Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0008
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621-2
Die EU bei den Hörnern packen
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Christian Dahm
iv621-20033
Aus der Europäischen Union 33 INTERNATIO NALES VERKEHRSWESEN (62) 1+2/ 2010 Egal, wie die Ergebnisse des Klimagipfels von Kopenhagen letztlich zu beurteilen sind, die Klimakonferenz wird weitreichende Auswirkungen auf die EU-Verkehrspolitik haben. Das hat auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso erkannt, als er die Marschroute für seine neue Kommission festlegte: „ Die Kommission muss den Schwung nutzen, um zu einer CO 2 -armen Wirtschaft zu gelangen, insbesondere im Verkehrssektor.“ Welche Wege die Kommission einschlagen will, lässt Barroso offen. Technologische Innovationen sollen aber ein zentraler Ansatzpunkt sein. Für die Gemeinschaft Europäischer Bahnen (CER) ist dieser Ansatz nur ein Teil der Lösung. Zu wenig Bedeutung werde jedoch dem Preiselement beigemessen. Die Anlastung externer Kosten sei geradezu der Schlüssel zu mehr technologischer Innovation und operationeller Effizienz. Die Bahnen denken hier natürlich in erster Linie an die Revision der Eurovignette-Richtlinie, damit die EU-Länder dem Lkw seine verursachten Kosten in Rechnung stellen können. Nicht wenige Beobachter gehen davon aus, dass der Klimagipfel die laufenden Eurovignette-Verhandlungen positiv für die Bahnen beeinflusst. Vor allem dürfte der politische Druck steigen, die umstrittenen Staukosten einzubeziehen. So zeigt sich EP-Berichterstatter Sa ïd El Khadraoui inzwischen wieder optimistisch, dass er eine Mehrheit seiner Kollegen davon überzeugen kann. Und nicht nur für den Belgier ist die angestrebte Anlastung von Umwelt-, Lärm- und Staukosten ohnehin nur eine Zwischenlösung. Vorschläge zur Einbeziehung von CO 2 - und Unfallkosten werden unweigerlich folgen. Außerdem wird sich der EU-Gesetzgeber die Frage stellen müssen, ob in einem nächsten Schritt nicht alle EU-Länder verpflichtet werden sollten, Lkw-Mautgebühren zu erheben. Des Weiteren gilt es über eine lückenlose Zweckbindung der Mauteinnahmen für die Verbesserung des EU-Verkehrsnetzes nachzudenken. Doch die Bahnen wissen, dass die EU nicht nur Geschenke für sie bereithält. So sind beispielsweise CO 2 -Reduktionsziele für Dieselloks nach dem Vorbild der Lkw- Euro-Normen im Gespräch. O hnehin haben sich in letzter Zeit die Anzeichen verdichtet, dass die Kommission nicht mehr gewillt ist, einen Verkehrsträger auf Kosten eines anderen zu fördern. Einige − unangenehme − Überraschungen für die Bahnen dürfte auch das globale Preissystem beinhalten, auf dessen Grundlage die Infrastrukturgebühren samt externen Kosten für alle Verkehrsträger berechnet werden sollen. Eine der größten Herausforderungen dürfte die Lärmreduzierung des Schienengüterverkehrs sein. Doch die Bahnunternehmen genießen seit Jahren eine Schonfrist − konkrete Vorschläge lassen weiterhin auf sich warten. Fester M aßnahmen-Fahrplan Ja, Fristen und Zeitpläne, das war und ist das große Manko der EU-Verkehrspolitik. Doch das soll jetzt mit dem Weißbuch zur Verkehrspolitik 2020 anders werden. Die Definition politischer Ziele soll künftig mit einem festen „ Maßnahmen-Fahrplan“ einhergehen, wie diese zu erreichen sind. Vor dem Hintergrund ist es sicherlich kein gutes O men, dass das Weißbuch nicht Ende 2010, sondern frühestens im Frühjahr 2011 veröffentlicht wird. Diese erneute Verschiebung spiegelt die ganze Malaise der EU-Verkehrspolitik der vergangenen fünf Jahre wider: Intensive Konsultationen der einzelnen Verkehrsträger zu allen möglichen geplanten Initiativen sind sicherlich sinnvoll. Doch sie sind kein Ersatz für die politischen Entscheidungen des EU-Verkehrskommissars. Er muss zu einem gegebenen Zeitpunkt sagen, wo es lang geht. Denn die Transportunternehmen brauchen vor allem eines: Planungssicherheit! Ein starker Verkehrskommissar ist umso wichtiger, da seit dem 1. Januar 2010 mit Spanien leider wieder einmal ein Mitgliedstaat an der Spitze der EU steht, der die Ratspräsidentschaft auf die leichte Schulter zu nehmen scheint. So vermittelt der spanische Verkehrsminister José Blanco bislang den Eindruck, dass er keine rechten Prioritäten hat, sondern sich darauf beschränken will, die laufenden Diskussionen und Dossiers wie das vorrangige EU-Bahnfrachtnetz, die Förderung des Seeverkehrs sowie die Überarbeitung der Leitlinien für den Ausbau des Transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN) weiterzuführen. Dafür ist der EU-Vorsitz aber zu schade. Nicht zuletzt angesichts der andauernden Wirtschaftskrise wartet das Transportgewerbe dringend auf Initiativen. Und die kann und sollte eine Präsidentschaft zumindest anstoßen. Dabei muss das Rad keineswegs neu erfunden werden. Die Union hat vor allem durch die O sterweiterung einen fulminanten Erfolg ge- Die EU bei den Hörnern packen Spanien sollte EU-Präsidentschaft für mehr eigene Initiativen nutzen kannt. Die Strukturen wurden der stetig wachsenden Anzahl von Mitgliedstaaten aber nur unzureichend angepasst. Das Resultat: Die EU wurde zunehmend zum O pfer ihres eigenen Erfolges. Ein gutes Beispiel ist die Liberalisierung des Schienengüterverkehrs. Die EU hat durch die drei Eisenbahn-Richtlinienpakete zwar die Basis für die Marktöffnung gelegt. Doch bei der Umsetzung in nationales Recht zeigten die EU-Länder sich sehr erfinderisch. Es gibt so viele Lösungen wie Mitgliedstaaten. Warum? Die Entscheidungsfindung im EU-Ministerrat ist durch die gestiegene Anzahl von Ländern natürlich nicht leichter geworden. Um Einigungen zu ermöglichen, werden Kompromisse oft so formuliert, dass sich letztlich jeder Mitgliedstaat darin wiederfinden kann. Damit ist der europäischen Integration aber nicht gedient, da die Spielräume bei der Umsetzung der Richtlinien einfach zu groß sind. Und diese Ungereimtheiten müssen im Nachhinein wieder ausgebügelt werden, beispielsweise über Vertragsverletzungsverfahren oder eine Überarbeitung der Gesetzestexte. Dem Transportsektor wäre sicherlich gedient, wenn eine Präsidentschaft die EU- Gesetzgebung auf eine Vereinheitlichung durchforsten würde. Die Bahnliberalisierung ist da nicht das einzige Beispiel. Eine Harmonisierung der Lkw-Unterwegskontrollen sowie der Verstöße und deren Ahndung ist mehr als überfällig. Auch die Anpassung von Sozialabgaben oder Kfz- und Dieselsteuern tut Not. Die Reglementierung von Subventionen der öffentlichen Hand insbesondere für Seehäfen ist nur ein weiteres von unzähligen Beispielen. Das ist natürlich alles andere als ein leichtes Unterfangen. Doch gerade Spanien sollte wissen, dass sich Probleme oft nur lösen lassen, wenn man den Stier bei den Hörnern packt. Christian Dahm, EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Logistik- Zeitung in Brüssel
