Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0061
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EU-Förderprogramm Marco Polo steht nach Reform vor Bewährungsprobe
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Christian Dahm
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Aus der Europäischen Union 37 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 5/ 2010 Was hat der italienische Entdecker Marco Polo eigentlich verbrochen, dass die EU ihr intermodales Förderprogramm nach ihm benannt hat? Wer sich eingehender mit den Projektaufrufen und Auswahlverfahren befasst, dem schießt diese Frage über kurz oder lang unweigerlich durch den Kopf. Denn das Marco-Polo-Programm hält nicht nur jährliche Zuschüsse in Höhe von rund 60 Mio. EUR für die Verkehrsverlagerung von der Straße auf Schiene sowie Binnen- und Seeschifffahrt bereit, sondern auch eine Menge unangenehmer Überraschungen. Denken Praktiker an Marco Polo, überwogen bislang grundsätzlich die Bauchschmerzen angesichts der komplexen Verfahren statt der Freude auf eine Anschubfinanzierung von bis zu fünf Jahren, um die Risiken neuer Dienste abfedern zu können. Kein Wunder, denn bevor Transportunternehmen in den Genuss der EU-Gelder kommen, wird ihnen einiges abverlangt. Zu viel, so die Kritik der Praktiker, die von mangelnder Transparenz bis hin zu dem enormen finanziellen und zeitlichen Aufwand reicht, den Unternehmen angesichts der bürokratischen Anforderungen auf sich nehmen müssen. Mal ganz davon abgesehen, dass die Antragsteller häufig gehalten sind, sensible Kundendaten offenzulegen. Kurz gesagt: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Diese Kritik ist auch der Europäischen Kommission nicht entgangen. So wurde das Förderprogramm grundlegend überarbeitet. Nach Angaben der Kommission ist das Verfahren insgesamt vereinfacht und beschleunigt worden, so dass zwischen der Bewerbung und der Unterzeichnung der Fördervereinbarung deutlich weniger Zeit verstreichen soll. Die Verwaltung und Evaluierung der Anträge übernehmen im Auftrag der Kommission Experten der Exekutivagentur für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (EACI). Zumindest auf dem Papier wird Marco Polo insbesondere für kleine Unternehmen attraktiver: So wurde die Mindestförderschwelle der zu verlagernden Güterverkehrsleistung von jährlich 80 Mio. tkm auf 60 Mio. tkm reduziert. Eine besonders niedrige Schwelle gilt für Projekte der Binnenschifffahrt mit jährlich 13 Mio. tkm. Interessant ist vor allem, dass im Kombinierten Verkehr intermodale Ladeeinheiten wie Container, Wechselbehälter oder Straßenfahrzeuge in die Ermittlung der Verlagerungsmengen einbezogen werden. Das gilt sowohl für den Lastlauf als auch für die Rückführung leerer Einheiten. Die Kommission verweist aber ausdrücklich darauf, dass nur Projekte Aussicht auf Förderung haben, bei denen nachweislich bestandsfähige Güterverkehrsdienste mit anderen Verkehrsträgern als dem Lkw eingerichtet werden. Anders gesagt: Projekte EU-Förderprogramm Marco Polo steht nach Reform vor Bewährungsprobe Vereinfachte und beschleunigte Auswahlverfahren müssen auch nach Ende der EU-Finanzunterstützung am Markt bestehen können. Zudem ist die Höhe des Zuschusses erfolgsabhängig. So wird der volle Betrag nur dann ausgezahlt, wenn die als Ziel erklärte Frachtmenge tatsächlich von der Straße auf umweltfreundlichere Verkehrsträger verlagert wurde. Um dies zu erleichtern, wurde die Förderintensität von 1 auf 2 EUR je 500 tkm vermiedenem oder verlagertem Straßenverkehr erhöht. Zudem dürfen künftig 20 statt 10 % der Fördermittel für Zusatzinfrastrukturen verwendet werden. Ab sofort ist es auch Einzelunternehmen möglich, Projekte einzureichen. Die Gründung eines Konsortiums ist nicht mehr erforderlich. All diese Neuerungen sollen nun erstmals greifen. Doch der geplante Neuanfang ging gehörig in die Hose. Bereits bei der Veröffentlichung des Projektaufrufs 2010 am 15. März kam es zu peinlichen Pannen. Der Text konnte erst zwei Tage nach dessen offizieller Ankündigung über die Internetseite der Kommission abgerufen werden. Ernüchternd war aber ein Anruf beim Marco-Polo-Helpdesk. Dort konnten oder wollten einfachste Fragen, beispielsweise nach dem Ende der Frist für das Einreichen von Projektanträgen, nicht beantwortet werden. Das ist gelinde gesagt wenig verheißungsvoll. Allein die Tatsache, dass Förderprogramme wie Marco Polo einen Hilfsdienst nötig haben, ist an sich schon kein gutes Zeichen. Denn haben Unternehmen Fördergelder erst dann verdient, wenn sie genauso viele Hindernisse wie Marco Polo auf seinem Weg nach China überwunden haben? Übrigens: Projektanträge können noch bis zum 18. Mai eingereicht werden. Christian Dahm, EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Logistik- Zeitung in Brüssel „EU-Gütesiegel“ Marco Polo Dank des EU-Förderprogramms Marco Polo sollen zur Verbesserung der Umweltbilanz des europäischen Güterverkehrs jährlich 20 Mrd. tkm an Güterverkehrsleistung von der Straße geholt werden. Dies entspricht nach Angaben der Europäischen Kommission jährlich 700 000 Lkw-Fahrten zwischen Berlin und Paris. Zu den förderfähigen Projekten zählen neben Meeresautobahnen, Aktionen zur Verkehrsverlagerung und -vermeidung sowie hochinnovative katalytische Aktionen zur Überwindung struktureller Hindernisse auf dem EU-Güterverkehrsmarkt. In den Genuss der Fördermittel können auch „gemeinsame Lernaktionen“ kommen. Hier werden keine direkten Effekte im Sinne einer Verkehrsverlagerung oder -vermeidung erwartet. Lernaktionen sollen aber durch die Förderung einer besseren Zusammenarbeit oder eines Know-how-Austauschs zwischen Akteuren der Logistikkette sowie der gemeinsamen Ausbildung von Personal indirekte Effekte im Sinne des Programms erzeugen. Förderwürdige Projekte müssen mindestens eine Grenze zwischen EU- Mitgliedstaaten oder eine EU-Außengrenze zu einem benachbarten Land überqueren. Neben der finanziellen Unterstützung bewerten erfolgreiche Teilnehmer positiv, dass mit Marco Polo ein EU-Gütesiegel verliehen und das Umweltimage der Unternehmen gestärkt wird. www.ec.europa.eu/ marcopolo Förderwürdige Projekte
