Forum Modernes Theater
fmth
0930-5874
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FMTh-2024-0003
0120
2025
351-2
BalmeIns Licht getauchte Körper und gespiegelte Blicke. Gob Squads Creation (Pictures for Dorian)
0120
2025
Eva Döhne
Creation (Pictures for Dorian) von Gob Squad ist eine Performance, die mit den rahmenden Mechanismen perspektivischen Sehens auf der Bühne spielt. Gob Squad verschränken das Begehren derjenigen, die auf der Bühne stehen, mit denjenigen, die ihnen dabei zuschauen, und enttarnen dabei spielerisch die Regime normierender Blicke. Im Beitrag wird erarbeitet, inwiefern An- und Zuschauen in der Performance stets als eine doppeldeutige Angelegenheit vorgeführt wird: als Normierung des Blicks, aber auch als Chance, Blickregime kritisch zu reflektieren. Die Bühne der Performance wird als ein Möglichkeitsraum inszeniert, um Vielheiten von Körpern, Identitäten, Geschichten, Träumen und Wünschen vorzuführen und sichtbar zu machen. Anhand theoretischer Überlegungen über den Blick und detaillierter Szenenbeschreibungen wird diskutiert, inwiefern die Normierungsmechanismen des Blicks verhandelbar sind.
fmth351-20023
Ins Licht getauchte Körper und gespiegelte Blicke. Gob Squads Creation (Pictures for Dorian) Eva Döhne (Frankfurt am Main) Creation (Pictures for Dorian) von Gob Squad ist eine Performance, die mit den rahmenden Mechanismen perspektivischen Sehens auf der Bühne spielt. Gob Squad verschränken das Begehren derjenigen, die auf der Bühne stehen, mit denjenigen, die ihnen dabei zuschauen, und enttarnen dabei spielerisch die Regime normierender Blicke. Im Beitrag wird erarbeitet, inwiefern An- und Zuschauen in der Performance stets als eine doppeldeutige Angelegenheit vorgeführt wird: als Normierung des Blicks, aber auch als Chance, Blickregime kritisch zu reflektieren. Die Bühne der Performance wird als ein Möglichkeitsraum inszeniert, um Vielheiten von Körpern, Identitäten, Geschichten, Träumen und Wünschen vorzuführen und sichtbar zu machen. Anhand theoretischer Überlegungen über den Blick und detaillierter Szenenbeschreibungen wird diskutiert, inwiefern die Normierungsmechanismen des Blicks verhandelbar sind. Einleitung Wenn du magst, dass man dich anschaut, und ich dich anschaue, können wir eine Beziehung zueinander aufbauen, die uns beiden gefällt. 1 Das britisch-deutsche Performancekollektiv Gob Squad widmet sich mit Creation (Pictures for Dorian) 2 einem Klassiker der Weltliteratur. Zusammen mit sechs eingeladenen „ guests who had or aspire to have a life on stage “ 3 , die sie je nach Aufführungsort lokal casten, durchbrechen, ironisieren und parodieren sie die Bedingungen der Sichtbarkeit. Sie verhandeln Fragen der Subjektivierung, der Positionierung und der immer auch drohenden Objektifizierung durch den Blick des Anderen auf der Bühne. Zu- und Anschauen wird als doppeldeutige Angelegenheit vorgeführt: als Normierung des Blicks und gleichzeitig als möglicher Widerstand gegen die Repräsentation von Außen. 4 Das Schauen als Begehren nach Anerkennung, das Schauen als die Aufnahme einer Beziehung und das Schauen als narzisstischer Trieb werden in der Performance mit einer Verhandlung der Sichtbarkeit auf einer zentral ausgerichteten Bühne verknüpft. Im folgenden Beitrag wird diskutiert, inwiefern die Lust zu sehen und die Lust sich zu zeigen stets ineinander verschränkt gedacht werden müssen und inwiefern die Verschränkung des Sehens über den Blick grundlegend mit der Konstitution des Subjekts verbunden ist. Dazu wird kurz auf die zur Zeit ihres Erscheinens skandalöse Romanvorlage von Oscar Wilde verwiesen, vor allem auf die Spiegelbildmetaphorik, die stilistische Überformung des Romans und die Szenen im Theater. Anschließend werden das Spielprinzip und der Aufbau der Performance, die produktionstechnischen Methoden und wichtige inhaltliche Motive benannt. In theoretischer Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang von Auge und Blick werden danach die ineinander verschränkten Seiten des Sehens erläutert, um diese mit der von Kaja Silverman formulierten Kritik am Primat des männlichen Blicks (male gaze) und Stuart Halls Analyse des Reprä- Forum Modernes Theater, 35/ 1-2, 23 - 38. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.24053/ FMTh-2024-0003 sentationsregimes zu verbinden und weiterführend mit den Strategien der Performancearbeit zu diskutieren. Um die Strategien der Performance nachzuvollziehen, werden ausgewählte Szenen der Arbeit beschrieben, in denen die Kategorien Alter, Klasse, Race, Sex und Gender spielerisch vorgeführt und im Zusammenspiel von Präsentation, Begehren und Blick befragt werden. Anhand dieser Szenenbeschreibungen soll über die zu theoretisierende Verbindung zwischen Sehen, Momenten der Identifizierung und Zuschreibung auf einer zentralperspektivisch ausgerichteten Theaterbühne nachgedacht werden. Dabei wird auch untersucht, ob der produktionstechnisch behauptete Anspruch, die Konstitutionsbedingungen des Blicks zu decodieren, tatsächlich aufgeht. Deutlich wird in jedem Fall, dass die Performance den Anstoß gibt, die eigene Position und die durch diese Position ausgehenden Blickregime kritisch zu reflektieren. Oscar Wildes The Picture of Dorian Gray In Oscar Wildes Roman The Picture of Dorian Gray 5 wird die Geschichte des Dorian Gray, „ a wealthy young man, with aristocratic connections, who magically retains the eternal beauty captured in his portrait “ 6 , erzählt. Beeinflusst von Lord Henry Wottons ausschweifenden und hedonistischen Ansichten, formuliert Dorian beim Anblick seines von dem Maler Basil Hallward erstellten Portraits den Wunsch nach ewiger Jugend. Getrieben von narzisstischer Gier verfällt er der Angst, seine jugendliche Schönheit zu verlieren. Lange bleibt Dorian äußerlich makellos. Stattdessen altert das Portrait und nimmt Zeichen seiner verwerflichen Taten in Form von mehr und mehr grotesken und verzerrten Gesichtszügen auf. Die Konstruktion und der Wunsch nach ewiger Schönheit erscheinen bei Wilde als eine trügerische Vorstellung der Wirklichkeit, die einen hohen moralischen Preis fordert. Die Figur des Dorian steht für die Gefahren absoluter Selbstliebe, die in Hass gegenüber allen anderen umschlägt. Während den Leser: innen die Doppeldeutigkeit Dorians als Figur und Abbild erkennbar wird, bleibt das Geheimnis für die anderen Figuren im Buch als Rätsel bis zum Schluss bestehen. Über sein makelloses Aussehen wird sich gewundert und spekuliert. Für ihn wird das Geheimnis seiner ewigen Jugend zum Überlebensgarant. In dem Moment, wo Basil Hallward das Portrait zu Gesicht bekommt und dessen Verfall entdeckt, bringt Dorian ihn um. Wenige Szenen später beendet auch Dorian sein Leben, indem er sein Portrait zerstört. Schon Wildes Roman lässt sich somit als ironisches und selbstreferentielles Spiel zwischen dem Künstler Wild und seinem Werk lesen; ein Motiv, das die Performer: innen von Gob Squad auf der Produktions- und Spielebene aufnehmen. Zur Zeit seines Erscheinens wurde die Handlung des Romans von vielen Seiten als Skandal bezeichnet. Wilde selbst wurde nach der Veröffentlichung zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Als skandalös wurden die ausführlichen Beschreibungen der homoerotischen Leidenschaften und die engen Beziehungsgeflechte zwischen den ‚ Männer ‘ figuren gewertet. Die homosexuell begehrenden Blicke des Malers Basil Hallward auf Dorian sind von Anfang an erotisch aufgeladen. Lord Henry und etliche Personen im Roman bewundern und begehren Dorians makellose Jugendlichkeit. Auch die stilistisch ästhetizistische Verfasstheit des Romas habe zu zahlreichen kontroversen Diskussionen geführt und zeige, laut Joseph Bristow, dass sich der Text sowohl sprachlich, als auch auf der Interpretationsebene nicht ganz einfach einordnen lasse. 7 Im Text gibt es vereinzelte Szenen und Kapitel, in denen große Zeitsprünge 24 Eva Döhne durch die Erzählperspektive zusammengefasst werden. Von dieser vermittelnden erzählenden Instanz werden ebenfalls ausführlich Umgebung, Kostüme, Geräusche, Moden, sowie gesellschaftliche und philosophische Ansichten der gehobenen Londoner Gesellschaft im späten 19. Jahrhundert beschrieben. Auktorial wird das Leben der Upperclass, aber auch das großstädtische Elend der Zeit beschrieben. Susan Sontag charakterisiert Wildes Schreibstil als Vorreiter der Camp-Ästhetik, die sie wie folgt beschreibt: „ Camp is a certain mode of aestheticism. It is one way of seeing the world as an aesthetic phenomenon. That way, the way of Camp, is not in terms of beauty, but in terms of the degree of artifice, of stylization. “ 8 Wilde habe mit „ the equivalence of all objects “ 9 in seinem Schreibstil ein wichtiges Element der Camp-Ästhetik vorweggenommen. Ebenfalls betont Sontag einen Zusammenhang zwischen der Darstellung von Homosexualität und Camp, wenn sie schreibt: „ [E]ven tough homosexuals have been its vanguard, Camp taste is much more than homosexual taste. “ 10 Der Roman lässt sich durch die häufige stilistische Überhöhung des Sprechens und der Umgebungsbeschreibungen auf der Handlungsebene als Spiel der Verstellung lesen und bleibt oft mehrdeutig. Im vierten Kapitel will Dorian beispielsweise seinen Freunden Basil und Lord Henry die Schauspielkunst seiner frisch Verlobten Sibyl Vane zeigen. Ihr Aussehen wird pathetisch und romantisierend geschildert, von ihrer Darstellungsweise der Julia aus Romeo und Julia sind die drei ‚ Männer ‘ jedoch heftig enttäuscht. Sibyl begründet im Anschluss das von Dorian und Lord Henry als misslungene Darstellung aufgefasste Spiel damit, dass sie durch Dorians Liebe das wahre Leben gepackt hätte und sie sich nicht mehr länger verstellen wolle. Sie habe bewusst schlecht gespielt, um wahrhaftig zu sein. Dorian, rasend vor Enttäuschung, beteuert, er habe die spielende, darstellende Sibyl geliebt und nicht die Person oder ihren Charakter hinter ihren Rollen. Am Morgen nach dieser Szene in der Garderobe ereilt Dorian die Nachricht, dass Sibyl sich das Leben genommen habe. Dorian fühlt sich nur kurzzeitig verantwortlich für ihren Tod und geht am Abend direkt wieder ins Theater. Sibyl Vane fällt Dorians Selbstsucht und Verblendung zum Opfer. Dass sie nicht mehr spielt, bringt ihr den Tod. Als sie sich unverstellt zeigen will, verliert sie die Anerkennung und Liebe Dorians und erntet Zynismus und abwertende Zurufe vom Publikum. Sibyl ist damit eine ‚ Frauen ‘ figur, die sowohl durch ihre sexuelle und geschlechtliche Identität, als auch durch ihre Tätigkeit als Schauspielerin bedroht ist. Die Vorlage des Romans eröffnet damit eine Diskussion über sexuelle und geschlechtliche Identifizierungen, die von Gob Squad in die Gegenwart geholt wird. 11 Spätestens ab den Szenen im Theater im vierten und fünften Kapitel des Romans lesen sich die Schilderungen über Dorians Leben, seine Figur und Identität als Inszenierung, die von Trug, Täuschung, Wünschen und Sehnsüchten durchzogen ist. Dorian ist eine Figur, die ihre Künstlichkeit und unrealistische Makellosigkeit gegenüber dem Portrait erkennt und diese gezielt einsetzt. Er manipuliert seine Mitmenschen durch sein Aussehen und kostet die Wirkungen seiner äußerlichen Makellosigkeit und Jugendlichkeit - im Text immer wieder als ‚ Schönheit ‘ beschrieben - in vollen Zügen aus. Wildes Text entlehnen Gob Squad prägnante Passagen, Aphorismen und Bonmots, atmosphärische Umgebungsbeschreibungen, opulente Kostümierungen, die Untersuchung der Dreiecksbeziehung zwischen Künstler: in, Betrachter: in und Kunstobjekt, darüber hinaus zentrale Motive wie die Befragung von Kunst als schöner Schein, 25 Ins Licht getauchte Körper und gespiegelte Blicke. Gob Squads Creation (Pictures for Dorian) Spiegel und Schatten als Projektionen zwischen Original und Abbild, die Darstellung sexueller, geschlechtlicher, sozialer Identität und die Sehnsucht nach ewiger Schönheit, Jugend und Unvergänglichkeit. Die Selbstreferentialität und permanente Doppeldeutigkeit der Darstellung, die als wesentliche Merkmale der konzeptionellen Anlage des Textes von Wilde bezeichnet werden können, bilden das tragende Prinzip der Performance. Der Rahmen für dieses Spiel der Selbstreferentialität bildet jedoch nicht das Schreiben, wie bei Wilde, sondern die Darstellung auf einer Bühne. Gob Squads Spielprinzip der Selbst- und Fremdbetrachtung Zu Beginn sitzt der Performer Sean Patton, Gründungsmitglied des seit 1994 bestehenden Kollektivs Gob Squad, mit locker überschlagenen Beinen, einem Notizblock und Stift in der Hand, an der Bühnenkante und bittet eine Person aus dem Publikum, den Kopf still zu halten. 12 Noch ist der Publikumsraum stark ausgeleuchtet. Während Sean zum Publikum spricht, drapiert die Gob Squad Performerin Sharon Smith derweil mit großer Ernsthaftigkeit Blumen und Zweige an einem hohen Stehpult mit Arbeitslampe im hinteren Bereich des Bühnenraums. Davor befindet sich ein kleines, schwarzes, rundförmiges Podest. Der schwarze Bühnenboden und der hinten hängende schwarze Stoff, der später als Leinwand gebraucht wird, markieren die klassische Black Box. Rechts und links stehen Kameras auf fahrbaren Stativen, eine davon ist mit einem schwarzen Stoff abgehangen, die andere gut erkennbar. Auf der rechten Seite ist ein aus Holz gebauter, großer fahrbarer Rahmen erkennbar. Durch die späteren Einsätze von Holzrahmen, Spiegelbildern, Glanzpapierfolien und Videoprojektionen verdoppeln Gob Squad die Rahmungen der Bühne und stellen damit die Bedingungen von Sichtbarkeit und Blickregimen aus. Sean zitiert Wilde: „ Drawing is a record of a moment of looking. “ 13 Dabei fertigt er eine schnelle Zeichnung an, die er einer ausgewählten Person im Publikum reicht. Die gesamte Performance ist englischsprachig. Sein Sprechen klingt unverstellt und persönlich - als ob er mir als Zuschauerin direkt gegenüberstünde und die Tatsache, dass er zu 200 Leuten von der Bühne aus spricht, ganz und gar keine Veränderung seiner Sprechhaltung bewirken würde. Die Art und Weise der direkten Ansprache an die Personen im Publikum mit „ you “ in einer eher beiläufigen, flapsigen und wenig aufgeladenen Sprechhaltung praktizieren die Performer: innen von Gob Squad die gesamte Performance über. Dazu passt auch, dass alle Performer: innen nur mit ihren Vornamen, die sie auch im Leben außerhalb der Bühne tragen, vorgestellt werden. 14 In der Anfangsszene verweist Sean auf die Dreiecksbeziehung bei der Betrachtung der Bühnensituation: „ You, looking at Sharon and Sharon is looking at the flowers. “ Sharon berichtet, dass es sich bei dem Drapieren der Blumen um japanische Ikebana Kunst handele, eine Kunstfertigkeit des Blumenarrangements. 15 Sie betont: „ Nature is simply a pose. “ , worauf Sean antwortet: „ Oh my god, Oscar Wilde quote, straight in there, within three minutes, thanks great, well done. “ Es scheint eine selbstauferlegte Aufgabe der Performer: innen zu sein, Zitate aus Wildes Text in den live auf der Bühne gesprochenen Text einzubauen, wodurch oft selbstironische Momente entstehen. Mit weißen Papierschildern, auf denen die Buchstaben A, B, C gedruckt sind, übersetzt Sean die Frage der Blickrichtung, wie sie schon bei Wilde Thema ist, für die Bühnensituation. Sean klebt die Schilder an Sharon, die Künstlerin (A), an das Ikebana Arrangement als Kunstwerk und Objekt (B) und an 26 Eva Döhne das Publikum als Betrachter: in (C). Objekt des Begehrens, Subjekthaftigkeit der Künstler: innen und die Außenperspektive des Publikums werden spielerisch ineinander verschränkt und dabei in ihrer Positionierung entblößt. Durch die direkte Ansprache wird schnell klar, dass ich als Zuschauerin in meiner Positionierung und der Art und Weise meiner Betrachtung sehr direkt angesprochen bin. Mein Blick als weiße 16 cis- Frau 17 , die beim Betrachten der Performance Ende 20 ist, steht in seiner Konstituierung zur Debatte und beeinflusst die Sicht auf die Arbeit und das Schreiben darüber ganz maßgeblich. In jeder Stadt, in der die Performance aufgeführt wird, castet Gob Squad sechs Gastperformer: innen. Das Skript der Performance sieht drei Rollen für Performer: innen von Gob Squad und sechs Rollen für Gäste vor. Die Aufführungen unterscheiden sich damit lokal voneinander, da die Besetzungen different sind, die größten Teile des Scripts jedoch höchstwahrscheinlich gleich bleiben. 18 Mit diesem sehr flexiblen Besetzungsprinzip zeigt sich, dass die eigentlich immer schon unmögliche Behauptung vermeintlich unendlich wiederholbarer Theateraufführungen aufgehoben und vielmehr das Durchspielen einer technisch durchstrukturierten Komposition vorgeführt wird, die je nach Ort, Zeit und Cast unterschiedlich ist. Dieses Spielprinzip bietet eine klare Struktur und schafft zugleich Freiräume für je andere Aufführungen und Spielmöglichkeiten. Das Prinzip symbolisiert die von Gob Squad praktizierte kollektive Autor: innenschaft, die Bastian Trost, Mitglied des Kollektivs, wie folgt beschreibt: Meistens entwickeln und proben wir mit bis zu zehn Leuten, die Vorstellungen spielen allerdings nur vier oder fünf. Die wiederum wechseln in der Besetzung. Nie spielt eine oder einer die Rolle einzig und allein. Das verhilft uns zu einmaligen Konstellationen, auf die die Zuschauer*innen nur an diesem einen Abend treffen. Das ist die Kraft, die wir haben wollen, auch im Vergleich zu anderen Medien. Performance hat, gerade wenn man vom Theater kommt, die größere Kraft des Augenblicks. 19 In der hier zu beschreibenden Londoner Performance holt Bastian die Gäste auf die Bühne, indem er sie mit „ we have some bodies here, we organized ourselves some locally sourced material “ ankündigt. Als „ Objets trouvés “ und „ lebende Objekte “ bezeichnet er die darauf einlaufenden Londoner Gäste Claudia Boulton, Christina Brown, Lieve Carchon, Stuart Feather, Amelie Roch und Michael Narouei. Alle tragen weiße Unterwäsche und Nylonkopfhauben. Auch sie treten auf der Bühne mit ihren Vornamen, die sie außerhalb des Theaters tragen, auf. „ We all have or had a live on stage. We are ready to be objectified, we would like to be adored [. . .] “ , kommentiert Bastian, indem er sich, wie schon Sharon und Sean in schwarz gekleidet, zwischen die Gäste in einer Reihe an der Bühnenkante aufstellt. Die zu sehenden Körper differenzieren sich untereinander im Hinblick auf Sex, Gender, Race, Ability, Alter und Körperfülle. In den folgenden Szenen stehen die Gäste meist Modell und präsentieren Standbilder. Dazu werden sie oft opulent mit Blumenschmuck, Blumenkränzen, Seidentextilien, Mänteln, Accessoires wie Federboa, Tüll und Kronen geschmückt und im Scheinwerferlicht positioniert. Sie werden auf Podeste gestellt und bekommen von den Gob Squad Perfomer: innen konkrete Anweisungen zur Körperhaltung und zur Mimik, wie beispielsweise: „ Do a beautiful pose “ . Und sie bekommen Anweisungen zu ihrer Sprechhaltung und ihrer Kostümierung. Teilweise wirken die konkreten Anweisungen, die Gob Squad ihren Gästen geben, wie das Durchspielen von Lehrein- 27 Ins Licht getauchte Körper und gespiegelte Blicke. Gob Squads Creation (Pictures for Dorian) heiten in Performance- und Schauspieltechniken. Die Bilder werden oft vor oder hinter Holzrahmen oder mit Spiegeln inszeniert und damit gedoppelt und gebrochen. Diese Bilder werden von Gob Squad Creations genannt. Sie werden live abgefilmt und auf die hintere Bühnenwand projiziert. Durch sehr gezielt und oft emotional eingesetzte Musik werden die Bilder dann als Videoprojektionen auf die Leinwand gescreent, womit das Bühnengeschehen nochmals verdoppelt wird. Die Betitelung der Bilder als Videobilder, meist mit Zitaten von Wilde, stellen das zuvor noch bewegliche Bild auf der Bühne dem starren Titel und dem gerahmten Standbild auf der Videoleinwand gegenüber. Der Einsatz der Mittel bewirkt eine Atmosphäre der Ver- und Enthüllung, der Erscheinung und des Verschwindens. Die vielfachen Rahmungen durch Video, gebaute und gescreente Rahmen, Folien und Spiegel lassen sich als Apparaturen beschreiben, an denen Blicke wirken. Es sind dabei die Blicke von uns als Zuschauer: innen und die Blicke von Gob Squad, die ihre Pictures zu Creations machen und das Herstellen der Bilder vorführen und ausstellen. Immer wieder kommentieren die Performer: innen von Gob Squad die Szenenanordnungen, eigene Texte und Bilder mit von Wilde formulierten Aphorismen, Bonmots und Zitaten. Nach für sie klaren, den Zuschauenden jedoch nicht immer erkennbaren Spielregeln, moderieren sie einzelne Szenenaufbauten und lenken die Szenen und das Geschehen durch Fragen oder Handlungsanweisungen. Dabei bleibt oft unklar, welche Handlungen und Texte spontan und improvisiert sind und wieviel der Performance tatsächlich gescriptet und durch eine fest vorgegebene Struktur gerahmt ist. 20 Mit der im Hintergrund mehrmals auf die Leinwand projizierten Frage „ Is this your best work? “ referieren Gob Squad nicht nur auf ihre eigenen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte im Performancegeschäft, sondern projizieren die Fragen über Verfall und Zeit ebenfalls auf die eingeladenen Gäste und deren Erfahrungen mit dem Bühnenleben. Gob Squad inszenieren sich als diejenigen, die die Show dramaturgisch konzipieren und technisch am Laufen halten. Sie tragen schwarze Kleidung und vermummen nach den ersten 20 Minuten Körper und Gesichter bis auf eine Auslassung für die Augen. Wenn sie fortan die Herstellung der Pictures moderieren, zeigen sie ihre Gesichter. Wenn sie dabei die Requisiten auf- und abbauen und die Kamera bedienen, vermummen sie sich. Dabei werden sie nicht eins mit dem Hintergrund der Bühne, sondern werden vor dem schwarzen Hintergrund selbst schwarz. Es ließe sich auch sagen, sie tarnen sich, anstatt sich anzupassen. 21 Sie treten als Performer: innen, als Bühnentechniker: innen und Filmemacher: innen auf und führen damit ganz beiläufig die allzu häufige Unsichtbarkeit der technischen Abläufe bei Theateraufführungen vor. Auch hier versuchen sie Unsichtbarkeit sichtbar zu machen. Zuletzt decken Bastian, Sean und Sharon ihre Gäste mit milchig durchsichtigen Plastikplanen ab, die durch das sie gezielt anstrahlende Licht zu einer Installation werden. An dieser Stelle werden die vormals lebendigen Objekte zu leblosen Skulpturen. Die Show neigt sich dem Ende zu. Die Gob Squad Performer: innen wenden sich dem Ikebana Arrangement zu und wundern sich: „ The young ones are falling apart. “ Die letzte Szene übernimmt die älteste Gastperformerin Lieve, die eine alte Lieblingsrolle, die sie für die Queen höchstpersönlich gespielt habe, nachstellt. Dabei spielt sie im hinteren Teil der Bühne, beinahe für sich selbst. Ist sie noch sichtbar, oder nicht schon längst vergessen und unsichtbar? 28 Eva Döhne Theoretische Überlegungen zum Blick Die Behauptung von Auge und Blick als zwei voneinander getrennte Bereiche des Sehens verbindet Ulrike Haß mit den Anfängen der Zentralperspektive im Theater im 16. und 17. Jahrhundert. 22 Jacques Lacan folgend kritisiert sie eine klare Trennung von Auge und Blick und unterstreicht deren Verschränkung. 23 Sie entwickelt die Überlegung, dass die Art und Weise des Sehens und damit sowohl die Sichtbarkeit als auch die Sagbarkeit unmittelbar mit der Entwicklung neuzeitlicher und moderner Bühnenformen zusammenhänge. Die Umbrüche der Neuzeit hätten sich auf die Annahme gestützt, dass die Weltform im Ganzen unter die sichtbaren Dinge falle und damit eine Entwicklung des Sehens erzwang, „ das mit einer nur mehr sich im Sichtbaren bedingenden Welt befaßt ist. “ 24 Sehen erschöpfe sich jedoch weder in Sichtbarkeit noch in Sagbarkeit und könne sowohl nicht Gesehenes als auch nicht Gesagtes mit sich bringen. Die Zentralperspektive symbolisiert Haß folgend eine Eingrenzung der Sichtbarkeit und damit auch der Sagbarkeit, bei der die eigentliche Verschränkung von Auge und Blick vergessen werde. 25 Auch Silverman bezieht sich auf die bei Lacan genannte dreidimensionale Anordnung des Sichtbaren und unterscheidet im Englischen die Begriffe gaze, screen und look. 26 Mit dem englischsprachigen ‚ look ‘ könne das individuelle Sehen und somit der Blick eines Individuums in einer konkreten Situation beschrieben werden. 27 Wohingegen ‚ gaze ‘ in der deutschen Übersetzung entweder nicht übersetzt oder als Blickregime bezeichnet wird und so ideologische Wirkungsmechanismen des Blicks, bedingt durch den ‚ screen ‘ , betont. 28 Silverman übersetzt dazu Lacans Begriff ‚ écran ‘ mit ‚ screen ‘ . Wenn sie behauptet „ [. . .] by screen he in fact means the image or group of images through which identity is constituted [. . .] “ 29 verleiht sie dem Begriff einen ideologischen Status. Sie verweist auf die historische und kulturelle Position des Screens, wenn sie ihn als „ [. . .] culturally generated image or repertoire of images through which subjects are not only constituted, but differentiated in relation to class, race, sexuality [. . .] “ 30 charakterisiert und betont, dass der Screen die visuellen Normierungen sozialer Kontexte an dem Punkt des Blickregimes zeige. Stuart Hall verwendet in Das Spektakel des ‚ Anderen ‘ bei seiner Analyse der Repräsentation der Differenz race ebenfalls den Begriff des Regimes, wenn er schreibt: „ [D]as gesamte Repertoire an Bildern und visuellen Effekten, durch das ‚ Differenz ‘ in einem beliebigen historischen Moment repräsentiert wird, wird als Repräsentationsregime bezeichnet. “ 31 Nach Silverman bestätige und unterstütze das Blickregime Identität über den Screen, sei jedoch nicht für die Annahme einer Identität verantwortlich. Der Screen sei entscheidend „ [. . .] for the way in which the inhabitants of that society experience the gaze ’ s effects, and for much of the seeming particularity of that society ’ s visual regime. “ 32 Blickregime wirken nach Silverman über die Apparatur des Screens auf sozial und gesellschaftliche Kontexte. Materialisierungen von verkörperten Bildern wie Gesten, Posen, Verhaltensweisen, Mimiken, Schönheitsidealen und Bilderreportoirs ereignen sich demzufolge durch die ideologische Apparatur des Screens. Kurz: Das Blickregime bestätigt innerhalb der diagrammatischen Verschränkung diese Form der Materialisierung von Licht über das Begehren auf das Gegenüber. Das heißt, diejenigen Phänomene, die sich über Licht materialisieren und sichtbar werden, werden laut Silverman über den Screen ideologisch normiert. Dies habe zur Folge, dass nur ganz bestimmte Vorstellungen von Körper(bildern) innerhalb je spezifischer historischer Kontexte und in- 29 Ins Licht getauchte Körper und gespiegelte Blicke. Gob Squads Creation (Pictures for Dorian) nerhalb je spezifischer sexueller Ordnungen sichtbar werden. 33 Mit Hall lässt sich daran anschließen, dass nicht nur Körper, sondern Darstellungen von Differenz im Allgemeinen durch eben jene Normierung der Repräsentation ideologisch sichtbar sind. 34 Silverman beschreibt den Screen neben seiner ideologischen Komponente auch als eine mögliche Waffe für das Subjekt, das um sein eigenes Vorgestelltsein wisse. 35 Damit betont sie die subversive Kraft des Screens für Anliegen, die die ideologischen Bilder aufbrechen und decodieren möchten. Den Gedanken, die Vorstellung des Vorgestelltseins zu erkennen, übernimmt sie direkt von Lacan, der erläutert, dass sich das Subjekt als Vorstellung wahrnehmen und diese Vorstellung wiederrum wie eine Maske benutzen könne. 36 Das Subjekt könne sehen, wie es angeblickt wird und könne das Gesehenwerden und damit den Blick durch die Maske spielerisch zurückwerfen. Das Subjekt bei Lacan begehrt zurückzublicken und begehrt zu sehen. Haß konstatiert, dass es nicht darum gehe, dass das Subjekt der Vorstellung seinen Blick auf ein konkretes Gegenüber zurückwerfe, was mit Silverman als ‚ look ‘ zu beschreiben wäre. Der begehrende Blick zurück gelte „ einem Blick hinter dem Blick “ 37 . Vom Tableau zurück zum Licht blickend zeige sich das Begehren des Subjekts in dem diagrammatischen Zusammenhang, das stets auf ein Objekt gerichtet sei. In diesem Moment gleiche das begehrende Subjekt einem belichteten Bild, so Haß. 38 Das Bild bleibt also eine Projektion und damit jede bildliche Repräsentation durchzogen von projektivem Begehren. Auch wenn das vorgestellte Subjekt sein Gesehenwerden durch das Blickregime über sein Begehren wahrnehmen kann, sieht das Subjekt letztlich nur die Projektion seiner selbst im Screen. Das Subjekt kann die Vorstellung seines Vorgestelltseins erkennen, das wirkliche Sein der Vorstellung jedoch nicht ergründen, da es dort stets weitere Imaginationen und Projektionen zu erkennen gibt. Laut Silverman könne das Subjekt jedoch das aus dieser Situation hervortretende Wissen für eine radikale Denaturierung des Bildes verwenden, indem es das eigene Bild maskieren, tarnen und verkleiden könne. Damit kann das Subjekt der Repräsentation, das eine Vorstellung seines Vorgestelltseins hat, den Screen für subversive Strategien verwenden. Es ist diese Chance, die Silverman stark macht. Mit Rückgriff auf diese Theorien lässt sich herausarbeiten, inwiefern Subjekte im Bereich des perspektivischen Sehens primär durch die Rahmung von kulturell intelligiblen Bildern erscheinen, mit diesen imaginierten Bildern jedoch auch spielen können. Denn über die doppelte Struktur des Schautriebs des Subjekts in Sehen und Gesehenwerden ist eine Distanzierung des Subjekts der Repräsentation von dessen imaginiertem Bild potenziell möglich. 39 Wenn der Screen als Symbol für die Gespaltenheit des Selbst anerkannt wird, ergeben sich damit auch unsichtbare Verbindungen zu den Bildern, die nicht erscheinen können. Diese Distanzierung, als Vorstellung des Vorgestelltseins, bildet auch die Grundlage der Kritik des strukturell männlichen, weißen, heteronormativen Blickregimes. Silverman fordert: Feminism must consequently demand more than the return of specularity and exhibitionism to the male subject. What must be demonstrated over and over again is that all subjects, male or female, rely for their identity upon the repertoire of culturally available images, and upon a gaze which, radically exceeding the libidinally vulnerable look, is not theirs to deploy. 40 Sichtbarkeit kann somit stets verschränkt, einerseits vom Subjekt der Repräsentation, andererseits vom Blick ausgehend, betrachtet werden. Das Subjekt begehrt in der Suche 30 Eva Döhne nach Anerkennung den Blick des Gegenübers im Sinne eines Blicks hinter dem Blick. Das Regime des Blicks gehört niemals demjenigen Subjekt, das betrachtet, wirkt sich jedoch fundamental auf das aus, was es betrachten kann. Damit gehört der gaze, vermittelt über die Apparatur des Screens, nicht dem Subjekt, sondern dem Bereich der Ideologie an. Bevor die Überwindung sowohl des perspektivischen als auch des rassifizierenden, sexualisierten und geschlechtlich codierten Sehens möglich scheint, bleibt es demnach wichtig, überhaupt wahrzunehmen, wie oft sichtbare Subjektformationen in der geometralen Perspektive und damit besonders in zentralperspektivisch ausgerichteten Bühnendarstellungen durch die Wirkung des Blick normiert werden. 41 Einzelne Szenen. Subjekte der Repräsentation im Spiegelkabinett der Bühne Mit Amelies Szene beginnt eine Intensivierung der Spiegelmetaphorik, szenisch, atmosphärisch und inhaltlich. Es geht nicht mehr nur um die Künstler: innen, die die ‚ Pictures ‘ , ihr Werk und ihre Performance kreieren und die Gäste als Objekte gebrauchen, sondern nach und nach werden Szenen gebaut, in denen die Gäste als Subjekte der Repräsentation, sich selbst anblickend, vorgestellt werden. Nah an den vorangegangenen theoretischen Überlegungen zeigt sich hier eine doppelte Interpretation der Sichtbarkeit von Subjekten: Einerseits zeigen sich die Gäste als den Blicken des Publikums ausgesetzt, andererseits begehren sie eben genau die anerkennenden Blicke und die Aufmerksamkeit. 42 Es kann davon gesprochen werden, dass sie sich ihres Vorgestelltseins auf der Bühne bewusst zu sein scheinen. Damit werden sie von Gob Squad nicht nur als lebendiges Material und damit Objekte des Blicks, sondern auch als Subjekte der Repräsentation inszeniert. 43 Es erklingen seichte Klavierklänge und die Gastperformerin Amelie bekommt auf der rechten Seite der Bühne von Sean die Anweisung, sich hinzusetzen und sich vorzustellen, dass es Schmetterlinge regne. Durch die Klaviermusik und die gezielte Beleuchtung von Amelie durch die transportablen Scheinwerfer wird diese Szene zum Zentrum des Blicks im Trubel des sonstigen Bühnengeschehens, wo noch immer Modelle auf- und abgebaut werden. Die Musik stoppt und Sean gibt ihr weitere Anweisungen. Sie solle erst sagen: „ I don ’ t feel that “ , und später dann: „ I feel that. “ Amelie wiederholt die Sätze. Dem Publikum dreht sie den Rücken zu. Sie wird mit einer opulenten Rosenkrone, einem weißen Stehkragen und einem Stoffüberwurf mit Rosen bekleidet und ihr Gesicht wird als Portrait auf die Videoleinwand übertragen. 44 Bastian bringt einen großen Spiegel auf die Bühne. Dann bitten die beiden Amelie, ihr Spiegelbild und ihr Gesicht, das sie selbst anblickt, zu beschreiben. 45 Amelie betrachtet ihr Spiegelbild, das die Zuschauenden auch als Videoprojektion sehen, und beschreibt sich mit: „ It is very pale, very small eyes and a big nose in the middle, my dad ‘ s big nose in the middle. “ Darauf bittet Sean sie: „ Give us your best selfie face. “ und blickt sich konzentriert im Spiegel an. Sean bittet sie, ihren Kopf nach rechts und ihn dann ganz langsam wieder zurück zu drehen, um ihren eigenen Blick zu treffen. Anschließend solle sie dies mit einem bestätigenden Lächeln kommentieren und sagen: „ It ’ s the first time that I am conscious of my youth, I am conscious of the fact that one day I will lose it. “ Amelie folgt der Vorgabe und wiederholt den Text und die Bewegung. Sie betrachtet sich im Spiegel und erblickt zugleich ihre Bild-Werdung auf der Videoleinwand. Sean bezeichnet das Arrangement als seine „ Creation “ . Er habe das Portrait auf der Videoleinwand von Amelie als Künstler gemacht und sie sei die Betrachterin ihres eigenen Portraits. Dann formuliert Sean den 31 Ins Licht getauchte Körper und gespiegelte Blicke. Gob Squads Creation (Pictures for Dorian) Wunsch, seine Kreation in eine Cloud zu laden. Doch Amelie widerspricht. Sie erzählt von ihrem Unwohlsein speziell gegenüber männlichen Blicken. Daraufhin Sean: „ 200 people are looking at you in this room, at your eyes, your lips, your nose. Are you happy to take the gaze? “ Amelie antwortet, ja, sie fühle sich gut damit. Die Bühne sei für sie ein sicherer Ort. Allerdings fühle sie sich durch Seans Blick verunsichert. Die Situation wirkt für einen kurzen Moment verletzlich, da Amelie ihren weiblich gelesenen Körper auf der Bühne zeigt und zugleich von ihren Ängsten redet, angeschaut zu werden. Ich sehe sie dreifach. Als Amelie, die Performerin mit Bühnenerfahrung, als Amelie, die Frau, die sich vor dem male gaze fürchtet und als Amelie, die sich selbst im Spiegel anblickt und die Bühne als sicheren Ort definiert. Amelie zeigt sich, indem sie sich selbst im Spiegel anblickt. Ich als Betrachterin blicke zurück. Amelie scheint sich dem Gesehenwerden bewusst. Sie beschreibt das Gesehenwerden auf der Bühne durch das Publikum als weniger unangenehm als das Angeblicktwerden durch einen männlichen Blick wie den von Sean. Die Spannung zwischen der gezeigten Intimität, ihrer Positionalität und einer potenziell schützenden Rahmung auf der Bühne wird explizit durch den Einsatz der Livekamera und die Einrahmung des Screens verstärkt. Amelie ist weder eine noch zwei, sondern mindestens drei oder mehr. 46 Doch bietet ihr die Bühne tatsächlich Schutz? Kann sie dem Regime des male gaze entkommen oder wird diese Behauptung in der Inszenierung bloß aufgestellt? Gob Squad inszenieren die titelgebenden Kreationen durch die vielfachen Rahmungen als potentiell schützend. Das Regime des Blicks und damit die Bedingungen von Sichtbarkeit verändern sie dadurch nicht. Sie führen die Normierung vielmehr vor. In einer anderen Aufstellung stehen wieder alle gemeinsam vorne am Bühnenrand und sagen: „ Look at us, we need your attention. “ Sharon zieht sich nackt aus, wodurch sie meine Aufmerksamkeit erhält. Sofort karikiert sie selbst das Klischee eines weiblich nackten Körpers auf der Bühne, da sie dies nur tue, um Blicke zu generieren. Wie kann Sharon diesem Blick entkommen? Wie lässt sich darunter spielen und wie darunter existieren, wenn das, was Wirklichkeit genannt wird, auch immer schon von Inszenierungen und normierter Sichtbarkeit durchzogen bleibt? Wenn Luce Irigaray von der Zur-Schau-Stellung als Schrecken schreibt, meint sie, dass das weibliche Geschlecht nicht gesehen werden könne, solange Repräsentation durch einen männlichen Blick strukturiert sei. 47 Auch Sharons Szene befragt diese Bedingungen und benennt die Rahmung der Schauordnung. Eine andere Möglichkeit von Sichtbarkeit eröffnet sich jedoch auch hier nicht, da sie mit der Ausstellung ihres nackten weiblichen Körpers bei aller Selbstkritik voyeuristische und sexualisierte Blickregime des male gaze trotz allem bedient. In einer weiteren Szene spricht die Gastperformerin Christina, die noch am Anfang ihrer Bühnenkarriere stehe, über ihre Angst vor primär weißen Blicken. Mit einem langen, floral gemusterten Kopftuch posiert sie halbliegend, den Zuschauer: innen den Rücken zugewandt vor einer spiegelnden Wand, durch die sie Bastian und die Gastperformerin Lieve anblicken. Bastian fragt: „ Is there any image you would like to erase in the future, an image of you? “ Ruhig schaut sie Bastian an und spricht ins Mikrofon: There have been times in my life where I have wanted to erase being a black working class queer women, but actually what I want to erase is the system that I have to navigate through on a daily basis, a system who serves people who look like you, white people. I would also erase the fear that I feel specifically social anxiety. 32 Eva Döhne In dieser kurzen Passage erwähnt sie nicht nur ihre Verletzlichkeit als Schwarze und queere Frau aus der Arbeiter: innenklasse. Sie spricht auch über ihren Wunsch, das System der weißen Privilegierung ausradieren zu wollen. Durch Christinas Auftreten und ihr Sprechen wird der weiße Blick als eine Form von „ racialization “ nach Sara Ahmed 48 erkennbar und zugleich in dessen strukturell männlicher, westlicher und kolonialer Ideologie kritisiert. Indem sie Bastian adressiert, aber auch das Publikum über die Kamera anschaut und das hegemoniale Weißsein der Mehrheit im Raum und die damit verbundene Privilegierung anspricht, verweist Christina neben der sexualisierenden, geschlechtlichen und sozialen Identifizierung ihres Körpers vor allem auch auf die rassifizierende Normierung der Repräsentation, wie sie auch Hall beschreibt. 49 Hall unterscheidet in seiner Analyse der rassifizierenden Repräsentationsregime drei mögliche Gegenstrategien, wobei er die beiden Strategien a) der Aneignung negativer Stereotype sowie b) der positiven Gegenentwürfe zugunsten des Ansatzes kritisiert, c) immer noch durch „ das Auge der Repräsentation “ 50 zu gehen. Darunter lässt sich eine Strategie der Repräsentation beschreiben, die die dominanten Regime und damit auch die Konstituierung des Blicks nicht umgeht oder Gegendarstellungen behauptet. Halls Kritik lässt eine Strategie der Repräsentation zu, die die gesellschaftlich, historisch normierten Muster anspricht und diese damit durch die Repräsentation selbst konfrontiert. Christina benennt, indem sie sich als „ black working class queer women “ bezeichnet, auch die Mehrfachidentifizierung ihrer Selbst und betont damit Ambivalenzen, wenn sie sich sowohl als queer als auch als woman beschreibt. Doch macht die Aufzählung der Differenzen bereits eine Decodierung des Repräsentationsregimes aus? Kann ich aus meiner Positionierung heraus Christinas Wünsche und Ängste wirklich sehen und begreifen, oder aber erscheinen ihre persönliche Geschichte und ihre Körperlichkeit immer nur eingeordnet in die Register des ideologisch aufgeladenen Sichtbaren? Schützt der Einsatz der Kamera, indem die künstliche und gerahmte Fixierung des Gesehenen gezeigt wird, oder aber ermöglicht diese Art des Sehens Christinas Darstellung uneindeutig werden zu lassen und ihre Forderung ernst zu nehmen? Die Inszenierung nimmt beide Fragen auf, allein schon, weil Christinas Perspektive einen Raum bekommt. Dennoch wird zugleich gezeigt, dass die Privilegierung des strukturell weißen, heteronormativen, cis-männlichen Blicks andauert. 51 Durch die Form der Ausstellung und der beinahe schablonenhaften Benennung ihrer Identitätskategorien wird sie erneut als Objekt der Anschauung inszeniert. Die alleinige Benennung und Ausstellung ihrer Position verändert damit weder die sie anschauende Perspektive, noch das System des Repräsentationsregimes. Die Form der durch die Kamera gespiegelten Repräsentation von Christinas Position unterbindet dabei das normierte Repräsentationsregime der Blicke nicht, sondern verweist - auch durch den opulenten Blumenschmuck - auf die Stereotypisierung einer exotischen Darstellung von Christina als Andere. Letztlich ist es nicht entscheidend, ob Amelies, Christinas oder auch Sharons Szenen gescriptet, fiktiv, improvisiert, oder biografisch fundiert sind. Es ist nicht von Interesse, ob die erzählten Geschichten, Sorgen, Sehnsüchte und Ängste tatsächlich passiert sind, oder nur scheinbar vorgespielt und damit inszeniert werden. Weder die Körperdarstellungen und -bildnisse, noch das Spiel der Performer: innen lassen sich in Eindeutigkeit auflösen. Gob Squad zeigen die Sehnsucht angeblickt zu werden als Begehren nach Anerkennung. Sie präsentieren ins Licht getauchte Körper, die die 33 Ins Licht getauchte Körper und gespiegelte Blicke. Gob Squads Creation (Pictures for Dorian) Bedingtheit des An- und Zuschauens ausstellen. Die Körperdarstellungen und Subjektivierungsweisen können dabei nicht losgelöst von der Illusion der Bühne und der Normierung des Blicks gedacht werden, sondern exponieren die normierte Betrachtung als Teil einer Illusion beim Zuschauen, die hartnäckig wirkt. Die Bühne wird als ein Spiegelkabinett inszeniert, das Bilder produziert, verwirft, neu zusammensetzt und dieses Spiel unendlich fortsetzt. Damit gelingt es, diejenigen Momente, die oft als ‚ Wirklichkeit ‘ bezeichnet werden, als Momente erscheinen zu lassen, die immer schon von Inszenierungen durchzogen und von ihrem illusorischen Charakter nicht zu trennen sind. Über die Lust zu sehen und die Lust sich zu zeigen „ Who are you looking at? “ , wird das Publikum wiederholend gefragt. Alle Performer: innen werden sowohl als Schauende als auch als Angeschaute gezeigt. Die Lust zu sehen verbindet sich durch den begehrenden Blick mit der Lust sich zu zeigen. Durch die vielen Screens aus Videobildern und Rahmungen entsteht eine Form des Sehens, das die Eingrenzung der Sichtbarkeit betont und damit die Sehordnung in Form einer Beziehungsarbeit zwischen Performer: innen und Publikum selbst zeigt. Das bei Wilde noch primär homoerotische Begehren wird von Gob Squad mit Fragen der Identität und mit der Produktion von Kunst verbunden. Schon die Blicke auf Dorians Portrait gehören nicht Dorian, wirken sich aber fundamental darauf aus, was er und wie er sich wahrnimmt. Dorian wird zu einer von Narzissmus und Gier getriebenen Figur, die ihr Spiegelbild vergöttert. Nicht nur Homosexualität, sondern jede Form der Identifizierung zeigt sich dadurch als ambivalenter Prozess. 52 Indem Gob Squad die vorgestellten Körper und Geschichten im Rampenlicht der Bühne verhandeln, erweitern sie die bei Wilde noch primär cis-männlich homosexuelle Identifikation in eine generelle Frage an Prozesse ambivalenter Identifizierung und Sichtbarkeit von Differenz. Ausgehend von der Figur des Dorian führen sie in der Performance fluide und größtenteils uneindeutige Begehrensstrukturen vor. So bezeichnet sich Christina als Schwarz, als queer und als working class woman und Claudia als weiblich, als Frau und als Drag, Bastian als schwul und weiblich und Sharon als weiblich, Frau und Mutter. Die Wirkungsmacht von identifikatorischen Bildern einer primär weißen und heterosexuellen Matrix in Bezug auf Alter, Körper, Ability, Klasse Race, Sex und Gender stehen in der Performance zur Debatte. Durch die Involvierung der sechs Gäste zeigt sich das Begehren nach Aufmerksamkeit und die Leidenschaft für die Illusionierung der Performancebühne nicht nur als spezifische Sehnsucht nach ewiger Jugend oder ewiger Unversehrtheit, wie dies in Wildes Roman anklingt, sondern auch als ein Zugeständnis an den anatomischen Verfall der Körper und damit an die Kategorie des Alters. Statt Identifizierungen einheitlicher Gestalten ohne körperliche Mängel, wie es das Portrait von Dorian suggeriert (diese Wunschmomente werden durchaus auf der Bühne ausgesprochen) sehe ich Körper, die alt und gezeichnet sind, noch jung und unerfahren oder sich eindeutigen geschlechtlichen Einordnungen innerhalb eines binären heterosexuellen Geschlechterverhältnisses entziehen. Die Aufführung ist die In-Szene-Setzung einer alternativen Zur- Schau-Stellung der Körper und der gelebten Erfahrungen, Wünsche, Geschichten, Träume und Sehnsüchte. Die Bühne ist nicht der Ort, an dem Gob Squad Abgeschlossenheit und Präsenz vorführen. Die Bühne ist bei ihnen ein Ort, der die flackernden Ränder 34 Eva Döhne im Moment der Gestaltwerdung und damit auch im Moment einer jeden Identifikation antippt. Gob Squad versuchen, die Bilder beweglich zu halten, statt sie zu definieren und zu objektivieren. „ To define is to limit “ , sagt Sharon immer wieder leise murmelnd, kaum hörbar, vor sich hin. Mit dieser Methode bewegen sie sich auf dem schmalen Grat, ihre Gäste, auch als Diversity Cast zu lesende Gruppe, nicht permanent zu Objekten zu degradieren. Die Performer: innen von Gob Squad behaupten, sich selbst als in die Jahre gekommene Personen auf der Bühne zu betrachten und sowohl das Vorgestelltsein, als auch das Gesehenwerden zu reflektieren. „ I ’ ve always done more looking than being looked at “ , erzählt Sean. Er deutet an, dass das selbstreferentielle Spiel und die Umschichtung der darstellerischen Leistungen auf sogenannte Gäste mit Bühnenerfahrungen auch als ein Schutz vor den Blicken des Publikums verstanden werden kann. Sie inszenieren sich als Subjekte der Repräsentation und als Objekte des Blicks zugleich, die um ihr eigenes Vorgestelltsein wissen. In dieser Bewusstwerdung liegt laut Silverman das subversive Potential und die Möglichkeit des Spiels mit der Maskerade. 53 Dieses Spiel nehmen Gob Squad auf. Spielerisch werfen sie den Blick zurück. Nicht nur unmittelbar an das Publikum, sondern stattdessen versuchen sie, über den Einsatz der Livevideokamera und Rahmungen den Blick hinter dem Blick und damit das äußere Gerüst des Blickes auszustellen. Sie als Performer: innen offenbaren im selbstreferentiellen Spiel die Vorstellung ihres Vorgestelltseins. Gob Squad führen die Konstituierung der Repräsentation vor und versuchen die Blickrichtungen spielerisch zu unterlaufen; entkommen können sie den Mustern jedoch nicht. Mit Bezug auf Hall lässt sich summieren, dass die Inszenierungen der Differenzen der Gäste „ durch das Auge der Repräsentation “ sichtbar sind und insgesamt im Repräsentationsregime der zentral ausgerichteten Performancebühne und der immer schon normierten Blickrichtung und Blickkonstituierung verharren. Die Arbeit lotet im Exponieren der Unsichtbarkeit die verkürzte Interpretation und die zum Definieren und Benennen drängende Praxis der Identitätsannahme der Körper und Geschichten aus. Die Arbeit bleibt eine Bearbeitung von Grenzen, eine Verhandlung, die die Gefahr der Selbstauflösung mit sich bringt, da sie sich von der Annahme autonomer Subjekte in der Darstellung verabschiedet. Die Subjekte bleiben dabei einer sie permanent eingrenzenden Darstellung unterworfen, auch wenn sie die Repräsentationsregime teilweise ausstellen. Die Ordnungsmerkmale der Bühne beginnen zu schillern und zeigen sich kurzzeitig. Creation (Pictures for Dorian) ist eine Performance, die ihre Gestalt sucht, ihre Produktion und ihre Repräsentation zeigt und zugleich diejenigen, die als Repräsentierte erscheinen, in ihrem behaupteten Sein, aber auch in ihrem Nicht-Sein ausstellt. Was bleibt, ist die Idee, dass die Bühne zu einem Möglichkeitsraum wird, die Diversität der Körper, der Identitäten, der Geschichten vorzuführen, auszustellen und dadurch - wenn auch nur verschleiert, gespiegelt, projiziert - verfügbar zu machen. Anmerkungen 1 Eve Kosofsky Sedgwick / Adam Frank (Hg.), Shame and its Sister. A Silvan Tomiks Reader, Durham, London 1995, S. 3 übers. und zit. nach: „ Das Kollektiv und das Publikum “ , in: Aenne Quiñones (Hg.), Gob Squad - What are you looking at? Postdramatisches Theater in Portraits. Bd. 1, Berlin 2020, S. 54 - 101, hier S. 55. 2 Gob Squad, Creation (Pictures for Dorian) (UA: 02.05.2018, Hebbel am Ufer Berlin). Meine Seherfahrungen beziehen sich auf 35 Ins Licht getauchte Körper und gespiegelte Blicke. Gob Squads Creation (Pictures for Dorian) einen Performancebesuch während der Wiesbaden Biennale 2018 und eine Videosichtung der Londoner Performance. 3 https: / / www.gobsquad.com/ projects/ creati on-pictures-for-dorian, [Zugriff am 25.01. 2023]. 4 Vgl. dazu die Einteilung des Schautriebs von Freud in Schauen, Beschautwerden und Sich Zeigen. Sigmund Freud, „ Triebe und Triebschicksale “ (1915), in: Ders., Studienausgabe, Bd. 5, Frankfurt a. M. 2000, S. 92 f. 5 Vgl. Oscar Wilde, The Complete Works of Oscar Wilde, Vol. 3, The Picture of Dorian Gray, the 1890 and 1891 Texts, hg. v. Joseph Bristow, New York 2005. Die Seitenzahlen von Zitaten, die sich direkt auf den Text beziehen, werden fortan in runden Klammern genannt. 6 Bristow, „ Introduction “ , in: Wilde, Dorian, S. xi - lx, hier S. xi. 7 Vgl. ebd. 8 Vgl. Susan Sontag, Notes on ‘ Camp ’ , London 2018, S. 4. 9 Ebd., S. 28. 10 Ebd., S. 31. 11 Bei Wilde zeigt sich damit die teilweise auch bei Judith Butler und bell hooks diskutierte Annahme, ob und wie weit cis-männliche Homosexualität mit Frauenfeindlichkeit zusammenhängen. Vgl. Judith Butler, Körper von Gewicht, Frankfurt a. M. 1997, S. 180 ff. Vgl. bell hooks, „ Is Paris Burning? “ , in: Sisters of the Yam column, 06 (1999). 12 1994 gründeten Johanna Freiburg, Alex Large, Sean Patten, Liane Sommers, Berit Stumpf und Sarah Thom das Performance Kollektiv Gob Squad als Zusammenschluss von Student: innen der Nottingham Trent University und des Gießener Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft. Vgl. Aenne Quiñones, „ Be Part of Something Bigger “ , in: Dies. (Hg.), What are you looking at? , S. 22 - 53, hier S. 27. 13 Alle Zitate entstammen der Mitschrift zur Performance von Eva Döhne. 14 Um bei den vielen genannten Namen den Überblick zu behalten, habe auch ich mich dazu entschieden, die Perfomer: innen bei ihren Vornamen zu nennen. 15 Die gesamte Anfangsszene der Performance, das Motiv der Blumenkunst und die später leicht melancholisch klingende Musik im Hintergrund erinnern an die Beschreibung von Basil Hallwards Studio am Beginn des ersten Kapitels bei Wilde, wo es heißt: „ The studio was filled with the rich odor of roses, and when the light summer wind stirred amidst the trees of the garden there came through the open door the heavy scent of the lilac, or the more delicate perfume of the pink-flowering thorn. “ Wilde, Dorian Gray, S. 3. 16 Weiß wird hier markiert, um darauf aufmerksam zu machen, dass es häufig als unmarkiert und neutral verstanden wird. 17 Die Schreibweise von Frau wird kursiviert, um auf die sozial konstruierte und historisch manifestierte Position im binären Denken zu verweisen, die mit der kategorialen Bezeichnung einhergeht. 18 Diese Besetzungstrategien nutzen Gob Squad seit der Produktion Room Service (Help Me Make It Trough The Night) in 2003 regelmäßig. Vgl. Nina Tecklenburg, Performing Stories. Erzählen in Theater und Performance, Bielefeld 2014, S. 17. Zu beachten ist auch, dass seit Gob Squads Performance Kitchen immer wieder In-Ear- Kopfhörer zum Einsatz kommen, die die konkreten Verhaltensweisen auf der Bühne oder den Text vorgeben. Vgl: Fred Dalmasso, „ Ethics of play in earpiece performances by Nature Theater of Oklahoma and Gob Squad “ , in: Performance Philosophy 1 (2017), S. 233 - 245. 19 Quiñones, What are you looking at? , S. 36. 20 Vgl. ebd, S. 37. 21 Dieser Gedanke erinnert an Lacans Ausführung zur Mimikry, wenn er mit Bezug auf Roger Callois über das Krustentierchen Caprella schreibt. Vgl. Jacques Lacan, „ Linie und Licht “ , in: Ders.: Das Seminar von Jacques Lacan, Buch XI (1964): Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, übers. v. Norbert Haas, Weinheim/ Berlin 1987, S. 97 - 111, hier S. 104. 22 Haß betont, dass durch Keplers Theorie des Netzhautbildes und dessen Bestätigung durch Descartes das innerweltlich definierte 36 Eva Döhne Auge zum Leitmodell der visuellen Kultur geworden sei und, dass seither historisch zwei voneinander zu trennende Systematiken des Blickes vorhanden seien, „ die sich im Aspekt ihrer Sagbarkeit unterscheiden. “ Ulrike Haß, Das Drama des Sehens. Auge, Blick und Bühnenform, Bielefeld 2005, S. 16. 23 Die Verschränkung von Auge und Blick erarbeitet Lacan anhand von drei Diagrammen in Jacques Lacan, „ Die Spaltung von Auge und Blick “ , in: Ders., Die vier Grundbegriffe, S. 73 - 84. 24 Haß, Drama, S. 21. 25 Ebd. 26 Kaja Silverman, The Threshold of the Visible World, New York 1996, S. 163 ff. Psychoanalytische Überlegungen zur Blickbeziehung und der Konstitution von Subjektivität haben sich innerhalb feministischer Theorie als zentraler Bezugspunkt erwiesen und wurden vielfach weiter ausgearbeitet. Vgl. Laura Mulvey, „ Visuelle Lust und narratives Kino “ , in: Liliane Weissberg (Hg.), Weiblichkeit als Maskerade, Frankfurt a. M. 1994, S. 48 - 65. 27 Silverman, The Treshold, S. 163 f. 28 Der Begriff des Regimes steht dabei in großer Nähe zu den Theorien Michel Foucaults. Dieser arbeitet heraus, dass historische Anordnungen von Macht, Wissen und Begehren als grundlegend für spezifische Wahrnehmungsmuster und spezifische Konventionen des Blicks zu beschreiben sind, die wiederrum dazu beitragen, die sie konstituierenden Machtformationen zu stabilisieren. Bei Foucault ist der Blick „ gleichzeitig Instrument und Effekt gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsstrukturen “ und historisch in den je spezifischen Kontext eingebunden und veränderbar. Vgl. Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, übers. v. Walter Seitter, Frankfurt a. M. 1977, S. 49 ff. 29 Silverman, The Treshold, S. 150. 30 Ebd. 31 Stuart Hall, „ Das Spektakel des Anderen “ , in: Ders., Ideologie, Identität, Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4. Hamburg 2004, S. 108 - 166, hier S. 115. Hall betont, dass seine Überlegungen über die Repräsentation von race sich auch auf die Repräsentation der Differenzen Geschlecht, Sexualität, Klasse und Behinderung übertragen lassen. Vgl. ebd., S. 108. 32 Ebd., S. 135. 33 Mit diesen Gedanken steht Silverman in großer Nähe zu Butler, die ebenfalls betont, dass normierte Erscheinungen des Körpers als materialisierte Effekte von diskursiven Anordnungen, die sich historisch und sozial ausdifferenzieren, zu fassen sind. Vgl. Butler, Bodies that Matter, S. 52. 34 Vgl. Hall, „ Spektakel “ , S. 108 f. 35 Kaja Silverman, Male Subjectivity at the Margins, New York 1992, S. 149. 36 In der Vorlesung „ Was ist ein Bild? “ betont Lacan, dass das menschliche Subjekt nicht vollkommen in der Welt des Gesehenwerdens verharre. Das menschliche Subjekt könne erahnen, dass es durch das Bild im Schirm angeblickt werde. Vgl. Jacques Lacan, „ Was ist ein Bild? “ , in: Ders., Die vier Grundbegriffe, S. 112 - 128. 37 Haß, Drama, S. 77. 38 Vgl. ebd. 39 Silverman, Male Subjectivity, S. 150. 40 Ebd., S. 153. 41 Haß betont, dass seit der neuplatonischen Auslegung der Philosophie in der Renaissance die von Platon im Höhlengleichnis etablierte Metapher des Schattens durch den Spiegel als Abbild des Inneren und der Seele ersetzt wurde. Damit einher gehe die Behauptung, Sichtbarkeit könne allumfassend dargestellt werden. Der Spiegel gelte als Metapher für die Eingrenzung des Sehens als Sichtbarkeit. Vgl. Haß, Drama, S. 20. 42 Vgl. Lacan, „ Die Spaltung von Auge und Blick “ , in: Ders., Die vier Grundbegriffe, S. 73 - 84. Vgl. zum theatertheoretischen Bezug Haß, Drama, S. 16. 43 Vgl. für theaterwissenschaftliche Überlegungen zum Blick Gerald Siegmund, „ Körper, Heterotopie und der begehrende Blick. William Forsythes Preisgabe des Fluchtpunkts “ , in: Gabriele Brandstetter / Birgit Wiens (Hg.), Theater ohne Fluchtpunkt. Das Erbe Adolphe Appias: Szenographie und Choreographie im zeitgenössischen Theater, Berlin 37 Ins Licht getauchte Körper und gespiegelte Blicke. Gob Squads Creation (Pictures for Dorian) 2010, S. 130 - 152. Adam Czirak, Partizipation der Blicke. Szenerien des Sehens und Gesehenwerdens in Theater und Performance, Bielefeld 2012. 44 Auch Dorians Erscheinung wird bei Wilde von der Figur des Lord Henry mit Rosenmetaphern beschrieben wird. Wilde, Dorian, S. 21. 45 Die Szene erinnert an die Passage bei Wilde, in der Dorian das gemalte Portrait, das zu diesem frühen Zeitpunkt im Roman wie ein Spiegelbild seiner Erscheinung beschrieben wird, zum ersten Mal betrachtet. Wilde, Dorian, S. 28 - 29. 46 Seit Anfang 2000 sind selbstproduzierte Videobilder zentraler Bestandteil vieler Performances von Gob Squad. Vgl. Quiñones, What are you looking at? , S. 48. 47 Vgl. Luce Irigaray, Das Geschlecht, das nicht eins ist, Berlin 1979, S. 25. 48 Vgl. Sara Ahmed, „ Racialized bodies “ , in: Marie Evans / Elli Lee (Hg.), Real Bodies. A Sociological Introduction, New York 2002, S. 46 - 63. 49 Vgl. Hall, Spektakel, S. 165. 50 Hall, Spektakel, S. 163. 51 Vgl. bell hooks, „ The oppositional gaze. Black Female Spectators “ , in: Dies., black looks. Race and Representation, New York 2014, S. 115 - 131, hier S. 115 f. 52 Vgl. Butler, Körper, S. 179 f. 53 Vgl. Silverman, Male Subjectivity, S. 135 ff. 38 Eva Döhne
