eJournals Forum Modernes Theater 33/1-2

Forum Modernes Theater
fmth
0930-5874
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FMTh-2022-0010
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2022
331-2 Balme

Leistungskörper/Körperleistung? - Die Aufnahmeprüfung an Schauspiel(hoch)schulen aus ethnographischer Perspektive

61
2022
Hanna Voss
Ausgehend von einer Untersuchung der formalen Zugangsvoraussetzungen und Prüfungsmodalitäten der staatlichen Schauspiel(hoch)schulen des deutschsprachigen Raumes sucht der Beitrag anhand eines Vergleichs zweier Aufnahmeverfahren (Hannover, München/Otto Falckenberg) jene Faktoren zu ergründen, die kategoriale, unmittelbar am Körper ansetzende Zuschreibungen in Bezug auf angehende Schauspielende im Rahmen der Aufnahmeprüfung wahrscheinlich machen oder gar als ‚normal‘ bzw. legitim erscheinen lassen. Denn sollte – im Sinne einer methodischen Befremdung des eigenen Gegenstandes – auch in diesem organisationalen Feld der Produktion und Rezeption von Kunst und Künstler/innen nicht allein die Leistung zählen? Vor dem Hintergrund manifester diskursiver Veränderungen im letzten Jahrzehnt, die sich auch in dieser ‚Momentaufnahme‘ aus dem Jahr 2013 bzw. Winter 2016/ 2017 widerspiegeln, liegt der Fokus der Analyse auf Humandifferenzierungen nach Ethnizität bzw. (stärker naturalisierend) ‚Rasse‘. Der ethno- bzw. videographische Ansatz lässt ‚sichtig‘ werden, dass die von den Schulen verwandten Verfahren zur Selektion der sich Bewerbenden potenziell in unterschiedlichem Maße zur Aufrechterhaltung bzw. Veränderung sozialer und ästhetischer Ordnung(en) beitragen.
fmth331-20120
Leistungskörper/ Körperleistung? - Die Aufnahmeprüfung an Schauspiel(hoch)schulen aus ethnographischer Perspektive Hanna Voss (Mainz) Ausgehend von einer Untersuchung der formalen Zugangsvoraussetzungen und Prüfungsmodalitäten der staatlichen Schauspiel(hoch)schulen des deutschsprachigen Raumes sucht der Beitrag anhand eines Vergleichs zweier Aufnahmeverfahren (Hannover, München/ Otto Falckenberg) jene Faktoren zu ergründen, die kategoriale, unmittelbar am Körper ansetzende Zuschreibungen in Bezug auf angehende Schauspielende im Rahmen der Aufnahmeprüfung wahrscheinlich machen oder gar als ‚ normal ‘ bzw. legitim erscheinen lassen. Denn sollte - im Sinne einer methodischen Befremdung des eigenen Gegenstandes - auch in diesem organisationalen Feld der Produktion und Rezeption von Kunst und Künstler/ innen nicht allein die Leistung zählen? Vor dem Hintergrund manifester diskursiver Veränderungen im letzten Jahrzehnt, die sich auch in dieser ‚ Momentaufnahme ‘ aus dem Jahr 2013 bzw. Winter 2016/ 2017 widerspiegeln, liegt der Fokus der Analyse auf Humandifferenzierungen nach Ethnizität bzw. (stärker naturalisierend) ‚ Rasse ‘ . Der ethnobzw. videographische Ansatz lässt ‚ sichtig ‘ werden, dass die von den Schulen verwandten Verfahren zur Selektion der sich Bewerbenden potenziell in unterschiedlichem Maße zur Aufrechterhaltung bzw. Veränderung sozialer und ästhetischer Ordnung(en) beitragen. „ Sie müssen nicht Angst haben, dass Sie irgendetwas können müssen oder nicht können müssen, sonst müssten Sie ja nicht noch zu uns kommen, wenn Sie schon was können könnten. “ 1 - Mit diesen mir nachhaltig in Erinnerung gebliebenen, da irritierenden Worten begrüßte der Schulleiter der Otto Falckenberg Schule die sich Bewerbenden in dem von mir im Winter 2016/ 2017 teilnehmend beobachteten Aufnahmeverfahren. Denn ‚ was ‘ wird hier dann eigentlich genau ‚ geprüft ‘ ? Was bedeutet das für die Objektivierbarkeit der seitens der Dozierenden, die hier als Gatekeeper fungieren, vorzunehmenden Beurteilung? Und inwiefern kann eine Beurteilung unter diesen Umständen „ ohne Ansehen der Person “ erfolgen? 2 Die insgesamt 21 staatlichen Schauspiel- (hoch)schulen des deutschsprachigen Raumes sind dabei als Teil eines größeren Ganzen zu sehen, zu dem auch die (staatlichen) Künstlervermittlungen, die (öffentlichen) Theaterhäuser, professionelle wie nicht-professionelle Zuschauende sowie die entsprechenden Berufs- und Fachverbände (Deutscher Bühnenverein, DBV; Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger, GDBA; Ständige Konferenz Schauspielausbildung, SKS) gehören. Aus der Perspektive des soziologischen Neo-Institutionalismus betrachtet, lässt sich dieser durch Multilokalität und ein professionelles ‚ Nomadentum ‘ gekennzeichnete Praxiskomplex des deutschen Sprechtheaters als ein organisationales Feld (organizational field) beschreiben, das sich seit den 1920er und 1930er Jahren zunehmend, wenn auch nicht kontinuierlich strukturiert hat und infolgedessen durch eine gemeinsame institutionelle Umwelt (institutional environment) geprägt ist. 3 Die Aufnahmeprüfung an den staatlichen Schauspiel(hoch)schulen stellt in diesem Feld nun bekanntlich die Forum Modernes Theater, 33/ 1-2, 120 - 134. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.24053/ FMTh-2022-0010 mithin wichtigste, da fundamentale organisationale Schwelle dar, das sprichwörtliche ‚ Nadelöhr ‘ für die Produktion und Rezeption von Kunst und Künstler/ innen bzw. genauer: von professionellen Schauspielenden. Denn als solche bedingt sie in nicht unerheblichem Maße, welche Körper, Subjekte und ‚ Spielertypen ‘ auf den deutschsprachigen Bühnen überhaupt in Erscheinung treten. 4 Dabei interessiert mich insbesondere, welcher Stellenwert Humandifferenzierungen nach Ethnizität bzw. (stärker naturalisierend) ‚ Rasse ‘ , aber auch anderen körperbasierten Humandifferenzierungen wie Geschlecht, Alter oder (körperlicher) ‚ Behinderung ‘ in diesen Verfahren zukommt - Themen also, die in den letzten Jahren auch von den Teilnehmenden des Feldes selbst vermehrt kritisch diskutiert werden (stereotype Erwartungen, strukturelle Ausschlüsse etc.). 5 Konkret stellen sich vor diesem Hintergrund u. a. die folgenden Fragen: Inwiefern beeinflussen diskursive, strukturelle und schauspieltheoretische Vorgaben bzw. Erwartungen die Vorsprech- und Bewertungssituation? Welche Inszenierungsstrategien und Darstellungstechniken kommen dabei von Seiten der Vorsprechenden zum Einsatz, welche - um es semiotisch zu formulieren - „ Körpertexte “ (Rolle - Physis - Norm) werden hier also in Szene gesetzt? 6 Und mithilfe welcher Kulturtechniken, medialen Hilfsmittel und anhand welcher Kriterien treffen die Prüfenden ihre Entscheidungen? Auf Basis einer knappen Analyse der weitgehend isomorphen Prüfungsmodalitäten und formalen Zugangsvoraussetzungen möchte ich diesen wie angrenzenden Fragen anhand eines Vergleichs zweier Aufnahmeverfahren ein Stück weit nachgehen und zwar aus ethnographischer Perspektive: einerseits filmisch vermittelt (Dokumentarfilm Die Prüfung, Hannover; Regie: Till Harms, 2016) und andererseits vor Ort teilnehmend beobachtet (Otto Falckenberg Schule, München), wobei der Schwerpunkt auf letzterem liegt. Dem übergeordnet ist die eingangs anhand der Begrüßungsworte des Schulleiters aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis von Leistung und Körper bzw. Körper und Leistung. ‚ Ethnographie ‘ : Versuch einer methodischen Befremdung des eigenen Gegenstandes Leitend für meine Forschung ist ein Verständnis von Ethnographie im Sinne eines Erkenntnisstils des „ Entdeckens “ , wie es Klaus Amann und Stefan Hirschauer in ihrem programmatischen Text „ Die Befremdung der eigenen Kultur “ von einer soziologischen Warte aus formuliert haben. So gehe es in der Soziologie als ‚ indigener ‘ Ethnographie, wie sie u. a. in Abgrenzung von den Anfängen dieses Erkenntnisstils in der ethnologischen Erfahrung „ kultureller Fremdheit “ betonen, nicht darum, sich „ vornehmlich an neuartigen Phänomenen zu orientieren “ , sondern entgegen „ einer falschen Vertraulichkeit mit der eigenen Kultur “ auch „ gewöhnliche Ereignisse und Felder zu soziologischen Phänomenen zu machen “ und einen neuen, fragenden Blick auf sie zu entwickeln: „ Das weitgehend Vertraute wird dann betrachtet als sei es fremd, es wird nicht nachvollziehend verstanden, sondern methodisch ‚ befremdet ‘ : es wird auf Distanz zum Beobachter gebracht “ . 7 Als künstlerisches Mittel ist ein solches Prinzip der Bebzw. Verfremdung in der Theaterwissenschaft natürlich bestens bekannt, nämlich in Form des V-Effekts der Brecht ‘ schen Konzeption eines Epischen Theaters. Doch wie - so fragt man sich - lässt sich diese aus der „ Adaption der ethnologischen Leitdifferenz von Fremdheit und Vertrautheit “ resultierende „ Heuristik der Entdeckung des Unbekannten “ forschungspraktisch bewerkstelligen? 8 121 Die Aufnahmeprüfung an Schauspiel(hoch)schulen aus ethnographischer Perspektive Konkret erläutern Amann und Hirschauer als mögliche Verfremdungsmittel, die das „ Erfahrung-Machen methodisieren “ sollen, eine fachliche „ Spezialisierung auf Beobachtungskompetenzen “ , die „ Etablierung einer für das Feld akzeptablen Beobachterrolle “ und die „ rhythmische Unterbrechung der Präsenz im Forschungsfeld durch Phasen des Rückzugs zum universitären Arbeitsplatz und Kollegenkreis “ . 9 Ein besonderes Augenmerk sei an dieser Stelle auf letzteres gerichtet - auf das das going native erst komplementierende coming home - , da es hierbei nicht nur um einen Kollektivierungs- und somit Übersetzungs- und Vermittlungsprozess der individuellen Erfahrung geht, sondern auch um die Herstellung einer befremdenden „ Optik “ mit den begrifflichen Mitteln des (jeweiligen) disziplinären Diskurses. 10 Als „ fallübergreifende Möglichkeiten spezifisch ethnographischer Begriffsbildung “ führen Amann und Hirschauer die Praktik „ systematischer Kontrastierungen “ sowie „ Registerwechsel, mit denen ein Feld sich in Termini eines anderen beschreiben läßt “ , an. 11 Im Sinne eines solchen „ Registerwechsels “ soll im vorliegenden Fall nun die derzeit auch im Feld populäre Rahmenverschiebung von der ‚ Kunst ‘ zur ‚ Erwerbsarbeit ‘ - in seinem Reformpapier von Mai 2016 z. B. fordert das „ ensemble-netzwerk “ für den Schauspielberuf ausübende Personen „ ganz normale Arbeitsbedingungen, wie sie für alle Menschen gelten sollten “ - dabei helfen, den eigenen wie disziplinären Blick methodisch zu befremden und so zu ‚ schärfen ‘ : Was ‚ passiert ‘ also, wenn man Schauspielende als ‚ Arbeitnehmende ‘ betrachtet und dementsprechend einen strikt meritokratischen, d. h. allein auf Leistung abzielenden Bewertungsmaßstab anlegt? 12 Anstatt also von vornherein davon auszugehen, dass der Körper bzw. das Äußere von Schauspielenden im Theater ‚ natürlich ‘ eine Rolle spielt bzw. ‚ natürlich ‘ eine Bedeutung hat, suche ich mithilfe dieser Heuristik jene Faktoren besser in den Blick zu bekommen, die in dem von mir untersuchten organisationalen Feld zur Aufrechterhaltung der sozialen und ästhetischen Ordnung(en) bzw. semiotischen Norm beitragen oder diese unterlaufen, stören und gegebenenfalls zu verändern mögen - sprich: die ‚ Spielräume ‘ für Kunst und Künstler/ innen begrenzen, verschieben und/ oder erweitern. Einem ähnlichen forschungsstrategischen Kalkül folgt auch meine Wahl des den differenzierungstheoretischen Ansatz (Humandifferenzierungen) ergänzenden theoretischen ‚ Instrumentariums ‘ : Im Gegensatz zu vermeintlich naheliegenden, da u. a. auf macht- oder identitätspolitische Fragestellungen abhebenden Ansätzen, wie z. B. Michel Foucaults Diskurs- und Dispositivtheorie oder Pierre Bourdieus Theorie sozialer Felder, gehen Paul DiMaggio und Walter Powell im Anschluss an Max Weber aus kulturwie organisationssoziologischer Perspektive davon aus, dass die Entstehung einer gemeinsamen institutionellen Umwelt langfristig zu einer Angleichung bzw. Homogenisierung (isomorphism) der beteiligten Organisationen (Strukturen, Praktiken etc.) gemäß geltender Legitimitätsprinzipien führt. Doch nicht nur Organisationen, sondern auch die Angehörigen der für ein Feld maßgeblichen Professionen bzw. Berufe - hier: die als Gatekeeper im Bereich Ausbildung, Dramaturgie, Regie und Intendanz arbeitenden Personen - unterlägen selbst isomorphen Angleichungsbzw. Homogenisierungsprozessen: „ a pool of almost interchangeable individuals who occupy similar positions across a range of organizations and possess a similarity of orientation and disposition “ . 13 122 Hanna Voss Institutionelle Isomorphie: Prüfungsmodalitäten und Zugangsvoraussetzungen Blickt man vor diesem Hintergrund auf die Prüfungsmodalitäten und Zugangsvoraussetzungen der 21 staatlichen Schauspiel- (hoch)schulen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, so lassen sich grundsätzlich zahlreiche isomorphe Strukturen ausmachen. 14 So erfolgt die Studienplatzvergabe prinzipiell über eine dreistufige Aufnahmebzw. Eignungsprüfung mit sehr ähnlichen Anforderungen: i. d. R. sind drei Monologe bzw. Rollenausschnitte vorzubereiten, teilweise spezifiziert in klassische, moderne und zeitgenössische Theatertexte, sowie meist noch ein Lied, ein Gedicht und/ oder eine selbst entwickelte Szene. An diesen „ Rollen “ bzw. Szenen wird in der Prüfung dann auch gemeinsam „ gearbeitet “ , wie es in den Beschreibungen wiederholt heißt, und ab der dritten ‚ Runde ‘ - so der im Feld hierfür durchweg verwandte Begriff - sind meist ergänzende (Gruppen-)Aufgaben zu Improvisation, Ensemblespiel, Körper, Bewegung, Stimme und Gesang zu absolvieren. Unterstützt werden die sich Bewerbenden dabei einerseits durch eine ganze ‚ Batterie ‘ an Vorsprechbüchern und Ratgebern. Andererseits sprechen die Schauspiel(hoch)schulen teilweise auch selbst Empfehlungen aus, etwa bezüglich der Rollenauswahl und der adäquaten Bekleidung bzw. Kostümierung, wobei sie vereinzelt auch explizit auf körperbasierte Humandifferenzierungen abheben. Etwa heißt es hier: „ Grundsätzlich solltest Du darauf achten, dass die Rollen vom Alter, vom Geschlecht und von der Körperlichkeit zu Dir passen “ (Alanus Hochschule) bzw. noch eindeutiger: „ Wenn vom Stück nicht anders verlangt, sollten Frauen Frauenrollen und Männer Männerrollen spielen “ (Potsdam) und: „ Den vorsprechenden Frauen wird empfohlen, eine Figur in dezidiert ‚ weiblicher Kleidung ‘ zu spielen (Rock, wenn das kein Hindernis für das Spiel bedeutet auch hohe Schuhe) “ (Frankfurt). Ins Auge fällt dabei insbesondere die in den voranstehenden Auszügen bereits anklingende Idee einer ‚ Typenpassung ‘ : Grundsätzlich ist es ratsam, über ein weites Spektrum an Figuren eine möglichst große Bandbreite der eigenen Möglichkeiten zu präsentieren. Der einfachste Weg zu diesem Ziel besteht darin, mit einer Figur zu beginnen, die dem eigenen ‚ Typ ‘ entspricht, d. h. eine Figur, für die man nach Äußerlichkeit besetzt werden könnte. Dann sollte man sich auch an eine Figur wagen, für die man (vielleicht) nie im Leben besetzt würde. (Frankfurt) Weniger äußerlich denn vielmehr erlebnisbzw. erfahrungsbedingt wird die Ähnlichkeit zwischen Rolle(n) und Person hingegen bei anderen Schulen gedacht, wie die Empfehlung der Otto Falckenberg exemplarisch zeigt: „ [ … ] machen Sie sich Gedanken über die Figur und die Situation, die Sie spielen. Überlegen Sie sich, was diese Figur mit Ihrer eigenen Lebenswirklichkeit zu tun hat. “ Hinsichtlich der ebenfalls isomorphen Zugangsvoraussetzungen ist zuallererst das Alter bei Studienbeginn zu nennen, das überwiegend zwischen 17 und 25 Jahren liegen soll (in Hannover 26, an der Falckenberg 17 bis 24), wobei die obere Grenze in zwei Fällen noch einmal geschlechtlich differenziert ist und zwar mit 23 Jahren für Frauen und 24 oder 25 Jahren für Männer; in zwei Drittel der Fälle gibt es - anders als noch Mitte der 1980er Jahre - jedoch keinerlei Altersbeschränkungen. 15 Bezüglich der (formalen) Bildungsvoraussetzungen wird von knapp der Hälfte der Schulen auf die allgemeine Hochschulreife (Abitur) verwiesen, jedoch stets in Kombination mit dem feldintern einst als ‚ Genie-Paragraph ‘ bezeichneten Vermerk: „ Ausnahmen möglich bei besonderer künst- 123 Die Aufnahmeprüfung an Schauspiel(hoch)schulen aus ethnographischer Perspektive lerischer Begabung “ o. ä. Die anderen Schulen fordern hingegen von vornherein keinen oder einen niedrigeren Bildungsabschluss. Die erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache werden für Personen, die über keine muttersprachlichen Kenntnisse verfügen, entweder durch Sprachzertifikate (etwa von B1 bis C2 des Goethe-Instituts reichend) oder Formulierungen wie „ ausreichende Beherrschung der deutschen Sprache “ geregelt - nur in einer Schule heißt es diesbezüglich unmissverständlich: „ Muttersprache deutsch “ (Rostock). Zudem müssen die sich Bewerbenden bei rund der Hälfte der Schulen (so auch in Hannover und an der Falckenberg) ein Allgemein-Ärztliches Attest, das einen „ unbedenklichen Gesundheitszustand “ nachweist, und/ oder ein HNO-Attest bzw. ein phoniatrisches Gutachten vorlegen. Bemerkenswert ist, dass im Erhebungsjahr 2016 allein eine Schule in diesem medizinischen Kontext implizit daraufhin hingewiesen hat, dass eine Bewerbung auch bei einer (nicht näher spezifizierten) ‚ Behinderung ‘ möglich sei, wobei diese Information erst während meiner Recherche auf der Homepage ergänzt wurde: „ Bei anerkannter Schwerbehinderung bitte eine ausgewiesene ärztliche Attestierung beilegen. Zusätzlich bitte vor der Anmeldung einen Termin zu einem Informationsgespräch ausmachen. “ (August Everding) Fasst man die voranstehenden Befunde zu den teils über Jahrzehnte tradierten formalen Zugangsvoraussetzungen und daraus seitens von am Schauspielberuf Interessierten potenziell abgeleiteten Erwartungen zusammen, ist es daher nicht gänzlich überraschend, dass das letztliche Bewerberfeld bezüglich des Alters, (mutter)sprachlicher Kenntnisse und medizinisch gerahmter Aspekte - so auch meine Beobachtung in München - bereits eine relativ homogene ‚ Kohorte ‘ darstellt bzw. zumindest als solche erscheint. Die eigentliche Leistungsbeurteilung, die im Rahmen der Aufnahmeprüfung erfolgt, wird in diesem organisationalen Feld somit bereits im Vorhinein durch eine aus meritokratischer Sicht in Teilen fragwürdige Relevanz von anderen, körperbasierten Humandifferenzierungen konturiert. Warum aber die Studierendenjahrgänge auch bezüglich des Geschlechterverhältnisses und geringen Anteils von Studierenden mit einem - wie es in der Sprache des Feldes heißt - ‚ sichtbaren Migrationshintergrund ‘ in sich wie über die Jahre hinweg derart homogen sind bzw. waren, wie es sich anhand der von mir im Rahmen der „ Zentralen Vorsprechen “ teilnehmend beobachteten Absolventenjahrgänge 2016/ 2017, 2017/ 2018 und 2018/ 2019 exemplarisch zeigen ließe, kann man auf diese Weise nur bedingt bzw. nicht erklären. 16 Offenbar, so lässt sich hieraus schlussfolgern, müssen im Rahmen der Aufnahmeprüfung andere und/ oder weitere, weniger offensichtliche Faktoren und Mechanismen mit am ‚ Werk ‘ sein, die kategoriale, unmittelbar am Körper ansetzende Zuschreibungen wahrscheinlich machen oder gar als ‚ normal ‘ bzw. legitim erscheinen lassen. Die angeführten Prüfungsmodalitäten und Empfehlungen geben diesbezüglich bereits erste Hinweise. Vorausgeschickt sei, dass fast ausnahmslos alle Gatekeeper, denen ich im Rahmen meiner Feldforschung begegnet bin, auch körperlich in zumindest einer Hinsicht homogen, da als weiß kategorisierbar waren, was auch für die prüfenden Personen der beiden Fallbeispiele gilt. Fallbeispiel 1: Dokumentarfilm Die Prüfung (Hannover) von Till Harms Der Film Die Prüfung, den ich im Folgenden nicht als ästhetisiertes Medienprodukt betrachten, sondern als ethnographische Ressource nutzen und dementsprechend videointeraktionsanalytisch untersuchen möchte, dokumentiert die im Februar 2013 über einen Zeitraum von zehn Tagen erfolgte 124 Hanna Voss Aufnahmeprüfung im Studienbereich „ Schauspiel “ an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. 17 Den knapp 700 sich Bewerbenden, die um die jährlich angebotenen zehn Studienplätze konkurrierten, standen dabei zehn bzw. zwölf Prüfende gegenüber, die überwiegend dem festen Kollegium angehörten. Bereits im Zuge der Begrüßung zur ersten ‚ Runde ‘ betont einer von ihnen ein Aufnahmekriterium ( „ arbeiten “ ), das in den nachfolgend dokumentierten Diskussionen immer wieder prominent auftaucht: Stefan W.: Dann (.) begrüß ‘ ich Sie ganz herzlich zum Aufnahmetest (.) im schönen Hannover. Wir prüfen hier (.) mit großer Sorgfalt, das heißt, keiner von uns guckt irgendwie zynisch oder blöd auf euch. Wir prüfen rein und nicht raus. Also wir suchen auch wie die Trüffelschweine (.) nach den Menschen unter euch, mit denen wir glauben, arbeiten zu wollen und zu können. 18 Auf dem „ Protokollblatt zum Feststellungsverfahren im Studiengang Schauspiel “ , das den sich Bewerbenden zum Zeitpunkt der Filmaufnahmen (noch) ausgehändigt wurde, findet sich zudem ein konkreter (2017 jedoch einer Überprüfung unterzogener) Kriterienkatalog. Hierüber sollen im Falle einer Ablehnung die fehlenden Voraussetzungen dokumentiert werden, zutreffende Mängel sind dabei anzukreuzen: „ Körperliche Voraussetzungen “ , „ Spontanität/ Impulse “ , „ Phantasie/ Erfindungsgabe “ , „ Stimmlich-/ sprachliche Voraussetzungen “ , „ situatives Vorstellungsvermögen “ , „ Durchlässigkeit/ Prozesse “ , „ Berührbarkeit/ Empfindungsstärke/ Emotionalität “ , „ Klare Haltungen/ Entschiedenheit “ , „ Interesse für Figur “ , „ Textbehandlung und -verständnis “ , „ Sinn für Widersprüche “ , „ Partnerspiel “ und „ Eingehen auf Arbeitsangebote “ . 19 Und diese Kriterien, die sich so oder so ähnlich auf der Internetpräsenz anderer Schulen wiederfinden, werden von den Prüfenden in der Diskussion einzelner Kandidat/ innen in Teilen auch verwendet sowie für die Kamera explizit erklärt, wobei prinzipiell zwischen in situ und nachträglich geführten Interviews zu unterscheiden ist. Dabei fällt auf, dass die Prüfenden teilweise sehr unterschiedliche Vorstellungen von ein und demselben Kriterium haben, z. B. was „ Durchlässigkeit “ bedeutet. Dieser ein Stück weit wohl unvermeidlichen Subjektivität der individuellen Urteilskraft wird in Hannover jedoch mit dem Versuch begegnet, eine Objektivierung der Beurteilung mittels aufwändiger Verfahren herzustellen. So erläutert einer der Prüfenden die angewandten (Ethno-)Methoden gegenüber der Kamera u. a. wie folgt: „ Wir versuchen so zu prüfen, dass die Prüflinge immer zu anderen Kollegen kommen in der nächsten Runde, damit wir immer ein möglichst brei: tes Meinungsbild haben und [ … ] dadurch (-) ein größtmöglicher Konsens entsteht [ … ]. “ Ein zentrales und den Beurteilungsprozess dynamisierendes Mittel ist dabei der Vergleich - mit anderen bzw. genauer: mit den anderen gleichgeschlechtlichen Bewerber/ innen. So sind die Studienplätze in Hannover immer paritätisch mit Männern und Frauen zu besetzen, was u. a. dazu führt, dass die männlichen und die weiblichen Vorsprechenden in der Abschlussdiskussion, in der sowohl über die zehn Studienplätze als auch über die vier sog. „ Nachrücker “ -Plätze entschieden wird, strikt getrennt voneinander diskutiert und somit quasi ‚ außer Konkurrenz ‘ gesetzt werden ( „ Fränner und Mauen getrennt - ((lachend)) geht ja gut los “ , „ Jeder hat fünf Männer, fünf Frauen? “ ). Und diese Ordnung wird durch die binäre Einfärbung der an die Wand projizierten Punkte- und Rangfolge-Tabelle in ein helles Rot (für weiblich) und Blau (für männlich) auch materiellsymbolisch bekräftigt bzw. gesichert. Während die Geschlechterdifferenz in der Abschlussdiskussion also eine basale Unterscheidung darstellt, lässt sich eine 125 Die Aufnahmeprüfung an Schauspiel(hoch)schulen aus ethnographischer Perspektive solche Relevanz für Humandifferenzierungen nach Ethnizität bzw. ‚ Rasse ‘ hier sowie auch an anderer Stelle nicht konstatieren. Dabei wurde über einzelne Vorsprechende teilweise äußerst kontrovers diskutiert. Auffällig und von Interesse sind hieran vor allem die Dynamiken, welche aufgrund des Prinzips einer Studienplatzvergabe gemäß (geschlechtlich segregierter) Rangfolge von den Beteiligten mehr oder weniger bewusst in Gang gesetzt wurden. Denn im Rahmen dieser Aushandlungsprozesse, die nicht unwesentlich durch die unterschiedlichen Autoritäten der beteiligten, einander in Hufeisenform gegenübersitzenden Sprechersubjekte geprägt sind, ereignete sich der einzige (filmisch dokumentierte) Fall einer interaktionalen bzw. sprachlichen Relevantsetzung von Ethnizität. Auch im Sinne eines mikroanalytischen Einblicks in derlei Expertenkommissionen sei diese Szene im Folgenden daher ungekürzt wiedergegeben. Hintergrund ist, dass zu diesem Zeitpunkt nur noch drei Studienplätze für Frauen zu vergeben waren (ja/ nein/ Enthaltung = 100/ 0/ 50 Punkte): Titus: A: lso, wir ha: ben jetzt (.) folgende Reihenfolge: Wir haben Anna-Lena Hitzfeld mit 750 Punkten. Stephan H.: Super. Titus: Und danach haben wir (-) Stephan H.: Rebecca Seidel. Titus: Rebecca Sei: del - wo ist denn die? ((in der auf die Wand projizierten Tabelle suchend)) - (-) mit 650 Punkten und dana: : ch Jing Xiang mit 600 Punkten und Darja Mahotkin. Esther: Mit 550 beide, oder? Titus: Nee, Jing hat 600. Esther: Echt? Titus: Und jetzt können wir - wir können tatsächlich einfach einmal die Diskussion führen, ist diese Reihenfolge für uns so okay oder müsste sich unserer Meinung nach danach noch was verschie: ben (-), und wenn ja, was. Was gibt es da für Argumente? Nora: Ja, ich find ‘ also, bei der ersten Abstimmung war Isabel mit 700 Stimmen, jetzt ist sie plötzlich so: runter, also da - da frag ‘ ich mich, was ist da passiert? = Stephan H.: =Der Vergleich … [der Vergleich mit anderen. Nora: [Ähm, weil alle Angst haben vor di: r, äh, so … Stephan H.: ((leicht lachend)) Das find ‘ ich jetzt unfair, das find ‘ ich unfair … Nora: Sag ich jetzt= Stephan H.: =((leise)) Nora, das find ‘ ich [unfair. Nora: [Also für mich ist es nicht nachvollziehbar, weil ich war - da seh ‘ ich jemand, der schauspielerisch Prozesse spielt, wenn ich - bei Xi - , ich bin einfach erstaunt, also ich bin wirklich geradezu ein bisschen sprachlos. Stefan W.: Ja, ich kann da was zu sagen, also für mich hat sich vieles gedreht in dem Gespräch, weil viele von mir, die ich gelistet hatte, rausgeflogen sind, (.) und ich kann zu Isabel ganz klar sagen, dass ich (.) ein bisschen umgeschwenkt bin dazu, was ist so - wer ist da, wo ich das Gefühl habe, damit, mit dem möchte ich wirklich arbeiten, weil ich tatsächlich eher sehe, dass mit einer Jing Xiang ich einfach arbeiten kann, da bin ich sicher. Stephan H.: Natürlich stellt sich die Frage, mit we: m kann man arbeiten. Und mit einer Jing Xing finde ich, (.) hat für mich eine Ausstrahlung und eine - das ist eine Persönlichkeit, mit der ich das Gefühl habe, mit der kann ich arbeiten. So. Und also, ich finde es unfair, also wir reden ja nicht dreieinhalb Stunden, um dann zu sagen, wir machen das nur, weil man Angst hat, das ist doch Unsinn. Das ist doch, äh, jeder muss doch seine Lieblinge - ((sichtlich erregt, parallel beginnt ein leises Durcheinandergerede)) jeder muss doch seine Lieblinge= Titus: =Das war doch nicht so ernst gemeint! 126 Hanna Voss Stephan H.: Naja, aber trotzdem find ‘ ich ’ s unfair= Helga: =Hier ist gar nichts unfair. Nora: Ich muss trotzdem noch mal fragen, also= Stephan H.: =Man gibt doch erstmal eine Stimme ab und dann ändert sich eine Meinung. ((Durcheinandergerede endet)) Nora: Aber jetzt wirklich auf der Bühne zu sehen (.) war (-) ein emotionaler Prozess, hab ‘ ich (.) bei der Isabel sehen können und auch bei der Darja, auch wenn der mir bei der Darja nicht so gefällt, aber ich konnte einen sehen, aber bei Xing Xiang Wang sehe ich eine - eine zwar hübsche Chinesin, die gefällt mir auch, aber ich sehe nichts, weder eine schauspielerische Phantasie noch irgendeinen Impuls auf der Bühne, wo ich sage, die Frau muss auf die Bühne. Es tut mir leid. Äh, Asia-Bonus hin oder her. ((im Hintergrund hört man ein nicht zuordenbares O: ch)) Aber ich will nur - nein, ich sag ‘ das jetzt mal - klar ist man bei jemanden, der anders aussieht, [erstmal, ist doch interessant. Stephan H.: [Das ist doch Unsinn. Esther: Aber wir haben ja auch andere Argumente bei ihr [jetzt gebracht, also darauf jetzt so … Nora: [Wo ist da irgendetwas, wo= Helga: =Aber so viele tolle nicht. Onno: Aber sie darf (.), aber Nora darf das doch jetzt mal äußern, warum kommt jetzt so viel Widerwillen, (.) sie war die ganze Zeit relativ [still, jetzt darf sie das doch mal sagen. Nora: [Sie spielt eine Frau John, Sachen (-) die spielt eine Salome, nix was mit ihr zu tun hat, wo ich dann schon die Frage stellen möchte, wa: rum sucht sie sich so was aus, was ni: : chts mit ihr zu tun hat. Gar nichts. Onno: Also was mich, das allererste, was mich positiv irritiert hat, war, dass da eine Chinesin oder chinesischer Abstammung, asiatischer Abstammung (-), dass die deutsche Rollen spielt und (-) und man einfach denkt, was passiert denn da mit der Theaterwirkung? Das hat mich gar nicht (.) mehr losgelassen. Titus: Ich glaub ‘ , wir müssen uns jetzt an der Stelle echt alle wahnsinnig disziplinieren, sonst wird es unglaublich schwer. Während Nora ihren Kolleg/ innen also vorwirft - obgleich diese primär auf das Kriterium des ‚ Arbeitens ‘ rekurrieren - , im Falle Jing Xiangs nicht gemäß der gemeinsamen, auf den ersten Blick rein sachbzw. leistungsbezogenen Kriterien zu urteilen ( „ weder eine schauspielerische Phantasie, noch irgendeinen Impuls auf der Bühne “ ) und Xiang stattdessen aufgrund ihres ‚ anderen ‘ Äußeren einen „ Bonus “ zu gewähren, versucht Onno Noras spürbar für Unruhe sorgenden Einwand mit Verweis auf zum damaligen Zeitpunkt offenbar bereits in Frage stehende künstlerische Prinzipien ( „ positiv irritiert “ , „ Theaterwirkung “ ) zu legitimieren. Wichtig ist jedoch, dass Noras Aussage, die ausgewählten Rollen hätten „ ni: : chts mit ihr zu tun “ , mindestens doppeldeutig, nämlich im Sinne einer inneren (Erleben/ Erfahrung) oder äußerlichen Ähnlichkeit interpretierbar ist, und letztere Deutung nur durch den interaktionalen Anschluss die ‚ Oberhand ‘ gewinnt. Weitergehend zu diskutieren wäre an dieser Stelle, inwiefern die sprachliche Relevantsetzung von Ethnizität hier durch einen der von der Bewerberin präsentierten „ Körpertexte “ in besonderer Weise mobilisiert worden ist; nämlich die Darstellung der Frau John aus Gerhart Hauptmanns naturalistischer, im Berliner Großstadtmilieu des späten 19. Jahrhunderts angesiedelten Tragikomödie Die Ratten (1911) mittels Berliner Dialekt. Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass die Leistungsbeurteilung an dieser Schule strukturell (was die Anzahl der Studienplätze betrifft), aber vor allem 127 Die Aufnahmeprüfung an Schauspiel(hoch)schulen aus ethnographischer Perspektive systematisch durch kategoriale, nämlich geschlechtliche Zugehörigkeiten bzw. Zuschreibungen beeinflusst wird, denn diese sind auch in die Verfahren selbst eingeschrieben. Zudem scheinen letztere durch die hierfür zentrale Kulturtechnik des Vergleichs aber auch die Relevantsetzung von anderen, aus meritokratischer Sicht eigentlich (ebenfalls) professionell zu übersehenden körperbasierten Humandifferenzierungen zu begünstigen. Fallbeispiel 2: Teilnehmende Beobachtung einer Aufnahmeprüfung (Otto Falckenberg) Die empirische Grundlage für die nachfolgenden Beschreibungen ist meine teilnehmende Beobachtung der Aufnahmeprüfung an der Otto Falckenberg Schule auf Seiten der Prüfungskommission im Winter 2016/ 2017 und zwar an insgesamt vierzehn Tagen über einen Zeitraum von acht Wochen hinweg. In der ersten ‚ Runde ‘ wurden die sich Bewerbenden dabei nicht nur von den Studierenden des ersten Jahrgangs, sondern auch von dem Leiter der Schule begrüßt. In einer kleinen Ansprache erklärte er ihnen die Aufteilung auf fünf Kommissionen à drei Prüfende, den Ablauf der eigentlichen Prüfung und beantwortete ihre Fragen. Am Nachmittag des fünften Tages dieser ersten ‚ Runde ‘ fügte er folgenden, eingangs bereits auszughaft angeführten Nachsatz hinzu (und ähnlich auch an anderen Tagen): Bitte erzählen Sie was von sich, mittels dieser Rollen, die sie vorbereitet haben, erzählen Sie was von sich. Sie müssen nicht Angst haben, dass Sie irgendetwas können müssen oder nicht können müssen, sonst müssten Sie ja nicht noch zu uns kommen, wenn Sie schon was können könnten. ( … ) Das heißt zwar Vorprüfung ( … ), aber Sie können ‘ s nicht beeinflussen, haben Sie vor allem Spaß an diesem Nachmittag hier bei uns. 20 Im Anschluss an Stefan Hirschauer erscheint es in diesem Zusammenhang daher als produktiv, zwischen einer naturalisierenden und einer kulturalisierenden Verwendung des Leistungsbegriffs zu unterscheiden. So kann Leistung nämlich entweder als „ angelegte Begabung “ oder als „ Effekt von Lernanstrengung “ - feldspezifisch reformuliert als ‚ Genie ‘ / ‚ Talent ‘ bzw. ‚ Handwerk ‘ - gedeutet werden, wobei der Begriff des ‚ Könnens ‘ hier im letzteren Sinne verwendet wird, man muss also das Handwerk noch nicht beherrschen. 21 Vergleicht man diese Begrüßung ( „ erzählen Sie was von sich, mittels dieser Rollen “ ) mit jener der Hannoveraner Schule ( „ Menschen [ … ], mit denen wir glauben, arbeiten zu wollen und zu können “ ), so zeichnet sich zudem bereits an dieser Stelle ein unterschiedlicher Fokus der beiden Schulen ab. In der zweiten ‚ Runde ‘ sprachen alle 71 sich Bewerbenden, die zuvor aus rund 400 ausgewählt worden waren, dann vor derselben fünfköpfigen Prüfungskommission vor, die jedes Jahr aus dem festen Kollegium neu gewählt wird. Vorzubereiten und vorab auf dem sog. „ Rollenzettel “ einzutragen waren erneut drei „ Rollen “ , eine „ Selbsterfundene Szene/ Monolog “ und ein „ Lied/ Gedicht “ . Neben diesem „ Rollenzettel “ und den Bewerbungsunterlagen, die an nahezu allen Schulen u. a. Auskunft über Alter, Geburtsort und Staatsangehörigkeit(en) geben, lag den fünf Prüfenden für jeden Vor- und Nachmittag hier nun auch eine Kurzübersicht der Vorsprechenden vor. Diese war für mich insofern höchst aufschlussreich als sie die zwei zentralen ‚ Achsen der Vermessung ‘ des Schauspielnachwuchses deutlich werden lässt: das Alter bei Schulantritt (so auch auf dem „ Protokollblatt “ von Hannover vermerkt), aber vor allem das Geschlecht. Denn Geschlecht war hier gleich in dreifacher Weise markiert: erstens, über den Vornamen, zweitens, über die binäre Einfärbung der Zeilen in Rot und Blau und drittens - 128 Hanna Voss gleich der Praxis der Theaterverlage - , über die ebenfalls binäre, zugleich altmodischklassifizierende Kumulation in Damen und Herren, z. B. „ 6 D “ und „ 3 H “ . Und diese binär-geschlechtliche Einfärbung ließ sich - analog zu Hannover - auch in der dritten ‚ Runde ‘ beobachten, nämlich auf den öffentlich aushängenden und so für jedermann/ frau sichtbaren Ablaufplänen. Dies ist deshalb besonders bemerkenswert, weil es an dieser Schule - im Gegensatz zu Hannover - weder eine feste Anzahl an Studienplätzen noch ein festes Geschlechterverhältnis gibt. Mögliche ethnische Askriptionen lassen sich in dieser Kurzübersicht hingegen allein an die Namensgebung knüpfen, die in dieser Hinsicht jedoch bekanntlich weitaus weniger ‚ zuverlässig ‘ ist. Die Relevanz oder Irrelevanz der mich insbesondere interessierenden Humandifferenzierungen wurde somit auch hier weitestgehend der Interaktion überlassen - jener sowohl zwischen Vorsprechenden und Prüfenden als auch innerhalb dieser Expertenkommission. Blickt man nun auf die Vorsprechenden der zweiten ‚ Runde ‘ , so hatten rund zehn Prozent von ihnen einen ‚ sichtbaren Migrationshintergrund ‘ - und ähnliches galt prinzipiell auch für jene der ersten ‚ Runde ‘ . Während ein solcher, wenn nicht gar höherer Prozentsatz angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zu erwarten war, überraschte mich die Rollenauswahl dieser Vorsprechenden, die jedoch mit den zuvor angeführten Empfehlungen der Schauspiel(hoch)schulen und der hier vereinzelt beobachtbaren Idee einer ‚ Typenpassung ‘ in Einklang steht. So spielten sie neben ‚ ethnisch-neutralen ‘ bzw. traditionell so wahrgenommenen Rollen vermehrt klassische ‚ ethnische ‘ Rollen wie Shakespeares Protagonisten Othello und Shylock oder moderne ‚ ethnische ‘ Rollen wie Andri aus Max Frischs Andorra und Nawal aus Wajdi Mouawads Verbrennungen, wohingegen diese und ähnliche Rollen von anderen Vorsprechenden nicht gewählt wurden. In ihren selbsterfundenen, scheinbar autobiographischen Szenen bzw. Monologen thematisierten sie aber auch Bürgerkriegserfahrungen und Alltagsrassismen ( „ Woher ich komme? Ich komme aus Berlin. Wie, woher ich wirklich komme? Ich komm ‘ wirklich aus Berlin. Ich habe keine Wurzeln, ich bin doch kein Baum “ ). Angemerkt sei an dieser Stelle zudem, dass alle Vorsprechenden sich durchweg für geschlechtskonforme bzw. in wenigen Fällen für geschlechtsneutrale Rollen (z. B. Botenfiguren) entschieden haben, sodass die Ankündigung einer Bewerberin, Franz Moor vorspielen zu wollen, fast schon ein kleines ‚ Highlight ‘ darstellte. Hinsichtlich der Trias Rolle - Physis - Norm ist des Weiteren festzuhalten, dass bei den Vorsprechenden grundsätzlich ein am dramatischen Theatermodell orientiertes, realistisch-psychologisches Verständnis von Theater vorzuherrschen schien, zumindest ließen dies die von ihnen angewandten Darstellungstechniken vermuten. Weitergehend zu reflektieren wäre in diesem Zusammenhang daher die Frage, inwiefern dies und die damit eng verknüpfte (stereotype) Rollenauswahl zum Zwecke der Selbstinszenierung durch die formalen Vorgaben und (tendenziell doppeldeutigen) Empfehlungen der Schauspiel- (hoch)schulen noch befördert wird. Zumal für den Schauspieler bzw. die Schauspielerin und seine/ ihre individuelle Körperlichkeit im dramatischen, psychologisch-realistischen Theater auf Ebene der Norm, wie Erika Fischer-Lichte es in ihrer Semiotik des Theaters fälschlicherweise allgemeingültig formuliert, bekanntlich Folgendes gilt: [ … ] seine wahrnehmbare Physis ist in jedem ihrer Elemente als signifikant zu begreifen. Sowohl die Stimme als auch der Körper sind auf dem Theater vollkommen ungeeignet, als reines Medium der Übermittlung zu dienen, ohne nicht selbst durch ihre spezifische 129 Die Aufnahmeprüfung an Schauspiel(hoch)schulen aus ethnographischer Perspektive Beschaffenheit den Prozeß der Bedeutungskonstitution wesentlich zu beeinflussen. 22 Auch wenn diese und andere in diesem kanonischen Text enthaltenen Formulierungen ( „ schwarze Hautfarbe als Zeichen für Zugehörigkeit zur schwarzen Rasse “ ) hinreichend Anlass für eine kritische Selbstreflexion nach wie vor gebräuchlicher aufführungsanalytischer Ansätze böte, sei an dieser Stelle auf eine andere Annahme Fischer- Lichtes hingewiesen, mit der sie sich partiell selbst widerspricht: nämlich, dass jeder einzelnen Aufführung - und damit auch den von den Vorsprechenden präsentierten „ Körpertexten “ - ein Veränderungspotential im Sinne einer Irritierbarkeit bzw. Veränderbarkeit des schauspielerischen Codes innewohnt. 23 So nahm die Kommission sowohl die zu beobachtenden szenischen Aktualisierungen möglicher ethnischer Askriptionen als auch der zuvor skizzierten Norm mehr oder minder offensiv entgegenstehende „ Körpertexte “ (wie im Falle der Berlinerin Jing Xiang als Frau John) prinzipiell kommentarlos auf. Allein wenn der Rückgriff auf die teilweise nicht deutsche Muttersprache - wie man hören und/ oder den Unterlagen implizit entnehmen konnte - einen anderen spielerischen Eindruck versprach, fragten die Prüfenden nach und ließen die Vorsprechenden etwas in ihrer Muttersprache improvisieren. Im Gegensatz zu Hannover lag dem Verfahren dabei zu keinem Zeitpunkt ein schriftlich fixierter Kriterienkatalog zugrunde, auch ist die Anzahl der Studienplätze - wie zuvor bereits thematisiert - hier vorab nicht genau festgelegt (i. d. R. 10 - 12). Dem stets nur mit Blick auf einzelne Vorsprechende getroffenen ‚ Urteil ‘ voraus ging dabei sowohl in der ersten als auch in der zweiten ‚ Runde ‘ ein insgesamt hoch komplexer, sich verbal und nonverbal vollziehender Aushandlungsprozess. So wurden sich Bewerbende manchmal in wenigen Sekunden mit Formulierungen wie „ darüber müssen wir gar nicht reden “ ‚ abgefertigt ‘ oder es gab eine über zehnminütige Diskussion, basierend auf einer dichten und differenzierten Beschreibung des individuell Erlebten, gepaart mit an ‚ Spielzüge ‘ erinnernden Phrasen wie „ Da geh ‘ ich mit. “ , „ Ich zieh ‘ zurück. “ oder „ Ich bin da raus. “ Zur schnelleren Verständigung und Vergegenwärtigung der einzelnen Kandidat/ innen griffen die Prüfenden dabei teilweise auch auf Attribuierungen und Typisierungen zurück wie „ die Kleine “ , „ die 17-Jährige “ , „ der Faule “ , „ die Diva “ oder „ die Burgschauspielerin “ . Auffällig war für mich jedoch, dass ethnische bzw. ‚ rassische ‘ Askriptionen nicht gebraucht, wenn nicht gar vermieden wurden. Letzteres legt zumindest der folgende Dialog zwischen zwei Mitgliedern der Prüfungskommission nahe: „ Jetzt stelle ich mir den vor mit der von gestern, der Dunkelhäutigen. Welche Dunkelhäutige? … Ah … Die Schwarze. “ Dem folgte nämlich einerseits ein kurzer Wortwechsel bezüglich der politisch korrekten Bezeichnungspraxis, wobei probeweise auch „ mit afrikanischem Migrationshintergrund “ vorgeschlagen wurde. Andererseits war dies der einzige Moment, in dem mein Gatekeeper, welcher mir trotz meines offen kommunizierten Forschungsinteresses Zugang gewährt hatte, sich in der Prüfungssituation zu mir umdrehte und mich direkt ansprach: „ Darf man ‚ Schwarze ‘ sagen? “ . Doch nahm ich dies weniger als eine nach Antwort suchende Frage denn als eine situative Sichtbarmachung meiner Beobachterrolle bzw. -position wahr. Hinsichtlich der Frage nach der Beeinflussung des Verfahrens durch die Anwesenheit meines zentralen ‚ Forschungsinstruments ‘ und dessen Eigenschaften (weiblich, 27 Jahre alt, ohne ‚ sichtbaren Migrationshintergrund ‘ ) wie Schreibtätigkeit bedürfte es daher ebenfalls einer weitergehenden Reflexion. 24 Angesichts der skizzierten Attribuierungs- und Typisierungspraxis überrascht 130 Hanna Voss es nun nicht, dass in den Diskussionen der Vorsprechen von sich Bewerbenden mit ‚ sichtbarem Migrationshintergrund ‘ - wenn überhaupt - latent kulturalisierende und somit als ethnisch gerahmte Askriptionen zu beobachten waren, im Sinne einer „ imaginierte[n] Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, die auf einem Glauben an geteilte Kultur und gemeinsame Abstammung beruht “ , bzw. daraus resultierender Alltagserfahrungen. 25 So hörte man hier vermehrt die Argumente: „ der hat was zu erzählen “ , „ die hat etwas zu sagen “ oder „ er hat ein Anliegen “ . Aber auch von einer „ Fremdheit “ in Bezug auf das hiesige „ Theaterverständnis “ und einem „ großen Respekt “ vor „ unserer Kultur “ war im Falle tatsächlicher Migrationserfahrungen vereinzelt die Rede. Diese auch im Diskursfeld „ Theater & Migration “ anzutreffenden kulturalisierenden Askriptionen hatten jedoch eher einen inkludierenden denn exkludierenden Effekt, wie folgendes Beispiel einer als schwarz kategorisierbaren Bewerberin zeigt: Prüfer/ -in 1: Was mich beeindruckt ist die Person; und nicht das Spiel. Prüfer/ -in 2: Also ich bin ja eigentlich nicht dafür gewesen. ( … ) Mich verblüfft ehrlich gesagt dann doch die Persönlichkeit - gerade weil sie so jung ist. ( … ) Mich fasziniert zunächst mal die Ernsthaftigkeit und das Erwachsene, wie sie sich jetzt hier irgendwie den Raum nimmt. ( … ) Das hat auch nix mit einer schauspielerischen Entäußerung, sondern mit einer sehr persönlichen Entäußerung zu tun. ( … ) Die junge Frau hat ja offensichtlich eine andere … Biografie … als 17-Jährige als wahrscheinlich viele andere, die in normalen Situationen groß werden - spekulativ! Die zentrale und dies zugleich legitimierende Bedingung der Relevantsetzung von Ethnizität ist in diesem Aufnahmeverfahren somit die scheinbare Abkehr von Leistungsprinzipien ( „ nicht das Spiel “ ) zugunsten der „ Person “ , was eine objektive Beurteilung nahezu unmöglich macht bzw. ad absurdum führt. Dabei spiegelt sich dieser Fokus auf die Person - neben der Anforderung, eine selbsterfundene Szene mitzubringen, und der angeführten Empfehlung zur Figurengestaltung - auch darin wider, dass es an dieser Schule anders als in Hannover keine „ Nachrücker “ -Plätze gibt, sondern die Entscheidung „ für oder gegen eine Person “ getroffen wird, wie es eine/ r der Prüfenden mir gegenüber in der 3. ‚ Runde ‘ formuliert hat, und diese Entscheidung somit nicht relativ ist, d. h. auf einem Vergleich beruht, sondern absolut ist. 26 Dementgegen vermittelt das Aufnahmeverfahren der Hannoveraner Schule mit seinem differenzierten Kriterienkatalog und seiner Punkte- und Rangfolgetabelle den Eindruck einer genauen, rein sachbezogenen Bewertbarkeit der Leistung der sich Bewerbenden; das hier zentrale Kriterium des ‚ Arbeitens ‘ verweist zudem auf einen anderen, stärker auf die Lernanstrengung bzw. auf die Transformation von Begabung in Handwerk ausgerichteten Leistungsbegriff. Der filmisch dokumentierte Verweis auf den „ Asia-Bonus “ der in naturalisierender, da primär auf das Äußere abzielender Manier als „ hübsche Chinesin “ bezeichneten Bewerberin und deren spezifische „ Theaterwirkung “ bei der Darstellung „ deutsche[r] Rollen “ erscheint hier - wie auch die Reaktionen einzelner Prüfender nahelegen - daher als besonders ‚ fehlplatziert ‘ . Zwar sind dies letztlich graduelle Unterschiede und wird das Verhältnis von Leistung und Körper bzw. Körper und Leistung in dem von mir untersuchten organisationalen Feld nach wie vor durch tradierte, sich momentan jedoch partiell im Wandel befindliche ästhetische Normen, die von einer ‚ Omnirelevanz ‘ im Sinne einer Bedeutsamkeit jeglicher Aspekte der wahrnehmbaren Physis von Schauspielenden ausgehen, wie damit eng verknüpfter schauspieltheoreti- 131 Die Aufnahmeprüfung an Schauspiel(hoch)schulen aus ethnographischer Perspektive scher bzw. -didaktischer Annahmen, die auf eine umfassende ‚ Bearbeitung ‘ des Körpers abzielen (Stichwort „ Körpertraining “ ), geprägt. Doch zeigt der Vergleich der beiden Fallbeispiele, dass die von den Schauspiel- (hoch)schulen verwandten Verfahren zur Selektion der sich Bewerbenden, in denen sich in Teilen schulspezifische Diskurse widerspiegeln, potenziell in unterschiedlichem Maße zur Aufrechterhaltung bzw. Veränderung ästhetischer und somit auch sozialer Ordnung(en) beitragen. Paradoxerweise scheint dabei gerade der Hannoveraner Versuch eines partiellen ‚ Absehens ‘ den re-entry rassifizierender Askriptionen zu begünstigen. Im Sinne einer „ Historiographie der Gegenwart “ liefert der ethnographische Ansatz jedoch nur eine kurze, notwendig subjektiv geprägte ‚ Momentaufnahme ‘ , die als solche aber Einblick in institutionelle Veränderungsprozesse der jüngeren Vergangenheit wie Gegenwart zu geben vermag, die wiederum die jeweils geltenden ‚ Spielregeln ‘ in besonderer Weise sichtbar werden lassen. 27 Anmerkungen 1 Dieses wie auch alle anderen bezüglich meiner teilnehmenden Beobachtung an der Otto Falckenberg Schule (Fallbeispiel 2) angeführten Zitate aus dem Feld stammen im Falle sprachlicher Äußerungen aus Protokollen, die ich in situ handschriftlich angefertigt und gemäß meiner notwendigerweise subjektiv gefärbten Wahrnehmung und Erinnerung direkt ergänzt habe. Zudem greife ich für dieses Fallbeispiel auf mir ausgehändigte Dokumente, Photoaufnahmen und die umfangreichen Notizen in meinem ethnographischen Feldtagebuch zurück. 2 Vgl. Bettina Heintz, „ Ohne Ansehen der Person? De-Institutionalisierungsprozesse und geschlechtliche Differenzierung “ , in: Sylvia Marlene Wilz (Hg.), Geschlechterdifferenzen - Geschlechterdifferenzierungen. Ein Überblick über gesellschaftliche Entwicklungen und theoretische Positionen, Wiesbaden 2008, S. 231 - 252. 3 Vgl. zum Konzept des organisationalen Feldes Paul J. DiMaggio und Walter W. Powell, „ The Iron Cage Revisited: Institutional Isomorphism and Collective Rationality in Organizational Fields “ , in: American Sociological Review 48/ 2 (1983), S. 147 - 160, insb. S. 147 - 148 und zur Übertragung auf das Feld des deutschen Sprechtheaters und dessen Strukturation Hanna Voss, „ Autonome Kunst? Legitimität und institutioneller Wandel im deutschen Sprechtheater “ , in: Forum Modernes Theater 28/ 2 (2013[2018]), S. 143 - 159, insb. S. 147 - 152. 4 Laut der für mich maßgeblichen Systematik der zur Bundesagentur für Arbeit gehörenden ZAV-Künstlervermittlung zählen zu diesem Kreis an Schulen 21 Bildungseinrichtungen, nur 19 davon sind jedoch Mitglieder der Ständigen Konferenz Schauspielausbildung (SKS), vgl. https: / / www.sch auspielschultreffen.de/ hochschulen/ [Zugriff am 30.01.2021]. Nicht zur SKS gehören nach wie vor die Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn und die Anton Bruckner Privatuniversität Linz. 5 So lässt sich analog zur Geschlechterdifferenz auch in Bezug auf körperliche Phänotypen zwischen einer stärker naturalisierenden (race) und einer stärker kulturalisierenden (ethnicity) Rahmung unterscheiden, vgl. Stefan Hirschauer, „ Un/ doing Differences. Die Kontingenz sozialer Zugehörigkeiten “ , in: Zeitschrift für Soziologie 43/ 3 (2014), S. 170 - 190, hier S. 171 u. S. 186. Zum Begriff „ Humandifferenzierungen “ und zur programmatischen Ausrichtung dieses Ansatzes, vgl. weiterhin Stefan Hirschauer, „ Humandifferenzierung. Modi und Grade sozialer Zugehörigkeit “ , in: Ders. (Hg.), Un/ doing Differences. Praktiken der Humandifferenzierung, Weilerswist 2017, S. 29 - 54. 6 Zum Begriff des „ Körpertextes “ und den zugrundliegenden Annahmen, vgl. Erika Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters. Die Aufführung als Text, Bd. 3, Tübingen 2009 [1983], S. 26 - 32. 132 Hanna Voss 7 Vgl. Klaus Amann und Stefan Hirschauer, „ Die Befremdung der eigenen Kultur. Ein Programm “ , in: Dies. (Hg.), Die Befremdung der eigenen Kultur. Zur ethnographischen Herausforderung soziologischer Empirie, Frankfurt a. M. 1997, S. 7-52, hier S. 8 - 12. 8 Vgl. ebd., S. 11. 9 Vgl. ebd., S. 27 - 28. 10 Vgl. ebd., S. 28. 11 Vgl. ebd., S. 39. 12 Ausdrücklich nicht gemeint ist damit ein neoliberales ‚ Arbeitskraftunternehmertum ‘ , wie es auch vom „ ensemble-netzwerk “ kritisch adressiert wird, vgl. exempl. Axel Haunschild und Doris Ruth Eikhof, „ Die Arbeitskraftunternehmer. Ein Forschungsbericht über die Arbeitswelt Theater “ , in: Theater heute 3 (2004), S. 4 - 17. 13 Vgl. DiMaggio und Powell, „ The Iron Cage Revisited “ , insb. S. 150 - 154, hier S. 152. 14 Sämtliche nachfolgenden Informationen und ‚ Daten ‘ sind entweder der Internetpräsenz der Schauspiel(hoch)schulen entnommen oder waren Teil der Bewerbungsunterlagen, die man mir nach Anmeldung zur (nicht angetretenen) Aufnahmeprüfung zugeschickt bzw. zum Download zur Verfügung gestellt hat (Stand: jeweils Herbst 2016). 15 Vgl. Konrad Kuhnt und Gert Meißner, „ Die staatlichen, öffentlichen und halböffentlichen Schauspielschulen in der Bundesrepublik Deutschland, in Österreich und in der Schweiz “ , in: Dies. (Hg.), Alles Theater. Schauspieler werden - aber wie? , Reinbek bei Hamburg 1987, S. 210 - 243. 16 Zum „ Zentralen NRW-Vorsprechen “ 2016, vgl. Hanna Voss, „ Theater zwischen Reproduktion und Transgression körperbasierter Humandifferenzierungen “ , in: Dramaturgie. Zeitschrift der Dramaturgischen Gesellschaft 2 (2017), S. 47 - 52. 17 Vgl. René Tuma, Bernt Schnettler und Hubert Knoblauch, Videographie. Einführung in die interpretative Videoanalyse sozialer Situationen, Wiesbaden 2013, insb. S. 43 - 48. Zur Einschätzung von Möglichkeiten und Grenzen einer solchen Nutzung hat Till Harms mir im Januar 2017 in einem Gespräch dankenswerter Weise Einblick in den (Post)Produktionsprozess gewährt. 18 Bei diesem wie auch bei alle anderen bezüglich des Aufnahmeverfahrens in Hannover (Fallbeispiel 1) angeführten Zitaten handelt es sich - sofern nicht anders angegeben - um Transkripte von in Die Prüfung filmisch dokumentierten sprachlichen Äußerungen. Die von mir verwandten Sonderzeichen sind wie folgt zu lesen: [ linke eckige Klammern übereinander, überlappende Rede; = nahtloser Übergang in die folgende Rede; (.) Mikropause; (-) längere Pause; - Selbstunterbrechung; Unterstrich Betonung; : das Ziehen einer Silbe; : : längeres Ziehen; (( )) Anmerkungen. 19 Dieses Dokument sowie die diesbezüglichen Informationen wurden mir im Nachgang zu einem Interview zugesandt, das ich im Februar 2017 mit Titus Georgi als Sprecher des Studienbereichs „ Schauspiel “ der Hannoveraner Hochschule geführt habe. 20 Die Auslassungen in runden Klammern innerhalb dieses wie des folgenden längeren Auszugs aus einem ethnographischen Beobachtungsprotokoll verweisen auf nichtnotierte, da situativ für mich nicht relevante bzw. nicht mehr rekonstruierbare (Teil-) Aussagen. 21 Vgl. Hirschauer, „ Un/ doing Differences “ , S. 186. 22 Vgl. Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters, Bd. 3, S. 28 - 29 u. S. 35. 23 Vgl. ebd., S. 76; Erika Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters. Das System der theatralischen Zeichen, Bd. 1, Tübingen 2007 [1983], S. 100 u. S. 112. 24 Zu Ethnographie-Betreibenden als „ [m]enschliche Forschungsinstrumente “ , vgl. Amann und Hirschauer, „ Die Befremdung der eigenen Kultur “ , S. 23 f.; Georg Breidenstein et al., Ethnografie. Die Praxis der Feldforschung, Konstanz/ München 2013, S. 60 - 66. 25 Vgl. Hirschauer, „ Un/ doing Differences “ , S. 171 u. S. 186. 26 Einschränkend sei darauf hingewiesen, dass ich zwar alle drei Prüfungsteile der dritten ‚ Runde ‘ (Körperarbeit, Improvisationen, Monologe) und die diesbezüglichen Vor- 133 Die Aufnahmeprüfung an Schauspiel(hoch)schulen aus ethnographischer Perspektive besprechungen und Vorbereitungen teilnehmend beobachten durfte, zur Abschlussdiskussion jedoch keinen Zugang erhalten bzw. diesen, einem Gespür folgend, auch nicht explizit angefragt habe. An dieser Stelle sei der Otto Falckenberg Schule und allen Beteiligten herzlich für das entgegengebrachte Vertrauen gedankt! 27 Den Begriff einer „ Historiographie der Gegenwart “ verwende ich in Anlehnung an Stefan Hulfelds Überlegungen zu einer „ Theatergeschichte der Gegenwart “ bzw. „ Gegenwartstheatergeschichte “ , vgl. Stefan Hulfeld, Theatergeschichtschreibung als kulturelle Praxis. Wie Wissen über Theater entsteht, Zürich 2007, S. 334 - 357. Der vorliegende Beitrag ist im Rahmen des DFG-Projekts „ Theater zwischen Reproduktion und Transgression körperbasierter Humandifferenzierungen “ (2016 - 2021, Leitung: Friedemann Kreuder) an der Johannes Gutenberg- Universität Mainz entstanden, Teilprojekt der DFG-FOR 1939 „ Un/ doing Differences. Praktiken der Humandifferenzierungen “ (2013 - 2019). 134 Hanna Voss