eJournals Internationales Verkehrswesen 62/4

Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0045
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Bei Flugunregelmäßigkeiten Kosten vermeiden

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Tina Marth
Umsteigeflughäfen (Hubs) sind zentrale Verkehrsknotenpunkte im Streckennetz klassischer Linienfluggesellschaften. Sie verteilen als Drehscheibe eingehende Passagierströme auf ausgehende Kurz- und Langstreckenflüge. Dabei sind komplexe Umsteige- und Bodenprozesse zu steuern. Wie eine wirtschaftliche Steuerung aussehen kann, zeigt das Beispiel des Lufthansa Hub Control Centers am Flughafen Frankfurt.
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Mobilität + Personenverkehr 37 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 4/ 2010 Abb. 1: Blick ins Hub Control Center am Flughafen Frankfurt Quelle: Deutsche Lufthansa Tina Marth Bei Flugunregelmäßigkeiten Kosten vermeiden Umsteigeflughäfen (Hubs) sind zentrale Verkehrsknotenpunkte im Streckennetz klassischer Linienfluggesellschaften. Sie verteilen als Drehscheibe eingehende Passagierströme auf ausgehende Kurz- und Langstreckenflüge. Dabei sind komplexe Umsteige- und Bodenprozesse zu steuern. Wie eine wirtschaftliche Steuerung aussehen kann, zeigt das Beispiel des Lufthansa Hub Control Centers am Flughafen Frankfurt. Die Autorin Tina Marth, Deutsche Lufthansa AG, Lufthansa Basis, 60546 Frankfurt/ Main F ür Lufthansa als Netzfluggesellschaft haben insbesondere die großen deutschen Hubs Frankfurt und München eine zentrale Bedeutung: Aufgrund begrenzter Einzugsgebiete deutscher Flughäfen ist Lufthansa stärker als andere europäische Netzfluggesellschaften auf einen starken Zu- und Umsteigeverkehr in ihrem Heimatmarkt angewiesen. Zudem pflegt Lufthansa ein ausgeprägtes Netzwerk mit ihren Tochtergesellschaften im Konzernverbund und zu den Allianzpartnern der Star Alliance. In 2009 sind in Frankfurt rund 32 Mio. Lufthansa-Passagiere gestartet, gelandet oder umgestiegen. Die Umsteigerquote liegt bei 70 %. 277 000 Lufthansa-Flüge verbanden über 160 Ziele in mehr als 70 Ländern miteinander. Neben einem vielfältigen Angebot an Verbindungen sind die Zuverlässigkeit der Umsteigeverbindung, eine kurze Umsteigezeit und ein funktionierender Gepäcktransfer sowohl für Lufthansa also auch für den Hub-Flughafen entscheidende Wettbewerbsvorteile. Um sicherzustellen, dass das System Hub mit seinen komplexen Boden- und Transferprozessen funktioniert, pflegt Lufthansa am Flughafen Frankfurt intensive Kooperationen mit allen an den Abfertigungsprozessen beteiligten Einheiten. Seit zehn Jahren arbeiten alle Partner räumlich im Hub Control Center (HCC) eng zusammen (siehe Abbildung 1). Neben den unternehmensinternen Bereichen Fluggastabfertigung, Betreuungsdienst, Ticketausstellung, Kundeninformation und Gepäckdienst, sind die Konzernbereiche Cargo, Technik, Catering sowie die Dienstleistungsunternehmen Acciona und Fraport mit Mitarbeitern im HCC vertreten. Die Partner der Star Alliance sind über das Star Connecting Center als Schnittstelle ebenfalls ins HCC integriert. Die 40 Mitarbeiter des HCC sorgen im Schichtdienst dafür, dass die Passagiere ihre gebuchten Umsteigeverbindungen erreichen (Konnektivität), der Gepäcktransfer funktioniert und Flugzeuge pünktlich starten. Die konsistente Steuerung aller Prozesse wird insbesondere dann entscheidend, wenn Unregelmäßigkeiten im Flugplan auftreten, beispielsweise durch Verspätung eingehender Flüge, Verzögerungen bei der Flugzeugabfertigung, Abflugverspätungen aufgrund technischer Probleme oder den Start verhindernde Wetterbedingungen. Agieren statt reagieren „Als das HCC eingerichtet wurde, ging es zunächst darum, durch räumliche Nähe die Prozessabhängigkeiten transparenter zu machen und Entscheidungswege zwischen allen Beteiligten zu verkürzen,“ erzählt Arno Thon, verantwortlich für das Pünktlichkeits- und Systempartnermanagement im HCC und Projektleiter Traffic Management Evolution (TME), „die Rollen und Aufgaben haben sich zunächst nicht verändert. Planen und Disponieren standen im Vordergrund.“ Jeder Arbeitsbereich hat bezogen auf seine Prozesse die besten Entscheidungen getroffen, aber der Blick auf das Gesamtsystem fehlte und die Werte für Pünktlichkeit, Konnektivität und Gepäcktransfer lagen deutlich hinter anderen europäischen Hub-Flughäfen. „Das war 2005 Anlass für die Stationseinsatzleitung, die Organisation des HCC prozessorientiert aufzustellen, neue Rollen (siehe Abbildung 2) zu definieren sowie eine entwicklungs- und zukunftsfähige Struktur aufzubauen“, berichtet Arno Thon weiter. Der Fokus des Reorganisationsprojekts TME lag auf den internen Einheiten der Stationseinsatzleitung im HCC. Diese wurde vom reagierenden Beobachten zur aktiven Steuerungszentrale entwickelt. Dies hatte auch Auswirkungen auf andere interne Bereiche und die Systempartner, insbesondere Fraport: Verfahren der Zusammenarbeit wurden neu beschrieben und Serviceverträge angepasst. Ziel war es, das Gesamtsystem zu optimieren und vor allem auch wirtschaftliche Aspekte der Bodenprozesssteuerung in die Arbeit einzubeziehen. Hebel ziehen Zur Steuerung der Bodenprozesse können die koordinierenden Lufthansa-Einheiten im HCC 30 Maßnahmen einleiten, die auf verschiedene Prozessschritte der Bodenabfertigung wirken. Werden diese „Hebel gezogen“, hat dies Effekte auf An- Mobilität + Personenverkehr 38 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 4/ 2010 Abb. 3: Screenshot HubStar: Die Ansicht zeigt eingehende Flüge (Inbound) sortiert nach geplanter Ankunftszeit. Flug LH 4677 aus Amsterdam ist voraussichtlich 22 Minuten verspätet, für elf Passagiere ist die Verbindung zu ihren jeweiligen Anschlussflügen, z. B. nach Linz, Nizza oder Turin, zeitkritisch. Durch einen als wirtschaftlich identifizierten Connex-Hebel können Verbindungen gesichert werden. kunfts- oder Abflugzeit, die Bodenzeit des Flugzeuges oder die Umsteigezeit von Passagieren und Gepäck. Der Hebel „Ramp Direct Service“ verkürzt zum Beispiel die Transferzeit von Passagieren und Gepäck: Bei den Bodenverkehrsdiensten von Fraport wird ein direkter Transport von Umsteigepassagieren oder Transfergepäckstücken vom verspätet eingegangenen zum ausgehenden Flugzeug bestellt. Die Mitarbeiter entscheiden über den Einsatz von Hebeln im Spannungsfeld der drei Geschäftsziele Konnektivität, Pünktlichkeit und Wirtschaftlichkeit. Zahlreiche Informationen müssen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden: Das Ziehen von Hebeln ist zeitkritisch, hat Nebeneffekte auf andere Prozessschritte und verursacht interne und externe Kosten. Wird zum Beispiel der Hebel „Pit Stop“ gezogen, verkürzt sich die Bodenzeit eines Flugzeugs. Eine Flugverspätung von bis zu 15 Minuten kann dadurch wieder eingeholt werden und der Anschlussflug kann pünktlich starten. Die beschleunigten Abfertigungsprozesse, wie Reinigung, Betankung, Ent- und Beladung, sind aber personalintensiv und verursachen hohe externe Hebelkosten. „Die Komplexität der Verkehrsteuerung, die Fülle an eingehenden Informationen und die Wechselwirkungen innerhalb des Gesamtsystems Hub sind ohne IT-Unterstützung nicht mehr zu überblicken“, sagt Mirco Bharpalania, IT-Projektleiter im Bereich Information Management Passage, „aus diesem Grund hat sich die Stationseinsatzleitung 2007 entschieden im Rahmen des Projekts TME ein neues IT-System im HCC einzuführen, das die prozessorientierte Arbeitsweise unterstützt und Transparenz schafft: einerseits über den Workflow im HCC selbst, andererseits über Hebelabhängigkeiten und das Kosten- Nutzen-Verhältnis von Hebeln.“ Knapp zwei Jahre später wurde das gemeinsam mit dem Konzernunternehmen Lufthansa Systems entwickelte IT-System „HubStar“ im HCC eingeführt. Verbindungen retten HubStar bezieht 900 000 Mal pro Tag aktuelle Flug- und Passagierdaten über einen zentralen Nachrichten-Hub. In der Datenmenge identifiziert das System zunächst die kritischen Umsteigerströme innerhalb eines bestimmten Zeitintervalls anhand des Deltas zwischen benötigter und verfügbarer Umsteigezeit, und klassifiziert die Ströme unter Berücksichtigung verfügbarer Hebeleffekte (siehe Abbildung 3 ). Unkritische Passagierströme markiert das System grün. Für rot gefärbte Passagierströme kann die Verbindung auch mit dem Einsatz von Hebeln nicht „gerettet“ werden. Passagiere eines Rotstroms werden direkt von den Service- Providern auf andere Flüge umgebucht. Im Fokus der Koordinatoren liegen die gelben Ströme: Für diese Umsteigepassagiere ist es möglich, die Konnektivität durch das Ziehen von Hebeln zu erhöhen. Welcher der 30 Hebel für den jeweiligen Strom eingesetzt werden kann und den größten Zeiteffekt bringt, zeigt das System an. Für sechs Hebel, die sogenannten Connex-Hebel (Beispiele siehe Tabelle ), ist zudem eine Wirtschaftlichkeitsberechnung im IT-System hinterlegt. Die Wirtschaftlichkeit eines Hebels ergibt sich aus dem Vergleich der Hebelkosten mit den Kosten, die entstehen, wenn ein Passagier seinen Anschlussflug verpasst. Die Misconnexkosten können sich zusammensetzen aus Umbuchungskosten, Kosten für Bahn- oder Taxifahrten, Übernachtungskosten oder Kompensationszahlungen. Liegen die Hebelkosten über den Misconnexkosten oder ist der zeitliche Effekt des Hebels zu gering, wird er vom System als unwirtschaftlich eingestuft. In Kombination mit einem oder mehreren anderen Connex-Hebeln kann dieser Hebel aber dennoch einen wirtschaftlichen Effekt auf das Gesamtsystem haben, da die Hebelkombination gegebenenfalls auf mehrere Passagierströme zugleich wirkt. Entscheidungen unterstützen Durch Modellierung eines gemischtganzzahligen, linearen Programms werden Hebelvorschläge ermittelt, die in Kombination besonders wirtschaftlich sind. Hierbei wird eine lineare Kostenfunktion minimiert, Abb. 2: Neue Rollen im HCC: Systemkoordinatoren haben den Blick auf das Gesamtsystem der ein- und ausgehenden Flüge, Einzelkoordinatoren setzen den Fokus auf einzelne Flüge oder Passagierströme. Passagier- & Gepäckströme on block t ? Fokus: Gesamtsystem Inbound-Koordinator Fokus: Gesamtsystem Outbound-Koordinator Fokus: Einzelereignisse Transfer-Koordinator Aircraft-Koordinator Service Provider Ramp-Koordinator off block Mobilität + Personenverkehr 39 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 4/ 2010 in die Hebelkosten, Misconnexkosten für alle betroffenen Passagiere und Folgekosten pro Verspätungsminute einfließen. Dabei werden Randbedingungen über Hilfsvariablen berücksichtigt: z.B Verfügbarkeit von Hebeln oder Ausschlussbedingungen. Über binäre Entscheidungsvariablen wird bei der Berechnung ermittelt, ob Hebel gezogen werden sollen oder nicht. „HubStar berechnet Effekte und Wirtschaftlichkeit von Hebeln für alle Flüge in einem bestimmten Zeitfenster kontinuierlich neu,“ erklärt der für HubStar verantwortliche Mirco Bharpalania, „alle von den Mitarbeitern getroffenen Entscheidungen zum Hebeleinsatz spiegeln sich dadurch sofort im System wider. Das System bietet damit Entscheidungsunterstützung bei der Bodenverkehrssteuerung in Echtzeit.“ Das IT-System schafft für die Koordinatoren im HCC damit Transparenz über das Gesamtsystem und reduziert Komplexität durch das Bündeln und Bewerten von Informationen. Durch den Einsatz von Hebeln konnte das HCC in 2009 die Umsteigeverbindungen von mehr als 170 000 Passagieren sicherstellen und einen Zusatznutzen von über 5 Mio. EUR realisieren. Einen Vorteil bietet die Systemunterstützung insbesondere bei schweren Flugunregelmäßigkeiten, durch die sich die Komplexität nochmals erhöht. Hier entlastet das System die Mitarbeiter und zeigt die „Nadel im Heuhaufen“ auf, also die Stellen im System, an denen durch effektiven Hebeleinsatz noch Kosten vermieden werden können. Aus systemischer und wirtschaftlicher Sicht sinnvolle Maßnahmen zur Verkehrssteuerung werden vom System aber nur vorgeschlagen, die Entscheidung über den Einsatz von Hebeln bleibt immer in der Hand der Koordinatoren. Da im System nicht alle Informationen abgebildet werden können, setzt die Stationseinsatzleitung weiterhin auf die Erfahrung und das Wissen ihrer Mitarbeiter. Denn manchmal sind nicht die monetären Werte entscheidend, zum Beispiel, wenn am Vorweihnachtstag für eine zehnköpfige Kinderreisegruppe aus Kanada ein eigentlich unwirtschaftlicher Hebel gezogen wird, um die Umsteigeverbindung nach Toronto doch noch sicherzustellen. Tab. 1: Mit den sogenannten Connex-Hebeln können Umsteigeverbindungen „gerettet“ werden. Die Tabelle zeigt drei Beispiele. Hebel Effekt Bussteuerung Verkürzt Wegezeit durch veränderte Wegeführung von Bussen Ramp Direct Service Verkürzt Wegezeit durch direkten Transfer von Umsteigepassagieren oder Gepäck zur Position des Anschlussfluges Connex Delay Verspätung des Anschlussfluges verlängert Umsteigezeit RTQH0"FT0"VJQTUVGP"DGEMGTU"*VW"Dgtnkp+"RTQH0"FT0"EJTKUVKCP"DÐVVIGT"*JVY"Dgtnkp+"FT0"YGGTV"ECP¥NGT"*W¥D+" FT0"EJTKUVKCP"FG"Y[N"*DDJ+"FT0"JCPU/ LÐTI"ITWPFOCPP"*EGQ"Ukgogpu"Oqdknkv{+"OKEJCGN"JCTVKPI"*DOXDU+" RF"GMMGJCTF"JQHOCPP"*WH¥+"FT0"XQNMGT"MGHGT"*Xqtuvcpf"Vgejpkm"FD"CI+"RTQH0"FT0"JGKPGT"OQPJGKO"*Wpk"Vtkgt+ JCPU"TCV"*Igpgtcnugmtgvàt"WKVR+"RTQH0"FT0"OKEJCGN"TQFK"*Wpk"Itgkhuycnf+"RTQH0"FT0"WYG"UEJTÐFGT"*VW"Dtcwpuejygki+ RTQH0"FT0"LÐTI"UEJÖVVG"*VW"Ftgufgp+"RTQH0"FT0"IGTPQV"URKGIGNDGTI"*Ukgogpu"CI+"RTQH0"FT0"TQDKP"XCPJCGNUV"*Quvhcnkc"JU+" Gkpg"Kpvgtpcvkqpcng"Hcejvciwpi"fgu"Cnhtkgf"Mtwrr"Ykuugpuejchvumqnngiu"Itgkhuycnf."ighótfgtv"xqp"fgt"Cnhtkgf"Mtwrr"xqp"Dqjngp"wpf"Jcndcej/ Uvkhvwpi."Guugp0" Cnhtkgf"Mtwrr"Ykuugpuejchvumqnngi"Itgkhuycnf Fkg"pgwg"Dcncpeg"gokuukqpuctogt"Oqdknkvàv" FKG"GKUGPDCJP KP"¥GKVGP"XQP GNGMVTQCWVQU KPVGTPCVKQPCNG"HCEJVCIWPI 370"DKU"390"CRTKN"4232 YKUUGPUEJCHVNKEJG"NGKVWPI"Rtqh0"Ft0"Okejcgn"Tqfk"*Kpuvkvwv"hút"Mnkocuejwv¦."Gpgtikg"wpf"Oqdknkvàv+ VCIWPIUQTV"Cnhtkgf"Mtwrr"Ykuugpuejchvumqnngi"Itgkhuycnf"ø"Octvkp/ Nwvjgt/ UvtcÚg"36"ø"F/ 396: ; "Itgkhuycnf KPHQTOCVKQP"Cnhtkgf"Mtwrr"Ykuugpuejchvumqnngi"Itgkhuycnf"ø"Vciwpiudútq"ø"F/ 396: 9"Itgkhuycnf" Vgnghqp"-6; "*2+"5: 56"1": 8"/ "3; 24; "ø"Vgnghcz"-6; "*2+"5: 56"1": 8"/ 3; 227"ø"vciwpiudwgtqBykmq/ itgkhuycnf0fg"ø"yyy0ykmq/ itgkhuycnf0fg CPOGNFWPI"yyy0ykmq/ itgkhuycnf0fg1cpognfwpi VGKNPCJOGIGDÖJT"367"‘"1"; 2"‘