Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0042
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2010
624
Strategieplanung „Mobilität und Transport“
41
2010
Gerd-Axel Ahrens
Herbert Baum
Klaus J. Beckmann
Werner Brilon
Alexander Eisenkopf
Hartmut Fricke
Ingrid Göpfert
Christian von Hirschhausen
Günther Knieps
Stefan Oeter
Franz-Josef Radermacher
Werner Rothengatter
Volker Schindler
Jürgen Siegmann
Bernhard Schlag
Wolfgang Stölzle
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Infrastruktur + Verkehrspolitik 20 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 4/ 2010 Wissenschaftlicher Beirat für Verkehr Strategieplanung „Mobilität und Transport“ Folgerungen für die Bundesverkehrswegeplanung* Mitglieder des Beirats Prof. Dr. Gerd-Axel Ahrens Prof. Dr. Herbert Baum Prof. Dr. Klaus J. Beckmann (Vorsitzender) Prof. Dr. Werner Brilon Prof. Dr. Alexander Eisenkopf Prof. Dr. Hartmut Fricke Prof. Dr. Ingrid Göpfert Prof. Dr. Christian von Hirschhausen Prof. Dr. Günther Knieps Prof. Dr. Stefan Oeter Prof. Dr. Franz-Josef Radermacher Prof. Dr. Werner Rothengatter Prof. Dr. Volker Schindler Prof. Dr. Jürgen Siegmann Prof. Dr. Bernhard Schlag Prof. Dr. Wolfgang Stölzle 1 Strategieplanung „Mobilität und Transport“ 1.1 Vorbemerkung Bau, Betrieb und Erhaltung von Verkehrsinfrastrukturen (Straßen, Schienenwege, Wasserstraßen, Häfen, Flughäfen) sind unverzichtbare Voraussetzungen für die Wohlfahrtssteigerung auf allen staatlichen Ebenen (Bund, Länder, Gemeinden). Sie sind auch notwendig für die soziale Entwicklung und die Sicherung der Teilhabeoptionen von Menschen, einschließlich des sozialen Ausgleichs und der Integration. Mobilität ist schließlich ein wesentlicher Bestandteil der individuellen Lebensgestaltung. Veranlassung für diese Stellungnahme ist der Befund, dass die bisherigen Betrachtungsweisen, methodischen Ansätze und Arbeitsprozesse der Bundesverkehrswegeplanung sich aus Organisationsstrukturen und einem Planungsverständnis entwickelt haben, die nicht mehr in allen Belangen den heutigen Anforderungen und Randbedingungen entsprechen. Dies bedeutet, dass verkehrs- und umweltpolitische Ziele nur bedingt umgesetzt werden. So sind die Betrachtungshorizonte der Systemwirkungen auf Raum, Wirtschaft, Bevölkerung und Umwelt unter den aktuellen Rahmenbedingungen bzw. Anforderungen von Klimaschutz und Klimafolgenbewältigung sowie von demografischen Veränderungen zu kurzfristig. Es werden Maßnahmen der Erhaltung von Verkehrsinfrastrukturen trotz steigender Bedeutung von Erhaltung und Erneuerung für die Funktionstüchtigkeit von Verkehrssystemen nicht hinreichend eingebunden. Die Bundesverkehrswegeplanung (BVWP) ist bislang lediglich ein Verfahren zur Anmeldung, Bewertung und Rangreihung von mehr oder weniger aus teilräumlicher und/ oder sektoraler Sicht benannten Projekten und nur begrenzt ein zielorientierter Planungsprozess zur Verkehrssystemgestaltung im Fernverkehr. Insgesamt erscheint es erforderlich, in der methodischen Ausgestaltung und in der Prozessgestaltung ein verstärktes Gewicht zu legen auf: 1 ̇ ganzheitliche (Netz)planungen, ̇ Sicherung wichtiger großräumiger Verkehrsfunktionen („Korridorpriorisierung“), ̇ langfristige System- und Projektwirkungen hinsichtlich Ressourcenbeanspruchungen, Klimaveränderungen, Verträglichkeiten mit Folgewirkungen von Klimaänderungen sowie hinsichtlich Raumentwicklung, ̇ Anforderungen veränderter demografischer und ökonomischer Gegebenheiten, ̇ nicht-infrastrukturelle Handlungskonzepte (Betriebsregelungen, Anforderungen an Fahrzeugtechnik, Überwachung). ̇ Einbezug der Bestandserhaltung und Lebenszyklusbetrachtungen von Verkehrsanlagen. 1.2 Veränderte Zielvorgaben für das Gesamtverkehrssystem Veränderte Rahmenbedingungen der Entstehung von Mobilitäts- und Transportbedürfnissen erfordern eine Überprüfung der bisherigen Aussagenbereiche sowie des prozessualen und methodischen Vorgehens im engeren und weiteren Bereich der Bundesverkehrswegeplanung, der Bedarfsplanung für Straßen, Schienen und Wasserstraßen sowie der gesetzlichen Festlegung von Ausbauplänen. So bestimmt die strategische Ausrichtung die Priorisierung von Handlungsoptionen hinsichtlich a) Neubau und Ausbau versus Erneuerung und Erhaltung der jeweiligen Verkehrswege, b) des Einsatzes baulicher Maßnahmen, der Handlungsansätze des Verkehrsbzw. Mobilitätsmanagements, des Verkehrsrechts, der Verkehrskosten(anlastung) sowie der Verkehrsinformation und Verkehrs-/ Mobilitätserziehung, c) der Aufgabenteilung zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern (Straße, Schiene, Wasserstraße und Luftverkehr), d) der modalen wie auch der räumlichen Zuordnung von investiven, personellen und betrieblichen Mitteln und e) der Erreichung von Anforderungen und Zielen (Unfallentwicklung, Flächenbeanspruchung, Schadstoffemissionen und -immissionen, CO 2 -Emissionen). Verkehrssysteme folgen dabei jedoch keinem Selbstzweck. Die grundsätzlichen Ziele der verkehrlichen Entwicklung und deren Konkretisierung, die Abwägung der Ziele der verkehrlichen Entwicklung wie auch die Betrachtung des Gesamtverkehrssystems - unter Einschluss von Infrastruktur, Ausstattung von Verkehrsanlagen, Betriebs- und Rechtssystem, Organisation und Zuständigkeiten, Informationssystemen wie auch sonstige Rahmenbedingungen - sollten in einem vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung BMVBS zu verantwortenden Strategieplan „Mobilität und Transport“ zusammengeführt werden, der Personen- und Güterverkehre umfasst. Ausgangspunkte einer derartigen zielorientierenden und handlungsleitenden strategischen Planung sind die Ziele bzw. Zielvorgaben der Entwicklung des Gesamtverkehrssystems im Hinblick auf: ̇ Erreichbarkeiten und damit im Hinblick auf Teilhabe- und Teilnahmemöglichkeiten der Menschen sowie auf wirtschaftliche Austauschprozesse bei funktionaler und räumlicher Arbeitsteilung, ̇ effizienten Finanzmitteleinsatz bei Bau, Erweiterung, Erneuerung und Erhaltung sowie Betrieb von Verkehrsinfrastrukturen, ̇ Verkehrssicherheit, unter Berücksichtigung von Zielen/ Aufgaben wie ̇ Raumentwicklung und Raumordnung durch Anbindung, Erschließung, Verbindung oder auch Entlastung von Teilräumen zur Sicherung des polyzentrischen Siedlungssystems der Bundesrepublik Deutschland, zur Entwicklung von Metropolen, zur Sicherung der Versorgung schwach verdichteter peripherer Räume durch „zentrale Orte“, ̇ Klimaschutz und Reduktion von klimarelevanten Emissionen des Verkehrs (CO 2 ), aber auch Klimafolgenbewältigung, ̇ Reduktion von Umweltbelastungen in Form von (Verkehrs)Lärm und Luftschadstoffen, ̇ Flächensparsamkeit und Flächenkreislaufwirtschaft. Infrastruktur + Verkehrspolitik 21 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 4/ 2010 Zusätzlich zu den derzeit rechtlich definierten oder (politisch) vereinbarten Zielstandards („Anspruchsniveaus“) sind aufgrund der notwendigen Lebenszyklusbetrachtung der Verkehrsinfrastrukturen und der Berücksichtigung der zeitabhängigen Veränderungen der Verkehrsnachfrage auch Veränderungen der Zielstandards über die Zeit zu prüfen, um die Zulässigkeit (Einhaltung von Standards) und die Vorteilhaftigkeit von Projektwirkungen (Überwiegen der Nutzen gegenüber den Kosten) im Lebenszyklus identifizieren zu können. Eine notwendige Erweiterung des Zielsystems bezieht sich vor allem auch auf die „Zuverlässigkeit“ der Verkehrssysteme und damit der Verkehrsangebotsqualitäten auf Hauptkorridoren und in für die Netzfunktionsfähigkeit kritischen Netzteilbereichen. 1.3 Erfordernisse einer verstärkten Integration Mobilität und Transport stehen in vielfältigen Wechselwirkungen mit der Systemumwelt, die bei einer zielorientierten Ausgestaltung des Verkehrssystems beachtet werden müssen. Diese Wechselbeziehungen implizieren im Rahmen einer Strategieplanung „Mobilität und Transport“ wie auch der darauf aufbauenden Bundesverkehrswegeplanung notwendigerweise eine verstärkte integrierte Behandlung von Raum, Verkehr, Umwelt sowie Sozial- und Wirtschaftssystemen, aber auch von europäischen Verkehrsnetzen über Verkehrsnetze auf Bundes- und Landesebene bis hin zu regionalen bzw. kommunalen Verkehrsnetzen. Integrierte Behandlung bedeutet allerdings nicht notwendigerweise eine Steigerung der Komplexität und Unübersichtlichkeit, sondern vielmehr eine klare Definition der Schnittstellen sowie Reflexion und kritische Übernahme externer Ziele nach Auseinandersetzung über Voraussetzungen bzw. Vorgaben und Implikationen an den Schnittstellen. Auch wenn im Folgenden Verkehrsinfrastrukturinvestitionen („Bundesverkehrswege“) im Betrachtungsvordergrund stehen, sind die übrigen verkehrspolitischen Handlungskomplexe wie Ordnungspolitik, Technikentwicklung, Betriebssysteme, Informations- und Telematiksysteme sowie Raumordnung in die Betrachtung einzubeziehen, da diese - in Abhängigkeit von ihrer Ausgestaltung - für Infrastrukturinvestitionen zum Teil ergänzende, zum Teil synergetische oder substituierende, zum Teil aber auch einschränkende Wirkungen haben können. Sie stellen Rahmenbedingungen für Verkehrsbedarf, Verkehrsdurchführung und Verkehrsauswirkungen und damit auch für die Verkehrsinfrastrukturplanung dar. Insbesondere synergetische und substituierende Effekte können zur Vermeidung oder Verringerung baulicher Investitionen genutzt werden. Im Regelfall sind Betriebssysteme, Preissysteme oder Teile des Verkehrs-/ Ordnungsrechts schneller und einfacher an veränderte Bedingungen der Verkehrsnachfrage, der Rahmenvorgaben und der Ziele anzupassen als bauliche Infrastrukturmaßnahmen. Sie erfordern zudem häufig geringere Investitionen. Die Bundesverkehrswegeplanung ist in der bisherigen prozessualen Ausgestaltung dadurch gekennzeichnet, dass Einzelprojekte betrachtet und individuell auf verkehrliche, gesamtwirtschaftliche, ökologische und raumordnerische Kriterien bewertet werden. Das Gesamtkollektiv der zu beurteilenden Projekte ergibt sich bisher überwiegend aus Vorschlägen und Benennungen durch verschiedene Aufgaben- und Interessenträger. Im Kollektiv der im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung untersuchten Projekte sind daher derzeit auch solche Projekte enthalten, die nicht oder nur untergeordnet „Bundesfernverkehrsfunktion“ haben. Für diese Projekte ist nach den Grundprinzipien der Föderalismusreform, die eine Entflechtung der Zuständigkeitsebenen von Bund, Ländern und Kommunen anstreben, eine Verlagerung der Zuständigkeiten vom Bund - zum Teil wahrgenommen durch die Länder als Auftragsverwaltung - auf die Länder oder Regionen und Kommunen zu überprüfen (vgl. Stellungnahme „Neuorganisation der Zuständigkeiten im Bereich der Bundesfernstraßen“ des Wissenschaftlichen Beirats für Verkehr beim Bundesminister für Verkehr, 2006). Damit wäre der Aufwand der „Strategieplanung Mobilität und Transport“ sowie der integrierten Bundesverkehrswegeplanung zu verringern. 2 Weiterentwicklung der Bundesverkehrswegeplanung - Systemebene Auf der Systemebene werden systematisch integrierte „verkehrliche“ Handlungskonzepte aus Bau, Betrieb/ Management, Verkehrsrecht, ökonomischen Instrumenten/ Anreizen sowie Information/ Beratung konzipiert, beurteilt und verglichen. Dazu werden Schritte wie ̇ Szenarienentwicklung, ̇ Entwurf von Handlungsstrategien, ̇ Bestimmung prioritärer Korridore, ̇ Maßnahmengenerierung und -analyse sowie ̇ Systembewertung und Auswahl von Handlungsstrategien erforderlich. Die Strategieplanung „Mobilität und Transport“ umfasst Vorbereitungen, Voruntersuchungen und Festlegungen a) der zentralen Probleme und Mängel der Verkehrssysteme sowie deren Folgewirkungen auf Sozialsystem, Wirtschaft, Raum und Umwelt, b) der mit der Ausgestaltung von Gesamtverkehrssystemen („intermodal“ bzw. „multimodal“) verfolgten Ziele, c) der Verkehrsnachfrage in ihrer Entwicklung, d) der „Korridore“ für Handlungskonzepte zur Ausgestaltung von Gesamtverkehrssystemen. Der Prozess umfasst dabei auch systembezogene Prüfungen der Umweltverträglichkeit („Plan-UVP“) des Gesamtverkehrssystems und der Einhaltung beispielsweise von Klimaschutzzielen. Die Prüfung erfolgt auf der „Systemebene“ durch Gesamtbilanzen von ̇ Erreichbarkeiten und Erschließungsqualitäten (z. B. Erreichbarkeit Zentraler Orte), ̇ baulichen Zuständen und Erneuerungsbedarfen, ̇ CO 2 -Emissionen (z. B. 40 % Minderungsziel bis 2020), ̇ Flächenbeanspruchungen (z. B. 30ha-Ziel zusätzlicher Flächenbeanspruchungen pro Tag), ̇ Verkehrsunfällen (z. B. „vision zero“), ̇ Lärmbetroffenheiten von Menschen, Flächennutzungsarten oder Flächen, ̇ Emissionen der Luftschadstoffe aus Verkehr („Feinstaub“, C n H m , SO 2 , CO 2 , NO x usw.). Die gesamtgesellschaftliche und gesamtpolitische Verantwortung setzt zwingend voraus, dass diese Ziele in quantifizierbaren Teilzielen operationalisiert werden - beispielsweise als Reduktionsbeiträge des Sektors Verkehr hinsichtlich der CO 2 -Emissionen. Derartige Beiträge können nicht sinnvoll bezogen auf einzelne bauliche oder betriebliche Maßnahmen des Verkehrs ermittelt und auf Erfüllung überprüft werden. Ihre Ermittlung setzt vielmehr strategische und gesamthafte Konzepte der Verkehrssystemgestaltung voraus. Mit dem Prozess der Strategieplanung „Mobilität und Transport“ wird ein Rahmen für die Bundesverkehrswegeplanung sowie für die inhärenten Engpassanalysen und für Analysen der „Zielerreichung auf Systemebene“ definiert. 2.1 Szenarienentwicklung Diese Anforderungen der Arbeits- und Planungsprozesse sowie der inhärenten Systembetrachtung setzen eine Arbeitslogik voraus, die auf folgenden Bausteinen beruht: ̇ Szenarien der mittel- und langfristigen Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung in teilräumlicher Differenzierung und - damit eng verbunden - ̇ Szenarien der mittel- und langfristigen Raum- und Standortentwicklung, ̇ Szenarien der Handlungskonzepte „Mobilität und Transport“ (Infrastrukturausbau/ -erhaltung, Betrieb, Management, Rechtsetzung, Anreizsysteme, Information/ Beratung) - eventuell mit teilräumlichen Gestaltungsspezifika, ̇ Verkehrs- und Transportnachfrageermittlungen für ausgewählte Szenarienkonstellationen der vorstehenden Szenarioebenen, ̇ Betrachtungen der Verkehrsnachfrage und Verkehrsbelastungen über eine Folge von Zeitquerschnitten, die einerseits mit demografischen und ökonomischen Veränderungen, andererseits mit der Lebensdauer von Verkehrsanlagen korrespondieren („Lebenszyklusbetrachtung“, Zeitquerschnitte gekoppelt zu Längsschnittbetrachtungen), ̇ Schätzungen der modalen Aufteilung und Verkehrsangebots-/ Netzauslastungen im Gesamtsystemzusammenhang aller Verkehrsträger, Infrastruktur + Verkehrspolitik 22 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 4/ 2010 ̇ multikriterielle und gesamtwirtschaftliche Bewertungen der Mobilitäts- und Transportgegebenheiten sowie deren Folgewirkungen (Emissionen, Umweltbelastungen, Raumstrukturen, Teilhabemöglichkeiten/ -gerechtigkeit). Dabei sind Wechselwirkungen mit Raumstrukturen und Standortmustern zu beachten. Vor allem sind die bisher gewählten zeitlichen Betrachtungshorizonte auszudehnen, um die zeitlichen Veränderungen der wahrscheinlichen Verkehrs- und Transportnachfrage ebenso berücksichtigen zu können wie absehbare Veränderungen von Anforderungen an verkehrssystemrelevante Rahmenbedingungen (z. B. CO 2 -Minderungsziele, Verkehrslärmschutzziele, Umstellung von Verkehrsfinanzierungssystemen, technologische Entwicklungspfade). Dies führt zu der Empfehlung, langfristige Zeithorizonte bis 2030 und 2050 - allerdings in abnehmender Aussagengenauigkeit - zu betrachten und die Verläufe über Stützwerte mit Intervallen von fünf oder zehn Jahre einzubeziehen. 2.2 Maßnahmengenerierung Ein wesentlicher Kritikpunkt am bisherigen Vorgehen der Bundesverkehrswegeplanung richtet sich auf die Entstehung des Kollektivs zu untersuchender (Einzel-) Projekte. Die Generierung des Untersuchungskollektivs der Projekte erfolgt bislang auf der Grundlage von Vorschlägen verschiedener Akteure wie Gebietskörperschaften, Wirtschaftsverbände und Interessengruppen. Zur Objektivierung der Vorauswahl des Untersuchungskollektivs bedarf es einer Zusammenführung nachvollziehbarer methodischer Schritte bestehend aus: ̇ Verkehrlicher Engpassanalyse, ̇ Raumerschließungsanalyse, ̇ Strategischer Umweltprüfung, einschließlich CO 2 -Minderungsanalyse. Entsprechend sind auch Maßnahmen des Typs „Rückbau“, „Umstufungen“, „Streckenstilllegung“ sowie „Erneuerung“ vergleichbar und nachvollziehbar zu untersuchen. Voraussetzung der Prüfschritte ist für den jeweiligen Analysezeitpunkt wie auch für vereinbarte Betrachtungszeitpunkte zukünftiger Entwicklungen („Prognosehorizonte“) die Festlegung bzw. Ermittlung ̇ der mobilitäts- und transportbestimmenden Einflussgrößen aus Sozialsystem (Altersstruktur, Arbeits- und Ausbildungsbeteiligung, Aktivitätenmuster usw.), Wirtschaftssystem (Branchenstruktur, Standortpräferenzen, Betriebsgrößen), Raumstruktur und Standortsystem (zentrale Orte, Standortpräferenzen), Technikpfaden (Fahrzeugtechnik, Informationstechnologie usw.), ̇ der Verkehrsangebotsstrukturen aus Infrastruktur, Verkehrsmanagement, Anreizsystemen, Organisation, Wettbewerbssystem, ordnungspolitischen Rahmenbedingungen sowie Preisstrukturen. Aus den Analyseschritten sind auch Vorschläge für weitere Maßnahmen der Verkehrssystemgestaltung zu generieren. Verkehrliche Engpassanalyse Unter Prognose wahrscheinlicher Nachfragewerte im Personen- und Güterverkehr und der daraus resultierenden Belastungswerte der existierenden Verkehrsnetze werden für die jeweiligen Szenarien wahrscheinliche „Engpässe“ mit hohen Überlastungswahrscheinlichkeiten und daraus resultierenden Störungen identifiziert. Grundlage der Nachfrageermittlung sind Szenarien zur demografischen, ökonomischen und räumlichen Entwicklung. Danach sind - auf der Grundlage der relativen Attraktivitäten der Verkehrsangebote - die Nachfragewerte auf die verschiedenen Verkehrsträger aufzuteilen und auf die jeweiligen Netze umzulegen. In einer Ausgangslösung werden die im Analysezeitpunkt vorhandenen Netze und Betriebszustände zugrunde gelegt, um „Engpässe“ zu identifizieren. Engpässe sind Streckenabschnitte oder Netzteile, in denen die Verkehrsbelastung die Leistungsfähigkeit dauerhaft oder in Spitzenzeiten derart überschreitet, dass es regelmäßig zu Verkehrsstörungen kommt. Wenn die Nachfrage nicht verringert oder modal, zeitlich oder räumlich verlagert werden kann, müssen in einem folgenden Schritt Maßnahmen baulicher und/ oder betrieblicher Art zur Engpassbeseitigung entworfen werden. Dies gilt nicht nur für den derzeitigen Analysezeitpunkt, sondern auch für zukünftige Betrachtungszeitpunkte („Prognosezustände“). Das um Maßnahmen zur Engpassbeseitigung „erweiterte“ Gesamtverkehrssystem kann einer Systemprüfung hinsichtlich der Raumerschließung, der wirtschaftlichen Folgewirkungen, der Umweltverträglichkeit, der Klimaeffekte sowie der Kosten und finanziellen Auswirkungen unterzogen werden. Die methodischen Schritte der Raumerschließungsanalyse, der strategischen Umwelt(verträglichkeits)prüfung wie auch der Analyse der CO 2 -Reduktionsziele können und müssen aber auch eigenständig zur strategischen Auswahl von Maßnahmen genutzt werden. Raumerschließungsanalyse Die verschiedenen Teilräume der Bundesrepublik Deutschland weisen unterschiedliche Anbindungs- und Verbindungsqualitäten auf. Diese sind zudem für verschiedene Verkehrsmittel unterschiedlich. Sie beziehen sich auf die Anbindung an benachbarte oder die Verbindung zwischen benachbarten Metropolregionen, Oberzentren oder Mittelzentren. Nach den „Richtlinien für die integrierte Netzgestaltung“ (RIN) der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen werden die bundesverkehrswegewürdigen Verbindungsfunktionsstufen 0 = kontinental und I = großräumig abgeleitet. Sie dienen der Verbindung zwischen Metropolregionen und zwischen Oberzentren. Bereits die Verbindungsfunktionsstufe II übernimmt intraregionale Aufgaben, die von Bundesfernstraßen nicht explizit übernommen werden sollten. Diese Verbindungen müssen im Sinne einer Gleichwertigkeit der sozialen und ökonomischen Lebens- und Entwicklungsbedingungen in allen Teilräumen Mindest-Standards der Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen, Ausbildungsplätzen, Versorgungsgelegenheiten usw. gewährleisten. Sollte die Raumerschließungsanalyse unerwünschte Disparitäten der räumlichen Verkehrserschließung zeigen, so können auf dieser Grundlage Maßnahmen entworfen und untersucht werden. Strategische Umwelt(verträglichkeits)prüfung unter Einschluss der CO 2 -Minderungsziele Die Ausgestaltungen eines Strategieplans „Mobilität und Transport“ wie auch des Bundesverkehrswegeplans sowie der darauf aufbauenden Bedarfspläne und Ausbaupläne für Bundesfernstraßen, Bundeswasserstraßen und Schienenwege des Fernverkehrs haben erhebliche Einflüsse auf die gesamthafte Entwicklung von verkehrsbedingten Emissionen und Immissionen, auf Ressourcenbeanspruchungen (Flächen, Energie) und auf Umweltbelastungen globaler und lokaler Art (CO 2 -Emissionen, Verkehrslärm, Unfallgefährdungen, Trennwirkungen, Schadgase, Feinstäube). Mit der Priorisierung von Verkehrsträgern wird in erheblichem Umfang auf diese Ressourcenbeanspruchungen und Umweltbelastungen Einfluss genommen. Diese Gegebenheiten erfordern eine „Strategische Umwelt(verträglichkeits)prüfung“ der Bundesverkehrswegeplanung, die auch nicht durch Umweltrisikoeinschätzungen einzelner Projekte oder durch eine Projekt-UVP im Zuge der entwurflichen, baulichen und betrieblichen Ausgestaltung einzelner Projekte ersetzt werden kann. Die strategische Umweltprüfung kann Ergebnisse liefern, auf deren Grundlage neue „umweltverträglichere“ Maßnahmenkonzepte entwickelt und überprüft werden. Dies kann beispielsweise die Ausbauprioritäten und -umfänge verschiedener Verkehrsträger, die Betriebsstrategien oder den Verkehrsmitteleinsatz betreffen. Bestandteile der Vorgehenslogik der „Strategischen Umwelt(verträglichkeits) prüfung“ sind ein Screening der verkehrsbedingten Umweltbelastungen im Ausgangszustand sowie der wahrscheinlichen verkehrsbedingten Umweltbelastungen unter den Szenariobedingungen sowie den Bedingungen der Prognosehorizonte in räumlicher, zeitlicher und modaler Differenzierung, und ein Monitoring und Controlling der Umweltwirkungen im Zuge der schrittweisen Umsetzung der Projekte aus der Bundesverkehrswegeplanung durch die Ausbaupläne. 2.3 Bestimmung prioritärer Korridore Die Netzbildung und Maßnahmenpriorisierung im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung (BVWP) läuft angesichts divergierender Ziele und vor dem Hintergrund der gebotenen Abwägungsprozesse Infrastruktur + Verkehrspolitik 23 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 4/ 2010 ten Gesamtprojektkollektives daraufhin zu überprüfen, ob sie eine Chance besitzen, sich erstens in den Systemzusammenhang einzufügen und zweitens eine detaillierte Wirkungs- und Wirtschaftlichkeitsprüfung zu bestehen. Technisch basiert die Machbarkeitsprüfung auf einer Kombination vorläufiger ingenieurtechnischer Beschreibungen der Systemzustände der Verkehrsnetze, auf Modellierungen der Verkehrsnachfrage und Verkehrsbelastungen auf Gesamtnetzebene und auf einem multikriteriellen Bewertungssystem. Auf dieser Grundlage sind im Sinne einer Pre-Feasibility Prüfung (Multi Criteria Analysis) die Ziele wie verkehrliche Effekte, wirtschaftliche Erfolge und raumordnerische Effekte unter den Constraints von technischer Machbarkeit, Umweltverträglichkeit und Verbesserung der Verkehrssicherheit zu beurteilen. Wesentliche Kriterien der Machbarkeitsprüfung sind: ̇ verkehrliche Kompatibilität, verkehrliche Effekte Auf der Ebene der Verkehrsnachfrageabschätzung im Gesamtnetzzusammenhang ist zu prüfen, ob die Projekte unerwünschte Effekte auf das jeweilige Verkehrsnetz oder auf die modale Aufteilung haben. Hierzu können Parallelinvestitionen oder unerwünschte räumliche Verlagerungen von Staus zählen. Gleiches gilt hinsichtlich kontraproduk- Bundesverkehrswege zu identifizieren, die die räumlichen Funktionen der Verbindung von Metropolregionen, Oberzentren sowie ausgewiesenen Quellen und Zielen des Personen- und Güterverkehrs wie z. B. Häfen, Flughäfen, Verknüpfungspunkte übernehmen. Sodann ist zu prüfen, ob die nationalen Netze mit den wichtigsten transeuropäischen Verkehrskorridoren und deren Ausdehnung auf die Nachbarländer kompatibel sind. Nach § 2 (8) des Gesetzes zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes (GeROG) hat die BVWP Ausbau und Gestaltung der transeuropäischen Netze zu gewährleisten. Entsprechend ist mit den nationalen Korridoren und Verbindungen umzugehen, die der Beirat für Raumentwicklung dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung als relevant empfiehlt (vgl. § 24 (1) GeROG). Im Ergebnis der Untersuchungen und Bewertungen können die vorgeschlagenen realisierungswürdigen Projekte im Zuge von Korridoren stärker priorisiert werden, so dass die realisierbaren Verkehrswerte möglichst frühzeitig erreicht werden. 2.4 Systembewertung 2.4.1 Machbarkeitsprüfung auf der Systemebene Vereinfachte Machbarkeitsprüfungen dienen dazu, die Projekte des betrachtenicht als ein geschlossenes Optimierungsverfahren ab. Bestenfalls mit heuristischen Ansätzen kann ausgehend vom bestehenden Netz eine „günstigere“ Netzkonfiguration durch die Identifikation geeigneter Maßnahmen entwickelt und multikriteriell beurteilt werden. Die Nützlichkeit einer zusammenhängenden Realisierung von prioritären Korridoren lässt sich mit den gegebenen Verfahren nicht ausreichend darstellen. Die Identifikation und Herausstellung von wichtigen Korridoren sollte bereits innerhalb der Strategieplanung „Mobilität und Transport“ durch eine Festlegung der besonders zu berücksichtigenden Verbindungs- und Entwicklungskorridore erfolgen. Dies können Vorgaben aus der europäischen Raum- und Verkehrsnetzplanung (TEN-T), aus der nationalen Raum- und Verkehrsplanung, aus Erfordernissen von Hinterlandanbindungen (Häfen, Flughäfen, Güterverkehrszentren), aber auch von Verbindungs- und Entwicklungsanforderungen wichtiger Quelle/ Zielrelationen sein (wirtschaftliche Verflechtungen, Hinterland/ Einzugsbereiche, Rohstoff- oder Pendlerkorridore). Korridorpriorisierungen werden zweckmäßigerweise in einem vorgezogenen Arbeitsprozess unter besonderer Beachtung raumordnerischer Belange identifiziert. Zunächst wären z. B. nach den Empfehlungen der RIN diejenigen Elemente der „Wir führen unsere Marke schon seit Jahrzehnten, es kommt zunehmend zu Verwechslungen, sowohl im ÖPNV wie im Mietbusgeschäft“, sagt AO-Geschäftsführer Nico Schoenecker auf Rückfrage von „ÖPNV aktuell“. Er bedauere es sehr, dass man trotz vieler Bemühungen mit dem Partner Regionalverkehr Oberbayern (RVO) keine einvernehmliche Lösung erzielen konnte. „Jetzt ziehen wir die Grundsatzfrage vor das Landgericht München.“ Auch RVO und DB Stadtverkehr wollen die Grundsatzklärung, halten den Ball jedoch ebenfalls flach. „Gute Beziehungen zu Autobus Oberbayern, generell zum Mittelstand sind uns unverändert wichtig“, betont Alexander Möller, in der Frankfurter Zentrale für Markt und Verkehr verantwortlich. Er sieht ebenso wenig wie RVO-Marketingchef Nicolaj Eberlein eine wirkliche Konkurrenz der beiden Bezeichnungen. „Wir sehen keine Verwechslungsgefahr, weder in der Touristik, wo wir nur sehr wenig aktiv sind, noch im Linienverkehr“, so Eberlein. Im ÖPNV gebe es eine klare Markenarchitektur: In München fahre AO im blauen Kleid der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), im Umland dominiere der Markenauftritt des Münchner Verkehrsverbundes, und weiter draußen „sind wir klar Marktführer“. AO hat seine alte Wort- und Bildmarke 1999 auslaufen lassen. Seinen neuen Auftritt, der farblich an den ICE erinnert, hat der Mittelständler im April 2008 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) angemeldet. Bis heute ist er jedoch nicht als Marke eingetragen. Im Juni 2008 stellte der DB-Konzern seine Markenarchitektur für die Busgesellschaften vor, darunter „Oberbayernbus“. Für Markenrecht sind Kammern für Handelssachen zuständig, in denen auch ehrenamtliche Richter aus der Wirtschaft mitentscheiden. AO und RVO arbeiten eng zusammen: Nach der wettbewerbsbedingten Auflösung ihrer Münchner Niederlassung stellt die DB-Tochter Fahrzeuge bei AO ab, die AO-Filiale Bad Wiessee (ex Sareiter) ist am Tegernsee RVO-Subunternehmer. Die beiden AO-Eigentümerfamilien stellen mit Nico Schoenecker und Alexander Holzmair je einen Geschäftsführer. Die 180 Omnibusse von AO sind im ÖPNV unterwegs (wo man mit 50 Fahrzeugen größter Partner der MVG ist), auf dem Airportbus München Hbf. - München Flughafen, auf der Fernlinie München - Pilsen - Prag, im Mietbus-, Stadtrundfahrten-, Ausflugs- und Incominggeschäft Limousinenservice, Incentive- und Gruppenreisen und Werk t Leistungspalette ab. Beteiligung MV ) DVV Media Group Gern unterbreite ich Ihnen ein Angebot für Ihre Stellenanzeige: Sophie Elfendahl · Tel. 040 / 237 14 - 220 E-Mail: sophie.elfendahl@dvvmedia.com ÖPNV aktuell erscheint dienstags und freitags per E-Mail als geschütztes PDF. 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Zum Beispiel wird die Entwicklung der Gesamtbevölkerung durch die Verkehrsvorgänge wenig beeinflusst, so dass sie als exogen betrachtet werden kann. Dies gilt aber nicht für regionale Bevölkerungsbewegungen, die durchaus von Erreichbarkeitsqualitäten (etwa: Pendelzeiten) beeinflusst werden können. Als endogene Bereiche kommen in Frage: Entwicklung der Kostenstrukturen im Verkehr sowie im Transport und Logistik- Gewerbe, Zeitstrukturen, Handelsaustausch, regionale Verteilung von Bevölkerung und Wirtschaftskraft, Fahrzeugnachfrage, regionale Lagegunst und Erreichbarkeiten, Umweltindikatoren, soweit vom Verkehr beeinflusst, und alle Ebenen der Verkehrsnachfrage. Exogen sind vor allem: ̇ Entwicklung der Gesamtbevölkerung ̇ Entwicklung der Technologie mit Ausnahme der verkehrsrelevanten Technikbereiche ̇ Entwicklung der Weltwirtschaft und der Wirtschaft in den europäischen Nachbarländern ̇ Entwicklung der Umweltstandards, z. B. der EU-Ebene. (2) Festlegung des Detaillierungsgrades für die Teilmodelle Zielgröße der Systemmodellierung ist der Verkehr. Entsprechend ist dieser Bereich in einem größeren Detail zu modellieren als die übrigen - endogenen - Bereiche. Geographisch kann dies zum Beispiel durchgeführt werden auf Basis von NUTS 3-Regionen (in Deutschland: Kreise und kreisfreie Städte) und netzbezogen auf Grundlage der Fernverkehrsnetze zuzüglich der wesentlichen Regionalverbindungen, die für Anbindungen und für Ausweichbewegungen des Verkehrs wichtig sein können. Die übrigen Bereiche lassen sich auf wesentliche Strukturen reduzieren. So wird es im Bereich der Wirtschaft nicht erforderlich sein, komplexe regionalisierte Gleichgewichtsmodelle (SCGE) einzusetzen oder die Geldwirtschaft detailliert zu modellieren. Hier kommt es vielmehr darauf an, die Schnittstellen zum Verkehr bei Nachfrage (Konsum, Investition) und Angebot (Produktionspotential) gut zu beschreiben. Während die Systembewertung mit aggregierten Daten arbeitet, um die Interdependenzen zwischen verschiedenen Bereichen handhabbar abbilden zu können, kommt es auf den folgenden Ebenen der Korridor- und Projektbewertung zu stärkeren Disaggregierungen, die sowohl die Projekte, die Verkehrsmodellierung nen. Die Umwelt-Risiko-Einschätzung (URE) der Projekte kann zum Teil in die Machbarkeitsprüfung der Systemebene vorgezogen werden. Ergebnis dieser Machbarkeitsprüfung auf der Systemebene ist ein Kollektiv von Projekten, das den grundsätzlichen Anforderungen der Machbarkeit genügt. 2.4.2 Verfahren der Systembewertung Die Bewertung auf der Systemebene stellt im Grundsatz eine neue Komponente im Verfahrensablauf der Bundesverkehrswegeplanung dar und ist daher von Grund auf neu zu konzipieren. Sie hat zum Ziel, die Interdependenzen zwischen Verkehr, Wirtschaft, Raumstruktur, Bevölkerung, Technologie und Umwelt explizit mit Hilfe von Rückkoppelungsschleifen darzustellen, die Verstärkungswirkungen (positive Rückkoppelungen) und Dämpfungswirkungen (negative Rückkoppelungen) zu ermitteln und am Ende zu einer integrativen Beurteilung zusammenzuführen. Damit enthält das Verfahren einen prognostischen Teil (systembasierte Wirkungsprognostik) und einen bewertenden Teil (integrative Systembewertung). Räumlich umfasst der Systemansatz die europäische Dimension, also die EU- Länder plus Schweiz und Norwegen. Die darüber hinausgehenden Verbindungen zum Rest der Welt lassen sich pauschaliert behandeln. Alle Netze des Fernverkehrs sind eingeschlossen, also Straße, Schiene, Wasserstraße und Luft. Personen- und Güterverkehr werden gleichzeitig betrachtet und modelliert. Der Verfahrensablauf lässt sich - in Verfeinerung der vorstehenden Darstellung - in folgende Schritte untergliedern: (1) Abgrenzung des endogenen Bereichs Es sind diejenigen Bereiche als „endogen“ abzugrenzen, die starke wechselseitiver Beiträge für die CO 2 -Minderungsziele. ̇ wirtschaftliche Machbarkeit, wirtschaftliche Effekte Bewertete Zeitgewinne, Betriebskosteneinsparungen oder auch monetarisierte Umweltentlastungen sollten die geschätzten Projektkosten übersteigen oder zumindest eine Mindestdeckung erreichen, um in die weitere Betrachtung einbezogen zu werden. Falls eine Finanzierung durch Mauten vorgesehen ist, lässt sich eine Mindestdeckung der Kosten durch Mauterlöse vorgeben. ̇ Verkehrssicherheit Ziele der Erhöhung der Verkehrssicherheit sind auf Erreichung (z. B. Minderungsziele der Unfälle) zu überprüfen. ̇ raumordnerische Effekte Es ist zu prüfen, inwieweit ein Projekt raumordnerische Ziele der Erschließung, der Verbindung oder der Entlastung fördert oder das Merkmal einer Korridorpriorisierung aufweist. Die Raumwirksamkeitsanalyse (RWA) sollte somit in die Machbarkeitsprüfung der Systemebene vorgezogen werden. ̇ technische Machbarkeit Technische Anforderungen und Zwangspunkte können die Realisierung eines Projektes unmöglich machen oder im Falle einer Realisierung zu starken Kostenerhöhungen führen. Auf der Systemebene bedarf es somit einer Identifikation entsprechender Zwangspunkte und einer Vorab-Prüfung der technischen Machbarkeit und der voraussichtlichen Kosten-Mulitiplikatoren. ̇ umweltbezogene Machbarkeit/ Zulässigkeit Für die Umweltwirkungen lassen sich Mindestbedingungen/ -standards („safe minimum values“) formulieren, deren Einhaltung zu prüfen ist. Dies gilt zum Beispiel für Grenzwerte der Lärmimmissionen oder der Feinstaubkonzentratio- Abb. 1: Endogener Systemzusammenhang - Wechselwirkungen zwischen Verkehr, Wirtschaft, Umwelt und Raumstrukturen Infrastruktur + Verkehrspolitik lungsschleifen festlegen. Dabei gilt, dass das Verkehrsmodell einen höheren Detaillierungsgrad aufweisen sollte als die übrigen Modelle. Die Funktionalität der Modelle ist dem Ziel einer Systemanalyse anzupassen, um unnötigen Rechenaufwand zu vermeiden. (5) Zusammenführung der Teilmodelle auf einer Plattform Ein Systemmodell lässt sich grundsätzlich modular konzipieren, also aus verschiedenen Teilmodellen aufbauen. Hierzu ist eine geeignete Plattform zu konstruieren, die den Datentransfer zwischen den Modellen organisiert. Es ist wesentlich, die Ergebnisse eines Systemmodells zu visualisieren, um eine rasche Interpretation zu ermöglichen. Im Falle des Verkehrsmodells bedeutet dies eine geographische Darstellung der Verkehrsströme (Verkehrsbeziehungen, Umlegungen für die Netze) und in anderen Teilmodellen eine regionale Abbildung der Indikatoren (BIP, Beschäftigung, Umwelt). (6) Festlegung des Bewertungsverfahrens Drei Möglichkeiten für den Aufbau formaler Bewertungskriterien seien hier genannt 2 . Erstens lassen sich Indikatoren der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verwenden (BIP, Beschäftigung) und je nach Detaillierung des Wirtschaftsmodells derungen, mittelfristige Anpassungen, wie Änderungen der logistischen Takte, oder langfristige Umstellungen, wie die Einbeziehung der Bahn in die Nachschubketten, Veränderungen von Strategien der Lagerhaltung oder von Standortwahlen. Die Anstöße zu mittel- oder langfristigen Änderungen müssen stark und dauerhaft sein, um gravierende Änderungen von Technologie, Organisation und Verhaltensweisen auszulösen. Veränderte Kostenstrukturen im Verkehr können zu veränderten Standortpräferenzen und Standortwahlen durch Haushalte wie auch Unternehmen führen. Die ermittelten Änderungen im Mikrobereich lassen sich dann mit segmentierten Aggregationshypothesen auf die Makro- Ebene hochrechnen. Generell sind solche Mikro-Makro-Brücken der Annahme durchschnittlicher Elastizitäten für erwartete Verhaltensänderungen vorzuziehen, wenngleich Letztere bei aggregierten Bewertungsansätzen häufig eingesetzt werden. (4) Auswahl der Teilmodelle Beim Aufbau eines Systemmodells ist auf bestehende Modelle für Teilbereiche zuzugreifen. Die Teilkomponenten eines Systemmodells lassen sich in Abhängigkeit vom gewünschten Detaillierungsgrad und den zu berücksichtigenden Rückkoppe- und Teile der Bewertung betreffen (z. B.: Umweltrisiko-Einschätzung). Es ist daher notwendig, die verschiedenen Detaillierungsgrade a priori zu definieren und dabei die Konsistenz zwischen den Aggregationsebenen zu wahren. (3) Festlegung der wesentlichen Rückkoppelungsschleifen Der größte Teil der Wechselbeziehungen lässt sich mit Hilfe von getesteten ingenieurwissenschaftlichen, ökonomischen und ökonometrischen Ansätzen beschreiben. Dies gilt zum Beispiel für die Beziehungen zwischen Fahrzeugbeschaffungen und volkswirtschaftlicher Endnachfrage oder zwischen Fahrzeugbewegungen und Umweltbeeinflussung. Daneben gibt es aber auch mögliche und künftig relevante Rückkoppelungsschleifen, die in der Vergangenheit nicht wirksam waren und daher auch nicht auf Basis empirischer Befunde quantifiziert werden können. Dies bezieht sich vor allem auf mögliche Trendbrüche, wie etwa die Entkoppelung des Straßengüterverkehrs vom BIP. An dieser Stelle sind möglicherweise Zusatzmodellierungen im Mikrobereich erforderlich, um Makrobeschreibungen zu fundieren („Mikro-Makro- Brücken“). So gibt es beispielsweise im Logistik- und Transportbereich kurzfristige Reaktionen, wie Routen- oder Tourenplanän- Heute schon wissen, worüber Ihre Branche morgen spricht! Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) steht hinter der Auslandsexpansion der Deutschen Bahn (DB). Marktanteilsverlusten auf dem Heimatmarkt müsse sie damit begegnen, sich im Güterwie im Personenverkehr international „ein paar weitere Standbeine“ zu sichern. Sonst werde „langfristig ihre Existenz gefährdet“ sein, sagte der Minister im Interview der „Süddeutschen Zeitung“. „Es ist daher auch im Interesse der deutschen Steuerzahler, wenn der Konzern im Ausland tätig ist.“ Für den geplanten Börsengang nannte er einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren. Zuhause drohte der Minister dem staatlichen Verkehrskonzern mit der Trennung vom Netz, wenn Wettbewerbern nicht wirklich diskriminierungsfreien Zugang zur Infrastruktur erhielten. „Es führt kein Weg daran vorbei: Wir brauchen mehr Wettbewerb, und deshalb muss die Bahn ihre Konkurrenten fair behandeln.“ Die neue Konzernspitze habe diesen Zusammenhang erkannt. Derzeit prüft das Bundesverkehrsministerium nach Ramsauers Angaben, ob die DB die Gewinne aus dem Netz „nicht mehr vereinnahmen darf, sondern in die Infrastruktur reinvestieren muss“. Dies wertete der Minister als ersten, kleinen Schritt in Richtung einer Trennung vom Netz. In den letzten Tagen war bekannt geworden, dass die DB einen Rekordgewinn von voraussichtlich 750 Mio. EUR aus der Infrastruktur erzielen werde. Die Grünen wolle d den Bundesrechnungshof und die EU Kom i R DVV Media Group GmbH | Nordkanalstr. 36 | 20097 Hamburg | Tel. +49 40/ 237 14-292 | vera.hermanns@dvvmedia.com ÖPNV aktuell ist der neue Wirtschaftsinformationsdienst für den gesamten öfentlichen Personenverkehr. Immer dienstags und freitags und damit über 100x im Jahr nden Sie in ÖPNV aktuell Wirtschaftsnachrichten mit Nutzwert aus allen Bereichen des öfentlichen Verkehrs. Nutzen Sie in einem Umfeld mit wachsender Marktdynamik ÖPNV aktuell zu Ihrer persönlichen Orientierung. Sichern Sie sich jetzt Ihr Probeabo: www.oepnvaktuell.de Infrastruktur + Verkehrspolitik 26 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 4/ 2010 te Verfahren eher für die Untersuchung von Prioritäten. Dies führt zum Vorschlag, den Basisfall („Ohne-Fall“) als Netz der Bundesverkehrswege ohne die Maßnahmen der BVWP zu definieren. Entsprechend wird auf der Korridorebene für jeden der definierten Korridore ein Planfall definiert, so dass die Wirkungen durch Vergleich zwischen den Entwicklungen im „Ohne-“ und im „Mit- Fall“ ermittelt werden können. (3) Festlegung der Projekte im jeweiligen Korridor Aufgrund der durchgeführten Engpassanalysen und der Systembetrachtung gibt es für einen betrachteten Korridor eine Liste von Ausbauvorschlägen, die auf der Systemebene abgestimmt sind. Diese sind an dieser Stelle zu konkretisieren, d. h. als Projekte zu definieren. (4) Abbildung der Vernetzung mit dem Regionalverkehr Die Verknüpfung von korridorbezogenen Maßnahmen mit den angeschlossenen Regionen spielt an dieser Stelle der Bewertung eine hervorgehobene Rolle. Denn die Zeit- oder Kostenvorteile von aufwendigen Maßnahmen entlang eines Korridors (z. B. Hochgeschwindigkeitsverkehr, Gütertransporttrassen der Bahn) müssen in die regionalen Netze weitergegeben werden können, um positive Wirkungen zu entfalten. Ferner ist für die raumwirtschaftliche Bewertung wesentlich, dass auch Regionen außerhalb eines Korridorbandes oder in einiger Entfernung von Haltepunkten überregionaler Züge positiv beeinflusst werden, um eine Konzentration der Vorteile auf Agglomerationen innerhalb eines Korridors zu vermeiden. Vor allem können auch Entlastungen regionaler Netze berücksichtigt werden, die aus Rückverlagerungen von Fernverkehren auf die dann als ausgebaut unterstellten Fernverkehrsnetze resultieren. (5) Verknüpfung der Bewertung mit der Systemebene Auf dieser Bewertungsstufe sind die Bewertungskriterien der Systemebene relevant. Dies bedeutet, dass neben den KNA- Kriterien vor allem die Aspekte der Raumwirksamkeit (RWA) und des Umweltschutzes (URE) eine Rolle spielen. Analyse der Interdependenzen Interdependenzen zwischen Korridoren können synergetisch (komplementär) oder konkurrierend (substitutiv) sein. Interdependenzen in Verkehrsnetzen lassen sich durch die Differenz der Verkehrsbelastungen mit/ ohne Existenz weiterer Maßnahmen im Fernverkehrsnetz quantifizieren. Obwohl eine große kombinatorische Vielfalt von Netzkonstellationen durchzuprüfen wäre, um alle möglichen Interdependenzen zu quantifizieren, reicht im allgemeinen ein Expertencheck aus, um die Korridore zu identifizieren, die größere Einflüsse aufeinander ausüben. So liegt es auf der Hand, dass parallel verlaufende Korridore substitutive Interdependenzen aufweisen, d. h. Verkehr wird von dem ̇ Bestimmung kritischer Zeitpfade für Parameterkonstellationen, welche die gewünschten Entwicklungen gefährden können. ̇ Daraus folgend: Notwendige Begleitmaßnahmen zur Sicherung einer Entwicklung oberhalb der kritischen Pfade. (9) Auswahl geeigneter Szenarien Die Ergebnisse sind somit von Gremien (Entscheidungsträger, Experten) auszuwerten. Dabei ist zu entscheiden, ob bereits ein Szenario als eindeutig favorisiert gelten kann oder weitere Systemrechnungen mit veränderten Ausgangsparametern notwendig sind. So kann man versuchen, das beste Szenario durch Anreicherung von Eigenschaften der nächstbesten Szenarien noch besser oder weniger anfällig zu machen. 2.4.3 Verfahren zur Bestimmung prioritärer Korridore Bei der methodischen Bestimmung prioritärer Korridore (vgl. Abschnitt 2.4) sind folgende Punkte wesentlich: (1)Bestimmung potenzieller Korridore (2)Festlegung der Mit- und Ohne-Fälle (3)Festlegung der Projekte im jeweiligen Korridor (4)Abbildung der Vernetzung mit dem Regionalverkehr (5)Verknüpfung der Bewertung mit der Systemebene (1) Bestimmung potenzieller Korridore In einem ersten Schritt ist die Liste der Kandidaten für die Korridoruntersuchungen zusammenzustellen. Dabei gibt es zwei Wege - zum einen der Rückgriff auf politisch bestimmte Korridore, zum anderen die Bestimmung der Korridore nach Kriterien aus den Bereichen Verkehr und Raumordnung. Die TEN-Korridore sind von der EU vorgegeben und bilden auch für Deutschland einen ersten Ansatz für die Korridordefinition. Weiterhin können Korridore in Abstimmung zwischen Bund und Ländern definiert werden. Außerdem gibt es die Möglichkeit, raum- und verkehrswirtschaftliche Kriterien zu kombinieren und daraus Vorschläge für Korridore zu generieren. Beispiel ist die Richtlinie für integrierte Netzgestaltung RIN, die in der Kategorie 0 die Metropolregionen hochwertig verknüpfen möchte. Eine Zusammenführung mit den Engpassanalysen (vgl. Abschnitt 2.2) führt zu einem sachlich fundierten Kandidatenvorschlag. (2) Festlegung der Mit- und Ohne-Fälle Grundlage der Korridorbewertung ist ein Vergleich der Entwicklungen „mit“ und „ohne“ Ausbau der Bundesverkehrswege im betrachteten Korridor. Dabei gibt es zwei alternative Vorgehensweisen. Erstens kann man von einem Netz ohne Ausbaumaßnahmen ausgehen und die Korridormaßnahmen hinzufügen („add“). Zweitens lässt sich das Netz einschließlich aller Maßnahmen als Ausgangsbasis definieren, wobei die Korridormaßnahmen herausgenommen werden („drop“). Dabei eignet sich das ersregionalisieren oder sektoralisieren. Dies lässt sich durch Indikatoren aus dem Umweltbereich anreichern. Eine solche Zusammenfassung hat den Vorteil, dass sie auch für Nicht-Ökonomen gut verständlich und interpretierbar ist. Zweitens lassen sich die Ergebnisse in Form einer vereinfachten Nutzen-Kostenrechnung zusammenfassen. Zwar ist auf dieser Stufe eine Berechnung von Zeitkosten- und Betriebskostendifferenzen noch nicht möglich ist, doch lassen sich Erreichbarkeitsmaße bestimmen und pauschal monetarisieren. Drittens ist eine nutzwertanalytische Zusammenfassung der Ergebnisse aus den Teilmodellen möglich. Diese können in einer ersten Stufe zu aggregierten Indikatoren für die Bereiche Wirtschaft, Soziales, Raumordnung, Sicherheit und Umwelt zusammengefasst werden, zum Beispiel in Form von Zielerreichungsgraden. Damit ließe sich ausweisen, in welchem Maße vorgegebene Globalziele (z. B.: CO 2 -Minderung) erreicht werden. (7) Durchführung von Szenarienrechnungen Die politisch definierten Szenarien sind in der Regel auf wenige Alternativen begrenzt, so etwa auf ein Basis-Szenario, ein Trend-Szenario und einige Politik-Szenarien (vgl. Abschnitt 2.1). Die Festlegung der Szenarienbedingungen hat einen großen Einfluss auf das Ergebnis und sollte daher in Abstimmung mit den wesentlich betroffenen Organisationen geschehen. Der Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages und die Länder sollten an dieser Stelle ebenso eingebunden werden wie Wirtschafts- und Umweltverbände. Die Verkehrsbedarfe des Fernverkehrs sind auf das vorab festgelegte Fernverkehrsnetz der Bundesautobahnen und prioritärer Aus-/ Neubaustrecken des Fernverkehrs umzulegen. Diese Basisbelastung ist zu ermitteln für a) den Analyse-/ Ausgangszustand, b) Nachfragezustände des Prognosehorizonts (z. B. 2030) c) Nachfragezustände eines von der Lebensdauer bzw. Lebenszyklusbetrachtung abgeleiteten Langfrist-Prozesshorizontes (z. B. 2050) sowie d) „Stützwerte“ der Nachfragezustände im zeitlichen Abstand von fünf oder zehn Jahren. Auf dieser Grundlage ergibt sich die Möglichkeit einer dynamisierten Gesamtbeurteilung - aufbauend auf Beurteilungen für Zeitquerschnitte als „Stützwerte“. (8) Sensitivitäts- und Risikoanalysen Übliche Sensitivitätsanalysen variieren ausgewählte Parameter (zum Beispiel den Zeitkostensatz) und produzieren so eine Bandbreite von Ergebnissen. Bei Systembewertungen sind diese z. B. in folgende Richtungen zu ergänzen: ̇ Bestimmung kritischer Parameterwerte, welche die gewünschten Entwicklungen gefährden können. Infrastruktur + Verkehrspolitik 27 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 4/ 2010 men ergibt sich nach abnehmendem NKV. Wiederum ist die Voraussetzung, dass die RWA- und URE-Tests erfolgreich bestanden wurden. 3.2 Projekt-Controlling Das Projekt-Controlling erstreckt sich über alle Phasen der Projektplanung und -umsetzung. Es umfasst die im Folgenden dargestellten Kernaktivitäten. (1) Kontrolle und Harmonisierung der Eingangsdaten Allen Vertretern von zu bewertenden Projekten ist vorab eine Liste der notwendigen Eingangsdaten mit Dimensionierung und Definition bekannt zu geben. Mit Einreichung der Projektunterlagen werden die Bewertungsgrunddaten in eine Erfassungsdatei übernommen und übersichtlich dokumentiert. Die Eingangsdaten müssen soweit wie möglich auf Plausibilität geprüft werden. Das betrifft vor allem die bisher tendenziell zu niedrig geschätzten Baukosten. Hier helfen Vergleichsdaten aus Spezifizierungen nach Projekttypen, d. h. mit Bezug auf Einheitslängen. Die Baumaßnahme wird auf Standardabschnitte herunter gebrochen (freie Strecke, Brücken, Tunnel etc.) und deren geschätzten Baukosten mit Erfahrungen aus realisierten Bauten dieses Typs verglichen. (2) Dokumentation des Bewertungsprozesses Der gesamte Bewertungsprozess wird dokumentiert, also die Eingangsdaten, die Fortschreibung der Daten und die Daten, die endgültig in die Bewertung eingehen, sowie die Ergebnisse der einzelnen Bewertungsschritte und das Gesamtergebnis. Dazu wird eine von allen Interessierten (ggf. mit beschränkten Zugriffsrechten) einsehbare Internetplattform geschaffen, die durchgeführte Veränderungen erklären kann. Das zwingt, die verabredete Methodik strikt einzuhalten. (3) Projekt-Controlling im weiteren Umsetzungsprozess Nach erfolgter Bewertung gelangen die als bauwürdig beurteilten Projekte in diversen Schritten zur Baureife. Während dieser Phase werden die Projekte immer konkreter beplant. Zum einen sollte der jeweilige Status des Projektes zu verfolgen sein, zum anderen muss bei gravierenden Abweichungen bei den für die Bewertung relevanten Kenngrößen wie insbesondere Baukosten, aber auch Fahrzeiten oder Belastungen eine Neubewertung erfolgen. Wenn ein Projekt dadurch die Bauwürdigkeit verliert, wird der Realisierungsprozess gestoppt. Dadurch wird vermieden, dass die Projektvertreter die Kosten zunächst drastisch herunterrechnen und nach positivem Bescheid die wahren Kosten ans Tageslicht treten. Das Projekt-Controlling setzt somit ein Informationssystem über den jeweiligen Projektstatus voraus. Die Statusinformationen begleiten die Vorbereitung und Durchführung von Projekten und stoßen ein rechtzeitiges Reagieren der Entscheidungs- 1. Zeitvorteile 2. Betriebskostenvorteile 3. Unfallkostenvorteile. Damit tritt das der gegenwärtigen BVWP inhärente Problem der Doppelzählungen von Nutzen (z. B. von Zeiteffekten) nicht mehr auf. Einer Weiterentwicklung bedarf die Abbildung der Zeitvorteile, indem Untergrenzen der Berücksichtigung unter Beachtung der Nutzbarkeit dieser inkrementellen Zeitvorteile definiert werden. Einer weiteren Überprüfung bedürfen die Wertansätze für Zeitvorteile. (2) Alternativenauswahl bei konkurrierenden Projekten Gibt es mehrere einander ausschließende Möglichkeiten für die Realisierung eines Projektes, so ist eine Alternativenauswahl erforderlich. Bestehen alle Alternativen die RWA- und URE-Prüfung, so geht es um die Wahl der Alternative mit dem höchsten monetären Nutzen durch Zeit-, Betriebskosten- und Unfallkostenvorteile. Alternativ können RWA, URE und monetäre Nutzen-Kosten-Analyse in einer Multi-Criteria-Analyse zusammengeführt werden. Das Problem der Alternativenauswahl kann sich bereits auf den System- und oder Korridorebenen stellen, wo es mit vereinfachten Annahmen und grober Netzmodellierung zu lösen ist, ohne dass damit eine endgültige Entscheidung über das Projektdesign getroffen wäre. Erst auf der Ebene der Projektbewertung sind die Beurteilungsgrundlagen in einem Detaillierungsgrad vorhanden, der eine Entscheidung über die Auslegung eines Projektes ermöglicht. Bei größeren Änderungen gegenüber den Annahmen zur System- und Korridorbewertung wäre im Prinzip eine Rückkoppelung vorzusehen. (3) Festlegung der Reihenfolge von Maßnahmen innerhalb von prioritären Korridoren Sind prioritäre Korridore festgelegt, so folgt daraus, dass diese zusammenhängend zu realisieren sind. In diesem Falle geht es um die optimale Festlegung der Bauabschnitte. In der Regel wird es nur wenige wirtschaftlich/ planungsrechtlich und technisch sowie verkehrlich sinnvolle Alternativen für die Baureihenfolge geben, die als alternative Gesamtprojekte mit dem obigen Kriterienkatalog getestet werden können. Am Ende ist die Baureihenfolge zu bevorzugen, die unter Voraussetzung rechtlicher Umsetzbarkeit das Verhältnis von Ertrag und Aufwand - monetärer und nicht-monetärer Art - maximiert. (4) Bewertung von Maßnahmen außerhalb von prioritären Korridoren In diesem Falle können alle verbleibenden Maßnahmen als unabhängig voneinander gelten, so dass die Anwendung einer einfachen Nutzen-Kosten-Regel, also des Nutzen-Kosten-Verhältnisses (NKV), mit den obigen Nutzenkriterien möglich ist. Die Prioritätenreihung dieser Maßnahzuerst ausgebauten Korridor abgezogen, sobald der zweite gleichfalls realisiert und nutzbar ist. Dagegen ist die Wirkung von einander kreuzenden Korridoren in der Regel komplementär. Zur Quantifizierung der Interdependenzen sind die Quell-Ziel-Beziehungen in der Verkehrsmatrix zu identifizieren, die sensitiv auf die untersuchten Korridore reagieren. Während der Korridor mit der höchsten Priorität (K1) nach dem in Abschnitt (2) vorgestellten Verfahren bewertet wird (Vergleich „Mit-Fall“, „Ohne-Fall“), werden die zu K1 substitutiven und komplementären Korridore auf Grundlage eines modifizierten Basisfalles bewertet („Ohne- Fall“+K1). Reihenfolgebildung (Prioritäten) Im Ergebnis des ersten Schrittes liegt eine Prioritätenfolge ohne Berücksichtigung von Interdependenzen fest. Der zweite Schritt korrigiert diese Sequenz durch Beachtung der Interdependenzen. Im Falle von substitutiven Beziehungen mit einem Korridor höherer Priorität kommt es zu einer Abwertung und einer entsprechenden Rückstufung in der Prioritätenliste. Im Falle von komplementären Beziehungen wird dagegen der synergetisch wirkende Korridor aufgewertet. 3 Weiterentwicklung der Bundesverkehrswegeplanung - Projektebene und Projektbewertung 3.1 Methodik der Projektbewertung Die Projektbewertung bezieht sich nur auf Projekte, die Bestandteile des Netzes der Bundesverkehrswege d. h. der Systemlösung sind. Bei der Projektbewertung geht es um folgende Problembereiche: (1)Festlegung der Methodik (2)Alternativenauswahl bei konkurrierenden Projekten (3)Festlegung der Reihenfolge von Maßnahmen innerhalb von prioritären Korridoren (4)Bewertung von Maßnahmen außerhalb von prioritären Korridoren. (1) Festlegung der Methodik Zwar sind die ausgewählten Korridore nach dem vorgeschlagenen Vorgehenskonzept bereits im Hinblick auf Umweltrisiken (URE) und Raumwirksamkeit (RWA) geprüft worden, allerdings auf dem Niveau der Pre-Feasibility. Da die die konkrete Trassierung noch nicht bekannt war, sind beide Prüfungen weiterhin erforderlich, sowohl für Maßnahmen in ausgewählten Korridoren als auch für Maßnahmen außerhalb von Korridoren. Der methodische Ablauf besteht damit aus zwei Schritten: A: Durchführung von RWA und URE B: Durchführung einer monetären Nutzen-Kosten-Analyse oder einer Multi- Criteria-Analyse. Aufgrund der System- und Korridorbewertung lässt sich die Nutzen-Kosten-Analyse bzw. die Multi-Criteria-Analyse auf wenige Kriterien 3 reduzieren: Infrastruktur + Verkehrspolitik 28 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 4/ 2010 sich aus der Beschränkung der Bundesverkehrswegeplanung auf Elemente des Straßen-, Schienen- und Wasserstraßennetzes mit Fernverkehrsfunktionen ergeben. Hierzu ist eine Neudefinition der Bundesverkehrswege mit entsprechender Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern erforderlich. ̇ Der Wissenschaftliche Beirat ist in Kenntnis der bisherigen Verfahrensabläufe und Verfahrensaufwände der Auffassung, dass die Zusatzaufwände durch die strategische Zielplanung, die letztlich vor allem der Festlegung der gesamtpolitischen Ziele für Raumentwicklung, Klima- und Umweltschutz, Erreichbarkeiten und Wirtschaftsentwicklung dient und in Anforderungen/ Standards fixiert wird, wie auch durch die Prüfung alternativer Investitions- und Handlungsprogramme auf der „Systemebene“ durch die Aussagenmöglichkeiten wie auch durch die Vereinfachungsmöglichkeiten auf der „Projektebene“ nicht nur kompensiert werden, sondern die Aufwände in der Gesamtbilanz sinken. Dies gilt insbesondere dann, wenn den Vorschlägen des Beirats gefolgt wird, das Kollektiv der zu behandelnden Projekte auf Bundesautobahnen und auf stark durch interregionale Verkehre belastete Bundesstraßen zu begrenzen. Der Beirat ist der Überzeugung, dass die hierarchische Behandlung der Themenstellung, d. h. die Trennung von Strategie-, System- und Projektebene, insbesondere dazu beiträgt, die zeitliche Stringenz des Arbeits- und Entscheidungsprozesses zu erhöhen. Dies gilt insbesondere, weil vermieden wird, bei Projektbeurteilungen wieder die Grundsätze der Strategieplanung und die Ergebnisse der Systembetrachtungen („Handlungsszenarien“) zu hinterfragen. ̇ Die Erhaltung der Verkehrsnetze wird künftig einen immer größeren Anteil an den Verkehrsinvestitionen beanspruchen müssen. Daher empfiehlt der Beirat eine langfristige Erhaltungsplanung durchzuführen und in die Bundesverkehrswegeplanung auf den Ebenen der System- und Projektplanung zu integrieren. ̇ Eine abgestimmte Gesamtplanung für die Bundesverkehrswege verlangt die Koordinierung mit Standortkonzepten für Häfen, Flughäfen und große Güterverkehrszentren. Dies bedingt eine Abstimmung zwischen Bund, Ländern und den großen Betreibergesellschaften. ̇ Um die Hauptkorridore der internationalen und nationalen Verkehrsbeziehungen als Rückgrat der Gesamtnetze leistungsfähig zu gestalten und eine funktionale Einbindung in transeuropäische Netze frühzeitig und vollständig zu gewährleisten, empfiehlt der Wissenschaftliche Beirat, Planung, rechtliche Sicherung, Finanzierung und Bau derartiger Hauptkorridore prioritär und zeitlich konzentriert zu betreiben, damit positive Effekte auf den wirtschaftlichen Austausch entfaltet werden können. grad angestrebt werden, der den Anteil staatlicher/ öffentlicher Finanzierung gering hält. Andererseits sollte ein festzulegender Staatsanteil berücksichtigt werden, wenn mit den Infrastrukturinvestitionen politische Ziele und Gestaltungsaufgaben (Daseinsvorsorge, Umwelt) verfolgt werden. 5 Zusammenfassende Empfehlungen ̇ Der Wissenschaftliche Beirat für Verkehr empfiehlt dem Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, dem Verfahren der Bundesverkehrswegeplanung eine gesamthafte Strategieplanung „Mobilität und Transport“ vorzuschalten. Diese legt mittelbzw. langfristig die Perspektiven der Verkehrssystemgestaltung fest, muss jedoch kontinuierlich überprüft und fortgeschrieben werden. Unter Vorgabe übergeordneter Ziele und Bedingungen der Raumentwicklung, der Erreichbarkeiten, der Minderung von CO 2 -Emissionen und des Klimaschutzes, des Umweltschutzes, der Verbesserung der Verkehrssicherheit und der begrenzten Finanzmittel für Verkehrsinfrastrukturen sind Aussagen und Festlegungen zu langfristigen Infrastrukturmaßnahmen und den zugehörigen grundsätzlichen betrieblichen Regelungen, Bedingungen für den Fahrzeugeinsatz, einzuhaltenden Umweltstandards sowie Kostenanlastungen zu treffen. ̇ Zur Identifikation und Beurteilung aller Langfristwirkungen einer Strategie „Mobilität und Transport“ empfiehlt der Beirat die Prüfung alternativer Investitions- und Handlungsprogramme auf der „Systemebene“ aller fernverkehrsrelevanten Netze. Damit gehen die Wechselwirkungen zwischen Verkehr, Wirtschaft, Sozialsystem, Umwelt und Raum/ Siedlungsstruktur in die Gesamtbeurteilung ein. Insbesondere lassen sich übergeordnete Prüfaspekte wie „Strategische Umweltprüfung“, „Raumwirksamkeit“, „Minderungsstrategien für CO 2 -Emissionen“ oder „Strategien für die Reduktion von Unfallzahlen“ sowie „Wirtschaft und Beschäftigung“ hinsichtlich ihrer Zielerreichung beurteilen. Für die nachfolgende Projektbeurteilung ist eines der auf der „Systemebene“ untersuchten Investitions- und Handlungsprogramme auszuwählen und der Projektbeurteilung, -auswahl und -priorisierung zugrunde zu legen. ̇ Der Wissenschaftliche Beirat empfiehlt, auf allen Betrachtungsebenen zur Planung der Bundesverkehrswege die alleinige Fokussierung auf Infrastrukturmaßnahmen aufzugeben und verkehrspolitische Maßnahmenbündel, bestehend aus investitions-, ordnungs-, preis-, informations- und vor allem intelligenten organisationspolitischen Maßnahmen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit über mittel- und langfristige Zeiträume zu prüfen. ̇ Liegt eine integrierte Systembewertung für Investitionsprogramme vor, so lässt sich die Bewertung von Einzelvorhaben („Projektbewertung“) stark vereinfachen. Eine weitere Vereinfachung kann träger bei Abweichungen vom Projektplan an: z. B. Gegensteuern, Neubewertung bis hin zum Projektabbruch. (4) Ex-Post-Evaluation der Projektwirkungen Die Verkehrswegeprojekte des Neu- und Ausbaus wie auch der Erneuerung beanspruchen in hohem Maße gesellschaftliche Mittel. Es ist daher legitimer gesellschaftlicher Anspruch, die Handlungsziele und die Zielgenauigkeit auf Erfüllung im Sinne einer Evaluation zu überprüfen. Dies bedeutet, dass die faktischen verkehrlichen Effekte, die betriebswirtschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Vorteile, die Umwelt- und Klimawirkungen sowie die Raumerschließung in zeitlichen Querschnitten nach Fertigstellung (ex post) ermittelt und bewertet werden müssen. Die Ex-Post-Evaluation dient auch dazu, Erfahrungen und Erkenntnisse über Projektwirkungen zu verbreitern und zu vertiefen und damit zukünftigen Projektbewertungen zugrunde zu legen. Insbesondere lassen sich festgestellte Planungs- oder Bewertungsmängel in der Folge vermeiden und die Qualität des Prozesses ständig verbessern. 4 Investitions- und Finanzierungsplanung Die BVWP ist eine Investitionsrahmenplanung, die eine politische Absichtserklärung und noch kein verbindliches Programm oder gar Finanzierungsprogramm darstellt. Die Umsetzung der BVWP erfolgt durch die Gesetzgebung (z. B. Bundesfernstraßenausbaugesetz, Bundesschienenwegeausbaugesetz), für deren Realisierung Finanzmittel im Bundeshaushalt eingestellt werden. Die tatsächlichen Investitionen hängen damit von den konkreten Finanzierungsspielräumen des Bundes ab. Durch diese situationsorientierte Mittelbereitstellung, die zudem der Jährlichkeit des Haushalts unterliegt, kommt ein erhebliches Unsicherheitselement in den Planungsvollzug. Auch die Mittelfristige Finanzplanung des Bundes mit ihrem Zeithorizont von fünf Jahren bringt nur eine begrenzte Erweiterung der Planungssicherheit, zumal die Laufzeit der BVWP bei 15 Jahren liegt. Der Beirat regt daher an, dass begleitend zu der Investitionsplanung eine langfristige Finanzplanung für den gesamten Zeitraum des BVWP vorgelegt wird. Eine solche Finanzplanung müsste integrierter Bestandteil des BVWP werden. Der Beirat hat mit seiner Stellungnahme von 2005 „Privatfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur“ einen Weg zu einer verlässlichen und erweiterten Finanzierungsbasis für die Verkehrsinfrastrukturen aufgezeigt. Die Strategieplanung „Mobilität und Transport“ sollte daher auch Aussagen über den angestrebten Deckungsgrad der Wegekosten enthalten. Damit würde definiert, welcher Anteil der Wegekosten aus Nutzerentgelten (spezifische Steuern, Maut; Trassenpreise) gedeckt werden soll. Gemäß dem Prinzip der Nutzerfinanzierung sollte einerseits ein möglichst hoher Deckungs- Infrastruktur + Verkehrspolitik rungs- und Finanzierungsverantwortung zu denken. * Die Langversion erschien in Heft 3/ 2009 der Zeitschrift für Verkehrswissenschaft. 1 Aufzählungen sind im gesamten Text nur beispielhaft und nicht als vollständige Auflistungen aller Möglichkeiten zu verstehen. 2 In der ökonomischen Literatur wird häufig der wohlfahrtstheoretische Ansatz empfohlen, der mit Hilfe von Konsumen-ten-/ Produzentenrenten oder äquivalenten Einkommensvariationen arbeitet. Dieser ist aufgrund des hohen Abstraktionsgrades problematisch und für den Anwender wenig verständlich. 3 Im Sinne der EUNET Studie für die EU-Kommission sind dies die „mandatory impacts“ einer Kosten-Nutzen-Analyse. ̇ Prozessbegleitende Überwachungen sowie Ex-post-Evaluierungen sind auch für Verkehrsinfrastrukturplanungen des Bundes unerlässlich, um die Abläufe zu beschleunigen und effizienter zu gestalten. Daneben ist es auch für den öffentlichen Bereich wesentlich, positive Erfahrungen in die laufenden und künftigen Prozesse einzubringen und festgestellte Fehler zu vermeiden. Der Beirat regt an, hierzu die erforderlichen institutionellen Zuordnungen zu schaffen. In diesem Zusammenhang ist an eine Ausweitung des Aufgabenbereichs der VIFG in Richtung auf mehr Koordinie- ̇ Der Wissenschaftliche Beirat empfiehlt, für die Systemebene eine neue Bewertungsmethodik aufzubauen. In Konsequenz ist auch die Projektbewertung zu reformieren, wobei hier erhebliche Vereinfachungen möglich sind. In diesem Zusammenhang ist eine kritische Prüfung der Bewertung von Reisezeitgewinnen, die derzeit das dominierende Element im BVWP-Verfahren darstellen, angezeigt. Eine explizite Einbeziehung des Kriteriums „Zuverlässigkeit“ wird im Hinblick auf eine möglichst störungsarme Nutzung der Verkehrsinfrastrukturen empfohlen. ̇ Bei der Aufteilung der Finanzmittel auf Verkehrsprojekte sollte die Zielorientierung im Sinne verbesserter Erreichbarkeit, Emissionsreduktionen, Raumentwicklung und wirtschaftlicher Entwicklung im Mittelpunkt stehen. Der Länderproporz darf nur ein nachgeordnetes Kriterium sein. In diesem Zusammenhang erinnert der Wissenschaftliche Beirat an seine Einschätzung, dass zur Verstetigung der erforderlichen Investitionen bei den Bundesverkehrswegen eine Nutzerfinanzierung gegenüber der heutigen Finanzierung über den Bundeshaushalt als die sachgerechtere und verlässlichere Lösung erscheint. Eine solche Umstellung bietet gute Möglichkeiten, den zielgemäßen Einsatz der erwirtschafteten Mittel über eine Betreibergesellschaft neu zu ordnen. ̇ Die BVWP ist eine Investitionsrahmenplanung und stellt daher noch kein verbindliches Finanzierungsprogramm dar. Die tatsächlichen Investitionen hängen einerseits von den konkreten Finanzierungsspielräumen des Bundes ab, anderseits ist eine verstärkte Einbeziehung von privatem Kapital, etwa in Form von PPP- Modellen, anzustreben. Mit Hilfe von Privatbeteiligungen lassen sich Großprojekte zumindest in vielen Fällen wesentlich schneller realisieren, als dies bei der üblichen Haushaltsfinanzierung möglich wäre. Summary Strategic planning for mobility and transport Basic traffic development targets and their implementation, together with the evaluation of all the traffic development targets and a review of the entire transport system should be combined in the strategy plan “Mobility and Transport“, for which the BMVBS (Federal Ministry of Transport, Building and Urban Development) holds responsibility. Covering both passenger and freight transport, the plan deals with transport Infrastructure, fixtures for transport facilities, operational and legal systems, organization, and responsibilities of concerned authorities, information systems, and other relevant basic conditions. The starting point for strategic planning, which is focused on target-orientation and work-related guidance, covers the targets or target-settings for the development of an overall transport system. Due attention is given to ̇ the feasibility of target achievement by taking into account the involvement of qualified people and an economically viable exchange process that is closely linked to the functional and spatial division of work ̇ the economical use of the financial means available to cover the construction, expansion, renovation, maintenance and functional aspects of transport infrastructure ̇ transport safety by taking into account the targets and task-settings ahead. This includes spatial development and regional planning by way of linking, opening up, interconnecting, and the easing of congestion in, specified areas in order to safeguard the polycentric settlement system of the Federal Republic of Germany. Furthermore, to develop metropolitan areas, to preserve the existing supply system for less populated areas on the periphery with the help of centrally located points of distribution ̇ climatic protection and a reduction of climate-relevant emissions (CO 2 ) caused by the transport sector, and to cope with their effect on the climate ̇ the reduction in environmental pollution caused by transport-generated noise and air pollutants ̇ the economical use of existing space, also for future sustainable development. Obwohl die Empfehlungen der von der Bundesregierung eingesetzten ‚Regierungskommission Verkehrsinfrastrukturinanzierung’ breite Zustimmung in der Öfentlichkeit und Politik fanden, erhielten sie vor allem durch diverse Faktoren in der Bundeswahl 2005 kaum Beachtung. In der Neuerscheinung „10 Jahre Regierungskommission Verkehrsinfrastrukturinanzierung“ wird auf 227 Seiten sowohl die Komplexität eines systematischen Paradigmenwechsels in der Verkehrsinfrastrukturinanzierung dargestellt als auch seine weitreichende Bedeutung für Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft. 10 Jahre Regierungskommission Verkehrsinfrastrukturinanzierung Weitere Informationen inden Sie unter www.eurailpress.de/ regierung Kontakt:
