eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 54/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2025-0012
0428
2025
541 Gnutzmann Küster Schramm

Chika TAKAHASHI: Motivation to Learn Multiple Languages in Japan. A Longitudinal Perspective. Bristol: Multilingual Matters 2022, 216 Seiten [109,95 €]

0428
2025
Michael Schart
flul5410116
116 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2025-0012 54 • Heft 1 unterricht bislang kaum Berücksichtigung fand. Überdies wird „die Notwendigkeit eines Diabzw. Multilogs mit den relevanten Bezugswissenschaften herausgestellt, die Impulse für notwendige Weiterentwicklungen und Neumodellierungen geben können“ (S. 414). Produktiv wäre für zukünftige Vorhaben auch der verstärkte Dialog mit der politischen Bildung oder mit der Erwachsenenbildung, wenn es etwa um grundlegende Konzepte wie jenes der symbolischen Kompetenz oder um die Frage nach den Handlungsspielräumen von Lehrenden und Lernenden als politischen Akteur*innen geht. Viertens ist „die dauerhafte gegenseitige Bezugnahme von Theorie, Empirie und Unterrichtspraxis“ (S. 417) notwendig, die auch entsprechende Strukturen der Zusammenarbeit zwischen Schulen und Hochschulen bzw. Universitäten erfordert. Dieser Band und die zugrundeliegende Konferenz liefern neben den inhaltlich reichhaltigen Anregungen wichtige Impulse für innovative Formate der Gestaltung des Dialogs zwischen den unterschiedlichen Gruppen, die im Sinne der Weiterentwicklung theoretischer Perspektiven und konkreter Unterrichtsmodelle notwendig sind. Somit ist „unterricht_kultur_theorie“ nicht nur in vielfacher Weise inspirierend, sondern auch richtungweisend und hoffentlich Impuls und Vorbild für die weitere Diskussion zu Fragen des kulturellen Lernens, seiner Grundlagen und seiner gesamtgesellschaftlichen Relevanz. Wien H ANNES S CHWEIGER Chika T AKAHASHI : Motivation to Learn Multiple Languages in Japan. A Longitudinal Perspective. Bristol: Multilingual Matters 2022, 216 Seiten [109,95 €] Die empirische Forschung zur Motivation von Fremdsprachenlernenden wird von Querschnittsstudien dominiert, die ihre Daten mit Hilfe standardisierter Fragebögen erheben. Chika T AKAHASHI widersetzt sich mit ihrer Studie dieser Tendenz, denn sie wählt einen longitudinalen Ansatz und begleitet über neun Jahre hinweg zwei japanische Lernende in verschiedenen Phasen ihrer Bildungslaufbahn beim Erlernen von Fremdsprachen. Das Interesse der Autorin richtet sich dabei auf die Frage, wie die beiden Forschungssubjekte - Shion und Yuzuru - im Laufe dieser Zeit zu multilingualen Persönlichkeiten werden, wie sich ihr Selbstbild und ihre Sicht des Fremdsprachenlernens verändern. Japan ist für eine solche Studie ein attraktives Forschungsfeld, weil das Land als eine weitgehend monolinguale Gesellschaft bezeichnet werden kann. Die Zuwanderung wird trotz sehr niedriger Geburtenraten nach wie vor stark begrenzt. Zudem zeichnen sich kaum Fortschritte im Hinblick auf die Fremdsprachenkenntnisse der Bevölkerung ab, obwohl von der Grundschule bis hin zu den Universitäten erhebliche Ressourcen in die Förderung des Englischunterrichts fließen. Im EF English Proficiency Index (EF EPI) verharrt das Land seit Jahren auf den unteren Plätzen. Im vierten Kapitel ihrer Arbeit legt T AKAHASHI ausführlich die Gründe für diese Stagnation dar. Sie beschreibt auch, weshalb weitere Fremdsprachen im gesamten Bildungssystem nur eine untergeordnete Rolle spielen. Für viele junge Japanerinnen und Japaner ergeben sich erst an der Universität Möglichkeiten zur intensiven Beschäftigung mit einer zweiten oder dritten Fremdsprache in einem institutionellen Rahmen. Angesichts dieses gesellschaftlichen Umfeldes drängt sich die Frage auf, was Lernende dazu motiviert, sich aus eigener Initiative weitere Fremdsprachen anzueignen. Mit Yuzuru und Shion hat T AKAHASHI zwei junge Leute gefunden, die sich hinsichtlich ihrer Lernmotivation als vorbildlich erweisen. Für beide ist ein anhaltendes Interesse an neuen Sprachen kennzeichnend. Durch die permanente Suche nach immer neuen Herausforderungen halten sie ihren Lernprozess lebendig. Dabei verweigern sich der eindimensionalen, überwie- Besprechungen 117 54 • Heft 1 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0012 gend instrumentellen Perspektive auf das Fremdsprachenlernen, die ihnen von Schule und Gesellschaft vermittelt wird. Yuzuru und Shion erschließen sich eigene, jeweils individuelle Wege zu einem multilingualen Selbst und für die Forscherin ist es ein Glücksfall, dass die beiden ihr Einblicke in diesen Prozess gewähren. Im Hauptteil der Studie stellt T AKAHASHI dar, wie sich Yuzuru und Shion über vier Etappen ihrer Bildungslaufbahn hinweg weiterentwickeln. Die Beschreibung setzt während ihrer Zeit an der Oberschule ein, zu der die Autorin die beiden im Rahmen ihres Dissertationsprojekts zum Umgang von Schülerinnen und Schülern mit Selbstlernmaterial kennenlernt. Nach der Schulzeit trennen sich die Wege von Yuzuru und Shion. Sie studieren unterschiedliche Fächer und haben keinen Kontakt mehr zueinander. Aber T AKAHASHI hält die Verbindung und trifft sie in den Folgejahren regelmäßig zu Einzelgesprächen, begleitet von einem Email-Austausch. Daraus erwächst die Datenbasis für die vorliegende Studie. Die Zusammenarbeit endet erst, nachdem die beiden ihr MA-Studium abgeschlossen und ihre erste Stelle angetreten haben. Als Ergebnis dieses kontinuierlichen Forschungsprozesses kann T AKAHASHI eine lesenswerte Studie vorlegen, die seltene Einblicke in die Komplexität motivationaler Lagen von Fremdsprachenlernenden ermöglicht. Die Stärke der Untersuchung liegt zum einen darin, dass für die Lesenden an vielen Stellen des Buches tatsächlich greifbar wird, welche Faktoren Lernen beflügeln oder behindern und wie der Prozess die gesamte Persönlichkeit berührt und verändert. Zum anderen führt die Arbeit überzeugend vor Augen, welchen Beitrag solche longitudinalen Fallstudien zur Fremdsprachenforschung leisten. Chika T AKAHASHI erliegt nicht der Versuchung, ihre Arbeit mit theoretischen Betrachtungen zur Motivationsforschung zu überladen. In Kapitel 2 umreißt sie ihren konzeptionellen Rahmen (das „L2 Motivational Self System“ von D ÖRNYEI und die „Self-Determination Theory“ von D ECI & R YAN ), wobei es ihr gelingt, sich auf das Notwendige zu beschränken. So bleibt die Relevanz der Argumentation im theoretischen Teil stets nachvollziehbar. Im dritten Kapitel gibt sie einen Überblick über den Forschungsstand. Sie richtet ihre Aufmerksamkeit vor allem auf Studien, in denen die Motivation zum Erlernen von weiteren Fremdsprachen nach Englisch thematisiert wird. Denn mit ihrer Studie möchte die Autorin insbesondere zur Weiterentwicklung des Forschungsbereichs LOTE (Languages Other Than English) beitragen. Dieses Vorhaben kann T AKAHASHI jedoch nur teilweise mit Erfolg umsetzen. Obwohl es immer auch um die anderen Sprachlernprojekte der beiden Forschungssubjekte geht, nimmt das Erlernen des Englischen und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für den Englischunterricht in ihrer Darstellung den weitaus größten Raum ein. Sie versäumt es, sich ausführlicher mit der Situation der anderen Fremdsprachen in Japan auseinanderzusetzen. So beschränkt sich die Rezeption des Diskussionsstandes zu Französisch, Deutsch oder Chinesisch als Fremdsprache in Japan auf Publikationen, die auf Englisch oder Japanisch vorliegen. Das ist zwar verständlich, läuft jedoch ihrem Anspruch zuwider, den Bereich LOTE in Japan zu erfassen. Hinzu kommt, dass T AKAHASHI sich auf die selbstbestimmten Lernprozesse ihrer Protagonisten fokussiert. Inwiefern sich beispielsweise das Lernumfeld in den universitären Fremdsprachenkursen auf die Motivation auswirkt, wird nur am Rande behandelt. Das ist gerade im Fall von Shion bedauerlich, denn als Studentin gerät sie eher zufällig in die Situation, Deutsch als zweite Fremdsprache belegen zu müssen. Man erfährt, dass sie sich in ihrem universitären Deutschkurs innerhalb eines Semesters durch sämtliche Bereiche der deutschen Grammatik arbeiten muss und im dritten Semester vor der Aufgabe steht, Texte von Thomas Mann lesen zu müssen. T AKAHASHI unternimmt keinen Versuch, die Erfahrungen von Shion mit diesem problematischen Konzept von Fremdsprachenunterricht näher zu beleuchten. Damit wird auch die Frage ausgeblendet, auf welche Weise die konkreten lokalen Lernbedingungen Einfluss darauf nehmen, ob eine Beziehung zu einer Fremdsprache aufgebaut wird. 118 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2025-0013 54 • Heft 1 Durch T AKAHASHI s tendenziell engen Fokus auf die Lernprozesse außerhalb von Bildungsinstitutionen gehen mithin wichtige Einsichten zur Rolle von Lehrenden, Mitlernenden und Unterrichtsinhalten verloren. Shion hätte ein sehr anschauliches Beispiel dafür sein können, wie sich eine didaktisch fragwürdige Unterrichtsgestaltung nachhaltig negativ auf die Motivation auswirkt, sich über das Pflichtprogramm hinaus mit einer Sprache und Kultur zu beschäftigen. Die Autorin entscheidet sich jedoch dafür, die unterrichtlichen Erfahrungen der beiden Forschungssubjekte nicht eingehend zu ergründen und zu analysieren. Umso erstaunlicher ist es, dass sie sich am Ende ihrer Studie unnötigerweise dazu verleiten lässt, pädagogische Implikationen zu formulieren. Sie erliegt damit der weit verbreiteten Fehlannahme, dass Studien im Bereich Fremdsprachen lehren und lernen zwingend Aussagen zu unterrichtlichen Prozessen treffen müssten. Weitere kleine Schwachstellen der Studie finden sich unter methodologischem Gesichtspunkt. Die Autorin wählt zwar einen innovativen Forschungsansatz, aber sie nutzt ihre Arbeit nicht dazu, die Vorteile ihrer Herangehensweise ausführlich zu diskutieren und mit anderen Forschungen zu pädagogischen Fallstudien in Beziehung zu setzen. Darüber hinaus ist problematisch, dass die Autorin die Datenanalyse in wenigen Sätzen abhandelt und keinen Zugang zu den Transkripten ermöglicht. Aus methodologischer Perspektive positiv zu werten ist hingegen, dass T AKAHASHI den Aspekt der Reaktivität ihres Vorgehens reflektiert. Über die Gespräche und den Email-Austausch mit ihren beiden Forschungssubjekten nimmt sie unmittelbar Einfluss auf deren Sichtweisen und Haltungen zum Fremdsprachenlernen. Die Autorin stellt diese Problematik ins Zentrum des letzten der 16 Interviews. In Kapitel 10 thematisiert sie diese unhintergehbare Bedingung ihrer Studie zumindest in Ansätzen. Auch aufgrund dieser reflektierten Sicht auf die Möglichkeiten und Beschränkungen des Forschungsdesigns lohnt sich die Lektüre. T AKAHASHI s Ergebnisse lassen sich nicht auf andere Kontexte übertragen. Wie bei allen pädagogischen Fallstudien liegt es bei den Lesenden, die Relevanz für das eigene Arbeitsumfeld zu erkennen. Der Wert der Studie besteht somit darin, dass sie ein lebendiges Bild der vielfältigen Faktoren zeichnet, die sich - für Forschende und Lehrende oft unsichtbar - auf die Motivation von Lernenden auswirken. In diesem Sinne stellt sie fraglos eine Bereicherung der Motivationsforschung dar und es ist ihr zu wünschen, dass sie andere Forschende zur Nachahmung inspiriert. Jena M ICHAEL S CHART Peggy K ATELHÖN , Pavla M AREČKOVÁ (Hrsg.): Sprachmittlung und Mediation im Fremdsprachenunterricht an Schule und Universität. Berlin: Frank & Timme 2022, 252 Seiten [39,80 €] Im vorliegenden Band möchten Peggy K ATELHÖN und Pavla M AREČKOVÁ eine Standortbestimmung „für Mediation und Sprachmittlung im fremdsprachlichen Unterricht [vornehmen], sie nach dem Erscheinen des Begleitbandes zum GeR [des Europarates] terminologisch neu […] bestimmen und einen Ausblick auf mögliche Entwicklungspotenziale [aufzeigen]“ (S. 8). Dazu sollen neben einem kurzen Überblick über das Verständnis von Sprachmittlung bzw. Mediation im 2018 veröffentlichten Begleitband zum Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (BGeR) sowie über die einzelnen Beiträge des Bandes in der Einleitung neun Kapitel beitragen. Brian N ORTH und Enrica P ICCARDO bieten einen detaillierten Einblick in die Ausdifferenzierung von Mediation für den BGeR und die Erprobung der Skalen. Relevantes Entwicklungspotenzial für den deutschen Sprachmittlungskontext bietet insbesondere die Unterstreichung,