eJournals Internationales Verkehrswesen 62/4

Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0047
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Konjunkturmotor KEP-Branche

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Kerstin Zapp
Die Wirtschaftsnachrichten waren in den vergangenen Monaten meist wenig erfreulich: Insolvenzen, Stellenabbau, fehlende Aufträge – die weltweite Finanzkrise hinterließ in vielen Branchen Spuren. Besser als die Gesamtwirtschaft entwickelte sich die Industrie der Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP). Ein Beispiel dafür ist die Hermes Europe GmbH.
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Güterverkehr + Logistik 42 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 4/ 2010 In Deutschland gibt es mittlerweise 14 000 Hermes-Paketshops. Foto: Hermes Kerstin Zapp Konjunkturmotor KEP-Branche Chancen und Herausforderungen in Deutschland und Europa Die Wirtschaftsnachrichten waren in den vergangenen Monaten meist wenig erfreulich: Insolvenzen, Stellenabbau, fehlende Aufträge - die weltweite Finanzkrise hinterließ in vielen Branchen Spuren. Besser als die Gesamtwirtschaft entwickelte sich die Industrie der Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP). Ein Beispiel dafür ist die Hermes Europe GmbH. Die Autorin Kerstin Zapp, freie Fachjournalistin Logistik - Mobilität - Energie, Hamburg; kerstin.zapp@zapp4media.de Distanzhandel eröffnet neue Potenziale Die Frage liegt auf der Hand: Welche Unternehmensstrategien und Entscheidungen haben den antizyklischen Erfolg der KEP-Branche bewirkt? Unter anderem haben Produzenten sowie Händler ihre Lagerbestände reduziert und die Bestellzyklen vieler Unternehmen haben sich verkürzt. Entsprechend stieg das Sendungsaufkommen. Ein besonderer Wachstumstreiber aber ist - gerade im Paketgeschäft - der stetig wachsende E-Commerce- Anteil. Laut einer aktuellen Studie des Marktforschungsunternehmens GfK ist der E-Commerce-Umsatz 2008 um 19 % gegenüber 2007 gestiegen. Insgesamt haben die Deutschen 2008 für rund 13,6 Mrd. EUR Waren im Internet gekauft. Damit bleibt das Internet der Vertriebskanal mit der höchsten Wachstumsdynamik und wird in den nächsten Jahren zum wichtigsten Bestellweg im Distanzhandel. Davon können KEP-Unternehmen gleich mehrfach profitieren: Schließlich muss die bestellte Ware nicht nur zum Endkunden transportiert, sondern die wachsende Zahl kleinerer und mittlerer Online-Händler auch in die Lage versetzt werden, ihren Versand zu organisieren. Diese Entwicklung hat Hermes frühzeitig antizipiert und mit entsprechenden Angeboten reagiert. Eines davon ist der bereits seit 2006 bestehende „Profipaketservice“, der auf die Bedürfnisse von Onlineversendern mit einer Sendungsmenge ab 1000 Paketen jährlich zugeschnitten ist. Kunden kommt es beim Distanzkauf besonders auf Schnelligkeit, Zuverlässigkeit, günstige Versandkosten und darauf an, dass mehrfach versucht wird, eine Sendung zuzustellen. 1 Mit Leistungen wie bis zu vier Zustellversuchen, einer minimalen Schadensbzw. Verlustquote von 0,05 % und einem Paketpreis, der sich nicht wie bei den meisten Wettbewerbern üblich nach Gewicht, sondern anhand der Paketmaße errechnet, hat sich Hermes auf diese Kundenwünsche eingestellt. Die Zukunft ist international Im Laufe der Jahre hat sich der 1972 gestartete Consumer-Logistiker der Otto Group nach eigenen Angaben zum größten postunabhängigen Paketzusteller in den Bereichen B2C und C2C entwickelt und allein im vergangenen Geschäftsjahr 252 Mio. Sendungen in Deutschland bewegt (Umsatz: 1018 Mio. EUR, plus 3,9 % gegenüber dem vorangegangenen Geschäftsjahr). 2 Und auch im Krisenjahr 2009 scheint das Unternehmen auf Kurs geblieben zu sein: Für das Weihnachtsgeschäft 2009/ 10 vermeldet Hermes mit einem um 20 % gestiegenen Sendungsvolumen gegenüber 2008/ 09 erneut Spitzenwerte für Deutschland und Großbritannien. Die Zukunft des Unternehmens liegt aber vor allem auch im wachsenden internationalen Geschäft: Der europäische Paketmarkt bietet reizvolle Perspektiven und wird sich nach einer Boston Consulting-Studie bis 2016 im Vergleich zu 2005 auf rund 11 Mrd. EUR verdoppelt haben. Das Wachstum resultiert aus zwei Entwicklungen: Getrieben durch den E-Commerce-Boom wird der Distanzhandel in ganz Europa enorm zunehmen, denn auf Dauer kann sich kein Einzelhändler dem Online-Thema verschließen. Zudem zieht das grenzüberschreitende Geschäft stark an. Mit seinen länderübergreifenden Logistikangeboten ist Hermes beispielsweise in Großbritannien für viele Distanzhändler, die einen international agierenden Logistikpartner benötigen, ein attraktiver Partner. So hat Hermes kürzlich von dem führenden britischen Modehaus Next den Exklusivvertrag zur Warenauslieferung erhalten. „Gerade in UK sind wir mit unserem Geschäftsmodell sehr erfolgreich und bewegen mittlerweile über 110 Millionen Sendungen jährlich“, sagt Hanjo Schneider, CEO Hermes Europe und Konzernvorstand „Services“ der Otto Group. Um das internationale Geschäft zu unterstützen, tritt Hermes seit Mitte vergangenen Jahres mit all seinen Logistikdienstleistungen - vom Transport auf der langen Strecke bis hin zur Zustellung an der Haustür - in ganz Europa unter einem Namen auf: Hermes Europe. Diese als Dachorganisation konzipierte Gesellschaft gewährleistet einen einheitlichen europäischen Markenauftritt mit entsprechendem Wiedererkennungswert und hat die Aufgabe, alle Schritte in den unterschiedlichen nationalen Märkten zu synchronisieren. Besonders Geschäftskunden, die die Hermes-Dienstleistungen auf dem deutschen Markt schätzen, erwarten bei ihren paneuropäischen Planungen, dass Hermes ihnen auch in weiteren Ländern als Logistikpartner zur Verfügung steht. Bisher stellt Hermes in den wichtigsten, weil umsatzstärksten und das größte Paketaufkommen ausweisenden Märkten in Deutschland, Österreich, England und Italien Sendungen unter eigenem Namen zu. In den anderen EU-Ländern wird die „letzte Meile“ durch die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern abgedeckt. Bereits heute hält das Unternehmen einen Anteil von mehr als 25 % am europäischen Paketmarkt und generiert einen Umsatz von über 1,5 Mrd. EUR. Doch die Expansion in weitere, noch nicht erschlossene Länder, etwa Russland, läuft bereits. „Im Großraum Moskau kooperieren wir seit einigen Wochen mit der Lebensmittelkette „Magnolia“. Dort werden zum Start zunächst zehn Paketshops eingerichtet. Wir haben uns in Russland für einen sukzessiven Roll-out entschieden. Dieser Markteintritt ist eines unserer spannendsten Projekte für die nächsten Jahre“, erläutert Hanjo Schneider. Erfolgsmodell Paketshops Zwar hat jeder Markt seinen eigenen Geschmack, aber so manches Rezept kommt überall gut an: Paketshops zum Beispiel. Vor elf Jahren fiel der Startschuss für diese Erweiterung des Geschäftsmodells. Inzwi- Güterverkehr + Logistik 43 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 4/ 2010 schen verfügt Hermes in Deutschland mit mehr als 14 000 Shops, in denen Pakete für den nationalen und internationalen Versand in mehr als 20 EU-Länder aufgegeben werden können, im europäischen Vergleich über das größte nationale Netz von Annahmestellen. Zudem werden die Shops von den großen Versandhändlern als alternative Zustelladresse und Retouren-Annahmestelle akzeptiert. Der kontinuierliche Ausbau der im Einzelhandel installierten Shops - beispielsweise in Tankstellen, Kiosken oder Internet-Cafés mit kundenfreundlichen Öffnungszeiten - führt zu immer kürzeren Wegen für die Kunden. Entsprechend ist auch in England der Aufbzw. Ausbau eines „Parcelshop“- Netzwerks geplant. Versandhändler und Logistiker als Partner Ein Paradebeispiel dafür, wie sich Versandhandel und Logistik im Idealfall ergänzen, zeigt die präzise aufeinander abgestimmte Zusammenarbeit des großen deutschen Teleshopping-Anbieters QVC mit Hermes am nordrhein-westfälischen Standort Hückelhoven. QVC erweiterte hier 2007 sein Warenlager, Hermes errichtete direkt daneben eine Hauptumschlagbasis (HUB). Die Gebäude sind durch Förderbrücken miteinander verbunden. Gemeinsam haben die Unternehmen die klassische Rollenverteilung vom Händler als Auftraggeber und Logistiker als Dienstleister aufgegeben, um eine einheitliche Perspektive einzunehmen. Sie lautet: Auftraggeber sind die Kunden vor den Fernsehern. QVC und Hermes agieren gemeinsam als Dienstleister. Im Ergebnis ist ein hochmoderner, integrierter Logistikstandort mit kurzen Wegen entstanden, wovon auch der Endkunde profitiert. So hat die Ausweitung der Cut-off-Zeit auf 18: 00 Uhr neben einer Erhöhung der aktuellen Tagesmenge vor allem bewirkt, dass die Lieferzeit von QVC-Paketen um mehr als einen Tag reduziert werden konnte. Infrastruktur und Nachhaltigkeit fördern Um kurze Wege, niedrige Kosten und eine positive Umweltbilanz zu gewährleisten, bedarf es der passenden Infrastruktur - und die baut Hermes kontinuierlich weiter aus. 35 Mio. EUR nimmt der Logistiker allein für sein neues HUB in Langenhagen bei Hannover in die Hand. Dies soll Anfang 2011 eröffnet werden und die Bearbeitung von jährlich bis zu 60 Mio. Sendungen ermöglichen. Auch die Zentrale in Hamburg wird gerade flächenmäßig verdoppelt. Wichtig bei jedem neuen Projekt: ökologisch vertretbare Lösungen. So wird das Zentral-HUB im hessischen Friedewald ebenso wie die Anlage in Langenhagen mit einer die Kohlendioxidemissionen deutlich reduzierenden Holzhackschnitzelanlage beheizt. Fallen bei einer konventionellen Heizkesselanlage 1000 t CO 2 -Ausstoß an, kann diese Menge durch den Einsatz von Industrieholz auf 170 t pro Jahr reduziert werden - eine Einsparung von 83 %. Damit unterstützt der Logistiker das Vorhaben der Otto Group, die im Konzern anfallenden CO 2 -Emissionen bis zum Jahr 2020 um 50 % zu reduzieren - und das bei kontinuierlich steigenden Sendungsmengen. Zu diesem Zweck forciert Hermes derzeit knapp 50 verschiedene Einzelprojekte, die insgesamt dazu beitragen, die Umweltleistung des Unternehmens weiter zu verbessern. Ausblick Moderne Logistiker bilden heute komplette Versorgungsketten ab und greifen tief in die Wertschöpfungsketten ihrer geschäftlichen Auftraggeber ein. Das gilt insbesondere für Online-Geschäftsmodelle, bei denen der Kunde weitestgehend anonym bleibt und dem Logistiker spätestens bei der Sendungsübergabe die Rolle des „Beziehungspflegers“ zufällt. Eine wichtige Aufgabe, schließlich trägt die positive Gestaltung des Endkundenkontakts maßgeblich zur Kundenzufriedenheit bei. Im Bereich Zustellung erwartet das Unternehmen in den kommenden Jahren einige Innovationen, sei es die Benachrichtigung über den Sendungsstatus per SMS, E-Mail oder Voice-Mail, oder aber die Übergabe selbst. Ob zu Hause, beim Nachbarn, bei der Arbeit oder auf dem Weg dahin - in naher Zukunft werden den Kunden noch mehr Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung stehen, um ihre Pakete entgegen zu nehmen. Der Trend geht zu immer flexibleren und individuelleren Services. Während der Wettbewerb insbesondere in kleineren Gemeinden immer mehr Filialen schließt, setzt der Hamburger Logistiker auf die Präsenz vor Ort, wie die 14 000 Paketshops zeigen - und das trotz weiterhin bestehender Wettbewerbsnachteile. „Zweifelsohne schöpft die Deutsche Post noch Vorteile aus ihrer vormaligen Monopolstellung“, konstatiert Hanjo Schneider. Dies habe sich zum Beispiel bei der Debatte um Mindestlöhne der Briefzusteller gezeigt, in der die Deutsche Post ihre Vorstellungen zunächst politisch durchsetzte. Das Bundesverwaltungsgericht erkannte den Mindestlohn jedoch aufgrund von Verfahrensfehlern als rechtswidrig. Auch das der Post bei der Brief- und Paketbeförderung bisher eingeräumte Mehrwertsteuerprivileg stellte die Wettbewerber jahrelang schlechter. Doch bei Hermes sieht man sich bestens aufgestellt, um auch künftig erfolgreich zu bestehen. 1 Internet World Business/ Billiger.de 2 Das Geschäftsjahr der Hermes Logistik Gruppe Deutschland beginnt jeweils am 1. März. Hermes Europe GmbH Seit Anfang Mai 2009 agieren die Hermes Logistik Gruppe Deutschland (HLGD) und die Hermes Traqnsport Logsitics (HTL) als eigenständige Unternehmen unter dem Dach der Hermes Europe GmbH am Markt. Damit wurde der Transportvom Paketbereich getrennt. Der Transportsektor soll zu einem logistischen Generalanbieter entwickelt werden und neben Straßenauch verstärkt Luft- und Seetransporte offerieren. Besonders Asien hat das Unternehmen im Visier und bietet alle logistischen Services aus einer Hand. Darüber hinaus umfasst das Leistungsspektrum der unter der Marke Hermes operierenden Gesellschaften alle weiteren Elemente der Wertschöpfungskette: Sourcing, Qualitätsabsicherung, Fulfilment, 2-Mann-Handling sowie die Zustellung von Briefen und Katalogen. Mehr als KEP-Dienste Paketfluss auf der Brücke in Hückelhoven Foto: Hermes