Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0016
21
2010
621-2
ICE-Verkehr vom Steuerzahler zu finanzieren?
21
2010
Andreas Schulz
iv621-20047
Leserforum 47 INTERNATIO NALES VERKEHRSWESEN (62) 1+2/ 2010 Entwirrungsversuch in drei Szenen 1. Definieren ist ein überwiegend normativer Vorgang. Wenn die Mitglieder einer Gruppe vereinbaren, einen Stuhl partout als das zu definieren, was unsereins als Tisch bezeichnet wird, so ist ihnen das unbenommen, nur wird sie außerhalb ihrer Gruppe niemand verstehen. Unabhängig davon, ob Tausende von Artikeln etwas Anderes oder das Gleiche wie nachstehend als externe (Straßen-)Verkehrskosten definieren, deklarieren wir diese mit Hilfe von drei Verursacherbzw. Betroffenenkollektiven, die gruppenintern möglichst homogen und in der gegenseitigen Abgrenzung (im Hinblick auf die jeweilige Situation und auf die angestrebte Argumentation) möglichst trennscharf sein sollen (vgl. IV 10/ 2008, S. 392): Kollektiv der Straßenverkehrsteilnehmer Kollektiv der Gebietskörperschaften Kollektiv einer nicht näher spezifizierbaren Allgemeinheit, die von ungedeckten Unfallkosten und von Umweltbelastungen geschädigt ist, die ein anderes Kollektiv verursacht hat. Tritt nun eine Kostenanlastung über die Grenzen eines dieser kostenverursachenden Kollektive hinaus, das heißt, ist ein Kollektiv kostenverursachend und ein anderes kostentragend (leidtragend, betroffen), so bezeichnen wir diese Kosten als extern. Kosten, welche die Mitglieder eines und desselben Kollektivs sich und einander verursachen bzw. anlasten, ohne dass die Grenzen des Kollektivs überschritten werden, bezeichnen wir als intern. Diese (und keine andere) Unterscheidung halten wir für elementar wichtig, weil in diesem letzteren Fall kein anderes Kollektiv Abgeltungsforderungen zu stellen berechtigt ist. (Schon an dieser Stelle betonen wir, dass wir damit nichts über Zweckmäßigkeit/ Unzweckmäßigkeit eines kapazitätsbedingten Road Pricing (Congestion Pricing) oder über Effizienz/ Ineffizienz des Verkehrsablaufes aussagen. Aus unserer Sicht bedarf (mit dieser Terminologie) die Einführung eines Congestion Pricing schlicht und einfach nicht einer Legitimierung dadurch, dass man Stauzeitkosten zuvor als extern zu deklarieren genötigt ist.) 2. Selbstverständlich gibt es auch in unserer Definition echte externe Staukosten, die wir in IV 10/ 2008, S. 393 auch explizit benannt haben: Es sind dies staubedingte, von Versicherungsleistungen nicht gedeckte Unfallkosten und sämtliche staubedingten Umweltkosten (vor allem infolge staubedingt erhöhten Schadstoffausstoßes). Daher ist Hirtes Vorwurf, wir würden Stauexternalitäten negieren (vgl. IV 11/ 2009, S. 438), entschieden zurückzuweisen. Zeitkosten und Fahr(zeug)betriebskosten sind und bleiben allerdings unabhängig davon, ob sie in einem Stau oder außerhalb eines solchen entstehen, intern, das heißt, das stauerzeugende Kollektiv verursacht sie und muss sie zugleich auch selber tragen. Eine Einforderung der Abgeltung derselben durch ein anderes Kollektiv (etwa durch den stets nach neuen Einnahmequellen gierenden Staat) ist ökonomisch nicht zu rechtfertigen. Leider spricht Hirte in IV 11/ 2009 immer nur unscharf von „ Staukosten“ , meint aber wohl − soweit wir das beurteilen können − dabei in erster Linie „ Stauzeitkosten“ . 3. Völlig unabhängig davon, ob Kosten intern oder extern anfallen, betrachten wir das Congestion Pricing. Hier ist der Begriff der Externalität (in unserer Definition) irrelevant; relevant ist hier vielmehr der Begriff der Effizienz, die unabhängig davon, ob Kosten extern oder intern sind, aus ökonomischen Gründen anzustreben ist. Als effizienzlenkende Maßnahme unterliegt sie auch völlig anderen Ausgestaltungsprinzipien als eine generelle Abgabe etwa an den stets nach neuen Geldquellen Ausschau haltenden Staat (vgl. IV 7+8/ 2009, S. 280): Congestion Pricing muss direkt am O rt und zur Zeit des Staus (also der infrastrukturellen Knappheit) registriert werden, damit die entstehenden Kosten situationsgerecht angelastet werden können. Seine höchste Effizienz entfaltet Congestion Pricing als reine Lenkungsabgabe, d. h. staatsquotenneutral bzw. ertragsneutral, somit eben gerade ohne jeden Nettoeinnahmeeffekt der öffentlichen Hand. Zwingende Schlussfolgerung aus beiden Anforderungen ist, dass eine solche „ Stauzeitabgabe“ keinesfalls als Durchschnittswert allen Verkehrsteilnehmern gleichmäßig angelastet werden darf, unabhängig davon, ob sie viel oder wenig oder gar nicht an Staus beteiligt sind (wie dies z. B. seit zwei Jahren für den Schwerverkehr in der Schweiz gilt). Peter Cerwenka, Olaf M eyer-Rühle ProgTrans AG, Basel Stauzeitkosten intern oder extern? − ein Entwirrungsversuch Als Reaktion auf die in IV 11/ 2009, Seite 438 − 439, IV 7+8/ 2009, Seite 280, und IV 5/ 2009, Seite 149 − 154, veröffentlichten Beiträge, die sich auf den Artikel „Sind Staukosten externe Kosten“ in IV 10/ 2008, Seite 391 − 396, bezogen, verfassten die Autoren die folgende Stellungnahme Staukostendiskussion Die Diskussion zum Thema Externalität von Stau(zeit)kosten im Leserforum unserer Zeitschrift möchten wir mit der hier abgedruckten Leserzuschrift abschließen. Weitere Leserzuschriften zu diesem Thema wird die Redaktion künftig direkt an die jeweiligen Autoren weiterleiten. Redaktionshinweis Wenn man Ihr Editorial im Heft 9/ 2009 liest, entsteht der Eindruck, als ob Gerd Aberle mit dem zufrieden ist, was wir haben: staatliche Milliardeninvestitionen in neue Hochgeschwindigkeitsstrecken und Hauptstadtbahnhöfe, im Fernverkehr trotzdem stagnierende Fahrgastzahlen, ein stetig grobmaschiger werdendes Liniennetz, praktisch kein Wettbewerb. In der Tat wurden einige der gravierendsten Angebotslücken des Fernverkehrs durch die Aufgabenträger des Nahverkehrs geschlossen, obwohl die meisten von ihnen aufgrund ihres kleinräumigen, auf Nahverkehrsbedürfnisse optimierten Zuschnittes, hierfür denkbar ungeeignet sind. Es geht damit gerade nicht um eine weitere „ Machtausweitung“ der Nahverkehrsorganisationen, sondern vielmehr darum, dass diese Kompetenz von dem laut Grundgesetz hierfür zuständigen Bund wahrgenommen wird. Durch die Ersatzbestellungen wissen die Aufgabenträger des Nahverkehrs, dass der Zuschussbedarf des nicht eigenwirtschaftlichen Fernverkehrs nur etwa halb so hoch ist wie im Nahverkehr. Wenn man realistischerweise unterstellt, dass in einem Wettbewerbsumfeld der heute eigenwirtschaftlich betriebene Fernverkehr auch weiterhin eigenwirtschaftlich bleibt, und für eine vernünftige Anbindung aller Großstädte und O berzentren in Deutschland ca. 100 Millionen Zugkilometer/ Jahr zusätzlich erforderlich sind, geht es damit um eine überschaubare Summe. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um Infrastrukturbenutzungsgebühren. Da die zusätzlich erforderlichen Fernverkehrszüge fast ausschließlich auf Strecken fahren, deren Infrastruktur schon durch den Nah- und Güterverkehr finanziert ist, wird diese Summe vor allem den Gewinn der Infrastrukturgesellschaften erhöhen. Im neuen Koalitionsvertrag wird angestrebt, dass diese Gewinne nicht mehr für Holdingaufgaben verwendet werden dürfen, sondern im Infrastrukturbereich bleiben sollen und somit den staatlichen Zuschussbedarf an anderer Stelle wieder senken. Es geht also nicht um „ Machtausweitung“ und „ Regulierungswut“ , sondern darum, mit mehr Effizienz und mehr Wettbewerb ein insgesamt besseres Angebot zu schaffen. Andreas Schulz, M ünchen Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen. ICE-Verkehr vom Steuerzahler zu finanzieren? Stellungnahme zum Editorial in IV 9/ 2009
