eJournals Internationales Verkehrswesen 62/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0038
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2010
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Nutzen-Kosten-Analysen ohne Aussagekraft? | Noch immer kein neues Personenbeförderungsgesetz

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Gerd Aberle
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Kurz + Kritisch 6 Kurz + Kritisch: Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche gig jedoch immer auf die Nutzengrößen. Warum werden so wenige Nachkalkulationen mit Einbeziehung der tatsächlichen Investitionsaufwendungen durchgeführt und veröffentlicht? Die Dramatik des Problems verdeutlichen beispielsweise aktuell einige Schienenstrecken: Die neue Ausbaustrecke Karlsruhe - Basel soll statt 4,3 Mrd. EUR nunmehr 5,7 Mrd. EUR kosten, der Ausbau Ulm - Lindau wird 103 Mio. EUR teurer, das Rhein-Ruhr-Express-Projekt soll um 43 % auf 2 Mrd. EUR kostenseitig steigen. Auch für die vieldiskutierte Y-Achse werden nur historische Kostenschätzungen recht weit zurückliegender Jahre genannt. Und wie sich das Vorhaben Stuttgart 21 entwickelt, weiß niemand. Aber ahnen tun es viele. Auch hier handelt es sich um eines der zahlreichen Tabuthemen der Verkehrs- und Wirtschaftspolitik. Noch immer kein neues Personenbeförderungsgesetz A m 3. Dezember 2009 ist die VO (EG) 1370/ 2007 für öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße in Kraft getreten. Sie ersetzt die VO (EWG) 1191/ 69 und ist geltendes höherrangiges Recht. Die zwar nur zwölf Artikel umfassende neue VO wird jedoch wegen zahlreicher Interpretationsmöglichkeiten kontrovers diskutiert, obwohl sie für neue Dienstleistungsaufträge verbindlich und für laufende Verträge spätestens 2019 verbindlich wird. Die VO 1370/ 07 gilt für Dienstleistungen, die mit dem Erfordernis von öffentlichen Ausgleichsleistungen verbunden sind, also nicht für Leistungen, die ohne diese Zahlungen erbracht werden, also dem Genehmigungswettbewerb unterliegen. In Deutschland wird mit den Begriffen der Nutzen-Kosten-Analysen ohne Aussagekraft? I n der deutschen Bundesverkehrswegeplanung werden die Verkehrsinfrastrukturprojekte mit Hilfe von Nutzen- Kosten-Analysen evaluiert. Die errechneten Nutzen- Kosten-Quotienten entscheiden maßgeblich darüber, ob und mit welcher Priorität die Investitionsvorhaben realisiert werden. Seit Beginn der Evaluierungen Ende der 60er Jahre hat sich eine strittige Diskussion um die Erfassung und Bewertung der Nutzenkomponenten gezeigt. Erreichbarkeits-, Zeit- und wirtschaftsstrukturelle Nutzengrößen wurden mehrfach methodisch korrigiert, ohne dass wirklich befriedigende Konventionen gefunden wurden. Insgesamt verbleiben erhebliche Unsicherheitsbereiche auf der Nutzenseite. Wenig beachtet wurde und wird hingegen, dass beim Kostenfaktor mindestens ebenso große Unsicherheiten und Fehlerquellen liegen. Die Informationen über Projektkostenerhöhungen sind erschreckend. Das gilt sowohl für den Straßenals auch insbesondere für den Schieneninfrastrukturbereich. Investitionskostensteigerungen gegenüber den in den Nutzen-Kosten-Analysen angesetzten Werten von 20 bis über 50 % sind eher die Regel als die Ausnahme. Die Ursachen dieser unerfreulichen Entwicklungen, welche die für die Projektrechnung unterstellten Planungsgrößen der Investitionsaufwendungen und damit die Ergebnisse der Bewertungsverfahren fehlerhaft werden lassen, sind mehrschichtig. Gravierende Projektveränderungen Bekannt ist, dass die Investitionsaufwendungen sehr gern strategisch unterschätzt werden, da viele verkehrspolitische Wünsche und auch Auftragsvergabeinteressen einen hohen Stellenwert besitzen. Hinzu kommen unterschätzte Baupreissteigerungen, während der Planungs- und Realisierungsphase durchgeführte Projektveränderungen und überraschende Schwierigkeiten bei der Baurealisierung mit kostenintensiven Nachbesserungen. Es ist immer wieder interessant zu sehen, welche kostenintensiven Veränderungswünsche nach Projektgenehmigung eingebracht werden, die in der Evaluierungsphase möglicherweise zu einer Herabstufung in der Dringlichkeitsreihung geführt hätten. Die Folge dieser gravierenden Projektkostenerhöhungen ist, dass die ursprünglichen Nutzen-Kosten-Quotienten falsche, das heißt zu hohe Werte aufweisen. Da die Nutzengrößen nicht oder nur kaum positive Veränderungen erfahren, erweisen sich zahlreiche positiv evaluierte Projekte aufgrund der Projektkostensteigerungen dann als nicht mehr priorisierungsbzw. sogar nicht mehr realisierungsfähig. Da die Baumaßnahmen aber bereits begonnen wurden bzw. der politische Umsetzungsdruck sehr stark ist, ergeben sich keine weiteren Konsequenzen. Tabuthema Nachkalkulation Angesichts dieser Probleme ist zu fragen, warum sich die Verkehrspolitik dann noch mit soviel Engagement für die Nutzen-Kosten-Analysen einsetzt. Das bezieht sich vorran- INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 4/ 2010 Termine + Veranstaltungen Weitere Veranstaltungstermine finden Sie im Internet unter www.dvz.de, www.eurailpress.de und www.dvwg.de 8.-11.4.10 AERO 2010 Friedrichshafen (D) Info: Messe Friedrichshafen, Tel. 07541-7080, www.aero-expo.com 13.-15.4.10 InfraRail 2010 - Birmingham (GB) 8 th International Railway Infrastructure exhibition Info: Mack Brooks Exhibitions, Tel. +44-1727-814400, info@mackbrooks.co.uk, www.infrarail.com 15.-16.4.10 Verkehrsdrehscheibe BeNeLux Motor Europas? ! Aachen (D) Perspektiven für grenzüberschreitenden Verkehr Info: tjm-consulting, Tel. 0221-3305030, info@tjm-consulting.de, www.tjm-consulting.de 15.-16.4.10 19. Deutscher Materialfluss-Kongress 2010 München (D) Info: VDI-Wissensforum GmbH, Tel. 0211-6214201, wissensforum@vdi.de, www.vdi-wisensforum.de 15.-16.4.10 eCarTec Paris Paris (F) Info: MunichExpo GmbH, Tel. 089 32 29 91-0, robert.metzger@munichexpo.de, www.ecartec-paris.eu 15.-17.4.10 5. Greifswalder Forum „Umwelt und Verkehr“ Greifswald (D) Info: Universität Greifswald, Andrej Cacilo, Tel. 03834-862102, andrej.cacilo@uni-greifswald.de, www.jura.uni-greifswald.de 19.-23.4.10 Hannover Messe Hannover (D) Info: Messe Hannover, hannovermesse@messe.de, www.hannovermesse.de 22.-23.4.10 2. Internationaler Hafenkongress Karlsruhe Karlsruhe (D) Info: Karlsruher Messe- und Kongress-GmbH, Tel. 0721-37205000, info@kmkg.de, www.hafenkongress.de 22.-23.4.10 8. Deutscher Nahverkehrstag Ludwigshafen (D) Info: Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Rheinland-Pfalz, Tel. 06131-16-0, info@der-takt.de, www.deutschernahverkehrstag.de 28.4.10 17. DVWG-Luftverkehrsforum Frankfurt/ Main (D) Info: DVWG, Tel. 030-2936969, hgs@dvwg.de, www.dvwg.de 28.-30.4.10 3. See-Hafen-Kongress Hamburg (D) Info: Umco Umwelt Consult GmbH, Tel. 040-41921300, umco@umco.de, www.umco@umco.de 4.5.10 4. Salzgitter-Forum Mobilität: Elektromobilität 2020 - Salzgitter (D) Vom Hype zum Megatrend Info: Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Tel. 05341-87551770, s.moedeker@ostfalia.de, www.salzgitter-forum-mobilitaet.de 6.-7.5.10 3. Grazer Symposium virtuelles Fahrzeug Graz (A) Info: TU Graz, Tel. +43-316-873-9094, Julia.Dorazio@v2c2.at, www.gsvf.at 6.-7.5.10 DVWG Jahreskongress + Stuttgart (D) 8. Europäischer Verkehrskongress Info: DVWG, Tel. 030-2936969, hgs@dvwg.de, www.dvwg.de 7.5.10 4. Grazer Nutzfahrzeug Workshop Graz (A) Info: Institut für Fahrzeugtechnik, Tel. +43-3168735251, office.ftg@tugraz.at, www.ftg.tugraz.at 7.-9.6.10 VDV-Jahrestagung München (D) Info: VDV, Tel. 0221-57979-0, www.vdv.de 8.-10.6.10 mtex 2010 - Internationale Fachmesse & Symposium Chemnitz (D) für Textilien und Verbundstoffe im Fahrzeugbau Info: Messe Chemnitz, Tel. 0371-38038-0, info@mtex-chemnitz.de, www.mtex-chemnitz.de 7.-8.9.10 global maritime environmental congress - gmec 2010 Hamburg (D) Info: Hamburg Messe und Congress Gmbh, Tel. 040-35692444, gmec@hamburg-messe.de, www.gmec-hamburg.com 21.-24.9.10 InnoTrans Berlin (D) Info: Messe Berlin, Tel. 030-30382376, innotrans@messe-berlin.de, www.innotrans.de 30.9.-1.10.10 Networks for Mobility Stuttgart (D) Info: Universität Stuttgart, Tel. 0711-685-66367, fovus@fovus.uni-stuttgart.de, www.uni-stuttgart.de/ fovus gemeinwirtschaftlichen und der eigenwirtschaftlichen Leistungen operiert. Das in Deutschland noch nicht veränderte Personenbeförderungsgesetz (PBefG) war mit Bezug auf die nun aufgehobene VO 1191/ 69 inhaltlich und teilweise begrifflich gestaltet. Daraus folgt unmittelbar das Erfordernis, im Sinne der Rechtssicherheit im ÖPNV ein angepasstes, aber rechtlich kollisionsfreies neues PBefG vorzulegen. Es irritiert, dass dies noch nicht erfolgt ist; immerhin ist der Text der VO 1370/ 07 nunmehr seit über zweieinhalb Jahren bekannt. Noch irritierender ist es, dass im Spätsommer 2008 der Versuch des Bundesverkehrsministeriums an kontroversen Interessen der Länder und der betroffenen Verbände scheiterte, ein neues PBefG zu konzipieren. In den letzten Monaten ist die Rechtsunsicherheit durch eine Vielzahl von juristischen Beiträgen mit divergierenden Interpretationen der VO 1370/ 07 und Verbandsstellungnahmen nicht vermindert, sondern gesteigert worden. Auch die fachspezifischen Entscheidungen deutscher Gerichte spiegeln die Auslegungsweite und das Fehlen eines kompatiblen PBefG. Während das bisherige PBefG häufig in einem nicht konfliktfreien Verhältnis zum deutschen Vergaberecht steht, enthält die VO 1370/ 07 bereits die Vergaberegeln und bricht als geltendes höherwertiges Recht nationale Vorschriften. Das verdeutlicht den Novellierungsbedarf beim PBefG. Allerdings wird die Konzeption des neuen PBefG eine schwierige Aufgabe angesichts der Anpassungserfordernisse an die mit beträchtlicher Auslegungsbreite ausgestattete VO 1370/ 07 und der zahlreichen, in Deutschland tradierten ÖPNV-Regelungen und Interessenlagen von Politik und Interessengruppen. Nur Rahmengesetz oder bundesweit verbindlich? Zu klären ist beim neuen PBefG, ob es sich nur um ein Rahmengesetz des Bundes mit nachfolgenden 16 Ländergesetzen und regionalen Abweichungen oder um bundesweit eindeutige verbindliche Vorgaben handelt. Das gilt für viele Einzeltatbestände. Zu nennen sind etwa die inhaltlichmaterielle Definition von handelsrechtlichen Erträgen im Querverbund von Stadtwerken zur Abdeckung von ÖPNV- Verlusten durch Gewinne aus dem Energie- und Wasserverkauf, die Verbindlichkeit des Nahverkehrsplans für die Genehmigungsbehörden, die Ausschreibungsmodalitäten hinsichtlich der Struktur von Linienbündeln und Netzen mit den Wettbewerbswirkungen auf mittelständische Anbieter, die Gewährung von Ausschließlichkeitsrechten bei Liniengenehmigungen, die Gewährung individueller Ausgleichszahlungen ohne öffentlichen Dienstleistungsauftrag und vieles mehr. Wenn verlautet, dass möglichst bis Mitte 2011 ein neues PBefG vorgelegt werden soll, so kann diese Ankündigung vor dem Hintergrund der Vergangenheitserfahrungen von 2008 und der Komplexität nicht zufrieden stellen. Hier liegt dringender Handlungsbedarf vor. Die Rechtsunsicherheit mit der Folge fast unübersehbarer Auslegungsvarianten der VO 1370/ 07 und ihrer Anwendung für Deutschland sowie die Gefahr, dass Richterrecht dann zwangsläufig dominiert, sind für den ÖPNV nicht hinnehmbar. Veranstaltungen vom 8.4.2010 bis 1.10.2010 Stand zum Redaktionsschluss am 17.3.2010