Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0009
21
2010
621-2
Arbeiter mit enormer Leidenschaft
21
2010
Matthias Roeser
Peter Wörnlein
Über seine politischen Leitlinien und Ziele sprach Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer (CSU) Mitte Dezember 2009 mit der Redaktion der „ DVZ – Deutsche Logistik-Zeitung“ aus unserem Verlagshaus DVV Media Group GmbH, Hamburg. Die interessanten und aktuellen Antworten möchten wir Ihnen nicht vorenthalten.
iv621-20034
Infrastruktur + Verkehrspolitik 34 INTERNATIO NALES VERKEHRSWESEN (62) 1+2/ 2010 Matthias Roeser / Peter Wörnlein Arbeiter mit enormer Leidenschaft Über seine politischen Leitlinien und Ziele sprach Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer (CSU) Mitte Dezember 2009 mit der Redaktion der „ DVZ - Deutsche Logistik-Zeitung“ aus unserem Verlagshaus DVV Media Group GmbH, Hamburg. Die interessanten und aktuellen Antworten möchten wir Ihnen nicht vorenthalten. D ie Autoren M atthias Roeser, DVZ-Korrespondent in Berlin, roeser@dvz.de, und Peter W örnlein, stellvertretender Chefredakteur der DVZ in Hamburg, woernlein@dvz.de H err M inister, es wird ja niemandem an der Wiege gesungen, dass er mal Verkehrsminister wird. Und bei manchem Ihrer Vorgänger hatte man den Eindruck, der macht das nur, weil er in die Pflicht genommen wurde. Wie ist das bei Ihnen, ist da auch ein bisschen Lust dabei? Da ist viel Lust und Freude dabei. Ich habe mich ganz bewusst für dieses Amt entschieden. Das Ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung bietet großartige Gestaltungsmöglichkeiten. Ich verfüge über den größten Investitionsetat aller Ressorts. Sie können sicher sein: Ich arbeite mit enormer Leidenschaft. Da können Sie jetzt gleich mal sagen, was Sie sich an wichtigen Punkten vorgenommen haben. Wo wollen Sie Wegmarken setzen? Ich werde viele neue Prioritäten setzen. Wichtige Pflöcke sind bereits eingeschlagen. ich habe zum Beispiel die Bereiche Umwelt, Klima und Energiepolitik im Haus gebündelt. Dadurch können wir der Elektromobilität einen entscheidenden Schub geben. Deutschland muss hier zum weltweiten Leitmarkt werden. Dafür möchte ich die politischen Rahmenbedingungen schaffen. Natürlich werde ich auch Außenwirtschaftsinteressen vertreten. Im Transport- und Logistikbereich sehe ich Zukunftsmärkte. Wie kann das aussehen? Ich bin für Chancengleichheit im internationalen Wettbewerb - zum Beispiel im Personenschienenverkehr. Es kann nicht sein, dass die französischen Nachbarn bei uns im Fernverkehr fleißig Trassen anmelden und für deutsche Verkehrsunternehmen hinter dem Rhein sofort die Schranke runtergeht. Auch die strategischen Veränderungen in der globalen Luftfahrt bereiten mir Sorge. Wenn die Airlines im arabischen Raum Flugzeugbestellungen für die nächsten zehn Jahre aufgeben, die nicht annähernd etwas mit der Größe der nationalen Märkte zu tun haben, dann gibt mir das zu denken. Wir müssen aufpassen, dass die zentraleuropäischen Drehkreuze nicht in eine Abseitsposition geraten. Da gilt es, strategische Interessen zu wahren. Großes Thema der Vorgängerregierung war die Bahnprivatisierung. Werden Sie die weiter vorantreiben? Wir haben die Teilprivatisierung der Mobilitätssparte der Deutschen Bahn erstmal ge stoppt. Ein Börsengang zu den aktuellen Kursen würde bedeuten, da ss volkswirtschaftliche s Vermögen buchstäblich verschleudert wird. Die Weichen für die sen Weg sind zwar ge stellt, einen Verkauf unter Wert wird e s aber nicht geben. Könnten Sie sich vorstellen, auch nur die Güterverkehrsbereiche zu privatisieren? Private Unternehmer sehen es ja durchaus kritisch, dass der Staat mit der Bahn und durch die Post kräftig im Logistikmarkt mitmischt. Das ist richtig. Aber man muss sehen: In den vergangenen Jahren hat sich schon manches verändert. Ich werde mich dafür einsetzen, dass auf den verschiedenen Märkten mehr Wettbewerb stattfinden wird. Das kann ich den vielen mittelständischen Unternehmen mit ihrem ausgezeichneten Know-how versichern. Das gilt übrigens auch für den schienengebundenen Bereich. Dafür wird die Bundesnetzagentur künftig sorgen. Die größte Sorge der Verkehrswirtschaft ist, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts geschwächt wird, weil die Infrastrukturinvestitionen zu weit zurückgefahren werden. Können Sie das ausschließen? Moment! Für dieses und das nächste Jahr sind wir mit jeweils 12 Mrd. EUR ganz gut ausgestattet. Und danach? Darüber werde ich in aller Ruhe mit dem Bundesfinanzminister sprechen. Kollege Schäuble und ich tragen für eine moderne und leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur in Deutschland die politische Gesamtverantwortung. Wird es reichen, um die Engpässe zu beseitigen? Viele Vorhaben haben sehr lange Planungsvorläufe. Ich verspreche mir deshalb viel davon, beim Bundesautobahnbau stärker als bisher auf öffentlich-private Finanzierungsmodelle zu setzen. Die Erfahrungen, die wir bei den vielen in Bau befindlichen Strecken machen, sind hervorragend. Das kommt die öffentliche Hand in der lang- Dr. Peter Ramsauer, seit Herbst 2009 Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, hat nach dem Abitur Betriebswirtschaftslehre studiert und 1980 eine Lehre zum M üller mit der M eisterprüfung abgeschlossen. Ramsauer ist Gesellschafter des Familienbetriebs Ramsauer Talmühle KG, Traunwalchen. Seit 1990 ist er für die CSU M itglied des Bundestags. Fotos: Heinrici Infrastruktur + Verkehrspolitik 35 INTERNATIO NALES VERKEHRSWESEN (62) 1+2/ 2010 Kommentar Die Debatte um eine Pkw-Maut, die Kontroverse um den „ Aufbau West“ und das Missverständnis um die Gelder für die Y- Trasse: Viele Kritiker sahen den neuen Verkehrsminister Peter Ramsauer auf dem besten Weg zu einem Fehlstart in sein Amt. Doch im DVZ-Interview zeigte sich zweierlei: Ramsauer geht seine Aufgaben mit hohem Engagement an und er wird mit großer Wahrscheinlichkeit für das deutsche Verkehrsgewerbe ein besserer Partner sein als seine Vorgänger. Der Grund: Der neue Minister hat die wirtschafts- und industriepolitischen Aspekte rund um das Thema Verkehr im Fokus. Für ihn sind Harmonisierungsdefizite auf den internationalen Verkehrsmärkten keine lästige Nebensache, sondern ein wichtiges Aktionsfeld. Der Bayer zeigt hier Muskeln. Er wird sich ganz sicher nicht so von den europäischen Gremien durch den Ring führen lassen, wie es seinen Vorgängern in Sachen Lkw-Maut passierte. Auch beim Thema Seehafenhinterlandverkehr, Masterplan und Verkehrsverlagerung sind Ramsauers Standpunkte differenziert und auch im Verkehrsgewerbe konsensfähig. Beim Thema 25-m-Lastzüge deutet Ramsauer zumindest bei der Volumenvariante Kompromissbereitschaft an, und einen Logistikbeauftragten der Bundesregierung wird es auch wieder geben. Sein schwierigstes Vorhaben dürfte es sein, die Verkehrswegeplanung noch einmal zu beschleunigen: Hier drohen Konflikte mit der EU, den Bundesländern und diversen Lobbyorganisationen. Zaubern kann der Unternehmer aus Süddeutschland allerdings nicht: Die Forderung nach Verkehrswegeinvestitionen auf dem derzeitigen Niveau wird angesichts leerer Staatskassen die Achillesferse von Ramsauers Politik sein. Björn Helmke, Chefredakteur der DVZ Ramsauer zeigt Muskeln Hat die wirtschafts- und industriepolitischen Aspekte rund um das Thema Verkehr im Fokus: Dr. Peter Ramsauer. fristigen Betrachtung übrigens nicht teurer. Und es wird schneller, stau- und unfallfreier gebaut. Wir haben bei den Autobahnen einen gewaltigen Nachholbedarf - vor allen Dingen in den alten Bundesländern. Da werden wir versuchen, mehr privates Kapital zu mobilisieren. Wir bereiten gerade zwei neue Ö PP-Projekte an der A7 in Schleswig- Holstein und Niedersachsen vor. Ist es eine Option, die Bemautung der Verkehre auszuweiten auf Fahrzeuge mit weniger als 12 t zulässigem Gesamtgewicht? Das steht nicht auf der Tagesordnung. Weder bei Lkw unter 12 t noch beim Pkw. Trotzdem bin ich auf die Erkenntnisse der Niederländer gespannt, die in zwei Jahren eine allgemeine Pkw-Maut einführen wollen. Viele technische Probleme sind allerdings bis heute nicht gelöst. Und auch beim Datenschutz sind Fragen offen. Ich nehme den Auftrag des Koalitionsvertrags ernst. Danach habe ich zu prüfen, inwieweit wir zu verkehrsträgerbezogenen Finanzierungskreisläufen kommen können. Da gibt es für mich und mein Ministerium keinerlei Denkverbote. Können Sie sich vorstellen, größere Lkw zuzulassen, um die Straßen besser auszunutzen, Stichwort: Gigaliner? Ich sehe bei Transporten von großvolumigen Gütern noch Effizienzpotenziale. Die Frage ist: Können wir ohne eine Erhöhung des Gesamtgewichts und durch maßvolles Anpassen der Abmessungen zusätzliche Lkw-Fahrten vermeiden? Dies werden wir prüfen. Dafür müssen natürlich die Fahrer entsprechend ausgebildet werden. Und es müssen entsprechende Straßen zur Verfügung stehen. Ein 60-Tonner steht nicht zur Diskussion. Dadurch würden unsere Straßen und Brücken zu stark belastet. Es gibt die Bedenken, dass die Schiene dadurch Verkehrsanteile verliert. Der Verlagerung von der Straße auf die Schiene sind Grenzen gesetzt. Um Verkehr von der Straße weg zu bekommen, müssten viel mehr Schienenstrecken gebaut werden. Durch die Interessen der Anwohner und ökologische Belange stoßen wir da schnell an Grenzen. Wenn wir den nach der Wirtschaftskrise zu erwartenden Zuwachs an Gütern auf die Schiene verlagern können, wäre schon viel gewonnen. Noch im Frühjahr 2008 war es auf den Schienen im Hinterland der Seehäfen sehr eng. Jetzt fließen zwar die Planungsmittel für die Y-Trasse. Aber wenn es schlecht läuft, wird die erst 2020 fertig. Sehen Sie M öglichkeiten, alternative Verkehrswege zu erschließen? Also zehn Jahre für Planung und Realisierung wären doch im Vergleich zu den Erfahrungen bei anderen Projekten gar nicht schlecht. Wir müssen uns überlegen, welche Projekte im Seehafenhinterland schon früher realisiert werden können. Wenn der Hafenumschlag in drei oder vier Jahren wieder das frühere Niveau erreicht, sollten wir vorbereitet sein. Wir bauen ja zum Beispiel gerade das durchgängige dritte Gleis von Stelle nach Lüneburg. Der Bund investiert allein hier 266 Mio. EUR. Die Eisenbahnknoten Hamburg und Bremen werden zurzeit für 80 Mio. EUR modernisiert. Und selbstverständlich wird der neue JadeWeserPort in Wilhelmshaven an das Schienennetz angebunden. Sie werden sehen: Der Verkehrsminister aus Bayern gibt auch dem Norden Rückenwind. Sie haben schon die Planungs- und Genehmigungsverfahren angesprochen. M an hat oft gehört, dass da etwas geändert werden müsste. Was wollen Sie jetzt tun? Ich werde vor diesen Widerständen nicht kapitulieren. Ich will ja gar nicht, dass man in kürzester Zeit mit Brachialgewalt sechs oder achtspurige Straßentransversalen baut und dabei ökologische und soziale Belange vernachlässigt. Umgekehrt dürfen bei wichtigen Verkehrsvorhaben nicht 40 bis 50 Jahre vergehen - von der Erkenntnis des Bedarfs bis endlich das Band durchschnitten wird. Wir haben mit schnelleren Verfahren im O sten Deutschlands hervorragende Erfahrungen gemacht. Was sich in den neuen Ländern bewährt hat und recht ist, das muss in Zukunft auch in den alten Bundesländern billig sein. Das heißt, es wird eine Gesetzesinitiative geben? Ich bin fest dazu entschlossen, obwohl ich weiß: Wir haben es da mit einem komplexen Geflecht von Bundesrecht, Landesrecht und Lobbyinteressen zu tun. Eine Änderung setzt deshalb eine breite Unterstützung voraus. Es muss aber jedem klar sein: Höchste Umweltstandards können wir uns in diesem Land nur leisten, wenn die Wirtschaft das nötige Geld dafür verdienen kann. Im Koalitionsvertrag steht, dassüber den M asterplan Logistik noch einmal Gespräche mit den Branchenvertretern geführt werden. Wann werden die beginnen? Ich bin erst wenige Wochen im Amt. Da bitte ich um Verständnis, dass noch nicht alle Termine fixiert sind. Klar ist aber: Der Masterplan Güterverkehr und Logistik darf nicht graue Theorie bleiben. Ich möchte ihn mit der Wirklichkeit der täglichen Arbeit des Gewerbes in Einklang bringen. Die beteiligten Branchen können sich darauf verlassen: Ich werde den Masterplan nur in enger Kooperation mit allen Beteiligten verwirklichen. Wird es auch wieder einen neuen Logistikbeauftragten der Bundesregierung geben? Aber sicher, der ist ja im Masterplan vorgesehen. Ich werde jemanden benennen, der die Belange dieser Zukunftsbranche innerhalb der Bundesregierung koordiniert und als Ansprechpartner für die Transport- und Logistikwirtschaft zur Verfügung steht. Herr M inister, vielen Dank für dieses Gespräch.
