Forum Modernes Theater
fmth
0930-5874
Narr Verlag Tübingen
10.24053/FMTh-2024-0013
0120
2025
351-2
BalmeDenaturalisiertes Atmen: Lígia Lewis’ Still not Still (2021) im Spiegel respirativer Zugehörigkeiten des frühen modernen Tanzes
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2025
Julia Ostwald
Ausgangspunkt dieses Beitrags sind die choreografischen Atemlosigkeiten im Film Still not Still (2021) der Choreografin Lígia Lewis, die Anlass geben, das Atmen im Tanz als ein intersektionales, historisch wandelbares ästhetisches Mittel in den Blick zu nehmen. Prämisse ist, dass es einen Unterschied macht, wer, wann, wo und wie atmet. Als einer möglichen historischen Situierung und Spiegelung stelle ich Still not Still eine den frühen euro-amerikanischen modernen Tanz um 1900 dominierende Linie gegenüber, die Atmung auf Seiten von Vitalität und Natürlichkeit verortet; eine Linie, die thesenhaft als naturalisierter hegemonialer Atem bezeichnet wird. Exemplarisch dafürwerden Genevieve Stebbins’ und Isadora Duncans Konzepte und Praktiken des Atmens im Kontext von Delsartismus sowie Körper- und Tanzreform untersucht. Der Artikel fragt, wie über die Naturalisierung desAtems spezifische geschlechtliche, rassifizierte und nationalistische Zugehörigkeiten konstruiert und performt wurden und inwiefern es daher geboten ist, Verständnisse des Atmens in choreografischen Praktiken zu denaturalisieren und zu pluralisieren.
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Denaturalisiertes Atmen: Lígia Lewis ’ Still not Still (2021) im Spiegel respirativer Zugehörigkeiten des frühen modernen Tanzes Julia Ostwald (Wien) Ausgangspunkt dieses Beitrags sind die choreografischen Atemlosigkeiten im Film Still not Still (2021) der Choreografin Lígia Lewis, die Anlass geben, das Atmen im Tanz als ein intersektionales, historisch wandelbares ästhetisches Mittel in den Blick zu nehmen. Prämisse ist, dass es einen Unterschied macht, wer, wann, wo und wie atmet. Als einer möglichen historischen Situierung und Spiegelung stelle ich Still not Still eine den frühen euro-amerikanischen modernen Tanz um 1900 dominierende Linie gegenüber, die Atmung auf Seiten von Vitalität und Natürlichkeit verortet; eine Linie, die thesenhaft als naturalisierter hegemonialer Atem bezeichnet wird. Exemplarisch dafür werden Genevieve Stebbins ’ und Isadora Duncans Konzepte und Praktiken des Atmens im Kontext von Delsartismus sowie Körper- und Tanzreform untersucht. Der Artikel fragt, wie über die Naturalisierung des Atems spezifische geschlechtliche, rassifizierte und nationalistische Zugehörigkeiten konstruiert und performt wurden und inwiefern es daher geboten ist, Verständnisse des Atmens in choreografischen Praktiken zu denaturalisieren und zu pluralisieren. Lígia Lewis, tänzerisch sozialisiert durch den Postmodern Dance und durch Choreograf: innen wie Alvin Ailey, Bill T. Jones und Urban Bush Women, kreist in ihren Choreografien um die kulturelle Bedingtheit und Unterdrückung marginalisierter Körper aus Perspektive Schwarzer amerikanischer Geschichte. 1 Ihr Anliegen beschreibt Lewis selbst mit folgenden Worten: Ich meine es ernst, wenn ich sage, ich interessiere mich dafür, was aus Unsinn entsteht [. . .] als einer weiteren Möglichkeit außerhalb der Vernunft. Das Theater erlaubt es mir zu träumen, aber meine Träume nehmen es mit den Albträumen auf, die wir Wirklichkeit nennen. 2 Die albtraumhafte Wirklichkeit, von der Lígia Lewis hier spricht, ruft unter anderem die letzten Worte Eric Garners, George Floyds und vieler weiterer, durch Polizeigewalt getöteter Afroamerikaner: innen ins Bewusstsein, die zum Protestruf der Black- Lives-Matter-Bewegung geworden sind: „ I Can ’ t Breathe “ . Die darin ausgedrückten vielschichtigen Erfahrungen von physischer wie struktureller Gewalt, denen eine lange rassistische Geschichte des Atemnehmens und der Atemnot vorausgeht, können als der Boden von Lewis ’ Arbeiten verstanden werden. Ihre Position ist entsprechend nicht auf die Gegenwart zu reduzieren, es ist vielmehr gerade die historische Perspektive auf strukturelle rassistische Ausschlüsse marginalisierter Personen aus Geschichte und Geschichtsschreibung, die Lewis ’ Ansatz auszeichnen. Trotz ihrer Aktualität fallen ihre Stücke ästhetisch, dramaturgisch und choreografisch im besten Sinn aus der Zeit: Sie sind bevölkert von Geistern und Untoten; Fragmente individueller wie kollektiver Geschichte(n) spuken in ihnen. Sie entlehnen Strukturen historischer ästhetischer Formate und arbeiten mit Bewegungen, die sich den Codes des sogenannten zeitgenössischen Tanzes entziehen. Dieses Aus-der-Zeit-Fallen, das mit Jacques Derrida als die „ Ungleichzeitigkeit der lebendigen Forum Modernes Theater, 35/ 1-2, 182 - 193. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.24053/ FMTh-2024-0013 Gegenwart mit sich selbst “ beschrieben werden könnte, aus der eine bestimmte „ Verantwortlichkeit, jenseits jeder lebendigen Gegenwart “ 3 erwachse, möchte ich für diesen Beitrag aufgreifen. Wenngleich in diesem Themenschwerpunkt performative Zugehörigkeiten der Moderne im Fokus stehen, werde ich Lewis ’ Arbeit Still not Still (2021) als Ausgangspunkt nehmen, um sie spezifischen intersektionalen Konstruktionen respirativer Zugehörigkeiten im frühen Modernen Tanz als einer möglichen historischen Spiegelung gegenüberzustellen. Denn, dies sei als Prämisse vorangestellt, wie Atmen als ästhetisches Material produktiv gemacht wird, ist gebunden an historisch-kulturell wandelbare Diskurse und Praktiken, oder mit anderen Worten: Wer in Aufführungssituationen, wo und wie atmet, macht - so möchte ich behaupten - einen Unterschied. 4 Still not Still: Historische und gegenwärtige Atemlosigkeiten Bei Still not Still handelt es sich um eine knapp zehnminütige Filmfassung des gleichnamigen abendfüllenden Tanzstücks aus dem Jahr 2021, das aufgrund der Pandemie zunächst nicht aufgeführt werden konnte. 5 Den konzeptuellen Rahmen bildet der Ausschluss marginalisierter Personen aus der dominierenden Geschichtsschreibung und die Frage, inwiefern diese gewaltsame und lückenhafte Geschichte selbst als Leichnam „ zu Grabe getragen “ 6 werden kann. Sieben Performer: innen verkörpern in dystopischen Tableaux Vivants Szenen des Sterbens, oder vielmehr - im Sinne des Titels Still not Still - einen zugleich albtraumhaften wie komisch grotesken Zustand zwischen Leben und Tod. 7 Der Film ist ein Zusammenschnitt von fragmentarischen, aus verschiedenen Perspektiven aufgenommenen Szenen. Diese ethisch grundierten Perspektivwechsel deutet Lewis an, wenn sie ihr Stück beschreibt als „ eine Situation oder Meditation nach dem Motto ‚ Ich sehe dich, wie du siehst, wie ich sterbe oder leide ‘ . “ 8 So befinden sich die Zuschauenden des Films zunächst mitten unter den Performer: innen. Diese stoßen oder reißen ihre eigenen Körper und die der anderen; sie stolpern und fallen keuchend zu Boden. Die mit einem hohen Kraftaufwand ausgeführten Bewegungen gehen mit schwerem Ausatmen einher, sie lassen die Tanzenden außer Atem geraten. Die folgende Szene - initiiert vom Klang eines erschrockenen Einatmens - inszeniert das frontale Tableau einer nach Luft ringenden Gruppe. Hände tasten zur Kehle, Gesichter mit offenen Mündern versuchen unter sichtbarer Mühe einzuatmen. Atmung erscheint in diesen Szenen einerseits sicht- und hörbar - wobei Bild und Ton meistens nicht deckungsgleich sind, Atmen sich also loslöst von den sichtbaren Körpern. Andererseits kann das ungleichmäßige Außer-Atem-Sein auf die fragmentarische, disruptive Struktur der Szenen bezogen werden. Dominierend sind hier Formen von Atemlosigkeit: als exzessive Verausgabung in Verbindung mit Bewegungen des Fallens; als minimaler, verflachter Atem, der zur einzigen unruhigen Bewegung des Körpers im Stillstand gerät; als irreguläre Struktur von Zuviel und Zuwenig. Diese Formen von Atemlosigkeit haben starke Bezüge zu dem von Frantz Fanon im Kontext (post)kolonialer Unterdrückung geprägten Begriff des „ combat breathing “ . In seiner einschlägigen Studie Black Skin, White Masks von 1952 nennt er als Ursache für den Krieg der Vietnames: innen gegen die französische Kolonialmacht, „ because ‚ quite simply ‘ it was, in more than one way, becoming impossible for [them] to breathe. “ 9 Weiter schreibt er 1959 in A Dying Colonialism im Kontext des algerischen Unabhängigkeitskrieges: 183 Denaturalisiertes Atmen: Lígia Lewis ’ Still not Still (2021) there is not occupation, on the one hand, and independence of persons on the other. It is the country as a whole, its history, its daily pulsation that are contested, disfigured . . . under these conditions, the individual ’ s breathing is an observed, an occupied breathing. It is a combat breathing. 10 Combat Breathing verweist auf die tiefliegende Verflechtung von struktureller Unterdrückung und atmendem Körper. 11 Combat Breathing ist dabei eine doppelte Bedeutung eigen: besetztes, unterdrücktes Atmen als Symptom eines, mit Fanon gesprochen, verzerrten gesellschaftlichen Pulsschlages in einer Atmosphäre des Drucks; 12 Atemholen aber auch als Möglichkeitsbedingung widerständigen Aufbegehrens. Vor diesem Hintergrund kann der Titel von Lewis ’ Choreografie Still not still auch auf ihre ästhetische Verwendung des Atmens bezogen werden: Die differenzierten Atemlosigkeiten der hier inszenierten Körper sind Ausdruck ihrer Marginalisierung. Zugleich kann die aller Gewalt zum Trotz fortgeführte respirative Bewegung des Einatmens, Ausatmens, Innehaltens als Minimum eines körperlichen Widerstands verstanden werden. Wenn Atmung eine Figur der Transgression zwischen Leben und Tod ist, dann situiert der atemlose Atem in Lewis ’ Still not Still die Figuren in einem unentschiedenen, geisterhaften, unruhigen Grenzbereich dazwischen. Damit stellt Lewis sich meines Erachtens quer zu einer den euro-amerikanischen Bühnentanz seit dem späten 19. Jahrhundert dominierenden Linie, die Atmung auf Seiten von Vitalität und Natürlichkeit verortet. Diese Linie, auf die ich im Folgenden näher eingehen werde, bezeichne ich hier thesenhaft als naturalisierten hegemonialen Atem, der zugleich emanzipatorische Züge wie rassifizierte Ausschlüsse umfasst. In diesem Zusammenhang werde ich Still not Still exemplarisch Genevieve Stebbins ’ und Isadora Duncans performative Konzepte des Atmens um 1900 gegenüberstellen, um zu fragen, wie genau über die Naturalisierung des Atems geschlechtliche, rassifizierte und nationalistische Zugehörigkeiten konstruiert und performt werden. Delsartismus, Genevieve Stebbins und der ‚ natürliche ‘ Atem In meiner Recherche bin ich über eine Seite der Wiener Illustrierten Zeitung aus dem Jahr 1919 in der Rubrik „ Bilder der Woche “ förmlich gestolpert (Abb. 1). Das zentrale, fast seitenfüllende Bild trägt die Unterschrift „ Während der Waffenstillstandsverhandlungen an der Westfront: Drei farbige Engländer erhalten in ihrem Unterstand Nachricht vom Abschluß der Waffenruhe. “ 13 Auf dem von oben herab aufgenommenen Foto sind die Gesichter dreier Soldaten im Schützengraben zu sehen. Der untere Teil ihrer Körper ist nicht sichtbar, da in der Erde; sie sind umgeben von einem Durcheinander an Dingen: einem Gewehr, Helm, Patronenhülsen, möglicherweise einer Gasmaske. Das Bild ist - ohne jeglichen benannten Zusammenhang - gerahmt von einem Text mit dem Titel „ Delsartismus “ , in dem es heißt: Miss Stebbins gebührt das unschätzbare Verdienst, den Delsartismus [. . .] nach der allgemein gymnastischen Seite hin überhaupt praktisch verwendbar gemacht zu haben [. . .] benötigen wir doch alle, [. . .] eine Körperkultur, um uns von ererbten Schäden in Haltung und Gang, in Knochen- und Muskelapparat, in Stoffumsatz und Blutkreislauf selbsttätig zu befreien! Müssen wir doch alle durch Jahrhunderte verloren Gegangenes uns wiedererobern: bewusste Atmung [. . .]. Fehler der Atmung und Haltung, ebenso wie Wohlbeleibtheit sind als Quelle latenter Selbstvergiftung anzusehen! 14 184 Julia Ostwald Abb. 1: „ Delsartismus “ , in: Wiener Illustrierte Zeitung, 15 (1919), S. 258 - 259, hier S. 259. 185 Denaturalisiertes Atmen: Lígia Lewis ’ Still not Still (2021) Die postulierte „ Selbstvergiftung “ durch falsches Atmen und falsche Haltung steht in perfidem Gegensatz zum Bild und dem darin resonierenden Atmoterrorismus - um Peter Sloterdijks Begriff für die moderne Vereinnahmung und Vergiftung der Luft im Gaskrieg zu entlehnen. 15 Was hier in der Anordnung von Bild und Text zunächst wie ein zufälliger Zynismus erscheint, kann - so möchte ich behaupten - weiter gefasst auch als Inbegriff eines spezifischen Zusammenhangs von Luft und Atmen in der Moderne verstanden werden: Den kriegerischen, aber auch den industriellen und sozialen toxischen Vereinnahmungen der Luft 16 steht seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine wahre Obsession für Praktiken des Atmens in den transnationalen Bewegungen von Körperkultur und Tanz gegenüber. In diesen werden, wie ich zeigen möchte, spezifische Zugehörigkeiten hinsichtlich Geschlecht, Race und Klasse konstruiert. Entscheidende theoretische Grundlage für die vielgestaltigen Körperpraktiken um 1900 - wie Gymnastik, Turnen, freier Tanz - und deren Bezüge zum Atmen bildet ein neues thermodynamisches Verständnis des Körpers, der weniger mechanistisch, sondern vielmehr energetisch konzipiert wird. Die Entwicklung der Thermodynamik Mitte des 19. Jahrhunderts ist nicht nur Motor für die industrielle Revolution, sondern rückt in ihren physiologischen und expressiven Rezeptionen die Frage nach der Energie des Körpers ins Zentrum, die sich unter anderem in zeitgenössischen Diskursen zu Vitalkraft und Ermüdung ausdrückt und aufs Engste mit Fragen der Atmung verbunden wird. 17 Der US-amerikanische Delsartismus nimmt unter den diversen Körperkulturbewegungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für den Tanz eine herausragende Bedeutung ein: Delsartismus ist ein enorm populäres, spezifisch US-amerikanisches, fast ausschließlich weibliches Phänomen. Unter dem Überbegriff des Studiums von „ expression “ umfassen die verschiedenen Ausprägungen des Delsartismus zunächst rhetorische Vortragskunst und in der Hochzeit von 1880 bis 1900 dann vor allem sogenannte harmonische Gymnastik, die Atem- und Entspannungsübungen sowie „ statue posing “ (das Posieren in antikisierten Posen) und „ drills “ (Abfolgen von Posen) lehrt. Prägend für den Delsartismus ist die Idee eines Körpers, der sich ‚ harmonisch ‘ , 18 das heißt ohne unnötige Kraftanstrengung und in diesem Sinn ‚ natürlich ‘ , ausdrückt - oder, wie ein Zeitgenosse das Anliegen beschreibt: „ to reduce the body to a natural, passive state, and from that point to train it to move in harmony with nature ’ s laws. The movements are without nervous tension, and all feats and exertions are discouraged. “ 19 Delsartismus beruft sich auf die vom Pariser Gesangs- und Schauspielpädagogen François Delsarte (1811 - 1870) Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte Systematik menschlichen Ausdrucks. Delsartes mit universellem wissenschaftlichem Anspruch formulierte Gesetze betonen die unauflösbare Verbindung von Körper, Geist und Seele. Sie klassifizieren Körper und Bewegung entsprechend einer christlich-spirituell grundierten Dreiteilung. 20 Sicht- und Unsichtbares, Innen und Außen werden in einem komplexen System verschränkt, was die weitreichende Konsequenz hat, jeglichen Ausdruck und auch die Atmung lesbar zu machen. Nancy Lee Chalfa fasst diese Idee folgendermaßen zusammen: any thought, intention, psychological state, character trait, emotion - or ‘ spiritual function ’ - will have a bodily manifestation; and conversely, gesture, facial expression, voice, carriage, physical mannerism, rhythm, breathing - or any ‘ function of the body ’ - cannot help but reflect or express some kind of meaning. 21 186 Julia Ostwald Delsartismus wird damit zu einem entscheidenden Knotenpunkt, an dem zeittypische Diskurse zum tiefen Atmen aus Ästhetik, Medizin, Körperkultur, Kleiderreform und Metaphysik einander annähern. 22 Genevieve Stebbins (1857 - 1934) ist eine der bekanntesten Vertreterinnen des US- Delsartismus. Sie entwickelt ihn weiter zu einer vitalistischen Bewegungstechnik, die über ihre 1893 gegründete The New York School of Expression und zahlreiche Publikationen wie Dynamic Breathing and Harmonic Gymnastics - A complete System of Psychical, Aesthetic and Physical Culture große Popularität erfährt. Stebbins propagiert, die Kunst zu lehren, „ of being able to always express the true self [. . .]. It is the art of graceful dynamic presentation of self under all possible circumstances. “ 23 In ihrem spirituellen System konzipiert Stebbins Atmung als „ mysterious, yet universal essence “ 24 . Ein- und Ausatmen verbänden, argumentativ im thermodynamischen Gesetz vom Erhalt der Energie verankert, den Menschen mit Natur, Kosmos und Gott. 25 Als Scharnier zwischen Körper und Geist ist Atmung für Stebbins ein Mittel der Selbstermächtigung und Überwindung von Konflikten, wie sie in zwei Punkten zusammenfasst: First, that various states and conditions of respiration in the natural state are owing to certain manifestations of mind. Second, that, seeing that certain states of respiration are the outcome of certain states of mind, we are led to infer that with the powerful aid of the imagination and a systematic rhythmic breathing we can stimulate the mental powers and through the ready response of the organism overcome many of the discords of life. 26 In ihren Übungen folgt Stebbins erstens Delsartes Klassifizierung des Atmens in drei spezifische, von der Einatmung adressierte Körperbereiche: Einatmung in den oberen Brustkorb wird mit dem Mentalen verknüpft und verweise auf einen unausgeglichenen, hysterischen Geist; tiefere Einatmung ins Zwerchfell ist mit dem Moralischen und Spirituellen verbunden und wird in Stebbins System als präferierte Atemweise gelehrt, da es mit dem Gefühl von Hoffnung korrespondiere; Bauchatmung ist dem Vitalen/ Physischen im Sinne des Unbewußten, Naiven zugeordnet. 27 Das sogenannte Harmonische äußert sich auch in einem möglichst ausgewogenen Rhythmus, bei dem Ein- und Ausatmung die gleiche Dauer haben und mit einem ‚ normalen ‘ Herzschlag korrespondieren. 28 Eine zweite zentrale Quelle ihres Systems ist Stebbins ’ Yoga-Rezeption. Als Grundlage ihres Buches Dynamic Breathing vermerkt sie Unterricht bei einem Hindu-Lehrer in London und weitere Forschung, geht aber nicht über diesen zeittypisch vagen Verweis auf das Orientalische hinaus. Das Aufgreifen indischer Atemtechniken - wie in einer „ Yoga-Breathing “ genannten Übung 29 - erscheint hier als eine Form von Orientalismus, die das ‚ Exotische ‘ nicht explizit performt, sondern sich seiner epistemologisch bedient, um über den Rückgriff auf behauptetes altes Wissen die Performance eines neuen - westlich und weiß markierten - Frauenbildes zu legitimieren. 30 Die Amerikanistin Mary Yoshihara beschreibt diesen Mechanismus folgendermaßen: Their partition in Orientalist discourse offered many American women an effective avenue through which to become part of a dominant American ideology and to gain authority and agency which were denied to them in other realms of sociopolitical life. By embracing Asia, women gained material and affective power [. . .], which brought new meanings to their identities as white American women. 31 Stebbins ’ vom Atem durchdrungener Delsartismus verschränkt spezifische Vorstellungen eines ‚ natürlichen ‘ und harmonischen Körpers mit emanzipatorischen Ideen. 187 Denaturalisiertes Atmen: Lígia Lewis ’ Still not Still (2021) Durch Kontrolle von Körper und Geist verspricht ihr System Entspannung, Gesundheit und eine gesellschaftlich akzeptierte körperliche Ausdrucksform. Es verhilft US-Amerikanerinnen der Mittel- und Oberschicht im Kontext von Kleider- und Bewegungsreform nicht nur zur Befreiung vom Korsett, 32 sondern auch zur performativen Einübung eines neuen, spirituell grundierten, emanzipatorischen Konzepts von Femininität. Handlungsmacht atmen Der bei Stebbins wie in weiten Kreisen der Atemkultur des 19. Jahrhunderts unterstrichene Topos des tiefen Atmens 33 eines vitalen Körpers bekommt eine perfide Wendung, betrachtet man die rassistischen medizinischen Diskurse der Zeit. In ihrer Studie Breathing Race into the Machine zeigt Lundy Braun, wie mit Hilfe des sogenannten Spirometers die - teils bis heute 34 - behauptete rassifizierte Differenz ‚ weißer ‘ und ‚ schwarzer ‘ Lungen vorgeblich wissenschaftlich belegt wird. Das Spirometer gilt als Gradmesser der allgemeinen vitalen Kapazität eines Körpers. Diese Technik dient im 19. Jahrhundert der pseudowissenschaftlich legitimierten weitreichenden Benachteiligung Schwarzer Amerikaner: innen. Vor diesem Hintergrund erhalten Stebbins ’ Übungen zum tiefen Atmen für Delsartismus-Gruppen afroamerikanischer Frauen eine gänzlich andere Bedeutung. Während Delsartismus in der bisherigen Forschung primär als Phänomen der weißen Oberschicht beschrieben wurde, verweist Carrie Streeter am Beispiel der Flanner Guild Delsarte Classes in Indianapolis auf verdrängte Praktiken Schwarzen Delsartismus ’ und deren Bedeutung als „ Breathing power and poise “ 35 , das heißt einer Form von Ermächtigung, die sich gegen interdependente Marginalisierungen richtet. Durch die diskursive Verschränkung von Atmung und Kraft performen die Flanner Guild-Delsartistinnen eine Vitalität, die, entgegen gegenderter und rassifizierter Ordnungen der Zeit, gesellschaftliche Teilhabe reklamiert. 36 Die Sprechkunstpädagogin Josephine Silone-Yates (1852 - 1912) formuliert das gesellschaftliche Ziel in diesem Zusammenhang als „ transforming the atmosphere “ 37 . Stebbins ’ Neuerung expressiver Bewegung wird zwar tanzgeschichtlich grundlegende Bedeutung für den Modernen Tanz zugeschrieben, dabei aber übersehen, dass der Zugang nur manchen vorbehalten war. Ein Transfer auf die Bühne und damit die Anerkennung der Praktiken als Kunst bleibt afroamerikanischen Künstler: innen im antischwarzen Klima der Zeit größtenteils verwehrt. Auf der Bühne selbst bleibt nur die Parodie des Delsartismus, wie Jayna Brown formuliert: Upperand middle-class white dress reformers and feminists championed the Delsartian approach, as they sought in their politics to reclaim for the woman a right to her own mind, soul, and body and to reestablish a connection between them. But new forms of physical cultivation — health spas, diets, and other nutritional philosophies — were not meant to be confused with increasing the bodies ’ efficiency or productive abilities. These cultivated bodies were constructed against the (racialized) working body. New emancipatory body politics did not extend evenly to those bodies assigned the task of labor. African American dancers spoofed on this absurdity and the lofty claims of new health regimes. Appearing in a skit as ‚ Delsartean dancers ‘ in Black Patti ’ s Troubadours of 1896, Stella Wiley, Bob Cole, Henry Wise, and Tom McIntosh satirized the development of such body philosophies, which were moving certain kinds of dance, and only certain dancing bodies, to the concert stage. 38 Dieser Liste an Ausschlüssen wäre hinzuzufügen: Es wurden nur spezifische Konzep- 188 Julia Ostwald tionen und Praktiken des Atmens auf die Bühne gebracht und im Modernen Tanz weiterentwickelt. Gänzlich in den Hintergrund rückten dabei nicht nur andere ästhetische Bedeutungen und Praktiken des Atmens, wie sie etwa Ashon T. Crawley in seinem Buch Blackpentecostal Breath unter dem Begriff „ Black Pneuma “ als non-normative Stilisierungen (statt Naturalisierungen) des Atmens beschreibt. 39 Unhinterfragt bleibt im Zuge der Naturalisierung des Atmens auch seine gesellschaftliche Bedingtheit, wie es Christina Sharpe in ihrem Buch In the Wake pointiert in der Frage zusammenfasst: „ But who has access to freedom? Who can breathe free? “ 40 Isadora Duncans Rassifizierung und Amerikanisierung des Atems Die sogenannten Pionierinnen des Modernen Tanzes, emanzipierte weiße Tänzerinnen wie Isadora Duncan, Ruth St. Denis und Doris Humphrey (alle drei vertraut mit Stebbins ’ Delsartismus), verfestigten in unterschiedlichen Ausprägungen die Verknüpfung von Atmung, Vitalität und Natürlichkeit. Atmung wird in den Ansätzen der drei Tänzerinnen zum poetologischen Movens des Tanzes, das spirituell aufgeladene, sichtbare Bewegung mit unsichtbaren metaphysischen Kräften verbindet. Ruth St. Denis (1879 - 1968) und Isadora Duncan (1877 - 1927) sind stark geprägt vom Delsartismus, den sie aber über jeweils spezifische Bezüge zum ‚ Anderen ‘ der westlichen Moderne transformieren zum sogenannten Freien Tanz: wie im expliziten Orientalismus von St. Denis, deren Yoga-Übungen Anya P. Foxen zufolge primär Delsarte-Übungen darstellen, 41 oder in Duncans phantasmatischer Verschränkung von Natur, griechischer Antike und Amerika, auf deren Bezug zum Atem ich abschließend eingehen möchte. In ihrer vielzitierten autobiografischen Beschreibung des nahezu religiösen Initiationsmoments ihres Tanzes heißt es: I spent long days and nights in the studio seeking that dance which might be the divine expression of the human spirit through the medium of the body ’ s movement. For hours I would stand quite still, my two hands folded between my breasts, covering the solar plexus. [. . .] I was seeking and finally discovered the central spring of all movement, the crater of motor power, the unity from which all diversities of movements are born, [. . .] — it was from this discovery that was born the theory on which I founded my school. 42 In dieser Beschreibung wird nicht nur eine orientalistisch gefärbte Kontemplation 43 mit dem modernen westlichen Verständnis des Körpers als Motor verschränkt. Mit dem Solarplexus, der sich in der Körpermitte auf Höhe des Zwerchfells befindet, situiert Duncan die Antriebsquelle ihres Tanzes zudem genau in jener mittleren Atemzone, wie sie von Stebbins präferiert wird und auch von Duncan in Delsart ’ scher Argumentation als Sitz der Seele und des Moralischen bezeichnet wird. 44 An anderer Stelle beschreibt sie den Solarplexus - und implizit die mit dem Bereich korrespondierenden Atembewegungen - als Impulsgeber für den Rhythmus ihres Tanzes. Diesen Rhythmus verankert sie diskursiv und performativ im Natürlichen, indem sie ihn mit Rhythmen der Natur, wie den Wellen des Wassers, assoziiert (eines ihrer populärsten Soli in Wien und Berlin ist Blue Danube 1905). Es ist jener mutmaßlich natürliche Bewegungsrhythmus, auf dem sie ihre Ästhetik begründet: Charakteristisch für Duncans Tanz sind wellenartiges Vor- und Zurückbewegen des Körpers, ein Zusammenziehen und Ausdehnen initiiert von der Zone des Zwerchfells bzw. des Solarplexus, gewissermaßen ein visualisiertes Atmen. Diesen mit Natur assoziierten Rhythmus ihres Tanzes grenzt sie in einem späteren 189 Denaturalisiertes Atmen: Lígia Lewis ’ Still not Still (2021) Text scharf gegenüber mit Jazz und ‚ dem Wilden ‘ assoziierten Tänzen ab, denen sie in pejorativer Geste einen Rhythmus von der Taille abwärts attestiert. Der ‚ wahre ‘ amerikanische Tanz will contain no Jazz rhythm, no rhythm from the waist down; but from the solar plexus, the temporal home of the soul, upwards to the Star-Spangled Banner of the sky which arches over that great stretch of land from the Pacific, over the Plains, over the Sierra Nevadas, over the Rocky Mountains, to the Atlantic. [. . .] It seems to me monstrous for anyone to believe that the Jazz rhythm expresses America. Jazz rhythm expresses the South African savage. 45 Der mutmaßlich ‚ beseelte ‘ Rhythmus, der dem Solarplexus entspringe, wird in diesem Zitat durch die Abwertung anderer - ‚ südafrikanisch ‘ attribuierter - Rhythmen als einzig gültiger Ausdruck des ‚ Amerikanischen ‘ konstituiert. Wenn Duncan ihren Tanz der Zukunft (1903) zwar dezidiert als feminin und natürlich theoretisiert, klingt in obigem Zitat zugleich eine rassifizierte nationalistische Instrumentalisierung bestimmter Rhythmen und damit verknüpfter Atempraktiken an, die im Duktus der Vogelperspektive gleichsam die gesellschaftliche Atmosphäre zu beherrschen und zu bewahren versucht. Mit Bezug auf den tanzhistorisch den Kanon bestimmenden naturalisierten Atem um 1900 ist eine diskursive wie performative Verschränkung von Natur, Femininität, Moral und latenter Rassifizierung wirksam, die bewegungsanalytisch bestimmte ‚ harmonische ‘ Rhythmisierungen und Mobilisierungen des ganzen Körpers im Wechsel von An- und Entspannung präferiert. Dieses Verständnis hat zwar emanzipatorischen Charakter für die sogenannten Pionierinnen des Modernen Tanzes, ist aber gleichzeitig innerhalb der kolonialen Matrix situierbar. Jenseits seiner Frühphase finden sich Naturalisierungen des Atems in unterschiedlichen Formen des Modernen Tanzes, insbesondere etwa im deutschen Ausdruckstanz. 46 So wäre darüber hinaus zu fragen, inwiefern Atmen als unhinterfragtes, mutmaßlich universelles und ‚ harmonisches ‘ tänzerisches Mittel tendenziell im von somatischen Praktiken geprägten zeitgenössischen Tanz fortlebt, ermöglicht gerade durch die im frühen Modernen Tanz vorgenommene Naturalisierung bestimmter Verbindungen von Atmen, muskulärer Entspannung und Rhythmus. 47 Atmen denaturalisieren Im Gegensatz zu diesen vitalistisch-naturalistischen Verständnissen des Atems, operieren Lewis ’ choreografische Atemlosigkeiten, wie eingangs beschrieben, in einem irregulären Zuviel und Zuwenig. Dieses Atmen ist Teil ihrer performativen Mittel, die auf ambivalente Weise vermitteln zwischen gewaltsamer Geschichte und Möglichkeiten anderer, solidarischer Beziehungen oder wie Lewis es formuliert: I point toward other possibilities of being with and for one another, in and through affective relations that don ’ t occlude historical violence but, through sliding, dancing, falling, touching, breathing, become a movement toward a formlessness that invites the indeterminacy of play, however temporary this might be. 48 In diesem Zusammenhang können Lígia Lewis ’ choreografische Atemlosigkeiten - über ihren inhaltlichen Bezug zu gewaltsam erstickten und aus der Geschichte ausgeschlossenen Körpern hinaus - als Aufforderung verstanden werden, erstens kanonisierte vitalistische Ästhetiken des Atmens im euro-amerikanischen Tanz (seit) der Moderne ihrem Status als implizitem, unausgesprochenem Wissen zu entreißen; 49 190 Julia Ostwald und sie zweitens zu denaturalisieren. Vor dem Hintergrund des von mir hergestellten historischen Bezugs zwischen Still not Still und Naturalisierungen des Atems im frühen Modernen Tanz möchte ich daher dafür plädieren, den Fokus von dem Atem - in seinen tendenziell metaphorischen, universellen und metaphysischen Verständnissen 50 - auf das Atmen als jeweils sehr spezifisch situierten Akt zu verschieben. Im Anschluss an die eingangs formulierte These, dass es einen Unterschied macht, wer, wann, wo und wie in performativen Situationen atmet, erwächst daraus nicht zuletzt ein aktivistischer Zugang zum Archiv, 51 dessen Aufgabe es wäre, plurale Verständnisse und Praktiken des Atmens außerhalb oder an den Peripherien des westlichen Kanons herauszuarbeiten. Um im Sinne von Lewis denen, deren unruhiges, atemloses Atmen in Geschichte und Gegenwart resoniert, Gehör zu verleihen und potenziell neue, andere Beziehungen zu ermöglichen. Anmerkungen 1 Ich danke Evelyn Annuß und Nicole Haitzinger für Anmerkungen zu ersten Fassungen dieses Artikels. 2 Astrid Kaminski im Gespräch mit Lígia Lewis, „ Meine Träume nehmen es mit den Albträumen auf, die wir Wirklichkeit nennen. “ https: / / berlinartweek.de/ artikel/ meinetraeume-nehmen-es-mit-den-albtraeumenauf-die-wir-wirklichkeit-nennen/ , 2.9.2021, [Zugriff am 22.3.2023]. 3 Jacques Derrida, Marx ’ Gespenster. Der Staat der Schuld, die Trauerarbeit und die neue Internationale, Frankfurt am Main 1995, S. 11 - 12. 4 In diesem Kontext fordert die Geschlechterforscherin Magdalena Górska ein Queeren des Atems: „ Parallel to the way in which queer studies have problematized the naturalized understanding of sex and gender by deconstructing relations of matter and meaning, breathing needs to be understood as a material-semiotic and a political phenomenon. In that sense, the understanding of breath needs to be queered. The queering I refer to here is not merely a form of identity politics but rather a process of reformulating the material and social conditions of power relations, as they are enacted bodily, affectively, socially and environmentally. Such queering of breath needs to take place in social, symbolic, and material manner. “ Magdalena Górska, “ Why Breathing is Political ” , in: lambda nordica 1 (2021), S. 109 - 117, hier S. 109. 5 Der Film ist abrufbar unter https: / / www.he bbel-am-ufer.de/ programm/ hau4/ ligia-lewis -still-not-still-film, [Zugriff am 22.3.2023]. 6 https: / / www.hebbel-am-ufer.de/ programm/ pdetail/ ligia-lewis-still-not-still-film [Zugriff am 22.3.2023]. 7 Formell hat Lewis sich u. a. an Abbildungen mittelalterlicher Totentänze orientiert sowie an der populären französischen, seit dem Mittelalter existierende Form narrativer Klagelieder, der Complainte. Complainte sind narrative, theatralisierte Klagelieder, die über den Ausdruck von Schmerz hinaus „ die gesamte Auseinandersetzung mit einer als leidvoll erfahrenen Situation “ umfassen, also „ die Darstellung und Erläuterung des erlittenen Unrechts [. . .], so daß die Complaintes z. B. Forderungen, Empfehlungen, Warnungen enthalten “ . Monika Wodsak, Die Complainte. Zur Geschichte einer französischen Populärgattung, Heidelberg 1985, S. 28 - 29. 8 Kaminski, „ Meine Träume “ . Siehe in diesem Zusammenhang auch Saidiya V. Hartman, Scenes of Subjection. Terror, Slavery, and Self-Making in Nineteenth-Century America, New York, Oxford 1997. 9 Frantz Fanon, Black Skin, White Masks, London 1986, S. 226. 10 Frantz Fanon, A Dying Colonialism, New York 1965, S. 65. 11 Christina Sharpe beschreibt diesen Zusammenhang bezugnehmend auf Fanon als “ weather ” : „ To explicate Fanon, it is not the specifics of any one event or set of events that are endlessly repeatable and repeated, 191 Denaturalisiertes Atmen: Lígia Lewis ’ Still not Still (2021) but the totality of the environments in which we struggle; the machines in which we live; what I am calling the weather. “ Christina Sharpe, In the Wake. On Blackness and Being, Durham 2016, S. 111. 12 Vgl. Fanon, A Dying Colonialism, New York 1965, S. 65. 13 o. A., „ Delsartismus “ , in: Wiener Illustrierte Zeitung, 15 (1919), S. 258 - 259, hier S. 259. 14 Ebd., Herv. J. O. 15 Vgl. Peter Sloterdijk, Luftbeben. An den Quellen des Terrors, Frankfurt a. M. 2002. 16 Siehe dazu u. a. Górska, Why Breathing is Political, 2021; John Durham Peters, „ The Media of Breathing “ , in: Lenart Š kof / Petri Berndtson (Hg.), Atmospheres of Breathing, New York 2018, S. 179 - 198, hier S. 188 - 189; Irma Kinga Allen, „ Thinking with a Feminist Political Ecology of Air-and-breathing-bodies “ , in: Body & Society. Special Issue: Interdisciplinary Perspectives on Breath, Body and World 26 (2020), H. 2, S. 79 - 105, hier S. 83 - 84. 17 Siehe dazu u. a. den Band von Philipp Sarasin und Jakob Tanner (Hg.), Physiologie und industrielle Gesellschaft. Studien zur Verwissenschaftlichung des Körpers im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1998; spezifischer zu geänderten Bewegungskonzepten: Claudia Jeschke, „ Neuerungen der performativen Technik um 1900. Eleonora Duse und Isadora Duncan “ , in: tanzdrama 48 (1999), S. 6 - 10. 18 Zum Begriff des ‚ Harmonischen ‘ im Kontext von Delsartismus und Gymnastik des 19. Jahrhunderts siehe Anya P. Foxen, Inhaling Spirit. Harmonialism, Orientalism, and the Western Roots of Modern Yoga, Oxford 2020, S. 130 - 144. 19 Zit. n. Nancy Chalfa Ruyter, „ American Delsartism: Precursor of an American Dance Art “ , in: Educational Theatre Journal 25 (1973), S. 420 - 435, hier S. 424. 20 Siehe zu Delsarte u. a. Nancy Lee Chalfa Ruyter, „ The Delsarte Heritage “ , in: Dance Research: The Journal of the Society for Dance Research 1 (1996), S. 62 - 74. 21 Ebd., S. 63 - 64. 22 Vgl. Foxen, Inhaling Spirit, S. 142. 23 Genevieve Stebbins, Dynamic Breathing and Harmonic Gymnastics. A Complete System of Psychical, Aesthetic and Physical Culture, New York 1892, S. 70. 24 Ebd., S. 12. 25 Vgl. Ebd. S. 5, S. 22. 26 Genevieve Stebbins, The Genevieve Stebbins System of Physical Training, New York 1913, S. 27. 27 Vgl. Genevieve Stebbins, Delsarte System of Expression, New York 1887, S. 187 - 188. 28 Vgl. Stebbins, Dynamic Breathing and Harmonic Gymnastics, S. 83. 29 Vgl. ebd., S. 86. 30 Stebbins ’ System, in das darüber hinaus Elemente der Schwedischen Gymnastik nach Pehr Henrik Ling einflossen, wird allgemein bestimmt durch einen Rückgriff auf ein phantasmatisches ‚ Urwissen ‘ , das Stebbins in universalisierender Geste in unterschiedlichen Kulturen und Zeiten verortet: „ Every motion in our exercises is ancient. The system of Ling is found in a more crude condition in the ‘ Cong Fou ’ of China; the system which bears the name of Delsarte was the common property of every ancient Greek; while the breathing-exercises are probably as old as the history of the human race. “ Stebbins, Dynamic Breathing and Harmonic Gymnastics, S. 66. 31 Mari Yoshihara, Embracing the East: White Women and American Orientalism, New York 2003, S. 6. 32 Zum Korsett und Weiblichkeitsmodellen im Kontext von Physiologie, Gymnastik und Vitalismus des späten 19. Jahrhunderts, siehe Foxen, Inhaling Spirit, S. 120 - 130. 33 Exemplarisch sei hier ein von Stebbins angeführter zeitgenössischer Atemtherapeut zitiert: „ A full-breathing pair of lungs are a full measure of life-giving and life-supporting organs. Endurance means the quantity of oxygen the lungs can take in, and the quantity the tissues can store in their recesses. “ zitiert nach Stebbins, Dynamic Breathing, S. 72. 34 Vgl. Lundy Braun, Breathing Race into the Machine. The Surprising Career of the Spirometer from Plantation to Genetics, Minneapolis 2014, besonders S. xiii - xxix. 192 Julia Ostwald 35 Vgl. Carrie Streeter, „ Breathing Power and Poise. Black Women ’ s Movements for Self- Expression and Health, 1880 s - 1900 s “ , in: Australasian Journal of American Studies, 39 (2020), H. 1, S. 5 - 46. Streeter formuliert diesen Ausdruck in Anlehnung an Hallie Q. Brown, Elocution and Physical Culture: Training for Students, Teachers, Readers, and Public Speakers, Wilberforce um 1900. 36 Vgl. Streeter, „ Breathing Power and Poise “ , S. 20. 37 Josephine Silone-Yates zitiert nach Streeter, „ Breathing Power and Poise “ , S. 20. 38 Jayna Brown, Babylon Girls: Black Women Performers and the Shaping of the Modern, Durham / London 2008, S. 177. 39 Vgl. Ashon T. Crawley, Blackpentecostal Breath. The Aesthetics of Possibility, New York 2016, S. 43. Siehe dazu auch Sarah Jane Cervenak, „‚ Black Night is Falling ‘ : The ‚ Airy Poetics ‘ of Some Performance “ , in: TDR: The Drama Review 62 (2018), H. 1, S. 166 - 169. Cervenak spricht im Kontext von Black Performances von „ quilted pneuma “ . In diesem Sinn versteht sie Luft und Atmen als planetarisches Gemeingut, als irreduzible Verbindung von fleischlichen Körpern, Pflanzen, Ozeanen und Atmosphären: „ we do not know the shape one ’ s exhalation takes, where and who are its expressions and conditions, the path it follows from ocean to tear to blossom, from one dying woman ’ s last breath to the first wail of another. “ ebd., S. 167. „ Quilted pneuma “ stellt Cervenak einem eher weißen-westlichen Verständnis gegenüber, das den Atem in einem individualisiert gedachten Körper privatisiere. 40 Sharpe, In the Wake, S. 112. 41 Vgl. Foxen, Inhaling Spirit, S. 10. 42 Isadora Duncan, My Life, New York 1927, S. 75. 43 Vgl. John Martin, „ Isadora Duncan and Basic Dance “ , in: Dance Index. A New Journal on Dancing, 1(1942), H. 1, S. 4 - 12, hier S. 6. 44 Vgl. Foxen, Inhaling Spirit, S. 174. 45 Duncan zitiert nach. Foxen, Inhaling Spirit, S. 173. 46 Siehe dazu Nicole Haitzinger, „ Das Phantasma des ‚ deutschen ‘ Modernen Tanzes “ , in: Irene Brandenburg / Nicole Haitzinger / Claudia Jeschke (Hg.), Tanz & Archiv: ForschungsReisen. Kaleidoskope des Tanzes 7 (2017), S. 76 - 91. Anzuführen ist hier außerdem Wilhelm Pragers und Nicholas Kaufmanns ‚ Kulturfilm ‘ Wege zu Kraft und Schönheit (1925), in dem an verschiedenen Stellen ein Gegensatz konstruiert wird zwischen einer spezifisch ausgedeuteten ‚ natürlichen ‘ Atmung und Urbanität, Nervosität, Intellektualität sowie Krankheit. Darüber hinaus sind als Beispiele des naturalisierten Atems im deutschsprachigen Kontext zu nennen: die von Otto Hanisch begründete sogenannte Mazdaznan-Lehre (vgl. Karoline von Steinaecker, Luftsprünge. Anfänge moderner Körpertherapien, München / Jena 2000, S. 94 - 102) und ab den 1930er Jahren die nationalsozialistische Berliner Tanzschule von Jutta Klamt. Deren je eigene Konzeptionen bedürften weiterer Ausdifferenzierung. 47 Vgl. Doran George, der Ähnliches für den ‚ natürlichen ‘ Körper in somatischen Tanztrainings herausarbeitet: Doran George, The Natural Body in Somatics Dance Training, hg. von Susan Leigh Foster, New York 2020. Hier sei außerdem darauf verwiesen, dass durchaus auch andere Linien zu dechiffrieren wären, wie etwa die respirative Verausgabung, die Antonin Artaud in seiner Gefühlsathletik entwirft. Diese ist allerdings in der kanonisierten Historiografie des Modernen Tanzes wenig bis kaum präsent. 48 Lígia Lewis, https: / / umbau.hfg-karlsruhe.de/ posts/ this-is-a-body, [Zugriff am 22.3.2023]. 49 Vgl. Laura Karreman, „ Breathing Matters: Breath as Dance Knowledge “ , in: Susan Manning / Janice Ross / Rebecca Schneider (Hg.), The Futures of Dance Studies, Madison 2020, S. 94 - 112, hier S. 94. 50 Vgl. ebd. 51 Siehe zu Fragen von Atmen und dekolonialen Verständnissen von Archiv u. a. Sharpe, In the Wake, S. 109; Arjun Appadurai, „ Archive and Aspiration “ , in: Joke Brouwer / Arjen Mulder (Hg.), Information is Alive, Rotterdam 2003, S. 14 - 25; Lotte Bode / Timmy de Laet, „ Breathing Air into the Archive “ , in: Performance Research 26 (2021), S. 163 - 170. 193 Denaturalisiertes Atmen: Lígia Lewis ’ Still not Still (2021)
