Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2025-0008
0428
2025
541
Gnutzmann Küster SchrammSusanne GÜNTHNER, Juliane SCHOPF, Beate WEIDNER (Hrsg.): Gesprochene Sprache in der kommunikativen Praxis. Analyse authentischer Alltagssprache und ihr Einsatz im DaF-Unterricht. Tübingen: Stauffenburg 2021, 422 Seiten [64 €]
0428
2025
Christoph Bürgel
flul5410105
54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0008 Susanne G ÜNTHNER , Juliane S CHOPF , Beate W EIDNER (Hrsg.): Gesprochene Sprache in der kommunikativen Praxis. Analyse authentischer Alltagssprache und ihr Einsatz im DaF-Unterricht. Tübingen: Stauffenburg 2021, 422 Seiten [64 €] Der sich aus dem globalen Leitziel des Fremdsprachenunterrichts ergebende Bildungsauftrag, Lernende zur kompetenten Bewältigung interkultureller Kontakt- und Begegnungssituationen zu befähigen, bedeutet auch immer, sie auf mündliche Kommunikation in Realsituationen vorzubereiten. Will der Fremdsprachenunterricht diesem Anspruch gerecht werden, so wird er die gesprochene Sprache zum Lerngegenstand erheben müssen. Diese Einsicht hat sich im DaF- Bereich schon vor geraumer Zeit durchgesetzt; einzig die Frage nach der didaktischen Auswahl, Reduktion, Stufung und Transformation von Wissens- und Erkenntnisbeständen der Gesprochenen-Sprache-Forschung für den DaF-Unterricht gehört zu den kontroversen Diskussionslinien. Es ist dieses, nicht nur für die DaF-Praxis, sondern auch für die Didaktik der romanischen Sprachen relevante Thema der Vermittlung der gesprochenen Sprache, das den Rezensenten zu dem Unterfangen verleitet hat, sich zu diesem Werk zu äußern. Dabei ist die Rezension aus der Perspektive des romanistischen Fremdsprachendidaktikers verfasst und erhebt nicht den Anspruch, autoritativ über die Relevanz und Qualität des Werkes für den DaF-Bereich zu urteilen. Stattdessen liegt der Fokus auf der Frage, welche Implikationen die im Band vorgestellten Ansätze zur Erforschung und Didaktisierung der gesprochenen Sprache für die Didaktik der romanischen Sprachen und die Unterrichtspraxis bereithalten können. In dem aus einer internationalen Tagung hervorgegangenen Sammelband diskutieren Sprachwissenschaftler und DaF-Praktiker an der Schnittstelle von Germanistischer Sprachwissenschaft, Deutschdidaktik und DaF-Praxis aus theoretisch-konzeptioneller und empirischer Sicht das gesprochene Deutsch und didaktische Szenarien zum Lehren und Lernen des Deutschen als Fremdsprache. Ziel des Bandes ist nicht nur die Vernetzung der Disziplinen, sondern vor allem auch die in vier Themenblöcken verhandelte Frage, welche Merkmale des gesprochenen Deutsch sich als Lerngegenstand eignen. Die im ersten Themenblock „Deutsch als Fremd‘kommunikation’ - Interaktionale Strukturen der Mündlichkeit und Ansätze ihrer Lernbarkeit“ (S. 25-99) vereinten Beiträge belegen die den DaF-Unterricht nach wie vor prägende Orientierung an der Schriftsprache. Für Südkorea dokumentieren Myung-Won C HOI und Wolfgang I MO zum einen anhand von Umfragen unter DaF-Lehrkräften und -lernenden und zum anderen am Beispiel von Lehrbuchtexten, dass das Deutschlernen stark an der schriftsprachlichen Norm ausgerichtet ist und gesprochene Sprache noch keinen nennenswerten Einzug in den DaF-Unterricht gehalten hat. Eine ähnliche Beobachtung macht Magdalena P IEKLARZ -T HIEN für die polnische Germanistik und den polnischen DaF-Unterricht, denen sie eine schriftsprachen- und normorientierte Auffassung einer homogenen Standardsprache bescheinigt. Sandro M. M ORALDO plädiert für eine stärkere Berücksichtigung von Variation und aktuellen Veränderungen der gesprochenen Sprache. Einen Fokus auf einen Teilaspekt gesprochener Sprache legt der Beitrag von Susanne G ÜNTHNER , in dem sie „Anredepraktiken in der Hochschulkommunikation“ von Dozenten und deutschen bzw. internationalen Studenten in den Blick nimmt und ein breites Spektrum von umgangssprachlichen bis zu distanzsprachlichen Anredeformen feststellt, die zum Anlass für die Sensibilisierung von DaF-Lernenden genommen werden sollten, die ein Auslandssemester an einer deutschen Hochschule absolvieren. B e s p r e c h u n g e n 106 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2025-0008 54 • Heft 1 Die im zweiten Themenblock „Grammatische Besonderheiten des Gesprochenen Deutsch und ihre Vermittlung“ (S. 103-215) gruppierten Beiträge zeichnen sich durch den Brückenschlag zwischen korpusbasierter Sprachwissenschaft und Didaktik aus. So arbeitet Reinhard F IEHLER auf der Grundlage eines Gesprächsausschnitts zum Thema ‚Brot kaufen‘ die lautlichen, syntaktischen, lexikalischen und formulatorischen Merkmale des gesprochenen Deutsch im Kontrast zu den schriftsprachlich äquivalenten Sätzen heraus und liefert damit eine fundierte Grundlage, die für korpusbasierte Lehr-/ Lernszenarien zum Erwerb von Merkmalen der gesprochenen Sprache nutzbar gemacht werden können. Ulrike S CHRÖDER behandelt Modalpartikeln aus kognitiv-komparativer Sicht im Kontext ihres multimodalen realen Sprachzusammenhangs für den DaF-Unterricht an brasilianischen Universitäten. Mit der Analyse von Gesprächssequenzen über interkulturelle Erfahrungen von Austauschstudenten legt sie die kulturelle Konnotation von Modalpartikeln im Deutschen und brasilianischen Portugiesisch gut nachvollziehbar offen, die in didaktischer Hinsicht im Rahmen von korpusbasierten Übersetzungsübungen bewusst gemacht werden sollen. Yazgül Ş IMŞEK untersucht in ihrem Beitrag den von mehrsprachigen Jugendlichen mit Türkisch als L1 und Deutsch als L2 verwendeten Einsatz syntaktischer und prosodischer Strukturen als Ressource der Gesprächsorganisation und schlägt didaktisch gut durchdachte Übungen vor, die auf eine Sensibilisierung der DaZ-Lernenden für Variation, Registerunterschiede und Registermanagement zielen. Ebenfalls eine gelungene Verknüpfung von Korpuslinguistik und Didaktik nimmt Milicia L AZOVIĆ vor, die in ihrem Beitrag das funktionale Spektrum äußerungsfinaler Konstrukte mit didaktischen Modellierungen zu deren induktiven Vermittlung verbindet. Der dritte Themenblock fragt nach der Relevanz kommunikativer Gattungen bzw. sprachlicher Praktiken der Mündlichkeit für den DaF-Unterricht (219-312), wobei sich die hier versammelten Beiträge ebenfalls durch eine Verknüpfung korpusbasierter Sprachanalysen mit didaktischen Reflexionen auszeichnen. So zeigt Christian F ANDRYCH an Eröffnungssequenzen und subjektiv-argumentativen Positionierungen („ich finde“, „ich denke“) in wissenschaftlichen Vorträgen auf, dass formelle mündliche Praktiken durch einen hohen Grad an freier Formulierung und durch typische Merkmale der gesprochenen Sprache (Modalpartikeln, Diskursmarker) gekennzeichnet sind, so dass die Sprachdidaktik ihren Blick vom schriftsprachlichen hin zu sprechsprachlichen Wissenschaftsdiskurs insbesondere für ausländische Studenten erweitern muss. Eine weitverbreitete kommunikative Gattung nimmt Katharina K ÖNIG mit digitalen Sprachnachrichten (Korpus von WhatsApp-Chats) in den Blick, die sie hinsichtlich der Verwendung und Funktion von Diskursmarkern wie „genau“ und „ja/ joa“ untersucht. Unter Einbezug der Reflexion mediatisierter Mündlichkeit zeigt sie überzeugende didaktische Möglichkeiten der Integration von Diskursmarkern in den DaF-Unterricht auf. Marcella C OSTA rückt die Gattungen ‚Stadtführungen‘ und ‚Audioguides‘ in den Fokus und untersucht interaktionale Merkmale und Muster der gesprochenen Sprache dieses Diskursgenres, die sie in didaktischer Hinsicht für die Entwicklung einer diskursspezifischen Gesprächs- und Interaktionskompetenz für den Tourismussektor nutzbar machen möchte. Der Beitrag von José Javier M ARTOS R AMOS verortet sich im Bereich der sprachlichen Praktiken, indem auf der Grundlage von Interviews, die spanische DaF-Studenten mit deutschen Erasmusstudenten geführt haben, gesprächsorganisatorische und pragmatische Merkmale analysiert werden mit dem didaktischen Ziel, sprachliche Mittel der Gesprächsorganisation zu reflektieren und damit Phänomene der gesprochenen Sprache bewusst zu machen. Der vierte und letzte Themenblock legt den Schwerpunkt auf die didaktische Perspektive, indem „Ressourcen und Lehrmaterialien zur Vermittlung von interaktionalen Phänomenen im Unterricht“ (S. 315-420) verhandelt werden. Im ersten Beitrag präsentiert Susanne H ORST - MANN ein elaboriertes didaktisches Konzept für eine Lehrerfortbildung zur gesprochenen Spra- Besprechungen 107 54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0008 che, das die fünf Blöcke 1. Kommunikation, 2. Sprechen, 3. Hören, 4. language awareness und 5. pragmatische Kompetenz umfasst. Viktoria F EDOROVSKAY und Wolfgang I MO stellen eine Unterrichtseinheit für die DaF-Fachkommunikation in der Medizin vor. Auf der Grundlage konziser linguistischer Analysen ärztlicher Befundgespräche zur Krebsdiagnose und zu geplanten Therapiemaßnahmen bereiten sie die gewonnenen Erkenntnisse zu Verstehensprozessen und zur interaktionalen Sequenzierung von Gesprächen für DaF didaktisch auf. Silvia V OGEL - SANG befasst sich mit dem Lehren und Lernen von Modalpartikeln und plädiert für einen induktiven Didaktisierungsvorschlag unter Einsatz authentischer Gesprächsaufnahmen. Schließlich zeigen Juliane S CHOPF und Beate W EIDNER mithilfe einer korpusbasierten Analyse von Materialien aus zwei DaF-Lehrwerken, dass die verwendete Sprache in unzureichender Weise regionale und nationale Variationen des Deutschen berücksichtigt und plädieren einleuchtend dafür, die Spezifika der Vielfalt des Deutschen zum Lerngegenstand zu machen. In einer Gesamtschau der Beiträge liegt eines der zentralen Qualitätsmerkmale des Bandes in der gewinnbringenden Verknüpfung von sprachwissenschaftlich differenzierten Analysen interaktionaler Phänomene der gesprochenen Sprache mit didaktisch gelungenen Reflexionen zum korpusbasierten Lehren und Lernen selbiger bzw. mit der konkreten Ausgestaltung didaktischer Materialien und Lehr-/ Lernszenarien. Welche Erkenntnisse hält der Sammelband für die Didaktik der romanischen Sprachen bereit? Trotz zum Teil unterschiedlicher wissenschaftlicher Prämissen und Erkenntnisinteressen sowie Theorie- und Diskursstränge in der DaF-Didaktik und der Didaktik der romanischen Sprachen lassen sich aus dem Band zukunftsweisende Impulse für die Didaktik der romanischen Sprachen ableiten. 1. Didaktische Fokussierung und Reflexion der gesprochenen Sprache: Bis heute ist im Unterricht der romanischen Sprachen sowie in den Lehr- und Lernmaterialien eine dominante Orientierung an der Schriftsprache zu beobachten, mit der Konsequenz, dass Lernende mit lexikogrammatischen, sequenziellen und interaktiven Strukturen der gesprochenen Sprache unzureichend vertraut sind. Damit dürfte es für sie mehr als eine Herausforderung sein, sich auf sprechsprachliche Kontexte mit romanischen L1-Sprechern einzulassen und sprechsprachliche Kommunikationssituationen kompetent zu bewältigen. Deshalb ergibt sich als ein erstes Desiderat, Fragen des Lehrens und Lernens der gesprochenen Sprache auch in den Fokus der Didaktik der romanischen (und ggf. anderer) Sprachen zu rücken. 2. Korpusbasiertes Fremdsprachenlehren und -lernen: Erhebt man den Anspruch, Lernende für die gesprochene Sprache zu sensibilisieren oder gar eine basale Gesprochene-Sprache- Kompetenz zu entwickeln, wird man nicht umhinkommen, Lernenden frequente und typische Merkmale der gesprochenen Sprache in ihrer kontextuell natürlichen Umgebung vor Augen zu führen. Hier können Korpora der gesprochenen Sprache den Fremdsprachenunterricht in vielfältiger Weise bereichern, sei es durch die direkte lernerseitige Nutzung von Korpora im Rahmen eines entdeckenden Lernens oder durch die lehrerseitige Erstellung von Lehr-/ Lernmaterialen mithilfe von Korpora. Ein zweites Desiderat ist deshalb die korpusbasierte Konzeption von Lehr-/ Lernszenarien zur gesprochenen Sprache der Romania. 3. Vernetzung von romanischer Sprachwissenschaft und Didaktik der romanischen Sprachen: Es ist beinahe überflüssig zu erwähnen, dass didaktische Fragen zur Auswahl, Reduktion, Stufung und Transformation von Merkmalen der gesprochenen Sprache sich an der gebrauchsorientierten Beschreibung der spezifischen Eigenheiten der gesprochenen Sprache der Romania orientieren müssen. Der Didaktik der romanischen Sprachen käme hier die Aufgabe zu, die von der Sprachwissenschaft hervorgebrachten theoretisch-konzeptionellen und empirischen Erkenntnis- und Wissensbestände aufzugreifen und für die Konzeption von Lehr- und Lernmaterialien nutzbar zu machen. Doch dazu ist - als drittes Desiderat - die Intensivierung des 108 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2025-0009 54 • Heft 1 Dialogs zwischen romanischer Sprachwissenschaft und Didaktik der romanischen Sprachen vonnöten. Es sind diese drei sich aus dem Sammelband ergebenden Desiderata, die der Didaktik der romanischen Sprachen neue Impulse für die Einlösung des bildungspolitischen Leitziels der interkulturellen kommunikativen Handlungsfähigkeit geben können. Deshalb ist der Band nicht nur für germanistische Sprachwissenschaftler aus dem In- und Ausland, DaF-Lehrkräfte und - Studenten, sondern auch für Didaktiker der romanischen Sprachen eine Bereicherung. Paderborn C HRISTOPH B ÜRGEL Leo W ILL , Wolfgang S TADLER , Irma E LOFF (Hrsg.): Authenticity across Languages and Cultures. Themes of Identity in Foreign Language Teaching and Learning. Bristol, Jackson: Multilingual Matters 2022, 296 Seiten [54,95 €] Schulisches oder hochschulunterrichtliches Sprachenlernen soll den Lernenden möglichst authentische Zugänge zu den Zielsprachenkulturen eröffnen und Möglichkeiten zum authentischen Agieren in der Zielsprache bieten. Jedoch: Was sind überhaupt die Bezugspunkte von Authentizität? Und welche Probleme des Fremdsprachenlernens sind von ihr berührt? Vor diesem Hintergrund ist Authentizität seit den 1970er Jahren immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher Abhandlungen, so auch des neueren Sammelbandes „Authenticity across Languages and Cultures. Themes of Identity in Foreign Language Teaching and Learning“, der Lehrenden sowie Forschenden neue Einblicke in den Authentizitäts-Diskurs verspricht (S. xix). Zu den genannten und weiterführenden Fragen werden im vorliegenden Werk empirische Studien vorgestellt, die language teaching, identitiy und aestehtics als zentrale Eckpunkte setzen und insbesondere die Konzeptualisierung der ,Muttersprachler*in‘ als einen wichtigen Strang des Authentizitätsproblems anerkennen. Das Werk gliedert sich im Hauptteil in die drei Teile „Part 1: Authenticity and Language teaching“ (S.17-118), „Part 2: Authenticity and Identitiy” (S. 119-200) und „Part 3: Authenticity and Aesthetics” (S. 201-260). Für die vorliegende Besprechung beschränke ich mich auf eine fokussierte, aber breit angelegte Auswahl, die Authentizität als Problem im Zusammenhang mit dem native speaker aus verschiedenen Richtungen (etwa: Definitionsversuche, unterschiedliche Lehr-Lern-Kontexte, Unterrichtskonzepte, Texte und Materialien sowie empirische Ansätze) exemplarisch beleuchtet. Einleitend stellt Claire K RAMSCH im Beitrag „Authenticity in Our Times“ Authentizität als „every language learners dream“ (S. xiii) dar und formuliert die Forderung nach einem grundsätzlichen Paradigmawechsel, denn „[a]uthenticity is no longer a stable given“ (S. xiii). Vor diesem Hintergrund differenzieren die beiden Beiträge von Leo W ILL und Richard S. P INNER („The Concept of Authenticity in Foreign Language Teaching and Learning“) sowie Matthew D AME und Natalia D AME („Multilingualism and Authenticity in Russian Heritage Language Teaching Practices“) die Rolle von Authentizität im Spannungsfeld von kultureller Verankerung und Selbstentwicklung für den Erwerb des Russischen aus. Sie stellen heraus, dass Authentizität nach wie vor eng mit einem „idealised and infallible Russian native speaker“ (S. xx) verwoben ist, aber im Diskurs auch Bemühungen durchscheinen, die die individuellen Lernenden-Identitäten akzentuieren. Für russischsprachige Herkunftssprachler*innen im USamerikanischen Hochschulwesen zeigen D AME und D AME in ihrer Analyse, dass und wie Herkunftssprechende gegen die Schablone des Muttersprachlers gehalten werden. Die Autor*innen verdeutlichen, dass Sprecher*innen selbst unter „language shyness“ (S. 45), wie von Krashen
