eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 54/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2025-0007
0428
2025
541 Gnutzmann Küster Schramm

Zwischen dem Einhalten einer monolingualen Norm und dem Einbringen mehrsprachiger Ressourcen:

0428
2025
Patricia Louise Morris
This paper sheds light on the notion of multilingualism in the French and Spanish as a foreign language classroom during the period of the Referendariat. The study analyzed verbs associated with the discourse on multilingual practices and shows how counting and classifying verbs which in the first place seems to be a quantitative method can be implemented in the Grounded Theory Methodology. The findings indicate that both verbs describing a resistance to multilingual practices and verbs aiming at including further parts of the repertoire of teacher and learners are of significance. Thereby the tension between adhering to monolingual norms and incorporating other semiotic resources into foreign language instruction are highlighted.
flul5410089
54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0007 P ATRICIA L OUISE M ORRIS * Zwischen dem Einhalten einer monolingualen Norm und dem Einbringen mehrsprachiger Ressourcen: Eine Heuristik zur Analyse sprachlicher Praktiken im vorbereitungsdienstlichen Französisch- und Spanischunterricht Abstract. This paper sheds light on the notion of multilingualism in the French and Spanish as a foreign language classroom during the period of the Referendariat. The study analyzed verbs associated with the discourse on multilingual practices and shows how counting and classifying verbs which in the first place seems to be a quantitative method can be implemented in the Grounded Theory Methodology. The findings indicate that both verbs describing a resistance to multilingual practices and verbs aiming at including further parts of the repertoire of teacher and learners are of significance. Thereby the tension between adhering to monolingual norms and incorporating other semiotic resources into foreign language instruction are highlighted. 1. Einleitung Bereits seit Jahrzehnten ist bekannt, dass mit der Berücksichtigung weiterer Sprachen im Fremdsprachenunterricht viel zu gewinnen ist. Dennoch attestieren Forschende immer wieder das Ausbleiben von mehrsprachigkeitsdidaktischen Ansätzen im Fremdsprachenunterricht trotz positiver Einstellung der Lehrkräfte (vgl. H EYDER / S CHÄDLICH 2014; R EIMANN / T ZIOTZIOS 2018; K ROPP 2020). Aus der zunehmenden Anzahl an Studien lässt sich jedoch schließen, dass verschiedene Ansätze der Mehrsprachigkeitsdidaktik mehr in Forschung und Lehre behandelt wird und somit auch Einzug in die erste Phase der Lehrer*innenbildung findet. Auch Studien, die mit Studierenden (des Lehramts für romanische Sprachen und allgemein) durchgeführt wurden, zeigen eine positive Einstellung hinsichtlich Mehrsprachigkeit (vgl. S CHÖPP 2013; B ENHOLZ et al. 2017). Was allerdings zwischen der ersten und dritten Phase der * Korrespondenzadresse: M. Ed. Patricia Louise M ORRIS , Didaktik der Romanischen Sprachen und Literaturen, Georg-August-Universität Göttingen, Humboldtallee 19, 37073 G ÖTTINGEN E-Mail: patricialouise.morris@uni-goettingen.de Arbeitsbereiche: Mehrsprachigkeit Sprachideologien, Referendariat N i c h t t h e m a t i s c h e r T e i l 90 Patricia Louise Morris DOI 10.24053/ FLuL-2025-0007 54 • Heft 1 Lehrer*innenbildung geschieht, wurde bislang kaum beforscht. Dabei ist das Referendariat berufsbiographisch prägend. Es stellt einen Grenzraum, eine Schnittstelle, „zwischen dem überwiegend theoretisch und fachwissenschaftlich ausgerichteten Studium und der Berufseinstiegsphase“ (K OŠINÁR 2014: 105) dar. Was in dieser Phase im Hinblick auf Mehrsprachigkeit passiert, ist Untersuchungsgegenstand eines größeren Projekts, dessen erste Ergebnisse in diesem Aufsatz dargestellt und diskutiert werden. Hierzu werden mithilfe der Grounded Theory Methodology (vgl. C ORBIN / S TRAUSS 2008) Verben untersucht, die im Zusammenhang mit dem Sprechen über die mehrsprachigkeitsrelevanten Praktiken verwendet werden. Anhand der Daten wird erkennbar, dass trotz einer oberflächlich positiven Grundhaltung für diese Fragestellung auch Verben von Interesse sind, die beschreiben, wie sich gegen mehrsprachige Praktiken gewendet wird. Somit wird das Spannungsfeld zwischen dem Einhalten der monolingualen Norm und dem Einbringen weiterer Sprachen in den Fremdsprachenunterricht ausgeleuchtet. 2. Mehrsprachigkeitsdidaktik im Fremdsprachenunterricht: Theorie und Forschungsstand Lange ist bekannt, dass die Schule vom monolingualen Habitus (vgl. G OGOLIN 1994) geprägt ist und spätestens durch die Studie von H EYDER / S CHÄDLICH (2014), dass dies auch für den Fremdsprachenunterricht der romanischen Sprachen gilt. M ORRIS (2023: 137) bezeichnet das Konzept der Funktionalen Einsprachigkeit dabei „als verlängerte[n] Arm oder Ergänzung des monolingualen Habitus“ für den Fremdsprachenunterricht. Die Mehrsprachigkeitsdidaktik in der Romanistik wurde in den letzten Jahrzehnten von der Interkomprehension (M EIßNER 2016) anderer romanischer Sprachen über den Transfer von schulisch erlernten Fremdsprachen und dem Deutschen bis hin zu der Wertschätzung und Sichtbarmachung von herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit 1 erweitert (vgl. R EIMANN 2016: 17). Viele Methoden der Mehrsprachigkeitsdidaktiken basieren auf dem Vergleich und der Abgrenzbarkeit verschiedener Einzelsprachen voneinander und verorten sich auf der Ebene des Unterrichtsgegenstands, etwa Interkomprehension, Sprachreflexion/ -bewusstheit, Sprach-/ Kulturvergleiche, Strategientraining etc. Auf der Ebene der Unterrichtskommunikation schlagen die Curricula eine Funktionale Einsprachigkeit (vgl. bspw. N IEDERSÄCHSISCHES K ULTUSMINISTERIUM 2017) vor, welche zwar auf dem Konzept von B UTZKAMM (1978) basiert, jedoch wenig erforscht bleibt. C ASPARI / S CHÄDLICH (2020) betonen allerdings, dass zu einer reflektierten Mehrsprachigkeit gehört, Sprache auch als Mittel, auf der Ebene des 1 Der Begriff wird in diesem Beitrag synonym zum Konzept der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit verwendet. Damit gemeint ist, dass die Lebenswelt jener Personen, durch mehr als die Sprache der Mehrheitsgesellschaft auszeichnet und bei allen in diesem Beitrag vorkommenden Personen an die Migrationsgeschichte der Familie geknüpft ist. Einhalten einer monolingualen Norm und Einbringen von mehrsprachigen Ressourcen 91 54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0007 Unterrichtsdiskurses, erlebbar zu machen. Dies geschieht durch Sprachmittlung, Unterrichtssprachen, Aushandlungsprozesse und die jeweilige Fehlerkultur und ist nicht immer explizit, sondern auch transversal bzw. unterliegend (vgl. ebd., 44). Die Überlegungen von C ASPARI / S CHÄDLICH (2020) sind dabei sehr anschlussfähig an die Arbeiten von G ARCÍA / W EI (2014), welche mit dem Konzept Translanguaging Sprache ebenfalls als eine Praktik, als ein languaging, jenseits der named languages begreift. G ARCÍA (2009) kritisiert auch in ihren früheren Arbeiten schon Ideologien, welchen ein additives Verständnis von Mehrsprachigkeit zugrunde liegt. In diesen Unterrichtssettings werden Sprachen sauber voneinander abgegrenzt, wobei Mehrsprachigkeit zwar als Bereicherung angesehen wird, allen Sprachen allerdings eine einsprachige Ideologie zugrunde liegt: „L1 + L2 = L1 + L2“ (ebd.: 119). Dieses Verständnis von Sprachaneignung kritisiert nicht nur García in den USA, sondern auch H ELLER (1999: 271) in Kanada und bezeichnet es als „parallele Einsprachigkeit“. Ähnliches wird im deutschen Kontext „multiple[r] Monolingualismus“ (M ARX 2014: 9) oder „mehrfach monolingualer Habitus“ (G REIN 2020: 144) genannt. Diese Ideologie wird besonders von den sprachlichen Fächer selbst perpetuiert, „die nach Einzelsprachen benannt sind und sich in der Regel nur auf diese jeweilige Sprache beziehen“ (ebd.: 126). 3. Empirie: Mehrsprachigkeitsrelevante Verben 3.1 Grounded Theory: Theoretisch und angewandt Die hier vorgestellte Studie zielt darauf zu untersuchen, wie Referendar*innen über Mehrsprachigkeit sprechen. Dabei wird eine Heuristik vorgeschlagen, bei der auf Verben fokussiert wird, welche im Kontext von Mehrsprachigkeitsdidaktik verwendet werden, etwa die Verben einbringen, zurückgreifen, verweisen. Es wird davon ausgegangen, dass durch die Analyse der Verben wichtige Erkenntnisse über explizierbare Annahmen der Referendar: innen zu Mehrsprachigkeitsdidaktik und ihren unterrichtlichen Praktiken elizitiert werden können. Die Studie ist Teil eines größeren Projekts zur Sprachlichkeit im Vorbereitungsdienst, welches ethnographisch und theoriegenerierend von der Datengewinnung, über die Analyse bis hin zur Interpretation mit der Grounded Theory Methodology arbeitet. Dabei wird sich grundsätzlich und terminologisch an C ORBIN / S TRAUSS (2008) orientiert. Die konstruktivistische Herangehensweise von C HARMAZ (2021), welche die zeitliche und soziale Situiertheit der Forschenden stärker berücksichtigt, spielt in späteren Publikationen des Projekts eine Rolle. Es wurden im Verlauf des Jahres 2023 zwölf Interviews mit Referendar*innen der Fächer Französisch und/ oder Spanisch zweier Bundesländer geführt. Sie unterrichten fast alle an Gymnasien und verfügen selbst über sprachliche Repertoires, die von deutlich mehr Sprachen als der Zielsprache ihres Unterrichts und dem Deutschen geprägt sind: Einige sind auch Englischlehr*innen und/ oder sprechen lebensweltlich Russisch, Polnisch oder Siebenbürgisch-Sächsisch. Viele haben in ihrer Schulzeit oder 92 Patricia Louise Morris DOI 10.24053/ FLuL-2025-0007 54 • Heft 1 später in der Freizeit noch weitere romanische Sprachen erlernt und haben ein großes Interesse an weiteren Sprachen. Eine maßgebliche Säule der Grounded Theory Methodology (GTM) bildet das Herausragen der Analyseeinstellung über den Inhalt hinaus. Nicht nur das, was die Referendar*innen sagen wird untersucht, sondern auch, wie sie dies tun. Es geht also in diesem Beitrag um das sprachliche Handeln auf doppelter Ebene: Wie handeln die Referendar*innen sprachlich, um ihre sprachlichen Praktiken im Unterricht zu benennen und zu erklären? Dabei ist interessant, wie die Fragen der Interviewerin verstanden werden, ob die interviewten Personen etwa Fragen ausweichen, aber auch einzelne Wörter können in den Fokus rücken. Beispielsweise deutet die siebenmalige Verwendung des Worts „natürlich“ daraufhin, dass die Referendarin namens Jennifer 2 ein geteiltes Wissen mit der Interviewerin voraussetzt und Funktionale Einsprachigkeit somit als eine Selbstverständlichkeit darstellt: Ok ähm (..) natürlich den größten Teil ähm (.) also natürlich in erster Linie geht es darum, das Kommunizieren auf Französisch zu fördern. Das ist natürlicham wichtigsten ist natürlich denen Französisch beizubringen wie man gewisse Situationen auf Französisch bewältigt. Das ist in der Oberstufe einfacher. Sie haben halt schon einen größeren Wortschatz und ihre Strategien, wie sie mit der Sprache umgehen, ähm da kann man ihnen mehr Situationen geben, man kann freier planen. Natürlich jetzt in der 7. Klasse, wo ich jetzt unterrichte, ist es natürlich schwieriger mit der Einsprachigkeit. Ähm da sprechen wir teilweise noch Deutsch ähm, also Deutsch ist wichtig dafür. Aber ich versuche es ihnen schondie meisten Sachen jetzt auch auf Französisch zu sagen. Sie antworten natürlich noch sehr viel auch auf Deutsch (Jennifer: 160). 3 Dieser Datenauszug dient als Beispiel für die Bedeutung des Wie. Gleichzeitig verdeutlicht er noch einen weiteren Grundstein der GTM: Das breite und explorative Forschen an einem Untersuchungsgegenstand. So stand am Anfang dieses Projekts lediglich fest, dass der Untersuchungsbereich das Referendariat und grob das Thema Mehrsprachigkeit sein sollte. Dass hierzu aber auch der Umgang mit der Zielsprache und dem Deutschen zählen muss, da dieser bestimmte Implikationen für den Umgang mit weiteren Sprachen bereithält, zeigt erst der obige sowie weitere Datenauszüge. Mithilfe des dreischrittigen Kodierverfahrens (vgl. C ORBIN / S TRAUSS 2008: 87) wurden zunächst alle Verben als in-vivo-Kodes offen kodiert und anschließend beim axialen Kodieren zueinander ins Verhältnis gestellt. Daraufhin erfolgte die Bildung zweier Schlüsselkategorien, welche sich gegenseitig bedingen und das zentrale Ergebnis dieses Beitrags darstellen. Sie werden in den folgenden beiden Unterabschnitten dargestellt: 2 Alle Namen stellen Pseudonyme dar. 3 Die wichtigsten Regeln der Transkription sind die folgenden: • kursiv: wörtliche Rede wird imitiert; • (..): Pause, die Anzahl der Punkte steht hierbei für die Länge der Pause in Sekunden; • Unterstreichung: Betonung des Wortes; • grau: nachträgliche Hervorhebung für diesen Beitrag. • Die Ziffern (Jennifer: 160) beziehen sich auf Absätze, nicht auf Zeilen- oder Seitenangaben. Einhalten einer monolingualen Norm und Einbringen von mehrsprachigen Ressourcen 93 54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0007 Schlüsselkategorie a) Monolinguale Norm als Mittel im Fremdsprachenunterricht Schlüsselkategorie b) Mehrsprachigkeit als Gegenstand zur Förderung der Zielsprachenorientierung Zugehörige Kodes: 1. Einhaltung der monolingualen Norm als Kraftakt 2. Monolinguale Norm + X 3. Lehrpersonen als handelnde/ sprechende Subjekte 4. Lernende als Reproduzent*innen Zugehörige Kodes: 5. Mehrsprachigkeitsdidaktik als nützliches Werkzeug hin zur Zielsprachenorientierung 6. Einbinden, einbeziehen, reinnehmen: Mehrsprachigkeitsdidaktik als etwas dem Fremdsprachenunterricht nicht Inhärentes 7. Sprachen als abgrenzbare, abgeschlossene Einheiten 8. Lehrpersonen als Initiator*innen der Mehrsprachigkeitsdidaktiken 9. Mehrsprachigkeitsdidaktik als Strategienlernen 10. Verben der Bewegungsrichtung Tab. 1: Kategoriensystem mit Schlüsselkategorien und den dazugehörigen Kodes 3.2 Monolinguale Norm als Mittel im Fremdsprachenunterricht Wie der Datenauszug oben gezeigt hat, ist die monolinguale Norm, welche in den Interviews in Form von funktionale Einsprachigkeit auftritt bzw. als diese benannt wird, „natürlich“ (Jennifer: 160) der zentrale Fluchtpunkt im Französisch- und Spanischunterricht. Wird davon ausgegangen, dass Sprache im Fremdsprachenunterricht Mittel und Gegenstand zugleich ist (Abschnitt 2), so verortet sich die monolinguale Norm v. a. auf der Ebene des Mittels, der Kommunikation. Der erste Kode wurde Einhaltung der monolingualen Norm als Kraftakt genannt. Die Verben, welche verwendet werden, um dies zu beschreiben, machen den Eindruck, dass es einer Anstrengung bedarf, die vom Curriculum sowie Studienseminar geforderte Einsprachigkeit einzuhalten. 1. Kode: Einhaltung der monolingualen Norm als Kraftakt drauf achten drillen durchführen durchziehen vermischen einhalten ermahnen herausrutschen trainieren triezen Tab. 2: Darstellung des 1. Kodes Einhaltung der monolingualen Norm als Kraftakt mit zugehörigen Verben Besonders in Hinblick auf die anstehenden Unterrichtsbesuche, bei denen mindestens der*die Fachausbilder*in und oftmals auch andere Lehrkräfte, Schulleitung, weitere Referendar*innen und der*die pädagogische Ausbilder*in den Unterricht beobachten, werden Verben verwendet, die eher an militärische Übungen als an handlungsorien- 94 Patricia Louise Morris DOI 10.24053/ FLuL-2025-0007 54 • Heft 1 tierten Fremdsprachenunterricht erinnern. Etwa trainieren (Carolin: 179), triezen (Nadine: 266), voll drauf achten (Johanna: 221) oder drillen: Ich habe einen Kurs übernommen, der sehr schlecht in Spanisch war, die hatten vorher nicht viel gemacht und ich musste die jetzt irgendwie drillen für meinen UB, der anstand, sag ich mal (Jana: 112). Und ähm versuche dann immer wieder auf Spanisch zu gehen, auch so Richtung UpP, sage ich mal, versuche ich die mehr aufs Spanische zu drillen tatsächlich (Jana: 164). Hier zeigt sich, dass die Unterrichtbesuche (UBs) als Brennglas der monolingualen Norm fungieren: Was im alltäglichen Unterricht bereits als Norm gesetzt ist, muss im Unterrichtsbesuch, und besonders in der Abschlussprüfung (Unterrichtspraktische Prüfung, UpP), in Perfektion zutage treten. Darauf werden die Schüler*innen akribisch vorbereitet, um das Eingeübte als „perfektes Theaterstück“ (Carolin: 179) zu reproduzieren. Werden andere Sprachen auf der Ebene der Sprache als Mittel verwendet (besonders andere Sprachen als die Zielsprache oder Deutsch), was aus mehrsprachigkeitsdidaktischer Perspektive zu begrüßen sein könnte, werden die Schüler*innen oder Lehrkräfte sanktioniert, hier mit den Verben ermahnen und herausrutschen ausgedrückt: […] tatsächlich, eshatte ich jetzt gerade erst äh gestern, gestern den Fall. Ich habe zwei Mädels in meinem Spanischkurs, die […] sind beide wohl ziemlich gut in Englisch und sind in einer Tour am Quatschen auf Englisch. […] Ich muss sie wirklich, wirklich ermahnen aufzuhören, was mir super schwer fällt, weil ich natürlich Englisch liebe, das heißt, sie zu ermahnen, Englisch zu sprechen, was ich eigentlich mega toll finde, ist super, super schwierig und ein anderer Aspekt ist für mich selbst: Mir rutschenalso was heißt mir rutschen raus? Ich meine, das kann mir ja rausrutschenich benutze sehr häufig englische Phrasen auch mal irgendwie, dass ich auch mal im Spanischunterricht irgendwie sage: alright. Weil ich einfach, ne, wenn man zwei Sprachen vermischt, dann ist das irgendwie ähm, dann ist das irgendwie so (Lisa: 242-246). Der abgebildete Datenauszug zeigt, wie die Referendarin Lisa mit den konfligierenden Normen umgeht. Einerseits begrüßt sie (auch als Englischlehrerin) das Sprechen der Schüler*innen auf Englisch und ihr fällt auf, dass ihr eigener Sprachgebrauch ebenfalls nicht streng monolingual geprägt ist. Weitere Äußerungen „also was heißt mir rutschen raus? Ich meine, das kann mir ja rausrutschen“ und „dann ist das irgendwie so“ deuten auf ein (möglicherweise universitär gelerntes) Verständnis hin, was sich für translinguale Praktiken ausspricht. Andererseits muss sie die Schüler*innen ermahnen und die eigenen translingualen Praktiken dürfen, nur unbewusst (herausrutschen) und nicht geplant, Eingang in den Unterricht finden. Der zweite Kode Monolinguale Norm + X umfasst alle Verben, die signalisieren, dass die monolinguale Norm auf der Ebene der Sprache als Mittel von weiteren semiotischen Ressourcen gestützt wird. So erfordern die Unterrichtssprachen Französisch/ Spanisch besonders in den unteren Jahrgängen eine verstärkte Arbeit mit körperlicher Sprache (mittlerer Spalte) sowie eine Gestattung des Deutschen als (imaginierte) Sprache des gemeinsamen Verstehens (rechte Spalte): Einhalten einer monolingualen Norm und Einbringen von mehrsprachigen Ressourcen 95 54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0007 2. Kode: Monolinguale Norm + X gestikulieren Kopf schütteln mit Mimik und Gestik arbeiten erklären verdeutlichen vermitteln agieren ankündigen einbauen reduzieren einfordern beschleunigen erziehen abweichen zurückgehen zurückgreifen eine Erklärung zurückgeben Scherze machen ein Machtwort sprechen Tab. 3: Darstellung des 2. Kodes Monolinguale Norm + X mit zugehörigen Verben Ein Auszug, der den Einsatz nonverbaler Sprache demonstriert, ist der folgende: Ich versuche in meiner siebten Klasse eben so gut es geht auf Spanisch zu sprechen und gestikuliere dazu wild und bin dann eigentlich der Meinung: Ok, das sollte jetzt mit meinen Bewegungen auch wirklich jeder verstehen (Vanessa: 271). Die Verben, welche sprachliche Praktiken im Deutschen beschreiben (rechte Spalte, Abbildung 3), zeigen genau, in welchen Kontexte diese Sprache erlaubt ist: Sie ist gestattet, um zurechtzuweisen und zu mahnen (erziehen, ein Machtwort sprechen) oder um Humor auszudrücken und die Beziehung zu den Schüler*innen zu stärken: Weil ich das Gefühl habe, dass man doch nochmal lockerer sein kann, Scherze machen kann, wenn man eben in der Muttersprache agiert. Da ist irgendwie noch mehr Raum für sowas und in den Fremdsprachen, da wird das halt nicht unbedingt verstanden (Julia: 135). Mit „Muttersprache“ ist hier das Deutsche gemeint, welche als Erstsprache aller imaginiert wird; anders würden die Schüler*innen Julias Scherze nicht verstehen. Diesen Schluss ziehen viele Referendar*innen und greifen „auf die deutsche Sprache zurück“, um Dinge zu „beschleunigen“ (ebd.), Arbeitsanweisungen oder Grammatik zu „erklären“ (Carolin: 171; Nadine: 250) oder zu „verdeutlichen“ (edb.). Dabei fällt auf, dass Grammatik immer wieder als der Anlass gilt, um Deutsch zu sprechen. Insgesamt fällt bei beiden bislang vorgestellten Kodes auf, dass oftmals die Lehrpersonen die sprachlich handelnden Personen sind. Sie führen durch, kündigen an, agieren, beschleunigen oder reduzieren. Dies liegt natürlich einerseits an der Interviewsituation und den ihnen gestellten Fragen. Andererseits wird durch diese Entdeckung in den Daten die Frage aufgeworfen, was die Schüler*innen eigentlich tun. Sie treten im Kode Monolinguale Norm + X nur zweimal auf: einfordern und zurückgehen. Die Referendarin Jana „muss halt da jetzt schauen, dass die nicht immer wieder das auch einfordern, dass ich es auf Deutsch halt wiederhole“ (Jana: 164) und Julia erzählt von einer Gruppenarbeit, bei der 30 oder 40 % der Schüler*innen Französisch sprechen „und die anderen gehen dann eher zurück ins Deutsche“ (Julia: 115). Diese Auszüge zeigen einerseits, dass laut Interview eher die Lehrkräfte im Unterricht sprechen als ihre Schüler*innen, diese kommen am ehesten in einer Gruppenarbeit zu Wort. Andererseits wird einer der Pole in der konfligierenden Norm der Einsprachigkeit aufgemacht: Die Schüler*innen wollen (oder können noch) nicht. Sie sprechen lieber Deutsch, was im Konflikt mit den Vorgaben der bildungspolitischen Vorgaben und den fachdidaktischen Normen im Studienseminar steht. 96 Patricia Louise Morris DOI 10.24053/ FLuL-2025-0007 54 • Heft 1 Um diese Beobachtung weiter in den Fokus zu rücken und durch weitere Verben zu bestätigen, zu erweitern oder zu verwerfen, wurde die Analyse (entsprechend dem iterativen Vorgehen der GTM) um zusätzliche Verben erweitert, die zunächst harmlos und unbedeutend aussahen: sprechen, sagen, reden. Sie treten in allen Interviews sehr häufig auf. Allerdings fällt unter der Lupe des wer spricht? auf, dass sie nur von den Referendar*innen selbst, d. h., in Bezug auf ihr eigenes Sprechen, verwendet werden. Dies ließ den dritten Kode Lehrpersonen als handelnde/ sprechende Subjekte entwickeln. 3. Kode: Lehrpersonen als handelnde/ sprechende Subjekte sagen sprechen reden vormachen zutexten Tab. 4: Darstellung des 3. Kodes Lehrpersonen als handelnde/ sprechende Subjekte mit zugehörigen Verben Die Referendar*innen sprechen, sagen, reden und texten sogar zu, was diesen Kode zuspitzt und bestätigt: […] natürlich sollen die dahin geführt werden immer mehr selber Französisch zu reden und auch, sich daran zu gewöhnen, dass ich eigentlich ausschließlich Französisch rede, aber es wirkt auch schnell demotivierend. Ich merke das gerade in der 8. Klasse, ich hab nur Doppelstunden bei denen, wenn ich die jetzt 90 Minuten auf Französisch zutexte, und klar der Unterricht soll nicht so lehrerzentriert grundsätzlich sein, aber trotzdem gerade in der 8. Klasse bin ich schon als Person noch sehr gefordert, die ein oder andere Erarbeitungsphase zu lenken ähm, da ja spreche ich dann doch noch relativ viel auf Deutsch, mach aber so alles was möglich ist auf Französisch (Laura: 63). Hier wird erst „natürlich“ auf die Norm der funktionalen Einsprachigkeit eingegangen, um im direkten Anschluss Probleme und Beispiele zu nennen, für die von der Norm abgewichen wird, hier die Doppelstunden und der erst vor Kurzem begonnene Fremdsprachenunterricht. Darüber hinaus tritt eine weitere Norm zum Vorschein, die Schwierigkeiten verursacht: „der Unterricht soll nicht so lehrerzentriert“ sein. Betrachtet man jedoch, wer spricht, wird deutlich, dass der Unterricht nicht nur von Einsprachigkeit geprägt ist oder geprägt sein soll, sondern dass diese von der Lehrkraft durchgesetzt wird, sie lenkt. Dass dies aber auch bedeutet, dass die hauptsächlichen Redeanteile bei dieser Personengruppe liegen, scheint unerwartet, ist Lernendenorientierung doch bereits seit Jahren ein gängiges Prinzip im fachdidaktischen Diskurs. Was die Schüler*innen also in diesem Unterricht machen, wurde in einem weiteren Kode gesammelt, der sich komplementär zum letzten Kode Lehrpersonen als handelnde/ sprechende Subjekte konzeptionalisiert: Lernende als Reproduzent* innen. Die folgenden Verben zeigen, welche Praktiken die Schüler*innen im Fremdsprachenunterricht vornehmen: Einhalten einer monolingualen Norm und Einbringen von mehrsprachigen Ressourcen 97 54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0007 4. Kode: Lernende als Reproduzent*innen Ausnahme: „Muttersprachler“ verstehen checken (sollen) Vokabeln lernen (sollen) nennen konjugieren wiederholen wird zu Rate gezogen auswendig lernen üben reproduzieren anwenden hinkriegen erklären lassen Input bekommen übersetzen nachmachen sich trauen abfeiern Tab. 5: Darstellung des 4. Kodes Lernende als Reproduzent*innen mit zugehörigen Verben Die Auflistung der Verben in der Tabelle zeigt, dass den Schüler*innen vor allem reproduzierende, passive und rezeptive Praktiken zugewiesen werden. Mit Abstand am häufigsten tritt das Verb verstehen auf, als Gegenstück zu den oben genannten produktiven Fertigkeiten, die von den Lehrkräften ausgeübt werden. Zwei Referendar*innen verwenden auch häufiger das umgangssprachlichere checken, möglicherweise um eine altersbezogene Nähe zur Interviewerin zu signalisieren oder um Emotionalität zu äußern. Kaum ein Verb erinnert an einen aufgabenorientierten Unterricht, in dem die Schüler*innen selbst denken, entdecken und lernen. Eher scheinen formorientierte Vorstellungen von Fremdsprachenunterricht durch, in denen auf Grammatik (konjugieren) und Wortschatz (Vokabeln lernen) fokussiert wird. Auch hier bestätigt sich der obige Kode, der Lehrpersonen als aktive und sprechende Subjekte rekonstruiert: Die Schüler*innen erhalten einen Input von ihnen, sollen ihnen nachmachen. Die Verben nennen, auswendig lernen, wiederholen, reproduzieren und üben klingen dabei nicht nach kreativen, autonomen Tätigkeiten, sondern nach einer Wiedergabe des Gelernten. Eine Ausnahme scheint jedoch zu bestehen - sog. „Muttersprachler*innen“: […] wir haben halt in einem Kurs einen, der ist halt Muttersprachler. Also er hat meiner Meinung nach jetzt kein muttersprachliches Niveau, aber der ist schon mehr oder weniger mit Spanisch aufgewachsen. Den zieh ich halt immer zu Rate. Also wenn ich dann versuche so induktiv Sachen zu erschließen oder vorzumachen, zum Beispiel so die Anwendung von gustar oder so, da sprech ich ihn dann erstmal so im Plenum an und frag ihn dann einfach so und die anderen können das dann so nachmachen (Felix: 170). Auch hier werden Lehrkraft und Schüler*innen mit dem Begriffspaar vormachennachmachen dichotomisiert. Der*die sog. Muttersprachler*in hingegen findet sich in keinem der beiden Pole wieder. Er wird als Berater oder Experte konstruiert (obgleich er den monolingual geprägten Erwartungen des Referendars an einen Mutterpsrachler nicht entspricht) und muss den anderen Lernenden den entdeckenden Teil des Unterrichts (induktives Lernen) abnehmen, sodass sie ihm nur noch nachmachen müssen. 98 Patricia Louise Morris DOI 10.24053/ FLuL-2025-0007 54 • Heft 1 3.3 Mehrsprachigkeit als Gegenstand zur Förderung der Zielsprachenorientierung […] bei mir in dem Kurs […] die hatten halt natürlich schon alle eine zweite Fremdsprache und ähm eigentlich ist es immer ganz witzig, weil die super oft ins Französische switchen und das dann auch oft so Französisch aussprechen und das ist halt voll der Gag zwischen uns, dass ich dann immer schon den Kopf schüttele und sage: Nein, kein Französisch! ((hält verzweifelt die Hände vor das Gesicht)) (Nadine: 254). Dieser Datenauszug aus dem Spanischunterricht verdeutlicht, dass Mehrsprachigkeit nur als Gegenstand metasprachlicher Reflexion gestattet ist. Kommt es zu einem tatsächlichen Sprechen in anderen Sprachen als der Zielsprache Französisch/ Spanisch und der (imaginierten) gemeinsamen Sprache (bildungssprachliches) Deutsch, wird dies (getarnt als Witz) unmittelbar und vehement versucht zu stoppen. Was genau die sprachlichen Praktiken sind, die zu einer Implementierung anderer Sprachen auf der Ebene des Gegenstandes führen, wird in diesem Abschnitt beschrieben. Die Schlüsselkategorie b) Mehrsprachigkeit als Gegenstand zur Förderung der Zielsprachenorientierung, welche hier ausgeleuchtet wird, greift insofern in die Schlüsselkategorie a), als sie Ausnahmen beschreibt, in denen mit der monolingualen Norm gebrochen werden darf: Wenn andere Sprachen helfen, um die Kenntnisse in der Zielsprache voranzutreiben, gilt ein Einbringen anderer Sprachen als sinnvoll. Die Mehrsprachigkeitsdidaktik hat also den hauptsächlichen Zweck, die Zielsprachenorientierung zu flankieren. Anders als im vorherigen Abschnitt, wurde sich für die Darstellung als Wortwolke (siehe Abschnitt 3.3) entschieden, da diese auch die Häufigkeit der Verben durch die Schriftgröße abbilden kann. So wurde etwa einbringen insgesamt sechsmal in den Interviews verwendet; switchen dreimal.  Abb. 1 Im Folgenden werden exemplarisch einige zugehörige Kodes (Nr. 5-8) beschrieben und die ihnen zugeordneten Verben analysiert. Der Kode 5 Mehrsprachigkeitsdidaktik als nützliches Werkzeug hin zur Zielsprachenorientierung, zu dem die Verben nutzen, benutzen und profitieren gehören, beschreibt am treffendsten den Kern der Schlüsselkategorie: Die Implementation anderer Sprachen dient nicht als Selbstzweck oder etwa zur Wertschätzung und Anerkennung mehrsprachiger Schüler*innen und ihrer sprachlichen Praktiken. Immer geht es um ein lernökonomisches Nutzbarmachen anderer Sprachen für das bessere Erlernen der Zielsprache: „da ist es dann einfach schön, wenn sie auch vom Englischen profitieren können“ (Luisa: 191). Der Kode 6 Einbinden, einbeziehen, reinnehmen: Mehrsprachigkeitsdidaktik als etwas dem Fremdsprachenunterricht nicht Inhärentes stellt (auch in der Häufigkeit ihrer Verwendung) einen Großteil der Verben dar, welche im Kontext von Mehrsprachigkeit in den Interviews verwendet werden: einbauen, einbringen, einbinden, einbeziehen, reinnehmen. Das Präfix einsuggeriert, dass es einen normalen Fremdsprachenunterricht gibt, in den die Mehrsprachigkeitsdidaktik erst hineingebaut werden muss. Diese Vorstellung erinnert an den erziehungswissenschaftlichen Diskurs um Einhalten einer monolingualen Norm und Einbringen von mehrsprachigen Ressourcen 99 54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0007 Abb. 1: Verben der Schlüsselkategorie b) Mehrsprachigkeit als Gegenstand zur Förderung der Zielsprachenorientierung 4 das Verständnis von Inklusion im Gegensatz zu Integration: Während Inklusion davon ausgeht, dass jede Lerngruppe heterogen ist und somit ein gemeinsames Lernen befürwortet, meint Integration oftmals ein Einbinden von Schüler*innen, die vorher Teil eines Außen waren (vgl. G ROSCHE 2015: 23). Ähnlich wird die Mehrsprachigkeitsdidaktik externalisiert, obgleich sowohl lebensweltlich mehrsprachige Schüler*innen Teil des Fremdsprachenunterricht sind als auch die Lehrkräfte über vielfältige sprachliche Ressourcen verfügen. Auffällig ist allerdings, dass diese Verben oftmals verwendet werden, wenn die Referendar*innen besonders vage bleiben wollen oder eher ein Nicht-Stattfinden einer Mehrsprachigkeitsdidaktik beschrieben wird: Genau, so wie man es aus der Uni kennt, dass man auch andere Sprachen mit einbaut, wie zum Beispiel die Muttersprachen von Schülerinnen und Schülern, wenn die irgendwie eine andere Herkunft haben, das habe ich bis dato noch nicht gemacht, also bisher war es eher so schwimmen und versuchen klarzukommen und so ja im langfristigen Blick habe ich auf jeden Fall auch vor das irgendwie mit einzubauen (Julia: 111). Die Datenauszüge zeigen, dass der in der 1. Phase der Lehrer*innenbildung („wie man es aus der Uni kennt“) formulierter Anspruch an eine Mehrsprachigkeitsdidaktik im Vorbereitungsdienst nicht eingehalten wird. Es wird im Konjunktiv gesprochen (wäre, würde, sollte, könnte) und dann mit mangelnder Zeit und hohen anderen Anforderungen begründet. Der nächste Kode (Nr. 7) transportiert die Vorstellung von Sprachen als abgrenzbare, abgeschlossene Einheiten und ist sehr anschlussfähig an die zuvor formulierte 4 Die Wortwolke wurde mit Hilfe von MAXQDA 2022 erstellt. Da Leerzeichen und Sonderzeichen dazu führen, dass Wörter nicht zusammen abgebildet werden, wurde für ein orthographisch unkorrektes Zusammenschreiben der Wörter optiert, etwa intersprachlichArbeiten. Dasselbe gilt für VergleichePlusVerb, was für die drei Tokens Vergleiche ziehen, Vergleiche machen, Vergleiche kommen steht. 100 Patricia Louise Morris DOI 10.24053/ FLuL-2025-0007 54 • Heft 1 Interpretation, dass Mehrsprachigkeit und andere Sprachen etwas Externes sind, was es einzubinden gilt (oder auch nicht). Folgende Verben führten zu diesem Kode: switchen, Brücken bauen, Bezug nehmen, Link geben, Verbindung herstellen, Referenzen herstellen, verweisen, anknüpfen, Parallelen entdecken, Vergleiche + Verb, vergleichen. Die Daten zeigen, dass Sprachen nicht als vernetzte Ressource oder Teil eines Repertoires gedacht werden, sondern die Vorstellung additiver Mehrsprachigkeit vorherrscht: Sprachen werden isoliert voneinander gedacht und zunächst einmal getrennt voneinander gelernt. Man kann zwischen ihnen hin und her switchen, vermischen sollte man sie aber nicht, wie der Auszug aus Lisas Interview weiter oben (Kode 1) zeigte. Dieser Kode (Nr. 7) ist von einer sehr metaphorischen Sprache geprägt, die oftmals aus dem Bereich des Digitalen stammt (switchen, Verbindung, Link, Referenz herstellen) und darauf verweist, dass getrennte (und auch oft weit entfernte) Entitäten miteinander interagieren, wie hier bei der Englisch- und Spanischreferendarin Clara: Ich versuche, dadurch, dass ich zwei Sprachen unterrichte, da häufig Verbindungen herzustellen, also gerade so dadurch, dass ich auch ähm in meinem 11er Englischkurs, weil ich hab dieich weiß, dass die Spanisch belegen in der 11, da häufig ähm Referenzen herstelle (Clara: 231). Die Verben zeigen, dass Sprachen in der Vorstellung der Referendar*innen named und countable sind. Eine Verbindung ist jedoch per se nichts Schlechtes, was u. a. auch die im Bereich der Interkulturellen Bildung verwendete Metapher des Brückenbauens (vgl. Jana: 264) zeigt. Der letzte hier vorgestellte Kode ist 8 Lehrpersonen als Initiator*innen der Mehrsprachigkeitsdidaktiken. Auch hier ist aufgefallen, dass die meisten Verben die sprachlichen Praktiken der Lehrkräfte, nicht die der Schüler*innen erfassen. Kode 8 bestätigt daher Kode 3 Lehrpersonen als handelnde/ sprechende Subjekte und Kode 4 Lernende als Reproduzent*innen. Die lehrkraftseitigen Praktiken umfassen in Kode 8 erinnern, klar machen, aufmerksam machen, thematisieren, anregen, hinweisen. Die lernendenseitigen Praktiken sehen hingegen sehr unterschiedlich aus: Sie müssen zwar annehmen (vgl. Vanessa: 143), was die Lehrerin sagt oder dies üben (Jennifer: 184). Sie stellen jedoch auch Vergleiche zu anderen Sprachen her, zumeist zu schulischen Fremdsprachen (Englisch oder Französisch), was oftmals neutral gewertet wird (vgl. Carolin: 239, Jana: 268, Laura: 122), teilweise werden sie aber auch davon abgebracht „Nein, kein Französisch! “ (Nadine: 254) oder ihre Kenntnisse, hier in Bezug auf die Herkunftssprache Türkisch, werden abgetan, belächelt („Die wissen natürlich die ganzen Zusammenhänge sprachlich gar nicht.“ (Johanna: 285 )) und je nach ihrer Nutzbarkeit für den*die jeweilige*n Lerner*in wertgeschätzt: „Ist ja gut für dich, dann muss du eine Vokabel weniger lernen“ (Johanna: 289). Hier wird auch deutlich, dass herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit nicht als Lerngelegenheit für die gesamte Lerngruppe angesehen wird, sondern schnell und individuell abgehandelt wird. Laura (59) formuliert die Erwartungshaltung, dass die Schüler*innen selbst zuständig dafür sind, ihre Herkunftssprachen einzubringen: „[D]iese Schülerin macht Einhalten einer monolingualen Norm und Einbringen von mehrsprachigen Ressourcen 101 54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0007 aber auch keine Anstalten ihre Muttersprache mit einzubringen“. Die Beispiele zeigen, dass sich die Lehrkräfte oftmals als Initiator*innen einer Mehrsprachigkeitsdidaktik inszenieren, welche fast ausschließlich auf Grammatik- und Wortschatzvergleichen zwischen anderen schulisch erlernten Sprachen basiert. Nur selten wurden die Schüler*innen so „trainiert“, dass sie „automatisch“ (Carolin: 239) den Transfer zu schulischen Fremdsprachen herstellen. Eine Anerkennung der lebensweltlichen Sprachen der Schüler*innen ist jedoch oftmals nicht gegeben, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass auch die Lernenden in Bezug auf Sprache als Gegenstand selbst fast ausschließlich auf die schulisch gelernten Prestigesprachen rekurrieren. 4. Diskussion und Fazit Durch die vorgeschlagene Heuristik konnte herausgearbeitet werden, dass Mehrsprachigkeit aus Sicht der interviewten Referendar*innen zwar prinzipiell Platz im Ausbildungskontext finden kann, jedoch nur unter bestimmten Bedingungen: Sie wird im Unterricht ausschließlich auf der Ebene des Gegenstandes (Sprechen über Sprache), also auf einer Metaebene besprochen, die oftmals durch eine Frage auf Deutsch, z. B. im Spanischunterricht „Ah, wie ist das denn auf Französisch? “(Nadine: 254), eingeleitet wird. Zudem gelten Referenzen zu anderen Sprachen nur dann als wertvoll, wenn sie zum besseren Lernen der Zielsprache verhelfen. Auf der Ebene des Mittels bzw. der Kommunikation (Sprechen in einer Sprache) besteht der Druck, besonders in Bezug auf Prüfungs- und Beobachtungssituationen, ausschließlich in der Zielsprache zu sprechen. Es gibt allerdings genauestens abgesteckte Situationen und Bereiche, in denen Deutsch als (imaginierte) Sprache des gemeinsamen Verstehens geduldet wird, etwa bei der Vermittlung von Grammatik, bei der Besprechung organisatorischer Fragen oder in Bezug auf Humor und Zurechtweisungen. Sobald andere Sprachen in die Kommunikation einbezogen werden, sogar schulische Prestigesprachen wie Englisch oder Französisch, folgen Sanktionen, was zu einer Engführung der Mehrsprachigkeitsdidaktik auf Wortschatz- und Grammatikarbeit führt. Dies zeigt, dass die monolinguale Norm den Referendar*innen als Referenzpunkt dient. Diese sieht sich durch lernökonomische Sprachvergleiche bestätigt und nicht bedroht. Ein weiterer Grund gegen die Implementierung einer umfassenden Mehrsprachigkeitsdidaktik könnte das Festhalten an überholten Sprachlerntheorien sein (time-on-task- Hypothese), welches mit der monolingualen Norm und einem additiven Verständnis von Mehrsprachigkeit einher geht. Auch der Druck, im Referendariat beobachtet und benotet zu werden, „so viele Schrauben [zu haben], an denen man irgendwie drehen muss“ (Julia: 111), sowie nicht zu wissen, ob die Ausbilder*innen und betreuenden Lehrkräfte Mehrsprachigkeitsdidaktiken begrüßen (vgl. Nadine: 262), führen zu einem Ausbleiben mehrsprachiger Praktiken. Unklar bleibt die Bedeutung der Mehrsprachigkeitsdidaktiken an den Studienseminaren und unter den Ausbilder*innen, was in Folgestudien untersucht werden sollte. Sprachideologisch hat G ERLACH (2023: 55) bereits eine Orientierung am Native Speaker-Ideal, eine Gleichsetzung von Aus- 102 Patricia Louise Morris DOI 10.24053/ FLuL-2025-0007 54 • Heft 1 landsaufenthalten mit guten Sprachkompetenzen, bei gleichzeitiger Unterbeleuchtung fremdsprachenspezifischer Didaktiken (wozu auch die Mehrsprachigkeitsdidaktiken gehören), in den Fachseminaren des Vorbereitungsdienstes herausgearbeitet. Außerdem besteht ein Desiderat darin die tatsächlichen sprachlichen Praktiken im Unterricht der Referendar*innen zu untersuchen, was mithilfe von ethnographischen Daten Gegenstand von Folgebeiträgen ist. Die Empirie wirft jedoch auch Fragen auf, welche über die Mehrsprachigkeitsdidaktik hinausreichen. Trotz jahrzehntelanger Bestrebungen, Schüler*innen stärker in den Fokus zu rücken und ihre kommunikativen Fähigkeiten im Fremdsprachenunterricht zu fördern, scheint noch immer ein lehrer*innenzentrierter Unterricht durch. Dies wirft unmittelbar die Frage auf, wie Referendar*innen zu ihren Praktiken gelangen und was in den beiden Phasen der Lehrer*innenbildung geschieht. Wenn berichtet wird, dass die Referendar*innen am Studienseminar mit einer Ablehnung der Inhalte des Studiums empfangen werden, überrascht es nicht, dass sie selbst auch diese Erzählung übernehmen und ihr Studium als unbrauchbar bezeichnen: […] das wurde uns auch direkt von Beginn an gesagt. Also das, was wir im Studium gelernt haben, dass wir das quasi erstmal beiseite packen können […], dass es sehr widersprüchlich ist und dass wir da jetzt wirklich von, von 0 sozusagen anfangen. Also die letzten […] 5 Jahre waren, ja, jetzt nicht unbedingt brauchbar, vor allem die letzten Jahre. Ja genau, das war äh ja direkt in der Einführungswoche Ende Januar 2023. Da wurde das äh genau so formuliert (Luisa: 39). Gleichzeitig: Da jedoch anhand der Aussagen der Studienteilnehmenden nicht einmal diese gängigen Prinzipien (Lernendenorientierung, Aufgabenorientierung) nachhaltig Einzug in den Unterricht gefunden zu haben scheinen, überrascht es weniger, dass die Mehrsprachigkeitsdidaktik in der beschriebenen Praxis auf einer metasprachlichen, formorientierten Ebene verharrt, obgleich in den meisten Interviews zum Vorschein kommt, dass Mehrsprachigkeitsdidaktiken aus dem Studium bekannt sind. Das Ernstnehmen und die Ausrichtung des Unterrichts auf die Lernenden, welche sich auch in einer Umverteilung der Redeanteile zeigen sollte, kann aber auch als Voraussetzung für mehrsprachiges Sprechen verstanden werden: Wenn insgesamt keine gemeinsame, inhaltliche Aushandlung, sondern ein Vormachen-Nachmachen stattfindet, kann auch keine kommunikativ relevante Mehrsprachigkeitsdidaktik stattfinden. 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