eJournals Internationales Verkehrswesen 62/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0048
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Nachhaltigkeit ganzheitlich betrachtet

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Tjark Siefkes
Die vier Grundelemente nachhaltiger Mobilität – Energieverbrauch, Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit – bringt das ECO4*-Portfolio von Bombardier Transportation zusammen. Das Unternehmen geht damit die dringendsten Probleme an, mit denen Bahnunternehmen heute konfrontiert sind.
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Technologien + Informationssysteme 44 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 4/ 2010 Tjark Siefkes Nachhaltigkeit ganzheitlich betrachtet Modulares Lösungsportfolio für innovative Mobilität auf der Schiene Die vier Grundelemente nachhaltiger Mobilität - Energieverbrauch, Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit - bringt das ECO4*-Portfolio von Bombardier Transportation zusammen. Das Unternehmen geht damit die dringendsten Probleme an, mit denen Bahnunternehmen heute konfrontiert sind. Der Autor Dr. Tjark Siefkes, Senior Director Global Product Management, R&D, Centers of Competence and Knowledge Management, Bombardier Transportation, Berlin; tjark.siefkes@de.transport. bombardier.com D ie im ECO4-Portfolio enthaltenen Technologien, Produkte und Dienstleistungen bieten die Möglichkeit, das System Bahn ökonomisch und ökologisch zu optimieren und ein breites Spektrum von Anforderungen hinsichtlich Leistung und Betrieb von Bahnen zu integrieren. Der Einsatz dieser Technologien kann den Gesamtenergieverbrauch um bis zu 50 % reduzieren. Die Lösungen reichen von der Erhöhung der Energieeffizienz von Subsystemen über aerodynamische Verbesserungen von Zügen bis hin zur Optimierung des Energieverbrauchs einer bestehenden Flotte. Dabei hängen die tatsächlich zu erzielenden Einsparungen allerdings immer von einer Vielzahl von Parametern ab, wie etwa der Fahrzeugart und den Betriebsbedingungen. Um den Energieverbrauch standardisierter Subsysteme oder eines gesamten Zugs beziehungsweise einer Flotte insgesamt zu optimieren, muss - neben ausgereiften Technologien - ein zug- und flottenumfassendes Konzept vorliegen. Bombardier bringt beides in einer Simulation zusammen: Im so genannten Train Energy Performance (TEP-)Tool kann der Energieverbrauch von Subsystemen sowie Gesamtsystemen unter den verschiedensten Bedingungen simuliert und letztlich auch optimiert werden. Neue und bestehende Systeme im Blick Die höchste Ebene des Energiemanagements vollzieht sich auf Flottenniveau. Bei der Planung eines Bahnverkehrssystems sind die Betreiber mit der Herausforderung konfrontiert, die geeignete Technologie und Betriebsart für höchste Leistung, niedrigste Betriebskosten und größte Umweltfreundlichkeit bei geringstem Energieverbrauch zu wählen. Energplan* hilft bei der Simulation und Optimierung der Auslegung von Stromversorgung und Energieverbrauch für eine komplette Flotte und sorgt für Einsparungen von bis zu 20 %. Es wird unter anderem erfolgreich für die Peoplemover-Flotte des John F. Kennedy Airports in New York eingesetzt. Neben der Optimierung der Leistung neuer Bahnsysteme kann Bombardier die Leistung bestehender Flotten mithilfe des EBI* Drive 50-Fahrassistenzsystems verbessern. EBI Drive 50 ist ein Softwaretool, das die Ziele Pünktlichkeit, Energieeinsparung sowie weniger Rad- und Streckenverschleiß auf intelligente Art kombiniert. Es generiert Empfehlungen für den Fahrer zur Optimierung von Geschwindigkeit und Traktionskraft. Das Software-Tool nutzt die Übermittlung von Daten in Echtzeit zur aktuellen Position, zu Streckeninformationen, Geschwindigkeit sowie zum Zeitabgleich mit dem Fahrplan und ermöglicht so ein dynamisches, energiesparendes Fahren. In diversen Tests mit großen europäischen Bahnen wurden Einsparungen von bis zu 15 % bei der Traktionsenergie nachgewiesen. Durch den reibungsloseren Zugbetrieb sinkt zudem der Verschleiß an Radsätzen, Motoren, Bremsen und Gleisen. Infrastruktur im Fokus Ein weiterer Aspekt im Hinblick auf die Optimierung der Flotten- und Betriebsleistung sind die zahlreichen Oberleitungen und Leitungsmasten für den Betrieb von Straßenbahnen in Stadtgebieten. Sie werden nicht nur oft als störend im Stadtbild empfunden, sondern verursachen auch hohe Wartungskosten. Bombardier ist mit der Entwicklung des Primove*-Systems neue Wege gegangen: Von einem im Boden verlegten Stromkabel wird die benötigte Energie per Induktion an das Fahrzeug übertragen. Auf der Teststrecke im Werk Bautzen wurden erfolgreich Tests mit 500 kW durchgeführt. Ein Upgrade auf 1000 kW ist geplant. Die im Boden versteckte, sichere und kontaktlose Stromübertragung ermöglicht den Betrieb bei jeder Wetterlage und Bodenbeschaffenheit über beliebig lange Strecken. Die kontaktlose Energieversorgung, die ein gewaltiges technisches Potenzial bietet, kann zudem der Diskussion um die Entwicklung der elektrischen Mobilität eine neue Richtung geben. Evolution im Kopf Auch durch verbesserte bordseitige Systeme lässt sich die Energieeffizienz erhöhen. Die größten Energieverbraucher im Bahnbetrieb sind die Antriebssysteme, die Klimasysteme und bei Hochgeschwindigkeitszügen das aerodynamische Design. Abb. 1: Die ECO4-Technologien in der Übersicht Quelle: Bombardier Technologien + Informationssysteme 45 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 4/ 2010 Die Optimierung der Aerodynamik eines Hochgeschwindigkeitszugs ist ein gutes Beispiel für innovatives Denken bei der Entwicklung der ECO4-Technologien: Die Forschung zur Optimierung des Luftwiderstands von Fahrzeugen nutzt Kenntnisse aus der Natur. Da es aber in der Natur kein Gegenstück für die Simulation der Leistung eines Hochgeschwindigkeitszugs gibt - ein Produkt, das in zwei Richtungen unter breit gefächerten klimatischen Bedingungen betrieben wird, nutzt Bombardier in der Simulation genetische Algorithmen. So werden die Prinzipien der natürlichen Evolution, Mutation und Selektion auf den Prozess der Entwicklung der bestmöglichen Form übertragen. Um die optimale Kombination von niedrigem Luftwiderstand und hoher Laufstabilität zu erreichen, verwendet das Unternehmen neueste Modellierungsmethoden. Die Reduzierung des Luftwiderstands um 25 % durch das AeroEfficient*-Programm für optimierte Fahrzeugformgebung ermöglicht Energieeinsparungen von bis zu 8 % im Regionalverkehr und bis zu 15 % bei Hochgeschwindigkeitszügen. Diverse Antriebe berücksichtigt Hinsichtlich der Antriebssysteme wird zwischen verschiedenen Dieselvarianten, elektrischen und hybriden Antrieben unterschieden. Das C.L.E.A.N. Diesel Power Pack ist ein Antriebssystem für mehrteilige Dieseltriebzüge, das die SCR-Technologie (Selective Catalyst Reduction) nutzt. Diese Technologie benötigt nicht nur weniger Energie als andere Lösungen, sie verfügt auch über ein leicht zu kontrollierendes Kühlsystem, das den Ausstoß von Schadstoffen, insbesondere von Stickoxiden, reduziert. Die von Bombardier eingesetzten Antriebe verfügen über ein optimiertes Gewicht und eine optimierte Konfiguration mit geringem Kraftstoffverbrauch und weniger Wartungsaufwand, was zu einer verbesserten Effizienz führt. Als erster Schienenfahrzeughersteller der Welt hat Bombardier die Zertifizierung für ein Diesel-Antriebsaggregat mit acht Zylindern und 560 kW erhalten, das die Abgasvorschriften der Stufe III-B für Dieseltriebzüge der 500 kW-Klasse gemäß der 2012 geltenden EU-Emissionsrichtlinien erfüllt. Das C.L.E.A.N. Diesel Power Pack wird in Kürze in den Itino*-Zügen des Rhein-Main- Verkehrsverbunds (RMV) in Deutschland und von Västtrafik in Schweden eingesetzt. Bei Hybridantrieben ist zwischen seriellem, parallelem und Vollhybridantrieb zu unterscheiden. Jede Technologie bietet spezielle Vorteile. Bei Bahnanwendungen werden im niedrigen Leistungsbereich serielle Hybridantriebe eingesetzt, während parallele und Vollhybridantriebe im höheren Leistungsbereich verwendet werden. Die Mitrac* Hybrid-Technologie ist ein paralleler Hybridantrieb, der den gleichermaßen effizienten Betrieb eines Fahrzeugs auf elektrifizierten und nicht elektrifizierten Strecken durch einen gemeinsamen Antriebsstrang ermöglicht, der sowohl Strom als auch Dieselkraft nutzt. Dies führt zu einem minimalen Verbrauch an fossilen Brennstoffen mit bis zu 80 % weniger Luftverschmutzung und niedrigen Emissionen. Aufgrund des um 40 % verringerten Kraftstoffverbrauchs bieten sich Bahnbetreibern auch wirtschaftliche Vorteile. Zudem ist das vielseitige Zweisystemfahrzeug im gesamten Netzwerk unterbrechungsfrei einzusetzen und sorgt so für eine flexible Flottendisposition. Der Vollhybridantrieb des Unternehmens nutzt den Mitrac Energy Saver als Ladegerät. Die innovativen Doppelschichtkondensatoren des Systems speichern die Energie, die bei jedem Bremsen frei wird, und verwenden diese beim Beschleunigen oder im Betrieb. Mehrjährige Tests in Mannheim haben erwiesen, dass der Einsatz des Systems bei Stadtbahnen für Energieeinsparungen von bis 30 % sorgt. Es ermöglicht über begrenzte Distanzen hinweg auch den oberleitungsfreien Betrieb. Die Rhein- Neckar-Verkehr GmbH hat im Dezember 2009 die ersten sechs neuen Bombardier- Straßenbahnen vom Typ Variobahn offiziell in Heidelberg in Betrieb genommen, 13 weitere Züge werden in diesem Jahr für Strecken in Mannheim ausgeliefert. Bei dieselelektrischen Triebzügen kann der Mitrac Energy Saver zur Leistungssteigerung genutzt werden, indem dem Fahrzeug bei der Beschleunigung zusätzliche Leistung zugeführt wird. Das Modul ist auch als rein elektrisches Antriebssystem beim Anfahren im Bahnhof einzusetzen. Ergebnis: null Emissionen und ein niedriger Lärmpegel. Nebenverbraucher einbezogen Unabhängig davon, mit welchem Verkehrsträger sich Menschen heute fortbewegen, werden hohe Anforderungen an den Komfort gestellt. Um diesen Fahrgastkomfort bei gleichzeitigem geringeren Energieverbrauch als bisher zu gewährleisten, hat Bombardier das thermodynamische ThermoEfficient*-Klimatisierungssystem entwickelt. U-Bahnen in Asien stecken beispielsweise mehr als 30 % ihres gesamten Energiebedarfs in die Innenklimatisierung. Hier wird jedoch häufig Energie verschwendet, da die Leistung des Systems nicht an variable Faktoren wie die Anzahl der Fahrgäste angepasst wird. ThermoEfficient nutzt die Kombination von zwei komplementären Systemen. Das erste, ein variables Frischluftsystem, nutzt von Sensoren erfasste Daten, um anhand des Fahrzeuggewichts die Anzahl der Fahrgäste zu ermitteln und die Klimatisierung entsprechend anzupassen. Das zweite System nutzt Wärmeaustauscher zum Vorheizen oder Vorkühlen der frischen Luft unter Verwendung von bis zu 80 % der Abluftenergie. Die nachgewiesene Gesamtenergieeinsparung durch ThermoEfficient beträgt etwa 25 %. Das Flexx* Eco-Drehgestell zielt ebenfalls auf eine Reduktion des Energieverbrauchs und des Lärmpegels ab. Das äußerst kompakte Leichtbaudesign dieses Drehgestells sorgt für ein um 33 % geringeres Gesamtgewicht gegenüber herkömmlichen Konstruktionen von Drehgestell und ungefederter Masse. Das führt zu gemindertem Gleis- und Radverschleiß durch reduzierte ungefederte Radsatzmassen und verbessertes Kurvenverhalten. Dieses Drehgestell senkt nicht nur die Wartungskosten für Räder, sondern auch die Folgekosten von Schienenschäden. Zudem ist es durch seine hohe Stabilität nicht nur für regionale und Nahverkehrsanwendungen, sondern auch für Hochgeschwindigkeitszüge geeignet. Mittlerweile sind weltweit fast 1000 Einheiten im Einsatz. Gesamtenergiemanagement Um dem Betreiber die notwendige Transparenz seines Energieverbrauchs zu geben und gleichzeitig das Bewusstsein seiner Mitarbeiter zu stärken, bietet Bombardier das Energy Management Control System an. Es integriert Energiebewusstsein, Effizienz und Emissionskontrolle in den Betrieb von Schienenfahrzeugen und bietet eine präzise und kostengünstige Lösung für das Energiemanagement einer Flotte. Das System nutzt Zugdaten sowie flexible und intuitive Visualisierungstools, die auf den bewährten Methoden des Orbita*- Systems basieren. Bahnbetreiber, wie etwa die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), erhalten minutengenau betriebsrelevante Informationen für das proaktive Management ihres Energieverbrauchs. * Marken der Bombardier Inc. oder ihrer Tochtergesellschaften Referenzen [1] Siefkes, T. : ECO4 - Bombardier’s new Formula for Total Train Performance. ITS, September 2009 [2] Froehlich, M. : Energy Storage System With Ultracaps On Board Of Railway Vehicles. ETG 2007, Karlsruhe, Oktober 2007 [3] De Vos, G. : ORBIFLO - Bombardier transportation’s intelligent wayside solution. ITS, September 2009 [4] Siefkes, T.; Struve, C. : PRIMOVE - The New and Innovative System for Bombardier Catenary-Free Light Rail Vehicles. ITS, September 2009 Abb. 2: Das Flexx Eco-Drehgestell Foto: Bombardier