Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0011
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Ein einiger Fahrschein für Europa
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Jozef A. L. Janssen
Es gibt noch Papierfahrscheine. Doch das elektronische Ticket sowie kontaktlose Zugangskontrollen zu Verkehrsmitteln sind auf dem Vormarsch. Und damit steigen auch die Möglichkeiten, einfach von einem Verkehrsbetrieb bzw. Fahrgeldmanagementsystem zum nächsten zu wechseln, ohne ein Papierticket ziehen zu müssen. Interoperabilität ist das Stichwort. An einer Lösung wird europaweit gearbeitet.
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M obilität + Personenverkehr 38 INTERNATIO NALES VERKEHRSWESEN (62) 1+2/ 2010 Abb. 1: Aufbau für ein interoperables EFM -System Q uelle: eigene Zusammenstellung Jozef A. L. Janssen Ein einziger Fahrschein für Europa Grenzüberschreitendes E-Ticket im Ö PV Es gibt noch Papierfahrscheine. Doch das elektronische Ticket sowie kontaktlose Zugangskontrollen zu Verkehrsmitteln sind auf dem Vormarsch. Und damit steigen auch die Möglichkeiten, einfach von einem Verkehrsbetrieb bzw. Fahrgeldmanagementsystem zum nächsten zu wechseln, ohne ein Papierticket ziehen zu müssen. Interoperabilität ist das Stichwort. An einer Lösung wird europaweit gearbeitet. D er Autor Dr. Jozef A. L. Janssen, Geschäftsführer der VDV-Kernapplikations GmbH & Co. KG, Köln; kernapplikation@vdv.de Anfänge und Unterschiede Die IT-Trans im Februar 2010 in Karls- ruhe, als Fach- und Expertenmesse, hat Ihren Ursprung in einer internationalen UITP-Tagung zum Thema „ Automatisierte Fahrgelderhebung im Ö PV“ , die 1990 in Brüssel stattfand. Die inhaltlichen Unterschiede zwischen den Veranstaltungen von 1990 und 2010 sind riesig: In 1990 wurde noch intensiv über Magnetkarten und kontaktbehaftete oder kontaktlose Chipkarten diskutiert. In 2010 stehen ausnahmslos kontaktlose Chipanwendungen (in Karten, Handys oder USB-Sticks) im Mittelpunkt. In 1990 lag der Fokus auf dem „ elektronisch machen“ von Papiertickets; in 2010 wird anerkannt, dass elektronische Fahrgeldmanagementsysteme weitaus mehr Funktionen umfassen und zur Grundlage neuer Unternehmensaktivitäten führen können und werden. In 1990 waren Projekte europaweit rein lokal angelegt und befanden sich (fast alle) in einer Pilotphase; in 2010 sind Chipkarten millionenfach im Einsatz. Handyanwendungen im elektronischen Fahrgeldmanagement sind im Kommen. In 1990 war die Rede von stand-alone- Systemen in begrenzten Regionen, der Begriff Interoperabilität musste noch erfunden werden; in 2010 sind landesweite Einführungsprojekte in den Niederlanden und Dänemark in der Umsetzung und gibt es in Frankreich, Großbritannien sowie Deutschland (unterschiedliche) Standards für E-Ticket-Systeme im Ö PV. Interoperabiltät ist inzwischen europaweit und darüber hinaus auch in Asien und Amerika ein zentrales Thema geworden: Der Fahrgast soll mit seinem Medium (Karte, Handy) überall fahren können, wo es elektronische Fahrgeldmanagementsysteme (EFM-Systeme) gibt. Interoperabiltät soll dabei eine wesentliche Verringerung der Schwelle für die Benutzung des Ö PV gewährleisten: Reisen mit dem Ö PV soll - aus Sicht der Nutzung und der Tarife - für den Fahrgast so einfach werden wie die weltweite Anwendung von Handys in der Telekommunikation. Diese Anforderung der Interoperabilität ist im Laufe der Zeit, räumlich betrachtet, ständig erweitert worden: zuerst regional, dann national und jetzt auch international. Das IFM -Projekt Das Kundenmedium stellt für den Fahrgast den interoperablen Systemzugang dar. Die Realisierung von Interoperabilität beschränkt sich jedoch nicht auf das Medium Chipkarte oder Handy. Ein EFM- System besteht aus mehreren Schichten, die alle miteinander in Verbindung stehen, um Interoperabilität sicherzustellen (siehe Abb. 1). Die Verwendung einer gemeinsamen Karte und gemeinsamer Sicherheitsschlüssel reicht nicht aus, um Interoperabilität zu gewährleisten. Dazu müssen auch noch die Datenformate und die Backoffice-Prozesse, einschließlich der Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Backoffice-Systemen, kompatibel sein. Sowohl Verkehrsunternehmen als auch Aufgabenträger fokussieren sehr oft auf den heimischen Markt und öffnen ihre Systeme nicht oder nur mit Beschränkungen für Fahrgäste aus benachbarten Gebieten [1]. Im April 2007 veröffentlichte die UITP ein Positionspapier zum interoperablen elektronischen Fahrgeldmanagement, in dem klar formuliert wurde, dass es bis zur Interoperabiltät der großen Systeme in Deutschland (VDV-KA), England (IT- SO ) und Frankreich (INTERCO DE; ref. AFNO R XP 99-405) noch ein langer Weg sei [2]. Der erste Schritt auf diesem Weg war der Start des Projekts „ Interoperable Fare Management (IFM)“ im Januar 2008. Mit Förderung der EU arbeiten UITP, deutsche, englische und französische Partner gemeinsam an der Konzipierung und Entwicklung eines kooperativen europäischen EFM-Systems. Dabei werden auch die Systeme von Trans Link Systems (Niederlande), Resekortet i Norden AB (Schweden) und O TLIS (Lissabon) einbezogen. Ziel des IFM-Projekts ist es, den Fahrgast europaweit in die Lage zu versetzen, sein kontaktloses Medium für unterschiedliche Transportmittel in unterschiedlichen Regionen zu benutzen [3]. Das Projekt besteht aus zwei Stufen: In der erste Stufe (2008 bis Mitte 2010) wird ein Konzept („ Road Map“ ) erstellt, wie Kompatibilität erreicht werden kann. Vorhandene Systeme und Standards in den unterschiedlichen Ländern sind aus Akzeptanzgründen als Ausgangspunkt analysiert worden: Kein Land wird bereit sein, auf seine getätigten Investitionen in bestehende Systeme zu verzichten. M obilität + Personenverkehr 39 INTERNATIO NALES VERKEHRSWESEN (62) 1+2/ 2010 Nur über schon geplante Erneuerungen können vorhandene Systeme in Richtung europäische Interoperabilät weiterentwickelt werden. Dieses Konzept wird in Abbildung 2 dargestellt. In der zweiten Stufe (ab Mitte 2010) ist vorgesehen, die ersten Anwendungen in der Praxis auf Basis dieses Konzepts zu realisieren. In der Road Map werden drei Stufen unterschieden: 1. Getrennte IFM-Systeme in der Ausgangssituation: Hier wird durch gegenseitige Anerkennung 1 Interoperabilität zwischen zwei IFM-Systemen realisiert (0a). Eine Variante (0b) ist die Verwendung einer vorhandenen Applikation bei Erweiterung des Bedienungsgebiets 2 . Diese an sich sehr pragmatische Lösung lässt sich allerdings nicht im kompletten europäischen Raum durchsetzen. 2. Parallele IFM-Systeme als Zwischenphase: Diese können für Vielfahrer in unterschiedlichen IFM-Regionen ein praktischer Weg in Richtung Interoperabiltät sein. Der Fahrgast lädt die Applikation einer Fremdregion auf sein Medium und kann diese dann vor O rt benutzen. Wichtige technische Voraussetzungen sind die Möglichkeit des Downloads und ausreichende Speicherkapazitäten für die zusätzliche Applikation auf dem Medium. Hier bieten sich zwar mehrere Möglichkeiten (vor O rt, über Internet, über Mobilfunk) an, die allerdings in der Praxis noch nicht völlig ausgereift sind. O bwohl in dieser Stufe vorhandene Systeme verwendet werden, drängen sich hier bereits organisatorische Fragen zu einem gemeinsamen Portal auf. Zusätzlich ist für diese Phase zu klären: Wer haftet für was, wer tritt als Eigentümer und/ oder Regisseur auf, wer ist für den Kundenservice zuständig? usw. 3. Die gemeinsame Brücke als mittel-/ langfristiges Ziel: Eine EU-IFM-Applikation wird einmalig heruntergeladen und ist dann europaweit einsetzbar (vorausgesetzt natürlich, es ist ein EFM-System vorhanden). Die organisatorischen Fragen, die sich für die Stufe der parallelen IFM-Systeme stellen, werden sich erweitern. Die größere Bequemlichkeit für den Fahrgast schlägt sich nieder in einem aus Sicht der Verkehrsunternehmen komplexeren Hintergrundsystem mit einer dazu gehörigen O rganisation für die erheblich größere Anzahl der - die Applikation nutzenden - Teilnehmer. Die EU-IFM- Applikation muss einen Eigentümer haben, die Herausgabe der Applikation muss organisiert sein, die Systemsicherheit muss gewährleisten, dass sich die Teilnehmer am System (business-tobusiness) gegenseitig vertrauen können. Auch das Vertrauen der Fahrgäste wird benötigt! Einige besondere Aspekte und Aussichten Kundenfreundlichkeit/ Bequemlichkeit Es ist nicht schwer, im IFM-Projekt in technischen und organisatorischen Aspekten aufzugehen und dabei den Fahrga st aus den Augen zu verlieren. Da s sollte allerdings vermieden werden, denn nur durch Fokussierung auf die Kundenanforderungen kann da s Projekt zum Erfolg führen. Als wichtigste Anforderungen aus Fahrga stsicht werden betrachtet [4]: Einfachheit, insbesondere bei der Anmeldung Bequemlichkeit in der täglichen Benutzung leicht verständliche Kundenschnittstellen konsequente und logische Kundenbetreuung durch den eigenen Kundenvertragspartner Kundenbetreuung überall und wenn der Kunde das wünscht und benötigt. Die Wichtigkeit dieser Anforderungen nimmt noch weiter zu, wenn der Fahrgast eben nicht in seiner Heimregion unterwegs ist. Sicherheit Da s Sicherheitsniveau vorhandener EFM-Systeme in den einzelnen Ländern ist sehr unterschiedlich. Dabei ist darauf hinzuweisen, da ss bereits bei der parallelen Nutzung de s Kundenmediums für die unterschiedlichen Applikationen sicherge stellt sein muss, da ss die Anforderungen de sjenigen zu erfüllen sind, welche s da s höchste Sicherheitsniveau realisiert hat. Datenschutz Grundvoraussetzung ist, da ss die Richtlinien der EU einzuhalten sind und da ss die nationalen Anforderungen zu erfüllen sind. Die Stellen, die Daten verarbeiten - sowohl anonym als auch nicht anonym - sollen da s auf Ba sis einer Geheimhaltungspflicht tun. VD V- Kernapplikations GmbH & Co. KG Die VDV-KA-KG wurde im Jahr 2003 als Entwicklungsgesellschaft für einen E-Ticket-Standard im öffentlichen Personennahverkehr (Ö PV) Deutschlands gegründet. Inzwischen hat sie sich weiterentwickelt und vermarktet den Standard für das „ (((eTicket Deutschland“ im öffentlichen Personenverkehr, in dem auch die organisatorischen Notwendigkeiten und vertraglichen Regelungen für die Interoperabilität festgelegt werden. Sie ist zudem international am Markt tätig. Die Gesellschaft ist Applikationsherausgeber für das (((eTicket Deutschland und sorgt für die Weiterentwicklung und Einbindung neuer Techniken, die Teilnehmer- und Lieferantenverwaltung (business-tobusiness), das Applikationsmanagement sowie das Aufstellen von O rganisationsregeln. Sie zertifiziert Komponenten (Chipkarten, Verkaufsterminals, Kontrollterminals, Erfassungsterminals und Hintergrundsystemschnittstellen) und gewährleistet das Sicherheitsmanagement (Verwaltung der zentral ausgegebenen Schlüssel und Zertifikate sowie Steuerung des Sicherheitsprozesses und Weiterentwicklung). Zudem schreibt die Gesellschaft als zentrale Dienstleistung Chipkarten im gemeinsamen Auftrag von VU und VV aus und führt Beratungsworkshops für Verkehrsunternehmen und Systemkomponentenhersteller durch. Weitere Informationen: www.vdv-ka.org Diverse Aufgaben im Portfolio Abb. 2: Road M ap für die Entwicklung europäischer Interoperabilität im ÖPV Q uelle: IFM-Projekt M obilität + Personenverkehr 40 INTERNATIO NALES VERKEHRSWESEN (62) 1+2/ 2010 Organisation Sehr viele EFM-Systeme in Europa verwenden das Rollenmodell auf Basis der ISO / EN 24014-1-Norm. Dieses Rollenmodell ist eine formale, schematische Darstellung aller Beteiligten in einem EFM- System, mit den dazu gehörenden Funktionalitäten. Es muss in Hinsicht auf das Thema Download von Applikationen auf Kundenmedien erweitert werden, um die EU-IFM-Applikation zu ermöglichen (siehe dazu Abb. 3). Aussicht Wie geplant, wird die erste Stufe des IFM-Projekts bis Mitte 2010 abgeschlossen werden. Inzwischen wird die zweite Stufe vorbereitet, die an erster Stelle auf ein (oder mehrere) grenzüberschreitendes Demoprojekt auf Basis von zwei IFM-Systemen, die dann verknüpft werden sollen, zielt. Die Erfahrungen aus diesem Projekt sollen dann für weitere Umsetzungen angewandt werden. 1 Anerkennung heißt jeweils Implementierung der Systemlösung des Partners an der Schnittstelle zum Fahrgast/ Kundenmedium zumindest für Kontrollen. 2 Das bedeutet Nutzung der gleichen Applikation bei allen beteiligten Partnern. Literatur [1] Ganterac, Gilles de: Das EU-IFM-Projekt, Eine Initiative für nahtlose Mobilität. Erste O rientierungslinien. In: Public Transport International, Juli/ August 2009 [2] UITP: Everybody Local Everywhere. Brussel 2007, UITP. Kann heruntergeladen werden unter: http: / / www.uitp.org/ mos/ focus/ Everybody-Local-Everywhere-en.pdf [3] IFM: Project Grand Agreement. Brüssel 2007, IFM (nicht öffentlich) [4] Ackermann: O rganisation of European Interoperability. Vortrag IFM-Forum, 21./ 22. O ktober 2009, Wien Abb. 3: Rollenmodell bei Anwendung der EU-IFM -Applikation Q uelle: IFM, Development of cooperative organizational Models, WP4.3 (derzeitig noch nicht publiziert) I n t e r n a t i o n a l e K o n f e r e n z u n d F a c h m e s s e Partner: Veranstalter: 24. - 26. Februar 2010 Kongresszentrum Karlsruhe | Germany w w w . it-tr a n s . o r g IT-Trends und Innovationen für den öffentlichen Personenverkehr von morgen!
