrenden Wissen über student feedback literacy und die entsprechenden Feedback-Kompetenzen nötig. Daraus lässt sich 24 Olivia Rütti-Joy DOI 10.24053/ FLuL-2025-0003 54 • Heft 1 schliessen, dass Lehrende selbst über student feedback literacy verfügen müssen, bevor sie diese Fähigkeiten bei ihren Lernenden fördern können. T AI et al. (2021) entwickeln diesen Ansatz weiter, indem sie nahelegen, dass effektives Feedback als Ergebnis eines interaktiven Prozesses die Auflösung von hierarchischen Rollenverständnissen bedingt und dadurch die Verantwortung der Feedback-Effektivität auf alle im Prozess involvierten Agierenden verteilt. So verstehen sie feedback literacy nicht mehr als singuläre Literalität, sondern als eine Vielzahl miteinander verzahnter Literalitäten, die sich im pluralen und multifaktoriellen Konstrukt der teacher-student feedback literacies manifestieren und sowohl von den Lernenden als auch von den Lehrenden erworben werden müssen. Somit werden durch teacher-student feedback literacies ein Paradigmenwechsel von traditionellen Machtstrukturen hin zu einem Verständnis von Lehrenden als lebenslange Lernende im Feedback-Prozess angestrebt und fixierte Rollen von Feedback-Teilnehmenden verworfen (T AI et al. 2021: 2-3). Anstelle davon umfassen teacher-student feedback literacies das kontinuierliche Beobachten, Verstehen und Modifizieren traditioneller und hegemonialer Merkmale von Feedback (T AI et al. 2021: 10). Eine kombinierte Beforschung von student feedback literacy und teacher feedback literacy in ihrer angenommenen Verwobenheit (teacher-student-partnership) (vgl. C ARLESS / W INSTONE 2020; D E B EER 2022) bezieht sich auf die Begutachtung von Lernenden und Lehrenden in ihrem Zusammenspiel. Sowohl konzeptuelle als auch empirische Beiträge zur Untersuchung von teacher-student feedback literacies als vereintes latentes Konstrukt wurden jedoch aufgrund eines bisher dominierenden Fokus auf Lernende vernachlässigt (vgl. T AI et al. 2021). In der Fremdsprachenforschung, und konkret auf der Ebene der Volksschule, sind solche Untersuchungen noch rarer als in der Bildungsforschung. Dennoch lässt sich die Verzahnung beider Konstrukte in der Diskussion über Kompetenzen von Lehrenden in Grundzügen erkennen - zumindest auf Tertiärstufe. So konnte D E B EER (2022) anhand von Fokusgruppeninterviews zeigen, dass Hochschuldozierende unter anderem Wert darauf legen, nicht nur teacher feedback literacy zu erwerben und diese Fähigkeiten in einem Programmatic Assessment Curriculum einzusetzen, sondern auch ihren Studierenden gegenüber effektives Feedback-Verhalten zu modellieren (z.B. das Aufsuchen von Feedback bei ihren Studierenden oder Offenheit für Feedback - also Aspekte von student feedback literacy). Die Relevanz des Modellierens von effektivem Feedback-Verhalten konnten auch B OUD und D AWSON (2023) in ihrer qualitativen Studie zu feedbackliterate teachers aufzeigen - eine Fähigkeit, welche sie in ihrem evidenzbasierten Modell zu den einzelnen teacher feedback literacy Facetten den Makro-Kompetenzen und der dort untergeordneten Kategorie Creates authentic feedback-rich environments zuordnen. In Betrachtung dieser dualen Rolle aus der fremdsprachendidaktischen Perspektive müssen Lehrende zusätzlich in der Lage sein, sich adressatengerecht auszudrücken und Feedback-Dialoge auf Augenhöhe, konstruktiv und sprachsensibel zu gestalten. Diese sprachliche Komponente der Verständlichkeit und Adressatengerechtigkeit wird einerseits in den Mediationsskalen des Begleitbands des Gemeinsamen Feedback am Nexus von feedback literacies und berufsspezifischen Sprachkompetenzen 25 54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0003 Europäischen Referenzrahmens (vgl. GeR-BB, E UROPARAT 2020) angedeutet - wenn auch allgemein formuliert - und andererseits in den berufsspezifischen Sprachkompetenzprofilen (BSSKP) thematisiert (K USTER et al. 2014: 13-14). In Letzteren werden in zwölf Kann-Beschreibungen des Handlungsfelds „Beurteilen, Rückmeldung geben und beraten“ die erforderlichen Feedback-Kompetenzen von Fremdsprachenlehrenden ausdifferenziert (z.B. Deskriptor 3.9: „Die Lehrperson kann in der Zielsprache eine mündliche Rückmeldung zu Schülerleistungen geben“). Diese lassen sich wiederum anhand des berufsspezifischen Beurteilungsraster (BSSK-R) mithilfe sechs linguistischer und einem indigenen 1 Kriterium evaluieren. Gemäss den BSSKP und dem BSSK-R ist das indigene Kriterium „Adressatenbezug: Lernende“ eine zentrale Facette dieser Kompetenzen. Es umfasst die Fähigkeit, sich den Lernenden gegenüber verständlich auszudrücken (vgl. B LEICHENBACHER et al. 2017). Die BSSKP spiegeln eine unidirektionale Auffassung von Feedback-Prozessen wider, in welcher hohe sprachliche (berufsspezifische) Fertigkeiten auf Seiten der Lehrenden als zentrale Gelingensbedingung für lernförderliches Feedback im Zentrum stehen. Somit sind sie entkoppelt vom bildungswissenschaftlichen Diskurs über feedback literacy, lassen die Lernendenperspektive und duale Feedback-Rolle von Lehrenden unbeachtet und decken nur einen Teil der hier theoretisierten Voraussetzungen für lernförderliches Feedback ab. Die fehlende Verbindung zwischen der sprachlichen und pädagogischfachwissenschaftlichen Komponente von feedback literacy ist bidirektional. So ist sowohl auf theoretisch-konzeptueller als auch empirischer Ebene im Kontext der Fremdsprachenforschung, und insbesondere auf Ebene der Volksschule, bisher kaum untersucht, ob und inwiefern sich beide Komponenten in die erforderlichen Feedback- Kompetenzen von Lehrpersonen integrieren lassen und inwiefern diese Integration im Unterrichtshandeln zum Lernerfolg von Schüler*innen beitragen kann. Auch die zentrale Voraussetzung der Verständlichkeit von zielsprachlichen Feedback-Dialogen für Lernende bleibt unangetastet. Es ist gerade hier, wo die vorliegende, explorativ-qualitative Studie ansetzt. Folgende Forschungsfragen stehen im Zentrum: 1. Wie schätzen Lernende der Sekundarstufe I ein mündliches, fremdsprachliches Feedback von angehenden Fremdsprachenlehrpersonen bezüglich deren sprachlicher Qualität und Verständlichkeit ein? 2. Welche (sprachlichen) Aspekte von mündlichen, fremdsprachlichen Feedbackproduktionen von angehenden Fremdsprachenlehrpersonen schätzen Lernende der Sekundarstufe I als zentral ein für die Sicherung ihres eigenen Verständnisses? Unter Verständlichkeit wird die subjektive Wahrnehmung von Lernenden verstanden, welche ermittelt, wie leicht sie eine Sprachproduktion verstehen können (T ROFIMO - VICH / I SAACS 2012: 905). Zur Wahrung des Grundprinzips der Offenheit qualitativer Forschung wird auf eine Hypothesenformulierung verzichtet mit dem Ziel, ohne 1 Im Kontext des Sprachtestens sind indigene Kriterien nicht-linguistische, handlungsorientierte Kriterien, die relevante realweltliche Faktoren abbilden (M C N AMARA 1996). 26 Olivia Rütti-Joy DOI 10.24053/ FLuL-2025-0003 54 • Heft 1 Anspruch auf die Generierung verallgemeinerbarer Erkenntnisse eine unvoreingenommene Offenlegung der Lernendenperspektiven zu ermöglichen. 3. Design und Stichprobe Die vorliegende Studie ist Teil einer Interventionsstudie, in welcher die Integration der BSSKP und BSSK-R in ein hochschuldidaktisches Lehr-Lernarrangement zur Förderung und Beurteilung berufsspezifischer Sprachkompetenzen untersucht wurde (vgl. R ÜTTI -J OY 2022). Mithilfe eines kompetenzorientierten Performanztests wurden darin die englischen Feedback-Kompetenzen von 48 angehenden Fremdsprachenlehrenden einer Schweizerischen Pädagogischen Hochschule prä- und post-Intervention erhoben. Diese liegen als Audioaufnahmen vor und dienen der vorliegenden Studie als Datengrundlage. Zur Erfassung der von Lernenden wahrgenommenen sprachlichen Qualität und Verständlichkeit mündlicher Feedbacks führte ich halbstrukturierte Leitfadeninterviews (vgl. M ISOCH 2015) durch, in welchen fünf Lernende jeweils zwei dieser Audioaufnahmen anhand folgender fünf ausgewählter BSSK-R-Kriterien beurteilten: 1) Wortschatz: Wortwahl; 2) Sprachliche Korrektheit; 3) Aussprache & Betonung; 4) Flüssigkeit und 5) Adressatenbezug: Lernende. Diese Kriterien wurden in Interviewfragen übersetzt und um weitere Kriterien (z.B. globales Verständnis) ergänzt, um den Lernenden sowohl einen formalen (linguistischen) als auch funktionalen (inhaltlichen) Blick auf die BSSK-R und die audiographierten Feedbacks zu ermöglichen. Der Leitfaden wurde mit vier Fachdidaktiker*innen präpilotiert, mit zwei Lernenden der Zielstufe pilotiert, angepasst und schliesslich finalisiert. Drei Schülerinnen und zwei Schüler der 9. Klasse einer Ostschweizerischen Sekundarschule bildeten die Stichprobe. Ihre allgemeinen Englischkompetenzen lagen zwischen A2 und B2 (vgl. E UROPARAT 2001). Die Teilnehmenden S1, S2 und S3 waren fortgeschrittene Anfänger*innen. Während die Englischleistungen von S1 und S2 ungenügend waren, lagen die Leistungen von S3 im Mittelfeld. S4 und S5 besuchten den anspruchsvolleren Englischunterricht (Leistungsniveau), wobei S4 Noten im mittleren Bereich und S5 im oberen Mittelfeld erzielten. Die Lernenden wurden von ihren Lehrpersonen über das Forschungsprojekt informiert und meldeten sich freiwillig für eine Teilnahme. Alle Lernenden legten eine Einverständniserklärung durch die Erziehungsberechtigten vor. 4. Methode und Analyse Die Interviews führte ich als Forscherin durch. Vor jedem Interview machte ich die Lernenden mit dem Forschungsprojekt sowie ihrer Rolle und Aufgabe im Interview bekannt. Im Interview studierten die Lernenden zuerst ein Testitem aus dem Prä-Posttest der Interventionsstudie (R ÜTTI -J OY 2022: 227-228). Ihre Aufgabe war es anschliessend, eine leistungsstarke und eine leistungsschwache Feedback-Produktion Feedback am Nexus von feedback literacies und berufsspezifischen Sprachkompetenzen 27 54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0003 aus dem Audiodatenpool der Interventionsstudie - also zwei Testantworten auf das vorgelegte Testitem - anhand der BSSK-R Kriterien zu beurteilen. Vier Interviews wurden auf Standardhochdeutsch und ein Interview auf Schweizerdeutsch durchgeführt. Insgesamt dauerten die Interviews 21 bis 33 Minuten. Die Transkription erfolgte in MS Word und gemäss den Transkriptionskonventionen von D RESING und P EHL (2015). Die Auswertung der Leitfadeninterviews erfolgte mittels strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse nach K UCKARTZ (2018). Die initiierende Textarbeit umfasste eine sequenzielle und systematische Auseinandersetzung mit und Annotation des Textmaterials durch Memos (vgl. K UCKARTZ 2018). Nach dem Erstellen deskriptiver systematischer Fallzusammenfassungen bildete ich ausgehend vom Interviewleitfaden deduktiv thematische Hauptkategorien (Phase 2, vgl. K UCKARTZ 2018). Zur Kohärenzsicherstellung zwischen den Interviewfragen, dem Interviewleitfaden und den Lernendenantworten formulierte ich die deduktiven Kategorien nah an den Klassifizierungen des Primärmaterials - also den BSSK-R-Kriterien. Anschliessend arbeitete ich das Textmaterial sequenziell durch, ordnete die deduktiven Kategorien den entsprechenden Textpassagen zu und bildete induktive Kategorien. Nach erneuter Konsultation des Textmaterials und Ausdifferenzierung der Kategorien systematisierte ich das Kategoriensystem (Tab. 1, S. 28f.) und prüfte die Kriterien hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Güte. Danach kodierte ich das Textmaterial sequenziell in QCAmap (F ENZL / M AYRING 2017) in zwei Durchgängen (Phasen 3-6, vgl. K UCKARTZ 2018) und gemäss folgender Kodierregeln: 1. Die kleinste Kodiereinheit ist eine Phrase, sofern sie eindeutig einer Bedeutungseinheit entspricht. 2. Eine Bedeutungseinheit kann eine Äusserung bis hin zu mehreren Wendungen umfassen. 3. Eine Kodiereinheit enthält ausreichend bedeutungsvolles Material, sodass sie auch dann noch Sinn ergibt, wenn sie aus dem Text entfernt wird. 4. Eine thematische Kodiereinheit kann für mehr als eine Kategorie gleichzeitig stehen. Um die Erkenntnisse der vorliegenden Studie nicht durch einen mathematischen Wert aufzublähen oder als gemeingültig darzustellen und um der Diversität der Perspektiven und Interpretationen Rechnung zu tragen (vgl. O’C ONNOR / J OFFE 2020), verzichtete ich auf eine Doppelcodierung und Inter-Coder-Reliabilitäts-Auswertung. 28 Olivia Rütti-Joy DOI 10.24053/ FLuL-2025-0003 54 • Heft 1 Thematische Hauptkategorie Unterkategorie Feedback als sprachliche Produktion Sprachkompetenz Sprachkompetenz: Allgemein Erfahrung Korrektheit Wortschatz Flüssigkeit Sprechgeschwindigkeit Native-Speakerism Feedback aus Sicht der Rezeption: Feedback als Interpretation Verständnis Verständnis: Allgemein Anstrengung Verständlichkeit für schwache Lernende Verständliche Aussprache Verständliche Aussprache: Allgemein Varietät Selbstbewusstsein - Auditive Sprachwahrnehmung: Psychophonetik / Psychoakustik Sprechmelodie / Tonfall als parasprachliche Funktion der Prosodie (Ebene der A-Prosodie) Subjektiv wahrgenommene Tonhöhe (pitch): Mel Subjektiv wahrgenommene Lautheit (loudness): Sone Feedback als pädagogisches Werkzeug Pädagogisches Wissen (PK) Pädagogisches Wissen: Feedback Erklären: Methode Adressatenbezug Adressatengerechtigkeit: Allgemein Adressatengerechter Wortschatz Adressatengerechte Komplexität Inhalt adressatengerecht portionieren Verbesserungstipps Feedback Sprache Vertrautheit Feedback - Feedback am Nexus von feedback literacies und berufsspezifischen Sprachkompetenzen 29 54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0003 Thematische Hauptkategorie Unterkategorie Feedback als soziales Artefakt zur interaktionalen Mediation von Wissen, Verständnis und Lernfortschritt: Mediationskompetenz Interaktionskompetenz - Engagement Engagement: Allgemein Mühe geben Motivieren Überzeugende Stimme und Ausdruck - Inhaltliche Redundanz Feedback - Forschungsteilnehmende in der Rolle als Beurteilende Schwierigkeit Beurteilen Spass, die Lehrperson zu beurteilen Tab. 1: Verkürzte Version des finalisierten Kategoriensystems Die letzte Phase umfasste die Datenanalyse, zunächst entlang der Haupt- und Unterkategorien und anschließend zwischen den Haupt- und Unterkategorien. Die Memos, thematischen Fallzusammenfassungen und kodierten Passagen bildeten dazu die Grundlage (vgl. K UCKARTZ 2018). 5. Resultate Im Hinblick auf Forschungsfrage 1) „Wie schätzen Lernende der Sekundarstufe I ein mündliches, fremdsprachliches Feedback von angehenden Fremdsprachenlehrpersonen bezüglich deren sprachlicher Qualität und Verständlichkeit ein? “ entstanden acht Hauptindikatoren, an welchen die Lernenden hohe bzw. niedrige Sprachkompetenz festmachten. Als Indikatoren für hohe Sprachkompetenz nannten sie 1) gute Aussprache, 2) hohe Flüssigkeit, 3) die Nutzung niederfrequenter Wörter, 4) die Fähigkeit, sich konzise auszudrücken, 5) hohe Sprechgeschwindigkeit und 6) fehlerfreier Ausdruck. Schlechte Aussprache (7) und Unflüssigkeit (8) wurden als Indikatoren für niedrige Sprachkompetenz genannt. Aussprache kristallisierte sich hierbei als besonders relevant heraus, wobei gute Aussprache als klarer Indikator für hohe Sprachkompetenz galt: I: Ehm, woran erkennst du, denkst du, dass diese Person GUT im Englisch ist? S1: Ehm, also a/ an der Aus/ AUSsprache, merkt man das, und, wenn sie, halt, eine überzeugende Stimme dazu hat. Dass… daran merkt ma/ man, dass, s/ s/ hat dass sie’s kann. (Transkript S1, Zeilen 84-87) 30 Olivia Rütti-Joy DOI 10.24053/ FLuL-2025-0003 54 • Heft 1 Was als gute oder schlechte Aussprache gilt, blieb unklar. Vereinzelte Bezüge zum Akzent lassen jedoch vermuten, dass Varietät ein Faktor sein könnte, der die Wahrnehmung von vermeintlich guter Aussprache steuerte. Während einige Lernende einen erstsprachlichen Akzent (z.B. Britisches Englisch) als Anzeichen hoher Sprachkompetenz interpretierten, fanden andere solch sprachliche Färbungen zwar akustisch „schön“, brachten diese aber nicht mit Sprachkompetenz in Verbindung. Zwei Lernende bemerkten, dass ein „muttersprachliches“ Niveau erstrebenswert und gleichzeitig mit hoher Sprachkompetenz gleichzusetzen sei. So sei eine „muttersprachlichklingende“ Lehrperson ein Vorbild, bei welchem man lerne, „wie es in der realen Welt wirklich ist“: S1: Ich finde das GUT, dass man halt, wenn man eine Sprache… unterrichten will, dass man auch so zeigt wie ist es wirklich ist. Was bringt es mir wenn ich in der, wenn ich die Deutsch, das Deutsch-Englisch in England anwende. (Transkript S1, Zeilen 113 - 115) In diesem Zusammenhang betonten drei Lernende die Relevanz von Selbstbewusstsein. Eine selbstbewusst klingende Stimme veranlasste zur Annahme, dass das wahrgenommene Selbstvertrauen in einer Sprachbiografie mit reichlich Zielsprachenerfahrung wurzle. Dieses Anzeichen interpretierten sie folglich als Indikator für hohe Sprachkompetenz. Eine schüchterne oder leise Stimme hingegen wurde als Indikator für (Sprach-)Unsicherheiten gedeutet und mit niedrigerer Sprachkompetenz assoziiert. Hohe Flüssigkeit - teilweise verschmolzen mit Sprechgeschwindigkeit - interpretierten alle Lernenden als Zeichen für hohe Sprachkompetenz; Unflüssigkeit hingegen wurde auf Sprachunsicherheiten zurückgeführt und wiederum als Indikator für niedrige Sprachkompetenz gedeutet. Im Gegensatz zu Aussprache oder Flüssigkeit schien sprachliche Korrektheit eine Kategorie zu sein, welche die Lernenden besonders anspruchsvoll zu beurteilen empfanden. Sie waren sich zwar einig, dass „fehlerfreie“ Sprache ein klarer Indikator für hohe Sprachkompetenzen sei; die selbstberichtete Schwierigkeit bei der Beurteilung lässt jedoch vermuten, dass sprachliche Korrektheit für sie in den Sprachproduktionen nicht erkenn- und beurteilbar war. Zur Beantwortung der Forschungsfrage 2 „Welche (sprachlichen) Aspekte von mündlichen, fremdsprachlichen Feedbackproduktionen von angehenden Fremdsprachenlehrpersonen schätzen Lernende der Sekundarstufe I als zentral ein für die Sicherung ihres eigenen Verständnisses? “ förderte die qualitative Inhaltsanalyse eine Reihe verständnisfördernder und -hindernder Aspekte zutage (s. Tab. 2, S. 31). Feedback am Nexus von feedback literacies und berufsspezifischen Sprachkompetenzen 31 54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0003 Verständnisfördernde Aspekte Verständnishindernde Aspekte Gute, klare, präzise, laute und verständliche Aussprache Unklare Aussprache, „Verschlucken“ von Wörtern Angemessene Lautstärke / laute Stimme Niedrige Lautstärke / leise Stimme Angemessene Komplexität der Inhalte Hohe Komplexität der Inhalte Niedrige / moderate Sprechgeschwindigkeit Hohe Sprachgeschwindigkeit Hohe Flüssigkeit, solange die Aussprache klar, präzise, akkurat und verständlich ist Unflüssigkeit, frequente Häsitationsphänomene (Pausen, Füllwörter), Reparatur (Repetition, Umformulieren, false starts), lange Suche nach geeigneten Wörtern (kann ablenken) Hohe Flüssigkeit bei komplexen Lerninhalten Hochfrequente Wörter Niederfrequente Wörter Fähigkeit, sich konzise auszudrücken Redundanz / Repetition Redundanz / Repetition Tab. 2: Verständnisfördernde und -hindernde Aspekte Aussprache schien bei der Beurteilung von Verständlichkeit vergleichbar bedeutungsvoll wie bei der Beurteilung von Sprachkompetenz. Dabei stuften alle Lernenden Klarheit, Präzision, Akkuratheit und Verständlichkeit grösstenteils im Konsens als relevant für die Verständnissicherung ein. Gute Aussprache wurde als essenziell dafür bezeichnet, und Klarheit schien der wichtigste verständnisfördernde Faktor zu sein. Klarheit wurde nicht zwingend als Eigenschaft von Lehrpersonen identifiziert, sondern vielmehr als Faktor, der bewusst manipuliert werden kann - beispielsweise durch eine Verringerung der Sprechgeschwindigkeit: S3: Ehm, und si hets au schö so… gseit dass mo… VERSTOHT. Zum Bispil, da mit „shoulder“, het si SCHÖ gseit, so richtig so langsam „SHOULDER“, dass sis [die adressierte Lernende] verstoht. (Transkript S3, Zeilen 99 - 101) 2 Ferner interpretierten die Lernenden eine angemessene Lautstärke als zentrale Voraussetzung für die Verständlichkeit. Leise und schüchterne Stimmen seien verständnishindernd und implizierten (sprachliche) Unsicherheit, was wiederum ablenke oder 2 „Ehm, und sie hat es auch schön so… gesagt dass man… VERSTEHT. Zum Beispiel, das mit ,shoulder’, hat sie SCHÖN gesagt, so richtig so langsam ,SHOULDER’, dass sie [die adressierte Lernende] es versteht.“ 32 Olivia Rütti-Joy DOI 10.24053/ FLuL-2025-0003 54 • Heft 1 langweile. Diese Aussagen lassen vermuten, dass die Lautstärke nicht nur mit einem selbstbewussten Auftreten der Lehrperson und der Verständnissicherung verbunden wurde, sondern auch mit der Unterrichtsführung. Interessanterweise kategorisierten die Lernenden Redundanzen und Repetitionen sowohl als verständnisfördernd als auch -hindernd. Ähnlich wie die Mediationsstrategien simplifying a text, amplifying a dense text und streamlining a text, wie sie im GeR-BB ausdifferenziert sind (E UROPARAT 2020: 126-129), dienen Redundanzen, Repetitionen und die konzise Formulierung von Inhalten letztlich dem gleichen Zweck: nämlich dazu, die Bedeutung von Inhalten zu klären und deren Verständnis zu erleichtern (N ORTH / P ICCARDO 2016: 31). Ausgehend von den Lernendenurteilen und den GeR-BB Deskriptoren (vgl. E UROPARAT 2020) ist die Anwendung der einzelnen Strategien somit situativ, kontextgebunden und inhaltsabhängig. Werden die Strategien unangemessen oder zum falschen Zeitpunkt angewendet, dürften sie verständnishindernd wirken. Bei der Beurteilung des Kriteriums Adressatenbezug: Lernende zeigten die Lernenden ein ähnliches Bewusstsein. So zeigte sich, dass sich Lehrende sprachlich dem Kompetenzstand der Lernenden anpassen und eine Reihe an verständnisfördernden Strategien einsetzen sollten und dass die Verwendung von einfacher Sprache nicht ein Zeichen unzulänglicher Sprachkompetenzen sei. Strategien zur Verständnisförderung Hochfrequente Wörter („basic“ Englisch / BICS) Klare und verständliche Aussprache Angemessene, eher langsame(re) Sprechgeschwindigkeit Einen Text ausdehnen (paraphrasieren, etwas im Detail erklären, oder auf die Schulsprache ausweichen) Einen Text straffen (sich konzise ausdrücken) Verwenden von zusätzlichen Hilfsmitteln zur Visualisierung, z.B. Wandtafel Gut vorbereitet sein Tab. 3: Verständnisfördernde Strategien Wie in Tabelle 2 und Tabelle 3 ersichtlich, scheint auch die Wortwahl zentral zu sein. Die Lernenden unterschieden zwischen „basic“ oder „einfachem“ und „komplexem“, „fortgeschrittenem“ oder „schwierigem“ Vokabular und waren der Überzeugung, dass Lehrpersonen Zugang zu allen „Kategorien“ von Wortschatz haben und immer vor der Wahl stünden, welcher sie sich bedienen sollten: S1: das ist eigentlich das BASIC halt. Es ist mehr gebildet, so. Das gebildete Englisch, so. Es gibt das basic Englisch und das gebildete Englisch und ich kann nur zum Beispiel das Basic und dazwischen sind zwei. (Transkript S1, Zeilen 138 - 140) Feedback am Nexus von feedback literacies und berufsspezifischen Sprachkompetenzen 33 54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0003 Die Lernenden waren sich ferner einig, dass hochfrequentes Vokabular klar verständnisfördernd sei: S4: Dass sie eigentlich ein Deu/ eh ein Englisch geredet hat das ich eigentlich auch gu/ also gut verstehe nicht irgendwie solche englische [sic] Sachen die ich nicht verstehe so sch/ komplizierte Wörter. (Transkript S4, Zeilen 62 - 64) Während S5 - ein leistungsstärkerer Schüler - berichtete, in der Exponierung niederfrequenter Wörter eine gute Lernmöglichkeit zu sehen, fand S3, dass die Komplexität des Vokabulars der Komplexität der Lerninhalte angepasst werden sollte. Je komplexer die Inhalte, desto simpler sollte das verwendete Vokabular sein: S3: Mmh, aso am Afang ischs recht guet gsi. Und döt halt mit de Fehler döt… ischs halt chli komplizierter worde. Döt chönnt me glaub chli eifacheri Wörter ssueche. (Transkript S3, Zeilen 162 - 163) 3 Diese Aussage deutet darauf hin, dass die Anpassung der Wortkomplexität genauso situativ und inhaltsabhängig ist wie die Mediationsstrategien (vgl. E UROPARAT 2020: 126-129). Aus dieser Perspektive müssten Lehrpersonen ihre Wortwahl nicht nur dem Sprachkompetenzniveau ihrer Lernenden, sondern auch der relativen Komplexität der Lerninhalte anpassen und wenn nötig auf die Unterrichtssprache ausweichen: S3: Nai, d Sproch isch recht guet gsi aso d Ussproch isch würkli guet gsi. Ehm, isch eifach dasses… für die isch da voll KLAR. Und mir müend da zersch mol so, LANGSAM, dass mers au verstönd und vilicht au so uf Dütsch go wel mr sus halt nöd verstönt. (Transkript S3, Zeilen 42 - 44) 4 Auch Sprechgeschwindigkeit und Flüssigkeit schienen mit dem Kriterium Adressatenbezug: Lernende zusammenzuhängen. Ähnlich wie bei der Verwendung von angemessenem Vokabular müsse die Lehrkraft zwischen Situationen unterscheiden, die eine niedrigere Sprechgeschwindigkeit erfordern, und Situationen, in denen eine höhere Sprechgeschwindigkeit nicht verständnishindernd sei. So müsste demnach auch die Sprechgeschwindigkeit an die Komplexität der Inhalte angepasst werden: Je komplexer ein Thema, desto geringer die Sprechgeschwindigkeit. Einige Lernende brachten Sprechgeschwindigkeit mit Flüssigkeit in Verbindung und berichteten, dass eine angemessen flüssige Aussprache verständnisfördernd sei. Entsprechend der Notwendigkeit einer situations- und inhaltsbedingten Anpassung der Wortwahl und Sprechgeschwindigkeit könnte ein komplexer Sachverhalt also auch eine Anpassung des Redeflusses erfordern. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Kriterium Adressatenbezug: Lernende mehrere distinkte Komponenten beinhalten dürfte. Ähnlich wie im GeR-BB, wo adapting language lediglich eine von vielen Möglichkeiten 3 „Mmh, also am Anfang war es ziemlich gut. Und dort halt mit den Fehlern dort… wurde es halt ein bisschen komplizierter. Dort könnte man glaube ich ein bisschen einfachere Wörter suchen.“ 4 „Nein, die Sprache war ziemlich gut also die Aussprache war wirklich gut. Ehm, es ist einfach, dass es… für sie ist das voll KLAR. Und wir müssen das zuerst mal so, LANGSAM, dass wir es auch verstehen und vielleicht auch so auf Deutsch, weil wir es sonst halt nicht verstehen.“ 34 Olivia Rütti-Joy DOI 10.24053/ FLuL-2025-0003 54 • Heft 1 ist, um die Mediationsstrategie explain a new concept zu realisieren, bekräftigen die vorliegenden Resultate den Ansatz, dass das Kriterium Adressatenbezug: Lernende genauso eine Reihe an Strategien für dessen Realisierung umfassen möge. Zusätzlich nannten einige Lernende Kriterien, die sie für ein wirksames Feedback als wesentlich erachten. Dazu gehörte einerseits das wahrgenommene Engagement einer Lehrperson zur Schaffung einer Vertrauensbasis sowie Ermutigung durch positives Feedback: S1 was mir gefallen hat ist… ehm… es kam halt überzeugend vor, dass sie sich MÜHE gemacht hat. Das… hat mich so überzeugt aso man merkt, dass… da Mühe drin steckt. (Transkript S4, Zeilen 55 - 57) Andererseits hielten es die Lernenden für wichtig, dass Feedback klar und konstruktiv sei, dass es sowohl positive als auch negative Aspekte enthalte, und dass die Erklärungen präzise und gut nachvollziehbar seien. 6. Diskussion Die Ergebnisse lassen ein Profil von Indikatoren entstehen, welche hohe Sprachkompetenzen und Voraussetzungen zur Verständnissicherung beschreiben. Dies legt nahe, dass nicht alle Faktoren, welche die Lernenden mit hoher Sprachkompetenz assoziierten, gleichzeitig zur Verständnissicherung beitragen und dass Sprachlehrende je nach Kontext und Situation eine Art Sprache benutzen, die nicht typischerweise mit hoher Sprachkompetenz assoziiert ist (s. Tab. 4, S. 35). Anhand der Vielfalt an induktiven Kategorien zeigt sich, dass sich die sprachliche Komponente mündlicher Feedbacks nicht nur an linguistischen Kriterien festmachen lässt. Insbesondere das Kriterium Adressatenbezug: Lernende scheint bei der Bewertung der Verständlichkeit zentral, wobei die Verständlichkeit des sprachlichen Ausdrucks folglich als Indikator für hohe Feedback-Kompetenzen gelten kann. Adressatengerechtigkeit scheint somit eine hochdynamische Fähigkeit zu sein, die den situativen Einsatz parasprachlicher Kompetenzen und (Mediations)Strategien bedingt, um das Verständnis der Lernenden in Feedback-Dialogen zu sichern. Solch Strategien umfassen unter anderem eine Anpassung des sprachlichen Ausdrucks an die Komplexität der Inhalte, beispielsweise durch eine Anpassung der Aussprache oder Sprechgeschwindigkeit, und einen expliziten Einsatz paralinguistischer Strategien wie Wiederholen und Paraphrasieren von Inhalten oder Herunterbrechen von Informationen. Darauffolgend lässt sich theorisieren, dass sich diese Aspekte als Facetten von teacher feedback literacy verstehen liessen - denn beinhaltet ebendieses Konzept die Fähigkeit, ein Umfeld zu kreieren, welches die Entwicklung von student feedback literacy fördert. Dies bedingt jedoch, dass die Schüler*innen die Lehrperson und Lerninhalte sprachlich verstehen und eine Vertrauensbasis mit der Lehrperson aufbauen. Nur eine vertrauensvolle Beziehung ermöglicht (insbesondere leistungsschwächeren) Lernenden, offene Feedback-Dialoge einzugehen und Feedback ausschöpfend für den eigenen Lernfortschritt zu nutzen (vgl. C ARLESS 2009). Um solch eine Vertrauensbasis Feedback am Nexus von feedback literacies und berufsspezifischen Sprachkompetenzen 35 54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0003 aufzubauen, so zeigte sich hier, ist vonnöten, dass die Lehrperson Engagement und Interesse am Lernerfolg der Lernenden zeigt sowie selbstbewusst und kompetent (in der Fremdsprache) auftritt. Wenn Lernende ihre Lehrpersonen, und Lehrpersonen sich selbst, als Vermittelnde - als teacher-student-feedback-literal Handelnde - anstatt als informationsübertragende Autoritäten verstehen, liessen sich solche Effekte mindern. Hohe Sprachkompetenz Niedrige Sprachkompetenz Verständnisfördernd Verständnishindernd Gute Aussprache (klar, präzise, verständlich) Schlechte Aussprache (unklar) Angemessene Lautstärke Geringe Lautstärke Hohe Flüssigkeit Unflüssigkeit (Zögern, Wiederholungen, Füllwörter, false starts, Pausen) Hochfrequente Wörter Niederfrequente Wörter Fähigkeit, sich konzise auszudrücken Redundanz / Repetition Hohe Sprechgeschwindigkeit Niedrige / moderate Sprechgeschwindigkeit Fehlerfreie Aussprache 36 Olivia Rütti-Joy DOI 10.24053/ FLuL-2025-0003 54 • Heft 1 Hohe Sprachkompetenz Niedrige Sprachkompetenz Verständnisfördernd Verständnishindernd Angemessene Komplexität der Inhalte Hochkomplexe Inhalte Tab. 4: Ergebnissynthese 7. Conclusio und Limitationen Die vorliegende explorativ-qualitative Studie versuchte, mittels Lernendeninterviews die sprachliche Qualität und Verständlichkeit mündlicher Feedbacks angehender Fremdsprachenlehrender zu ermitteln und die sprachliche Komponente als mögliche Facette von teacher-student feedback literacies zu beleuchten. Nebst der dualen Feedback Literalität im Sinne einer teacher-student feedback literacy wurden die angehenden Lehrpersonen in einer dualen Rolle konzeptualisiert: als Lernende und Lehrende. Die Ergebnisse zeigen, dass die Lernenden adressatengerechte Sprache als Voraussetzungen zur Verständnissicherung von Feedback als ausschlaggebender einschätzen als allgemeine Sprachkompetenz. Ein situatives Anpassen des sprachlichen Ausdrucks an das kognitive und fremdsprachliche Niveau der Lernenden - je nach Komplexität der Inhalte - scheint demnach eine zentrale Komponente der Verständlichkeit von Feedback zu sein. Um diese Ergebnisse zu untermauern und die Erweiterung von teacher-student feedback literacies um die sprachliche Komponente zu prüfen, sind weitere und grössere empirische Studien unabdingbar. Abschließend gilt es, die wichtigsten Limitationen zu diskutieren. Erstens ist die Aussagekraft der Ergebnisse aufgrund der kleinen Stichprobe und der explorativen und qualitativen Daten stark eingeschränkt. Zweitens kann die Objektivität der Studie aufgrund meiner dualen Rolle als Forscherin und Interviewerin und des Verzichts auf eine Doppelcodierung nicht vollständig gewährleistet werden. Drittens meldeten sich die Lernenden freiwillig zur Studienteilnahme. Matthäus-Effekte lassen sich somit nicht ausschliessen. Viertens führten die Lernenden eine komplexe Aufgabe aus: sie mussten die mündliche Sprachkompetenz von Personen beurteilen, die in der Zielsprache erheblich weiter fortgeschritten sind als sie selbst. Die entsprechende kognitive Belastung könnte die Ergebnisse beeinflusst haben. Letztlich waren die Urteile der Lernenden auf Audioaufnahmen beschränkt und visuelle und kontextuelle Informationen fehlten, die zur Einschätzung der Sprach- und Feedback-Kompetenz zentral sein könnten. Feedback am Nexus von feedback literacies und berufsspezifischen Sprachkompetenzen 37 54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0003 Literatur B LEICHENBACHER , Lukas / H ILBE , Robert / K LEE , Peter / K USTER , Wilfrid / R ODERER , Thomas (2017): Beurteilung berufsspezifischer Sprachkompetenzen von Lehrpersonen, die Fremdsprachen unterrichten (Projektresultate). St.Gallen: Pädagogische Hochschule St.Gallen. B OUD , David / D AWSON , Philip (2023): „What feedback literate teachers do: an empirically-derived competency framework“. In: Assessment & Evaluation in Higher Education 48.2, 158-171. B URWITZ -M ELZER , Eva (2022): „Not the Icing, but the Cake: Feedback, Motivation und komplexe Lernaufgaben“. In: B URWITZ -M ELZER / R IEMER / S CHMELTER (Hrsg.), 11-20. 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