Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FLuL-2025-0035
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Gnutzmann Küster SchrammMagaly LAVADENZ, Elvira G. ARMAS: The Observation Protocol for Academic Literacies: A Tool for Building Expertise for Teachers of English Learners. Bristol/Jackson: Multilingual Matters 2024, 208 Seiten [29,95 €]
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Sophie Engelen
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134 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2025-0035 54 • Heft 2 dien mit Kindern bis 10 Jahre unterstreicht. Nichtdestotrotz widmen sich die Autor: innen gezielt der Identifikation und ersten Adressierung von Forschungslücken und liefern Leser: innen dadurch wertvolle Denkanstöße. Wien K ATHARINA G HAMARIAN Magaly L AVADENZ , Elvira G. A RMAS : The Observation Protocol for Academic Literacies: A Tool for Building Expertise for Teachers of English Learners. Bristol/ Jackson: Multilingual Matters 2024, 208 Seiten [29,95 €] Das Observation Protocol for Academic Literacies (OPAL) stellt ein empirisch validiertes Beobachtungsinstrument dar, das im Kontext des angloamerikanischen Bildungssystems entstanden ist und sich primär an Englischlehrkräfte in mehrsprachigen, insbesondere englischspanischsprachigen Settings in Kalifornien richtet. Es wurde in einem Zeitraum von 15 Jahren von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe unter der Leitung von Magaly L AVADENZ und Elvira G. A RMAS am Center for Equity for English Learners der Loyola Marymount University in Los Angeles (USA) entwickelt und in mehreren Zyklen evaluiert. Da bereits die Entstehung des Observation Protocol von wissenschaftlichen Publikationen der Autorinnen begleitet wurde (S. 280), dürfte die nun vorliegende, umfassende Darstellung des Tools in der Fachwelt mit Spannung erwartet worden sein. Das OPAL wurde für die Erfassung und Analyse von Englischunterricht entwickelt, um Lehrende bei der Gestaltung eines inklusiven und barrierearmen Unterrichts zu unterstützen. Indem Unterrichtsprozesse in sprachlich und kulturell diversen Settings einer systematischen Beobachtung zugänglich gemacht werden, soll Lehrpersonen eine Reflexion ihres Handelns im Klassenraum sowie eine evidenzbasierte Unterrichtsentwicklung ermöglicht werden. Explizit lehnen die Autorinnen den Einsatz von OPAL als High-Stakes- Testinstrument zur externen Bewertung bzw. Beurteilung von Lehrpersonen ab (S. 4). Im Gegenteil soll ein kriteriengeleiteter Austausch zu individuellen Unterrichtspraktiken angeregt werden, der eine forschende Haltung der Lehrenden befördert und kollegiale Coachingprozesse initiieren kann. Übergeordnet ist das ambitionierte Ziel, Englischunterricht für alle Lernenden sprachlich und inhaltlich zugänglich zu machen und die Entwicklung von „academic literacies“ (S. 8), also bildungssprachlichen Kompetenzen, zu ermöglichen, die als wesentliche Determinante von Schulerfolg gelten. So soll ein Beitrag zum Abbau von Bildungsungerechtigkeiten geleistet werden - darauf weist auch die institutionelle Verortung der OPAL-Arbeitsgruppe hin. Das OPAL umfasst 18 Items, die in Form indikatorhafter Kurzbeschreibungen angelegt sind und von den Beobachter: innen auf einer sechsstufigen Likert-Skala von „novice“ bis „expert“ hinsichtlich ihrer Umsetzung im Englischunterricht eingeschätzt werden sollen (S. 26-28). Im Anhang steht eine Übersicht zur Verfügung, die die verschiedenen Stufen anhand von Deskriptoren illustriert (Appendix C). Die Items bilden mehr oder weniger konkrete Handlungen von Lehrpersonen in allen Bereichen der Unterrichtspraxis ab und beziehen sowohl Aspekte der Unterrichtsplanung und Materialauswahl als auch inhaltliche Schwerpunktsetzungen, die Gestaltung von Interaktionen mit Lernenden und die Formulierung von Feedback ein. Positiv hervorzuheben ist, dass auf diese Weise eine umfassende Beobachtung von (Englisch-) Unterricht angeregt wird und keine Verengung auf einen bestimmten Aspekt der Unterrichtsgestaltung durch das Beobachtungsinstrument selbst erfolgt. Herausfordernd erscheint demgegenüber, mit der Vielzahl paralleler Beobachtungsaufträge im Klassenraum umzugehen, was von den Beobachter: innen eine detaillierte Kenntnis bzw. einen routinierten Umgang mit den Indikatoren sowie eine hohe Konzentration in der jeweiligen Unterrichtssituation erfordert. Fer- Besprechungen 135 54 • Heft 2 DOI 10.24053/ FLuL-2025-0035 ner variiert der Konkretisierungsgrad der Itemformulierungen deutlich: Während beispielsweise der Indikator 3.3 „Explains key terms, clarifies idiomatic expressions, uses gestures and/ or visuals to illustrate concepts“ (S. 166) ganz konkrete Handlungen von Lehrenden, also unmittelbar manifeste Variablen der Unterrichtsbeobachtung beschreibt, legen andere Items die Operationalisierung latenter Merkmale in die Hand der beobachtenden Person, was gewisse Interpretationsspielräume eröffnet (z.B. 1.4 „Establishes high expectations for learning that build on students‘ understanding of instructional themes or topics“, S. 165). Neben dem Rating der Indikatoren auf der Likert-Skala bietet der Beobachtungsbogen ebenfalls Raum für die Beschreibung exemplarischer Unterrichtssituationen (evidence) sowie den Vermerk weiterführender Schritte (next steps). Die Items sind den vier Kategorien „Rigorous and Relevant Curriculum“, „Connections“, „Comprehensibility“ und „Interactions“ zugeordnet (im Überblick: S. 28f.), die auf Basis verschiedener Theorien der Soziolinguistik bzw. der Spracherwerbsforschung entwickelt und in den ersten beiden Kapiteln ausführlich dargestellt werden. Zentral für die weitere Lektüre des Werkes erscheint, dass die Autor: innen Englischlernen als sozialen Prozess verstehen und davon ausgehen, dass sich Merkmale mehrsprachiger Gesellschaften im Klassenraum wiederfinden und dort reflektiert bzw. für den Kompetenzaufbau nutzbar gemacht werden sollten (z.B. eine mögliche Zurückdrängung des Spanischen beim Englischlernen oder Ansätze sprachvernetzenden Lernens). Die vier Kategorien strukturieren nicht nur das Beobachtungsinstrument, sondern auch den vorliegenden Band selbst; dort werden sie nicht analog zu ihrer Abbildung im Beobachtungsbogen vorgestellt, sondern nach inhaltlicher Relevanz (S. 37) sortiert, was für Leser: innen überraschend sein mag. Die erste Kategorie „Comprehensibility“ (S. 38-59) umfasst fünf Indikatoren, die verschiedene Aspekte sprachlicher Verständlichkeit adressieren, um Zugänge zu Unterrichtsinhalten für alle Lernenden zu ermöglichen. Dazu zählen beispielsweise Scaffolding-Techniken wie die Visualisierung von Lerninhalten oder die Paraphrasierung idiomatischer Wendungen. Die zweite Kategorie „Interactions“ (S. 60-79) rückt den Fokus auf sinnstiftende Interaktionen zwischen Akteur: innen im Klassenraum. Die vier Indikatoren zielen beispielsweise auf ein aktives Zuhören und die Formulierung klärender Fragen durch die Lehrperson oder die Umsetzung verschiedener Sozialformen, die Lernenden eine Partizipation am Unterricht ermöglichen. In der dritten Kategorie „Rigorous and Relevant Curriculum“ (S. 80-109) werden verschiedene komplexe Aspekte zusammengeführt: Lernende sollen die Möglichkeit haben, aktiv und kritisch an der Lösung relevanter Fragestellungen mit Lebensweltbezug zu arbeiten und dabei auf Kenntnisse ihrer Erstsprache(n) zurückzugreifen. Zudem soll ein aktiver Transfer zwischen Sprachen angeregt, sprachliches mit inhaltlichem Lernen verknüpft und explizit bildungssprachliche Kompetenzen entwickelt werden, die auch für den deutschen Diskurs um eine durchgängige Sprachbildung konstitutiv sind. Die Aufführung weiterer Aspekte wie z.B. die Bereitstellung von Unterrichtsmaterialien machen die dritte Dimension zu einer facettenreichen und relevanten, aber zugleich nur teilweise kohärenten Sammlung an Indikatoren zur Unterrichtsbeobachtung. Die vierte Kategorie „Connections“ (S. 110-124) rückt den Fokus auf die lebensweltlichen und schulischen Vorerfahrungen, die Lernende mit in den Englischunterricht bringen, und regt an, diese systematisch in die Unterrichtsgestaltung einzubeziehen. An dieser Stelle verwundert, dass die hier beschriebenen „connections to self“ (S. 113) von den sprachlichen Transferleistungen bzw. den sprachvernetzenden Ansätzen der dritten Kategorie separiert werden - gerade da in den einleitenden Kapiteln der Zusammenhang von Sprache und Identität explizit thematisiert wird (S. 14). Die vier Dimensionen des OPAL werden anhand realer Unterrichtbeobachtungen expliziert, indem schriftliche Vignetten und kurze Momentaufnahmen (snapshots) präsentiert werden, die Teil des Videokorpus sind, das zur Validierung der Studie eingesetzt wurde. Ausgehend von 136 Besprechungen DOI 10.24053/ FLuL-2025-0036 54 • Heft 2 den Vignetten werden die Leser: innen angeregt, eine ethnographische Haltung einzunehmen und zu beschreiben, wie Lehr-Lernprozesse in der jeweiligen Unterrichtssequenz ablaufen: „Additionally, we engage in conversation with participants to encourage documentation of judgement-neutral statements (anecdotal notes) about ‘seeing/ reading what is there’ in the vignettes (evidence), rather than expressing their opinions about what should be there or about what is missing in their lesson“ (S. 19). Diese offenen Notizen werden innerhalb des Beobachtungsbogens durch das beschriebene Rating-Verfahren anhand der Likert-Skala ergänzt. Die Illustration der Beobachtungsdimensionen anhand konkreter Unterrichtssituationen veranschaulicht die theoriebasiert entwickelten Indikatoren in angemessener Weise und liefert den Leser: innen viele Denkanstöße unabhängig von ihren eigenen Lehrerfahrungen. Der Vorschlag von „Focus Questions“ sowie „Eliciting Prior Knowledge Activities“ (z.B. S. 38-40) zu Beginn der jeweiligen Kapitel moderiert eine individuelle Auseinandersetzung mit den präsentierten Inhalten explizit an und eröffnet Einsatzmöglichkeiten des Werkes in allen Phasen der Lehrkräftebildung. Mit der nun erschienenen umfassenden Darstellung des OPAL als Beobachtungsinstrument für Unterrichtsprozesse in mehrsprachigen Klassen liegt ein inspirierender Beitrag vor, der nicht nur für die ursprünglich intendierte Zielgruppe, sondern für die Fremdsprachendidaktik insgesamt relevant ist. Eine Stärke der Publikation liegt darin, allgemeinpädagogische Prinzipien von Unterrichtsqualität mit den spezifischen Herausforderungen mehrsprachiger Lerngruppen zu verbinden und auf einer so konkreten Ebene abzubilden, dass alltägliche Unterrichtssituationen anhand der Indikatoren kriteriengeleitet diskutiert werden können. Eine besondere Herausforderung liegt für Leser: innen darin, einen routinierten Umgang mit der Vielzahl der teilweise voraussetzungsreichen Indikatoren des Beobachtungsbogens zu erlangen - auch wenn diese sehr anschaulich anhand von Vignetten vorgestellt werden. Die teilstrukturierte Anlage des Tools, das offene ethnographische Beobachtungen und ein geschlossenes Ratingverfahren kombiniert, ermöglicht eine sinnvolle Triangulation verschiedener Beobachtungsfoki. In der weitperspektivischen Anlage des Tools, das in verschiedenen Jahrgangsstufen und Schulformen Anwendung finden und somit auf vielfältige Unterrichtskontexte übertragen werden kann, liegt ein großes Potential des OPAL. Dies wird nicht nur die Reichweite seiner Rezeption in der Fachwelt, sondern auch seine tatsächliche Anwendung im Fremdsprachenunterricht erhöhen. Gießen S OPHIE E NGELEN Beatrice VON G AYL : Kognitive Aktivierung im projektorientierten Französischunterricht. Lausanne [u.a.]: Lang 2023, 355 Seiten [69,95€] Unterrichtsqualität ist ein wiederkehrendes Thema in empirischer Bildungsforschung. Die rezensierte Dissertationsschrift fokussiert einen Teilaspekt dessen, was qualitativen Unterricht ausmachen soll: die kognitive Aktivierung. V ON G AYL widmet sich diesem Konzept, das sie im Rahmen eines projektorientierten Französischunterrichts empirisch erforscht. Im Einleitungskapitel formuliert die Verfasserin ihre Zielsetzung. Es geht um die „generelle[n] Verbesserung der fachspezifischen Unterrichtsqualität“ (S. 18) im Französischunterricht unter den besonderen Bedingungen des projektorientierten Arbeitens, dessen „kognitive[r] Aktivierungsgehalt […] qualitativ untersucht“ (S. 18) werden soll. Kapitel 2 widmet sich dem „Konstrukt der kognitiven Aktivierung“ (S. 21), das die Verfasserin im Sinne L IPOWSKIS als Aufforderung zur Reflexion über den Lerngegenstand wie auch die Auseinandersetzung mit
