Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0064
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Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf die Logistik?
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Hans-Dietrich Haasis
Feliks Mackenthun
Thomas Nobel
Eine Herausforderung für die Branche: Die Logistik kann durch den Klimawandel nachhaltig beeinträchtigt werden. Vor diesem Hintergrund versucht der vorliegende Beitrag, einen Überblick über die durch den Klimawandel bedingten Veränderungen, ihre Auswirkungen auf die Logistik und die Antwort der Unternehmen zu geben.
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Umwelt + Ressourcen 44 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 5/ 2010 Abb. 1: „nordwest 2050“: Projektzielsetzung Cluster Logistik Quelle: ISL Hans-Dietrich Haasis / Feliks Mackenthun / Thomas Nobel Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf die Logistik? Eine Herausforderung für die Branche: Die Logistik kann durch den Klimawandel nachhaltig beeinträchtigt werden. Vor diesem Hintergrund versucht der vorliegende Beitrag, einen Überblick über die durch den Klimawandel bedingten Veränderungen, ihre Auswirkungen auf die Logistik und die Antwort der Unternehmen zu geben. Die Autoren Feliks Mackenthun, Dr. Thomas Nobel und Prof. Hans-Dietrich Haasis, Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL), Abteilung „Logistische Systeme“, Bremen; mackenthun@isl.org D er Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen der Menschheit. Seine Auswirkungen sind bereits heute spürbar. Klimawandelbedingte Veränderungen wirken sich dabei nicht nur stark auf Mensch und Umwelt aus. Gerade auch wirtschaftliche Aktivitäten können merklichen Störeinflüssen der Umwelt, wie beispielsweise einer Zunahme stärkerer Stürme und Überschwemmungen, unterliegen. Das Forschungsprojekt „nordwest 2050“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über einen Zeitraum von fünf Jahren bis 2014 gefördert wird, soll in der Metropolregion „Bremen- Oldenburg im Nordwesten“ einen mit Wirtschaft, Politik und Gesellschaft abgestimmten Fahrplan für klimaangepasste Innovationen in zentralen Wirtschaftssektoren (Energiewirtschaft, Ernährungswirtschaft, Logistik) erarbeiten. 1 Als ins Gesamtprojekt eingebundenes Forschungsinstitut verfolgte das Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL), Bremen, mit einer empirischen Untersuchung das Ziel herauszuarbeiten, welche Erwartungen das Cluster Logistik im Hinblick auf den Klimawandel hat und wie sich die zum Cluster gehörenden Akteure auf diesen vorbereiten. Die nachfolgende Untersuchung zeigt Erkenntnisse, die auf andere Regionen übertragbar sind. Logistik schafft Arbeitsplätze Der Logistikmarkt hat sich in den vergangenen Jahren sowohl innerhalb der Metropolregion als auch bundesweit sehr positiv entwickelt. Logistik gilt als drittgrößte Branche Deutschlands und verfügt über eine höchst bedeutsame Beschäftigungswirkung. 2 Die Metropolregion Bremen/ Oldenburg im Nordwesten der Bundesrepublik hat im nationalen sowie im Vergleich mit dem Standort Niedersachsen sogar eine überproportionale Beschäftigungswirkung der Logistik als Ergebnis erzielen können. 3 Aus diesem Grund können die anstehenden klimawandelbedingten Veränderungen für das Cluster von hoher Bedeutung sein. Für die Untersuchung des Status quo der „grünen“ Logistik wurden zum einen die gewonnenen Primärdaten aus einer eigenen empirischen Erhebung und zum anderen alle relevanten externen Studien herangezogen (siehe Abbildung 1 ). Die Ergebnisse der Befragung und der externen Untersuchungen wurden miteinander verglichen, um die Erwartungen an den Klimawandel und mögliche Lösungsstrategien des Clusters Logistik zu analysieren. Abschließend konnten Entwicklungsperspektiven dieses Clusters aufgezeigt werden. Hierzu gehören die folgenden Erkenntnisse: ̇ Die betrachteten externen Studien sowie die Auswertung der Befragung haben viele Gemeinsamkeiten hinsichtlich ihrer Ergebnisse erkennen lassen. ̇ Insbesondere bestehen in Bezug auf die von Unternehmen umgesetzten Maßnahmen zahlreiche Parallelen. So ist ein Großteil der von den befragten Unternehmen umgesetzten Schritte in vergleichbarer Quantität und Qualität auch im Ergebnis der ISL-Untersuchung zu finden. ̇ Die Untersuchung hat demzufolge die bisher bereits veröffentlichten Studien in ihrer Tendenz bestätigt. Die Ergebnisse können daher auf weitere Regionen übertragen werden. ̇ Neue Erkenntnisse liefert die ISL-Studie zusätzlich über die ermittelten Erwartungen des Clusters Logistik im Hinblick auf den Klimawandel in der Metropolregion „Bremen-Oldenburg im Nordwesten“. Im Rahmen der empirischen Erhebung des ISL wurden zahlreiche Unternehmen sowie auch weitere Institutionen wie etwa Handelskammern und Verbände der Metropolregion in die Untersuchung einbezogen. Dadurch konnten die folgenden zentralen Erkenntnisse gewonnen werden: ̇ Eine erste und sehr bedeutende zentrale Erkenntnis besteht darin, dass 90 % der Befragten bisher keine klimawandelbedingten Veränderungen feststellen konnten. ̇ Insgesamt betrachtet ist das Cluster in der Region Bremen/ Oldenburg durch ein heterogenes Bild in Bezug auf das Thema Klimawandel geprägt. Für einige der Unternehmen erscheint der Klimawandel zeitlich betrachtet in weiter Ferne, andere Akteure bereiten sich bereits auf diesen vor. ̇ Gleichzeitig verfügt der Bereich Logistik in der untersuchten Region über Erwartungen, dass aus der Veränderung des Klimas eine künftige Gefahr für dieses Cluster und die Region erwachsen kann. Erwartungen des Clusters Logistik Das Cluster Logistik erwartet, dass sich aus dem Klimawandel folgende Störeinflüsse ergeben: 1. Einen besonders bedeutenden Störfaktor sehen fast 75 % der Befragten in der Umwelt + Ressourcen 45 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 5/ 2010 mitarbeiterbezogene Maßnahmen sind daneben ebenfalls sehr wichtig, um eine „grünere“ Logistik zu erreichen sowie einen Beitrag zum Klimaschutz zu erzielen. Auch in diesen Bereichen wurden bereits zahlreiche Aktivitäten eingeleitet oder befinden sich in der Planung. Aus den aussagekräftigen Ergebnissen der Befragung lassen sich darüber hinaus künftige Trends ableiten. Unternehmen des Clusters werden voraussichtlich weitere Investitionen in den Bereichen „Gebäude“ und „Organisation“ vornehmen, da hierin große Einsparpotenziale stecken. Weitere Bereiche eines Unternehmens wie etwa der Fuhrpark sind dennoch hinsichtlich ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen, auch hier werden bisher eingeleitete Aktivitäten fortgeführt und weitere folgen. Die Umsetzung von Maßnahmen kann in unterschiedlichen Motiven begründet liegen. Künftig werden strengere Umweltauflagen seitens der Gesetzgeber und steigende Kosten wie etwa Energiekosten, Kosten für technische Einrichtungen zur Einhaltung von Emissionsgrenzwerten und Kosten für Zertifizierungen für das Cluster von zunehmender Bedeutung sein. Diese Aspekte werden zu weiteren Investitionen in Immobilien sowie in die Bereiche Technik und Fahrzeuge führen. Es konnte zudem durch die Erhebungen und Analysen festgestellt werden, dass die Nachfrage nach Umweltzertifizierungen zunehmen sowie vermehrt Kundenanfragen an Logistiker gestellt werden, die das Thema „grüne“ Logistik und Klimawandel betreffen. Folglich wird auch von Kundenseite der Druck auf Akteure des Clusters Logistik zunehmen. Dies wird ebenfalls zu weiteren Aktionen hinsichtlich Zertifizierung und Implementierung von Umweltmanagementsystemen führen. Folglich hat das Cluster Logistik bereits wichtige Maßnahmen getroffen, die eine Reaktion auf den Klimawandel und dessen Auswirkungen erkennen lassen. Dennoch Abb. 2: Spezifische Einzelmaßnahmen der Anpassung befragter Unternehmen in der Metropolregion Bremen/ Oldenburg im Nordwesten Quelle: eigene Darstellung Zunahme von Sturmfluten und Sturmereignissen. 2. Für mehr als zwei Drittel der Logistiker besteht im Anstieg des Meeresspiegels ein entscheidender Störeinfluss. 3. Auch die Zunahme höherer Windgeschwindigkeiten wird von fast 66 % als sehr einflussreicher Störfaktor eingeschätzt. 4. Des Weiteren betrachten 50 % der Befragten die Zunahme extremer Starkniederschläge sowie die Zunahme von Hitzewellen im Sommer als bedeutende Störquellen. Das Cluster Logistik in der Region Bremen/ Oldenburg sieht sich auf Grund der Lage an sowie seiner Nähe zur Küste insbesondere durch Einflüsse wie etwa Sturmfluten und eine Erhöhung des Meeresspiegels prinzipiell gefährdet. Aber auch Niedrigpegelstände durch Hitzewellen im Sommer wurden seitens der Befragten erwähnt. Auf Grund der Anpassungsmaßnahmen, die in Zukunft erforderlich sein können, werden seitens des Clusters zusätzliche Kosten erwartet. Diese Kosten können durch den Handel mit Zertifikaten, Investitionen in Technik und Immobilien sowie Maßnahmen für den Küstenschutz noch wachsen. Vulnerabilitäten Es zeigt sich, dass die Logistik unter Umständen durch den Klimawandel konkret betroffen, das heißt im Hinblick auf die Gewährleistung des Güterverkehrs „verletzlich“ sein kann. Vulnerabilitäten (Verletzlichkeiten) können aufgrund des prognostizierten Klimaszenarios innerhalb der Wertschöpfungsketten der Unternehmen sowie in der Region bestehen. Im Vordergrund der Betrachtung steht seitens der Unternehmen die Beeinträchtigung des reibungslosen Ablaufs des Güterverkehrs und damit auch eine ökonomische Gefahr für diese Unternehmen. Die Sicherstellung des Transports von Gütern unterliegt somit potenzieller Gefährdung durch die zuvor genannten Störeinflüsse. Betroffen können beispielsweise Hafenbetriebe sein, die etwa auf Grund von Sturmfluten und/ oder Stürmen beeinträchtigt werden. Ebenso kann der Containerumschlag durch diese Ereignisse beeinflusst sein, um nur wenige Beispiele für Verletzlichkeiten logistischer Abläufe zu nennen. Ebenfalls zu bedenken ist, dass grundsätzlich nicht nur die Logistikunternehmen selbst, sondern auch die von der Logistik und dem Güterverkehr abhängigen Unternehmen mittelbar betroffen sind. Insgesamt werden die zu erwartenden Vulnerabilitäten des Sektors durch die befragten Unternehmen als relativ gering eingeschätzt, wenngleich die zunehmende Gefahr durch klimatische Großereignisse wie Stürme als durchaus problematisch angesehen wird. Das Cluster Logistik muss folglich auf den Klimawandel reagieren und setzt innerhalb seiner Unternehmen eine Reihe von Maßnahmen um. Maßnahmen Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass die Unternehmen auf sich verändernde Rahmenbedingungen − bedingt durch den Klimawandel − reagieren. Die Umsetzung meist mehrerer Einzelmaßnahmen in den jeweiligen Unternehmen, die zum Klimaschutz beitragen, kann dabei als wichtiger Schritt in die richtige Richtung im Hinblick auf mögliche zukünftige Folgen des Klimawandels betrachtet werden. Eine Reaktion auf klimawandelbedingte Veränderungen erfolgt somit seitens des Clusters bereits. Organisatorische und gebäudebezogene Schritte stehen bei den befragten Akteuren im Vordergrund. Die weiteren Kategorien wie ressourcen-, fahrzeug- und Stromerzeugung für Elektrostapler im GVZ Bremen Umwelt + Ressourcen 46 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 5/ 2010 Abb. 3: Die Metropolregion Bremen-Oldenburg im Nordwesten Quelle: www.nordwest2050.de besteht in der und für die Region Handlungsbedarf in Form von Anpassungsmaßnahmen. Handlungsbedarf für das Cluster - Sensibilisierung Handlungsbedarf besteht zunächst in der weiteren Sensibilisierung des Clusters im Hinblick auf die im Vordergrund stehenden Themen Klimawandel und „grüne“ Logistik. Wie die ISL-Untersuchung ergeben hat, sind diese Themen noch nicht bei allen Akteuren ins Bewusstsein gerückt. Trotz der Krise ist das Thema präsent, wie auch die vom Deutscher Speditions- und Logistikverband e.V. (DSLV) in Auftrag gegebene aktuelle Studie „Grüne Logistik“ des Instituts für Nachhaltigkeit in Verkehr und Logistik (INVL) der Fachhochschule Heilbronn zeigt. Nach Einschätzung des ISL besteht auch Handlungsbedarf seitens der öffentlichen Hand. Hierbei ist insbesondere der Küstenschutz der Region Bremen/ Oldenburg zu verstärken. Der Küstenschutz beinhaltet dabei auch den Schutz von Häfen und damit die Gewährleistung der Aufrechterhaltung des Betriebs der in den Häfen ansässigen Unternehmen. Die seitens der Unternehmen ergriffenen Maßnahmen reichen im Hinblick auf die Auswirkungen der hier untersuchten Störeinflüsse allein nicht aus. Bei den vom Cluster als sehr erheblich eingestuften Störquellen wie etwa Sturmfluten und Überschwemmungen in Folge des Meeresspiegelanstiegs besteht im Fall der Beibehaltung der vorhandenen Küstenschutzmaßnahmen mit großer Wahrscheinlichkeit kein ausreichender Schutz für Unternehmen des Clusters. Prognose und Fazit Eine potenzielle Gefährdung des Clusters Logistik durch Auswirkungen des Klimawandels konnte tendenziell festgestellt werden. Daher bedarf es der erwähnten Anpassungen in der Logistikbranche der Metropolregion Bremen/ Oldenburg sowie der gleichzeitigen Entwicklung weiterer Schritte. Die Untersuchung konnte dabei die Erkenntnisse überregionaler Studien bestätigen, eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Regionen ist daher im Hinblick auf zahlreiche Aspekte möglich. Das ISL gelangt folglich in seiner Prognose zu der Erkenntnis, dass das Cluster berechtigte Chancen hat, dem Klimawandel erfolgreich entgegenzutreten. Die Erwartungen und vielfältigen Aktivitäten der befragten Unternehmen stützen dabei die Einschätzung, setzen aber voraus, dass flankierende Maßnahmen der öffentlichen Hand vor allem im Küstenschutz zeitgerecht ergriffen werden. Eine Anpassung an die möglichen Folgen des Klimawandels muss also von allen wirtschaftlichen und politischen Akteuren gewährleistet sein und durch diese erfolgen. Allein durch die Akteure im Bereich Logistik sind die bevorstehenden Herausforderungen nicht zu bewältigen. Bei einer erfolgreichen Sicherung des Schutzes der Region sowie der Fortführung der von Unternehmen getroffenen Maßnahmen und Innovationen bestehen für das Cluster Logistik auch in wirtschaftlicher Hinsicht weiterhin sehr gute Voraussetzungen. Es gilt, das vorhandene Bewusstsein weiter zu schärfen und die positive Grundstimmung, sich dem Thema zu stellen, weiter zu unterstützen. 1 www.nordwest2050.de 2 Fraunhofer ATL (2009) 3 ISL (2010) Literatur Bearingpoint: Studie „Green Supply Chain“; Hamburg, 2008 Prof. Wittenbrink, P.: BME-Umfrage „Green-Logistics - hohe Bedeutung auch in Krisenzeiten“; Frankfurt, 2009 FC Business intelligence Ltd.: eyefortransport’s Green Transportation & Logistics Report; London, July 2008 Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Technologien der Logistik- Dienstleistungswirtschaft (ATL): Logistikimmobilien in Deutschland; Nürnberg, 2009 Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL): ISL/ BAW-Gutachten „Modellregion Logistik“; im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, in Vorbereitung, Bremen, 2010 Klaus, P.; Hartmann, E.; Kille, C.: „Top 100 in European transport and logistics services“; Ed. 2009/ 2010, Hamburg, 2009 Pricewaterhousecoopers Ltd.: Land unter für den Klimaschutz? Die Transport- und Logistikbranche im Fokus; Frankfurt am Main, 2009 Transport Intelligence Ltd.: Logistics Transport Industry Environmental Survey; Wiltshire (UK), 2008 Lkw-Leitsystem in Bremen
