eJournals Internationales Verkehrswesen 62/3

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0028
31
2010
623

Mobilitätssicherung durch intelligente Vernetzung

31
2010
Kerstin Zapp
Die Vision vom Fahren ohne Stau ist geprägt von zukunftsweisenden Technologien für eine optimierte Nutzung der Infrastruktur durch Kooperation und Vernetzung der Verkehrsträger. Die Initiative „Staufreies Hessen 2015“ gilt auch über Hessen hinaus als wegweisend. Die Redaktion sprach mit dem hessischen Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung, Dieter Posch, über die bisherigen Ergebnisse und die weiteren Planungen.
iv6230034
Infrastruktur + Verkehrspolitik 34 INTERNATIO NALES VERKEHRSWESEN (62) 3/ 2010 Dieter Posch, seit 2009 erneut hessischer M inister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung. Seine erste Amtszeit ging von 1999 bis 2003. Q uelle: HSVV Kerstin Zapp Mobilitätssicherung durch intelligente Vernetzung D ie Vision vom Fahren ohne Stau ist geprägt von zukunftsweisenden Technologien für eine optimierte Nutzung der Infrastruktur durch Kooperation und Vernetzung der Verkehrsträger. Die Initiative „ Staufreies Hessen 2015“ gilt auch über Hessen hinaus als wegweisend. Die Redaktion sprach mit dem hessischen Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung, Dieter Posch, über die bisherigen Ergebnisse und die weiteren Planungen. D ie Autorin Kerstin Zapp, freie Fachjournalistin Logistik - Mobilität - Energie, Hamburg; kerstin.zapp@zapp4media.de Ist Hessen im Jahr 2015 staufrei? Das ist unser Ziel. Wir arbeiten täglich daran, und wir werden ihm sehr nahe kommen. Wer etwas erreichen will, muss sich ehrgeizige Ziele setzen - auch wenn wir wissen, dass in absehbarer Zukunft auf hessischen Straßen der Verkehr nicht immer reibungslos fließen wird. Aber wir haben schon eine Menge erreicht: Heute verbringen Verkehrsteilnehmer in Hessen bis zu 80 % weniger Zeit in Staus als noch zu Beginn der Initiative. Wie haben Sie das geschafft? Zum Beispiel hat Hessen durch die zeitweise Freigabe der Autobahnseitenstreifen die Straßenkapazität um bis zu 25 % auf diesen Streckenabschnitten steigern können. Viele andere Aktivitäten helfen uns, umfassende Verkehrsdaten zu sammeln und auszuwerten, um Verkehrsströme besser planen und lenken zu können. Sie werden als einer der Väter des Projekts „Staufreies Hessen 2015“ bezeichnet. Warum? Die temporäre Freigabe von Autobahnseitenstreifen - eines der Top-Projekte der Initiative - habe ich zwischen 1999 und 2003 als Verkehrsminister vorangetrieben. Fachleute hatten damals noch Bedenken hinsichtlich der Verkehrssicherheit. Wie steht es denn um die Sicherheit seit der Einführung 2001? Mit der Seitenstreifenfreigabe ist es uns gelungen, Staus und damit staubedingte Unfälle zu reduzieren. Derzeit sind im Rhein-Main-Gebiet 65 km Seitenstreifen zeitweise freigegeben. Ist eine Ausweitung auf weitere Seitenstreifen geplant? Wo immer dies möglich und sinnvoll ist, ja. Der Masterplan der Hessischen Straßen- und Verkehrsverwaltung (HSVV) sieht eine Nutzung der Seitenstreifen auf einer Länge von rund 350 km vor. Gibt es weitere Potenziale zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit von Autobahnen? Die dynamischen Informationstafeln, von denen es mittlerweile 14 in Hessen gibt, helfen Autofahrern ebenfalls weiter. Diese können sich dank der Informationen auf den Tafeln rechtzeitig umorientieren. Auf einigen werden auch die zu erwartenden Fahrtzeiten bis zum Ziel angegeben - darauf können sich die Fahrer dann einrichten. Was hilft das alles, wenn auf der Autobahn eine Baustelle eingerichtet ist? Grundsätzlich hilft jede Baustelle, unsere Verkehrswege intakt und leistungsfähig zu halten. Temporär sind sie mit Einschränkungen verbunden. Darüber informieren wir mit Tafeln und schlagen Umleitungen vor. Darüber hinaus hat Hessen ein bundesweit einmaliges Baustellenmanagement entwickelt, das ebenfalls zum Konzept „ Staufreies Hessen 2015“ gehört. Die Auswertung der an Baustellen erhobenen Verkehrsdaten ermöglicht es uns, Zeitfenster für Baustellen im Vorfeld festzulegen und Reisezeitverzögerungen damit so gering wie möglich zu halten. Abgesehen von dynamischen Informationstafeln: Das Projekt sieht den Einsatz hochmoderner Informationstechnologien vor. Worum geht es genau und wie weit sind Sie hier bisher gekommen? Wir kooperieren seit mehreren Jahren mit Partnern aus Automobil-, Zuliefer- und Telekommunikationsindustrie sowie mit Forschungsinstituten bei der Entwicklung neuer Technologien, bei denen es insbesondere um die Kommunikation von Fahrzeugen untereinander sowie zwischen Fahrzeugen und Infrastruktureinrichtungen geht. Hessen testet derzeit etwa im Projekt SIM-TD diese Technologien im bundesweit größten Feldversuch in der Region Frankfurt/ Rhein-Main. Geht die Initiative auch über Hessens Landesgrenzen hinaus? Ja, zum Beispiel im Rahmen unseres Korridormanagements: Hier stimmen wir großräumig Umleitungsempfehlungen auf bestimmten Routen mit anderen Bundesländern ab. Auch Ö sterreich sowie die Schweiz sind hier eingebunden, um den methodischen Ansatz zu übernehmen. Oft wird vor allem über den Personenverkehr geredet. Gibt es konkrete M aßnahmen für den Güterverkehr? Alle Schritte helfen auch dem Güterverkehr. Doch konkret möchte ich vor allem auf unsere Initiative zum Thema Lkw- Parken entlang der Autobahnen in Hessen hinweisen. Bis zum Jahr 2015 werden wir 2000 neue Parkplätze schaffen sowie ein Informationssystem für Fahrer installieren, das auf belegte und freie Parkmöglichkeiten hinweist. Ende vergangenen Jahres haben wir das deutschlandweit erste Parkleitsystem in Betrieb genommen. An der A5 können die Lkw-Fahrer erkennen, ob hier ein Rast- und Ruheplatz für sie frei ist. Sie müssen dazu nicht mehr mit ihrem Lkw den Parkplatz abfahren und suchen. Das erleichtert es ihnen, die vorgeschriebenen Ruhezeiten einzuhalten und erhöht die Verkehrssicherheit. Wie steht es um den Ausbau des Schienenverkehrs und eine deutliche Verlagerung von mehr Gütertransporten auf die Schiene? Man muss Realist bleiben und die Grenzen von Verkehrsverlagerungen sehen. Doch eines meiner zentralen Anliegen ist die Stärkung des Schienenknotenpunkts Frankfurt - Stichwort „ Rhein-Main-Plus“ , was nicht zuletzt einen Ausbau des Personennahverkehrs nach sich zöge. Ich denke dabei an die Regionaltangente West und Infrastruktur + Verkehrspolitik 35 INTERNATIO NALES VERKEHRSWESEN (62) 3/ 2010 M ehr als 53 M io. Passagiere pro Jahr am Frankfurter Flughafen und 655 M io. Fahrgäste im ÖPNV des Rhein-M ain-Verkehrsverbunds, täglich 350 000 Reisende am Frankfurter Hauptbahnhof und 335 000 Fahrzeuge am Frankfurter Autobahnkreuz, dazu mit Rhein und M ain Verbindungen per Binnenschiff zwischen Nordsee und Schwarzem M eer: Hessen ist eine der wichtigsten Verkehrsdrehscheiben in Europa. Im Bild: dynamische Informationstafel Q uelle: HSVV andere Großprojekte. Die Ertüchtigung von Autobahnen durch moderne Technologien schließt die Stärkung von Bussen und Bahnen ja nicht aus. Bis 2015 soll das Verkehrsaufkommen auf der Straße im Personenverkehr um weitere 20 % und im Güterverkehr um 60 % zunehmen, proportional und absolut stärker als auf der Schiene. Laufen Sie bei dem Versuch, Hessen staufrei zu machen, einer Utopie hinterher? Die Zunahme des Verkehrs ist eine Realität, die wir bewältigen müssen. Die Initiative „ Staufreies Hessen“ ist unsere Antwort auf diese Herausforderung, und die Erfolge, von denen ich gesprochen habe, geben uns dabei recht. Wir rechnen tatsächlich mit noch mehr Verkehr, vor allem im Gütertransport. Deshalb beschränken wir unsere Anstrengungen nicht auf die Maßnahmen des Projekts, sondern sanieren unter anderem die Landstraßen. Vielfach spricht man heute von einer Weiterentwicklung der Verkehrspolitik zur Mobilitätspolitik. Dieser Begriff impliziert, dass alle Verkehrsmittel ihren abgestimmten Beitrag leisten, die Bürger sicher, schnell und bequem an ihr Ziel zu bringen. Das Hauptziel der Initiative ist, den vorhandenen Verkehrsraum optimal zu nutzen. Hessen ist das wichtigste Transitland in Deutschland, die Verkehrsdichte auf den Autobahnen höher als anderswo in der Republik. Die Verkehrsflut ist nur zu meistern, wenn wir die Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Verkehrsträgers erhöhen. Und dann? Dann gibt es exakte Verkehrsprognosen, die alle Verkehrsträger umfassen und Echtzeitinformationen mit einbeziehen. Vor Beginn einer Reise - ob als Person oder Gut - kann eine Art „ intermodaler Slot“ abgefragt werden, der die für das Zeitfenster der vorgesehenen Fahrt unter Einbeziehung aller Verkehrsträger günstigste Transportkette abbildet in Hinblick auf den Zeitaufwand, die Emissionen, Komfort und Sicherheit. Initiative „Staufreies Hessen 2 0 1 5 “ Unter der Federführung des Hessischen Landesamts für Straßen- und Verkehrswesen wird im Rahmen der im Jahr 2003 gestarteten Initiative „ Staufreies Hessen 2015“ intensiv daran gearbeitet, die Mobilität zu sichern. Die Maßnahmen gliedern sich in drei Themenfelder: Zukunftstechnologien, Verkehrsmanagement und Mobilitätsdienste. Zukunftstechnologien: funkbasierte Fahrzeug-Infrastruktur- Kommunikation DIAMANT - Dynamische Informationen und Anwendungen zur Mobilitätssicherung mit Adaptiven Netzwerken und Telematikinfrastruktur AKTIV - Adaptive und Kooperative Technologien für den Intelligenten Verkehr SIM-TD - Sichere Intelligente Mobilität - Testfeld Deutschland CVIS - cooperative vehicle infrastructure system. Verkehrsmanagement: temporäre Seitenstreifenfreigabe und ein entsprechender Masterplan dWiSta - dynamische Wechselwegweiser mit integrierten Stauinformationen Baustellenmanagement DO RA - dynamische O rtung von Arbeitsstellen DIVA - dynamische integrierte Verkehrslage auf Außerortsstraßen Strategiemanagement Bewertung und O ptimierung von Umleitungsempfehlungen LDC - Long Distance Corridors VO DAMS - Validierung, O ptimierung und Definition von Ad-hoc-Maßnahmen und Strategien. M obilitätsdienste: dIRA - dynamische Informationstafeln zur Reisezeitanzeige Lkw-Parken entlang der Autobahnen in Hessen DIANA - Dynamic Information and Navigation Assistance Park and Ride (P+R) Hessen Verkehrsportal Hessen Störfallmanagement Easyway innovative Systeme im Ö PNV - Handy- Ticketing Erhöhung der subjektiven Sicherheit im Ö PNV Ankunftssicherung im Ö PNV optimierte Fahrzeugkonzeption im Ö PNV. Nähere Informationen zu den einzelnen Projekten: www.staufreieshessen2015.de Welche Projekte werden verfolgt? Die Stauzeiten sind bis 2008 um knapp 80 % zurückgegangen. Q uelle: HSVV