eJournals Internationales Verkehrswesen 62/1-2

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0004
21
2010
621-2

Trends des Verkehrsverhaltens in den USA und in Deutschland

21
2010
Ralph Bühler
Uwe Kunert
Schon seit Jahrzehnten werden ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungen in den USA von Europa aus mit Interesse beobachtet, verbunden mit der Frage, ob diese auch hier eintreten werden. Für den Mobilitätssektor interessierte die Frage, ob ähnliche Motorisierungskennziffern, Verkehrsmittelanteile und Verkehrsleistungen im Zuge der weiteren Entwicklung zu erwarten sind. Frühere Prognosen des Pkw-Bestandes orientierten sich in der Abschätzung eines möglichen Sättigungsniveaus der Motorisierung nicht selten an den USA und erwarteten eine Annäherung der Motorisierungskennziffern.
iv621-20010
Internationale M ärkte 10 INTERNATIO NALES VERKEHRSWESEN (62) 1+2/ 2010 Ralph Bühler / Uwe Kunert Trends des Verkehrsverhaltens in den USA und in Deutschland Schon seit Jahrzehnten werden ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungen in den USA von Europa aus mit Interesse beobachtet, verbunden mit der Frage, ob diese auch hier eintreten werden. Für den Mobilitätssektor interessierte die Frage, ob ähnliche Motorisierungskennziffern, Verkehrsmittelanteile und Verkehrsleistungen im Zuge der weiteren Entwicklung zu erwarten sind. Frühere Prognosen des Pkw-Bestandes orientierten sich in der Abschätzung eines möglichen Sättigungsniveaus der Motorisierung nicht selten an den USA und erwarteten eine Annäherung der Motorisierungskennziffern. D ie Autoren Prof. Ralph Bühler, PhD, Virginia Tech, School of Public and International Affairs, 1021 Prince Street, Alexandria, VA 22314, ralphbu@vt.edu, Dr. Ing. Uwe Kunert, DIW Berlin, Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt, Mohrenstraße 58, 10117 Berlin, ukunert@diw.de 1 Einleitung Vergleiche zwischen den Ländern können durchaus instruktiv sein, denn Deutschland und die USA weisen manche Ähnlichkeiten in ökonomischer, politischer und kultureller Hinsicht auf: Beide Länder haben einen hohen Lebensstandard, föderale Strukturen und kommunale Selbstverwaltung. Ähnlich wie die USA war Deutschland Vorreiter im Autobahnbau und förderte früh die Motorisierung. Wirtschaftlicher Aufschwung, steigender Lebensstandard und wachsende Pro-Kopf-Einkommen sind über die letzten 60 Jahre in beiden Ländern Hand in Hand mit steigender Mobilität, Motorisierung und Autonutzung gegangen. Im Unterschied zu den meisten anderen westeuropäischen Ländern hat Deutschland nach der starken Zerstörung der Städte im Zweiten Weltkrieg beim Wiederaufbau teilweise eine an der Entflechtung städtischer Funktionsbereiche (Charta von Athen), am US-amerikanischen Vorbild und am Wachstum des Autoverkehrs orientierte Planung umsetzen können. Der Autobesitz wuchs - wie in den USA - stark: Seit 1960 hat er sich verfünffacht. Sowohl Deutschland als auch die USA haben nach dem Zweiten Weltkrieg das Straßennetz stark erweitert und damit die Autonutzung attraktiv und komfortabel gemacht. Die Automobilindustrie ist in beiden Ländern ein dominanter ökonomischer Sektor mit großer Bedeutung für die Beschäftigung. Kulturell herrscht in Deutschland und den USA häufig eine deutlich emotionale Besetzung des Automobils vor, indem es als Symbol des sozioökonomischen Status sowie der individuellen Freiheit und des Lebensstils dient. Die persönliche Mobilität beruht in beiden Ländern wesentlich auf dem Auto, allerdings besteht in den USA eine stärkere einseitige Abhängigkeit vom Auto. Daraus resultieren - stärker als in Deutschland - Umweltbeeinträchtigungen, Verlust von Landschaftsräumen, Gesundheitsprobleme durch bewegungsarmen Lebensstil, tote und verletzte Personen durch Verkehrsunfälle, Verlust produktiver Zeit durch Staus, Abhängigkeit von Ö limporten und die Beeinträchtigung von Chancen und Erreichbarkeiten für nichtmotorisierte Bevölkerungsgruppen (Bullard 2004, CDC 2005, NCSA 2004, TTI 2005). Deutschland hatte zwar ein ähnliches Wachstum von Autobesitz und -nutzung wie die USA, war allerdings erfolgreicher in der Begrenzung des Autoverkehrs und vor allem in der Erhaltung des Ö V als einem bedeutenden Verkehrsträger. In einer Kooperation der Rutgers University (New Jersey) und des DIW Berlin wurde untersucht, auf welche Faktoren diese Unterschiede zurückzuführen sind und ob die Trends dennoch für beide Länder in eine gemeinsame Richtung weisen. 1 Es wurden in der Untersuchung deskriptive mit multivariaten-statistischen Vorgehensweisen kombiniert. Damit werden auch die Ausprägungen politischer und planerischer Instrumente berücksichtigt, die schwer zu quantifizieren sind und daher als Variablen für eine statistische Analyse nur eingeschränkt zur Verfügung stehen, für das Verständnis der Mobilitätsunterschiede aber unverzichtbar sind, da verschieden verfasste Verkehrsmärkte andere Signale an die Verkehrsteilnehmer senden. Ferner werden für die statistische Analyse Q uerschnittsdaten genutzt, die zeitliche Trends und Einflüsse nicht einfangen können. Deshalb werden in dem Bericht die Entwicklungen und die Institutionen mit Einfluss auf den Verkehrssektor mit einer besonderen Fokussierung auf die letzten 15 Jahre dargestellt. Der vorliegende Beitrag greift einige Aspekte der Untersuchung auf und schildert die Trends im Verkehrsverhalten in Deutschland 2 und den USA über die letzten Jahrzehnte. 3 In einem folgenden Beitrag werden unter Nutzung der Daten der beiden nationalen Mobilitätserhebungen von 2001/ 2002 die klassischen Mobilitätsindikatoren Wegezahl und Distanzen in einfachen bivariaten Darstellungen in Abhängigkeit von ausgewählten Einflussgrößen für diesen Zeitpunkt gezeigt. Dabei gehören die Einflussgrößen generell zu den Bereichen (1) Sozioökonomie und Demographie; (2) Raumstruktur; (3) Politiken mit Wirkung auf Verkehr und Flächennutzung, und (4) Kultur. Diese Einflussbereiche bilden auch den Hintergrund für die folgende Modellierung der Tagesdistanzen auf Basis der Individualdaten der beiden Erhebungen, die im Ergebnis unter anderem eine Einschätzung der relativen Bedeutung der vier Bereiche für die Mobilität erlaubt. Der Fokus der hier ausgewählten Darstellungen liegt auf der Autonutzung, weil der Nachfragetrend der vergangenen Jahrzehnte zum Auto ging und damit die stärksten Wirkungen auf die Umwelt und die Funktion des Verkehrssystems verbunden sind. 2 Trends in der M otorisierung Im Verlauf der zurückliegenden 50 Jahre ist die Motorisierung in beiden Ländern fast kontinuierlich gestiegen. 1950 kamen in Deutschland nur zwölf Autos auf 1000 Einwohner, nachdem die Motorisierung vor dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1939 bereits 22 Pkw je 1000 Einwohner betragen hatte (BMVBS: Verkehr in Zahlen 2004, Pucher/ Lefèvre 1996, Kraftfahrtbundesamt 2006). Kurz vor der Deutschen Einheit erreichte die Motorisierung 482 in Westdeutschland; dies war zu diesem Zeitpunkt nach den USA die zweithöchste Motorisierung in der Welt (Pucher 1994). In O stdeutschland verlief die Motorisierung deutlich niedriger und erreichte 224 Pkw je 1000 E in 1988 (BMVBS 1991-2007). Nach 1990 stieg die Motorisierung bis 2005 um ein Fünftel von 458 auf 550 für Deutschland insgesamt. 4 Die Motorisierung breiterer Bevölkerungsschichten begann in den USA in den 1920er und 1930er Jahren und damit früher als in jedem anderen Land. Bereits Internationale M ärkte 11 INTERNATIO NALES VERKEHRSWESEN (62) 1+2/ 2010 1939 war die Motorisierung mit über 200 Autos auf 1000 Einwohner etwa zehnmal höher als in Deutschland (FHWA 1995, Kraftfahrtbundesamt 2006). Die in Abbildung 1 dargestellte Entwicklung zeigt, dass sich die Motorisierungsraten von 1960 bis 1990 annähern: 1960 besaßen die Amerikaner noch viermal soviel Autos wie die Westdeutschen, in 1990 war der Abstand auf unter 30 % geschrumpft. Im Vergleich zu dem vereinten Deutschland wächst der Abstand seit 2000 wieder. In diesem Zeitraum stieg die Ausstattung mit Fahrzeugen in den USA von 613 (1990) auf 773 (2007) um ein Viertel und somit stärker als im vereinten Deutschland - trotz des Nachholprozesses der Motorisierung in O stdeutschland. Bemerkenswert ist zudem, dass in den USA die Begriffe Auto und Pkw für die Kraftfahrzeuge der privaten Haushalte immer weniger zutreffend sind: In den 1990er Jahren ging der Bestand an klassischen Autos zurück, während die Flotte von „ light trucks, minivans, pickup trucks und sport utility vehicles (SUVs)“ und damit meist größeren Fahrzeugen stark zunahm (FHWA 2005). 5 O bwohl sich über die Jahrzehnte der Abstand in der Motorisierung zwischen den beiden Ländern verringert hat, entspricht das aktuelle Niveau der Motorisierung in Deutschland dem in den USA vor etwa 25 Jahren. Diese Entwicklung der aggregierten Motorisierungskennziffern wirkt sich in steigenden Ausstattungen auf der Haushaltsebene und sinkenden Anteilen von Haushalten ohne Pkw aus (Tabelle 1). In den USA hatten 1969 21 % der Haushalte kein Auto, 2001 nur noch 8 % (O RNL 2004). In Deutschland fiel der Anteil autoloser Haushalte von 38 % in 1976 auf 19 % in 2002 (DIW 1993, BMVBS 2004, DIW und infas 2004). Haushalte mit mehreren Autos gibt es in Amerika doppelt so häufig wie in Deutschland (60 % versus 27 % ). Die heutige Ausstattung deutscher Haushalte mit 0/ 1/ 2+ Fahrzeugen entspricht etwa der in den USA vor 30 Jahren. Dies unterstreicht die wesentlich frühere und stärkere Verbreitung des Automobilbesitzes in den USA. Hinter diesen durchschnittlichen Trends der Motorisierung verbergen sich in beiden Ländern Unterschiede zwischen Regionen und Städten. Den O ak Ridge National Laboratories (O RNL) zufolge findet sich in den großen Städten (Metropolitan Statistical Areas, MSA) ein höherer Anteil von Haushalten ohne Auto. Unter den Haushalten außerhalb der MSA fiel der Anteil autoloser Haushalte von 12 % in 1977 auf 6 % in 2001. In den größeren MSA mit mehr als drei Millionen Einwohnern fiel dieser Anteil von 26 % in 1977 auf 12 % in 2001 (O RNL 2004). In den großen Städten Deutschlands haben 32 % der Haushalte kein Auto verglichen mit lediglich 17 % in ländlichen Gebieten (BMVBS 2004, DIW und infas 2004). 6 Für einzelne Städte reichen die Motorisierungsziffern von 365 in Berlin bis zu Werten von etwa 550 Pkw je 1000 Einwohner in anderen Großstädten (BBR 2006). 7 3 Trends in der M obilität Nach den Ergebnissen der NPTS-Surveys ist in den USA die Anzahl der Wege pro Person von 2,9 in 1976 auf 3,7 in 2001 um fast 30 % gestiegen. 8 Dieser gemessene Anstieg der Wegehäufigkeit ist teilweise auf die veränderte Erhebungsmethodik in 2001 zurück zu führen, der mit 3,7 Wegen berechnete Wert stellt aber die Vergleichbarkeit zu den früheren Erhebungen weitgehend her. 9 Tatsächlich wurden in 2001 für die USA methodisch vergleichbar mit der Erhebung in Deutschland 4,1 Wege je Person erfasst. Der Anstieg im Wegeaufkommen je Person war in Deutschland mit 6 % von 3,1 in 1976 auf 3,3 in 2002 wesentlich geringer (DIW 1993, BMVBS 2004, DIW und infas 2004). Im Durchschnitt unternehmen also Amerikaner etwa ein Fünftel mehr Wege pro Tag als Deutsche (4,1 zu 3,3 Wege). In dem bereits angesprochenen Zeitraum von 1969 bis 2001 nahm die täglich durchschnittlich zurückgelegte Entfernung pro Person in den USA von 31 auf 59 Kilometer um 90 % zu (Abbildung 2). Allerdings kann auch dieser Anstieg wegen der methodischen Änderungen nicht gänzlich allein auf geändertes Verkehrsverhalten zurückgeführt werden. Für Deutschland wurde 1976 eine Tagesdistanz je Person von 27 Kilometern ermittelt, in 2002 betrug diese hingegen 37 Kilometer - ein Zuwachs um 37 % (DIW 1993, BMVBS 2004, DIW und infas 2004). Damit legen Amerikaner 2001/ 2002 etwa 60 % größere Tagesdistanzen als die Deutschen zurück, Abb. 1: Fahrzeugbesitz je tausend Einwohner in Deutschland und den USA (1960 -2007) Abb. 2: Durchschnittliche tägliche Reiseweite in Deutschland und den USA (1969 -2002) Tab. 1: Haushalte nach Fahrzeugbesitz in Deutschland und den USA (1969 -2002) 1 9 6 9 1 9 7 9 / 7 7 1 9 8 2 / 8 3 1 9 8 9 / 9 0 2 0 0 1 / 0 2 Haushalte ohne Fahrzeug USA 21 % 15 % 14 % 9 % 8 % Deutschland 38 % 33 % 27 % 19 % Haushalte mit einem Fahrzeug USA 48 % 35 % 34 % 33 % 31 % Deutschland 51 % 50 % 53 % 53 % Haushalte mit zwei und mehr Fahrzeugen USA 31 % 40 % 53 % 58 % 60 % Deutschland 11 % 17 % 20 % 27 % 12 INTERNATIO NALES VERKEHRSWESEN (62) 1+2/ 2010 Internationale M ärkte prozentual praktisch die gleiche Differenz wie 25 Jahre früher. Im Durchschnitt ist ein Weg in den USA um 44 % länger als in Deutschland: 16 gegenüber 11 Kilometer. In beiden Ländern hat sich die mittlere Wegelänge seit 1976/ 1977 um zwei Kilometer erhöht. Aufgrund der generell geringeren Wegelängen in Deutschland bedeutet dies einen Anstieg um 25 % in Deutschland, aber nur um 12 % in den USA. O bwohl diese allgemeinen Trends der vergangenen 30 Jahre in beiden Ländern ähnlich sind, verbleiben große Unterschiede, die nicht nur darin bestehen, dass Deutsche weniger und für kürzere Strecken unterwegs sind. 4 Trends in der Verkehrsmittelwahl Die hohe Motorisierung in den USA gehört zu den Gründen für die starke Stellung des Autos in der Modalwahl der Bevölkerung. Bereits vor 1977 wurden mehr als 80 % aller Wege mit dem Auto unternommen; ein so hoher Anteil konnte in den folgenden Jahrzehnten nur noch leicht gesteigert werden, auf zuletzt etwa 86 % (O RNL 2004, Pucher und Renne 2003). 10 Entsprechend dieses steigenden Anteils des Autos (vgl. Abbildung 3) verbleiben schrumpfende und geringe Anteile für die Wege zu Fuß (zuletzt 8,6 % ), mit dem Fahrrad (0,9 % ) oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln (1,6 % ). 11 Der US-Census erlaubt es, die Verkehrsmittelwahl der Berufspendler ab 1960 zu verfolgen, und bestätigt die Ergebnisse der NPTS. 1960 fuhren 67 % der Berufstätigen mit dem Auto zur Arbeit, in dem letzten Census 2000 waren es 88 % . Auch in diesem Verkehrszweck bleiben entsprechend geringe Anteile für die anderen Verkehrsträger. Der Ö V hatte hier zuletzt noch einen Anteil von 5 % , obwohl der Berufs- und der Ausbildungsverkehr die Domänen des Ö V sind. Ähnlich wie der Trend in den USA zeigen die Informationen für Deutschland einen Anstieg der Autonutzung, hier allerdings von 45 % aller Wege im Jahr 1976 auf 61 % in 2001 (vgl. Abbildung 4). Im Gegensatz zur USA verbleiben aber auch am aktuellen Rand noch höhere Anteile für die anderen Verkehrsträger mit 23 % Fußwegen, 8 % Ö V und 9 % Wege mit dem Fahrrad. Bemerkenswert ist der in langer Frist stabile Anteil des Radverkehrs, der in den USA fast nicht existiert. Damit ist in Deutschland der Anteil der „ Konkurrenten“ des Autos am Verkehrsaufkommen dreimal höher als in den USA. Mit dem Ö V werden in Deutschland fünfmal mehr Wege unternommen. O bwohl über die vergangenen 30 Jahre der Anteil des Autos am Verkehr in Deutschland stärker zugenommen hat, benutzen Deutsche das Auto heute für einen geringeren Anteil ihrer Wege als die Amerikaner vor 30 Jahren. Die nationalen Trends und Anteile in der Verkehrsmittelwahl verbergen natürlich Unterschiede zwischen Regionen und Städten. Weder die NHTS für die USA noch die MiD für Deutschland enthalten ausreichende Fallzahlen für einzelne Städte, sondern erlauben es zum Beispiel Modalanteile für Regionskategorien darzustellen. Der Unterschied im Modal Split zwischen den Städten der Länder ist ausgeprägter als für die Länder als Ganzes. Der Anteil des Autos am Berufsverkehr liegt in den deutschen Kernbereichen um 60 % und damit noch deutlich unter dem geringsten Anteil aller US-Metropolen in New York mit 66 % . In allen anderen US-Metropolen hat der Autoverkehr einen Anteil von über 80 % , meist sogar über 90 % . 5 Trends der Auto- und ÖV-Nutzung In dem Zeitraum seit 1970 ist in beiden Ländern die pro Kopf zurückgelegte Autonutzung (Personenkilometer: Pkm) um über 50 % gestiegen. In 2007 legten die Amerikaner im Mittel 24 000 Kilometer im Auto zurück, die Deutschen etwa 11 000 Abb. 4: Anteil der Wege nach Verkehrsmittel in Deutschland (1976 -2002) Abb. 5: Verkehrsleistung je Person im Pkw in Deutschland und den USA (1970 -2007) Abb. 3: Anteil der Wege nach Verkehrsmittel in den USA (1977-2001) INTERNATIO NALES VERKEHRSWESEN (62) 1+2/ 2010 Kilometer. Der große Abstand in dieser spezifischen Verkehrsleistung zwischen den beiden Ländern hat im Zeitverlauf zugenommen und beträgt nun 13 000 Kilometer (vgl. Abbildung 5). Entsprechend der bereits angesprochenen Zunahme der „ light trucks“ im Fahrzeugbestand der Haushalte in den USA stieg auch deren Fahrleistung. Die auf „ urban roads” von klassischen Autos gefahrene Gesamtstrecke lag 2004 um 12 % höher als 1995, während sich die der Light Trucks fast verdoppelte und mittlerweile einen Anteil von 36 % der Fahrleistung der Kategorie „ cars and light trucks“ insgesamt hat (FHWA 1996 - 2004). Zweifellos hatten über die Dekaden betrachtet beide Länder ein kräftiges Wachstum der Autonutzung, jedoch setzte sich dieses in den USA bis vor kurzem unvermindert fort, während in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren eine Abflachung des Trends eingetreten ist. Von 1995 bis 2007 stiegen die MIV-Pkm je Person in Deutschland nur um 6 % , in den USA aber um über 13 % . Aus den nationalen Verkehrsbefragungen ergeben sich für beide Länder bis 2002 rückläufige Modalanteile der öffentlichen Verkehrsträger am Aufkommen. Allerdings machen die absoluten Werte klar, dass die Fahrgastzahlen des Ö PNV von 1970 bis 2003 gestiegen sind, der verminderte Modalanteil also am noch stärkeren Zuwachs des Autoverkehrs lag. Betrachtet man jedoch die jährlichen Wege pro Kopf der Bevölkerung, ergibt sich für Deutschland fast eine konstante Nachfrage von 120 Fahrten je Einwohner über die Dekaden mit jüngst positiver Tendenz auf nunmehr über 135 Fahrten je Einwohner. Jeder US-Bürger unternahm in Durchschnitt 32 Fahrten, ein leichter Rückgang von den 36 Ö PNV-Wegen in 1970. Im Mittel nutzen also Deutsche den Ö PNV viermal intensiver als die Amerikaner. 12 Die Verkehrsleistung mit dem Ö PNV weist für Deutschland 1550 und für die USA 284 Kilometer je Person im Jahr 2007 aus. Auch nach diesem Indikator ist die Nachfrage in Deutschland gut fünfmal höher als in den USA. Für Deutschland zeigt sich zudem eine Zunahme der spezifischen Ö PNV-Nachfrage in der letzten Dekade. 6 Ähnliche Trends bei großen Unterschieden Die wesentlichen hervortretenden Trends in beiden Ländern sind: 1) Zunahme von Autobesitz und Nutzung; 2) Anstieg der Wegelängen und der Wegehäufigkeit je Person; 3) Rückgang des Anteils der Wege, die zu Fuß oder mit dem Ö V durchgeführt werden und 4) Annäherung des Verkehrsverhaltens zwischen den zwei Ländern hin zu einem stärker vom Auto abhängigen Verkehrssystem. O bwohl diese großen Trends - zumindest bis etwa 2002 - ähnlich sind, lassen sich entscheidende Unterschiede feststellen: Die Amerikaner besitzen pro 1000 Einwohner 41 % mehr Autos und der Anteil von Haushalten ohne Auto ist in Deutschland doppelt so hoch. Am anderen Ende des Spektrums ist der Anteil von Haushalten mit zwei und mehr Fahrzeugen in USA doppelt so hoch wie in Deutschland. Der durchschnittliche Amerikaner unternimmt ein Viertel mehr Wege und legt eine um 70 % längere Entfernung zurück als ein Deutscher. Überdies fahren die Amerikaner in ihren Autos pro Jahr etwa 120 % mehr Kilometer als die Deutschen. Der durchschnittliche Weg ist in den USA um 44 % länger: 16 Kilometer verglichen mit 11 Ki- Internationale M ärkte InnoTrans 2010 21.-24. September, Berlin Internationale Fachmesse für Verkehrstechnik www.innotrans.de Internationale M ärkte 14 INTERNATIO NALES VERKEHRSWESEN (62) 1+2/ 2010 Bullard, R. D. (2004): Highway Robbery. South End Press Cambridge, MA. CDC (2005): O verweight and O besity. Gefunden am 12.11.2006 unter http: / / www.cdc.gov/ nccdphp/ dnpa/ obesity/ . DESTATIS (2003): Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden. DESTATIS (2005): Statistik Lokal 2003. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden. DIW (1993): Vergleichende Auswertungen von Haushaltsbefragungen zum Personennahverkehr, KO NTIV 1976, 1982 und 1989. 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Wir sprechen im Weiteren vereinfachend für alle Fahrzeugarten (automobiles, light trucks, minivans, pickup trucks und sport utility vehicles) von Autos oder Pkw. 6 Wegen unterschiedlicher Abgrenzungen von städtischen und ländlichen Regionen sind die Werte zwischen Deutschland und den USA nur eingeschränkt vergleichbar. 7 Regionale Motorisierungskennziffern können „ unnatürlich“ hoch sein, da am Standort von Unternehmen mit vielen Fahrzeugen (Vermieter, Logistiker, Automobilhersteller) die Durchschnittswerte beeinflusst werden. In den Städten Wolfsburg (920) und Ingolstadt (748) mit Sitz von Autokonzernen werden daher deutlich höhere Werte erreicht. 8 Die erste NPTS in 1969 erfasste noch nicht die Wege zu Fuß und mit dem Fahrrad. 9 Die NHTS in 2001 war bestrebt, kurze Wege zu Fuß besser zu erfassen als die vorherigen NPTS. Außerdem wurden erstmals Kinder bis zum Alter von vier Jahren in die Erhebung einbezogen. 10 Die erste NPTS in 1969 erfasste noch nicht die Wege zu Fuß und mit dem Fahrrad. 11 Der zuletzt steigende Anteil der Fußwege ist durch die veränderte Erfassungsmethode bedingt. 12 Dies sogar, obwohl nach diesen Daten die Ö PNV- Nachfrage in den USA überschätzt ist, vgl. zur Problematik der Nachfrageerfassung (Fahrten) den ausführlichen Bericht. Literatur AAA (2002): Your Driving Costs 2002. American Automobile Association, Washington, D.C. ADAC (2002): Autokosten 2002. Allgemeiner Deutscher Automobil Club, München. APTA (2006): Public Transportation Factbook. Washington, D.C. BBR (2005): Raumordnungsbericht 2005. Berichte, Band 21, Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Bonn. BBR (2006): INKAR 2006. BBR Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Bonn. BLS (2000 - 2003): Consumer Expenditure Survey. U.S. Bureau of Labor Statistics, Washington, D.C. BMVBS (1991 - 2007): Verkehr in Zahlen. 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Die meisten Wege werden in den USA mit dem Auto unternommen, Laufen, Radfahren und Ö V-Nutzung haben zusammen nur einen Anteil von 12 % . Nur wenige US-Städte haben einen Modalanteil des Autos im Berufsverkehr unter 80 % , hingegen hat noch keine deutsche Stadt dieses Niveau erreicht. Tatsächlich ist der höchste Modalanteil des Autos in den deutschen Städten geringer als der geringste Anteil in allen großen US-Städten. Mit einem Anteil von unter 1 % ist das Radfahren nur eine Randerscheinung in den USA insgesamt und in den meisten Städten. Hingegen wird in Deutschland fast ein Zehntel aller Wege mit dem Rad zurückgelegt, womit es ein bedeutender Verkehrsträger ist. Ähnlich verhält es sich mit dem Zufußgehen: Der Anteil ist in Deutschland an die zweieinhalb Mal so hoch wie in den USA. Die öffentlichen Verkehrsmittel haben in den USA einen Anteil unter 2 % der Wege, aber 8 % in Deutschland insgesamt und weitaus höhere Anteile in den meisten Städten. O bgleich beide Länder über die vergangenen 60 Jahre ähnliche Trends aufweisen, sind die Verkehrssysteme und das Mobilitätsverhalten noch sehr verschieden. Zur Erklärung dieser Unterschiede kommen zahlreiche Einflussfaktoren auf die Mobilität in Betracht, die wir in einem folgenden Beitrag untersuchen werden. Vor dem Hintergrund unserer Befunde interpretieren wir des weiteren die aktuelle Entwicklung der Verkehrsnachfrage bei hohen Kraftstoffpreisen. 1 Ralph Bühler und Uwe Kunert, Trends und Determinanten des Verkehrsverhaltens in den USA und in Deutschland, Forschungsprojekt im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Projektnummer 70.0802/ 2006, Berlin, Dezember 2008, elektronisch verfügbar. Wir danken den Mitarbeitern des Referats A34 des BMVBS für ihre Unterstützung bei dieser Studie. 2 Für Deutschland beziehen sich die folgenden Aussagen bis 1990 auf Westdeutschland, ab 1991 auf Gesamtdeutschland. Hier und im Weiteren: O stdeutschland: Neue Bundesländer und Berlin-O st, Westdeutschland: früheres Bundesgebiet. 3 Neben diversen Q uellen sind die nationalen Verkehrsstatistiken (u. a. Verkehr in Zahlen und Transportation Statistics) sowie insbesondere für die Analyse auf der Individualebene die nationalen Erhebungen zur Mobilität verwendet worden. Für die USA die National Household Travel Survey (NHTS) von 2001 (O RNL 2005) und für Deutschland die Mobilität in Deutschland (MiD) von 2002 (BMVBS 2004). Das „ O ak Ridge National Laboratory” stellt die Daten der NHTS (früher Nationwide Personal Transportation Survey NPTS) und begleitende Informationen im Auftrag der Federal Highway Administration (FHWA) unter http: / / nhts.ornl.gov/ zur Verfügung. Ähnlich sind die in Deutschland im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) erhobenen Daten der MiD (früher Kontinuierliche Erhebungen zum Verkehrsverhalten KO NTIV) über die Clearingstelle für Verkehrsdaten erhältlich, s. http: / / daten. clearingstelle-verkehr.de/ 196/ . Für eine kurze Charakterisierung der beiden Erhebungen siehe Abschnitt 7 des Berichtes. 4 Betrachtet man nur die Personen ab dem Alter, das den Erwerb des Pkw-Führerscheins erlaubt (ab 18 Jahren in Deutschland), beträgt die Motorisierung 668 pro 1000 Personen im Jahr 2003. In den USA gibt es ebenso viele Fahrzeuge (car, SUV, light truck) wie Ein- Summary Trends of Travel Behavior in the USA and in Germany This article describes and compares trends in daily travel behavior in Germany and the USA since 1960. O ur analysis shows that both countries have witnessed sharp increases in automobile ownership and use over the last 40 years. In both countries average trip distances and the number of daily trips per person have also increased significantly. Moreover, the share of trips by public transport, bicycle, and on foot has declined in both countries. Nonetheless, in 2001/ 2002 Americans still owned 41 % more cars per capita, made 25 % more trips per day, and traveled more than twice as many kilometers by car annually than Germans. In 2002, the car accounted for 86 % of all trips in the USA, compared to 61 % in Germany. Compared to Germans, Americans made a four times lower share of trips by public transport (1.6 % in the USA vs. 8.0 % in Germany), were ten times less likely to ride their bicycle (0.8 % vs. 9.0 % ), and walked for a two-and-a-half times lower share of trips (9 % vs. 23 % ). We conclude that both countries show similar trends towards more motorization, but that automobile use is still on distinctly different levels in the two countries.