Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
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Nachhaltige Verbindungen für die WM in Südafrika
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Hans Blankestijn
Anlässlich der Endrunde der 19. Fußball-Weltmeisterschaft vom 11. Juni bis zum 11. Juli 2010 in Südafrika startete die Stadt Johannesburg das ÖPNV-Projekt „Rea Vaya“, um die vielen Fußballfans rasch, sicher und bequem zu den Stadien zu bringen. Das Verkehrssystem umfasst den Aufbau eines komplett neuen Busnetzes, wozu auch ein Schnellverkehrsangebot gehört, basierend auf einem modernen rechnergesteuerten Betriebsleitsystem von Trapeze IST.
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Mobilität + Personenverkehr 45 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 6/ 2010 Fahrgastinformation in Echtzeit an einer BRT-Busstation Hans Blankestijn Nachhaltige Verbindungen für die WM in Südafrika Anlässlich der Endrunde der 19. Fußball-Weltmeisterschaft vom 11. Juni bis zum 11. Juli 2010 in Südafrika startete die Stadt Johannesburg das ÖPNV-Projekt „Rea Vaya“, um die vielen Fußballfans rasch, sicher und bequem zu den Stadien zu bringen. Das Verkehrssystem umfasst den Aufbau eines komplett neuen Busnetzes, wozu auch ein Schnellverkehrsangebot gehört, basierend auf einem modernen rechnergesteuerten Betriebsleitsystem von Trapeze IST 1 . Der Autor Hans Blankestijn, Sales International, Trapeze ITS Switzerland GmbH, Neuhausen (Schweiz); hans.blankestijn@trapezeits.com. S üdlich der größten südafrikanischen Stadt Johannesburg erstreckt sich die Provinz Gauteng. Sie ist zwar die flächenmäßig kleinste der neun Provinzen Südafrikas, weist aber die größte Bevölkerungsdichte auf. Gauteng ist eines der zentralen Austragungsgebiete der Fußballweltmeisterschaft mit gleich drei Stadien (eins in Pretoria, zwei in Johannesburg). Südafrika ist stolz auf „seine“ Weltmeisterschaft - die größte Sportveranstaltung, die je auf dem afrikanischen Kontinent ausgetragen wurde. Das Land investiert beträchtliche Summen in die Infrastruktur wie neue Stadien, Hotels und Flughafenerweiterungen sowie in den öffentlichen Personenverkehr (ÖPV). In Johannesburg startete Anfang 2009 das Projekt „Rea Vaya“ („wir bewegen uns“, www.reavaya.org.za). Ziel ist der Aufbau des umfangreichsten Bus Rapid Transit (BRT)-Systems des Kontinents, basierend auf einem rechnergesteuerten Betriebsleitsystem (ITCS) des Schweizer Unternehmens Trapeze ITS, Neuhausen. Daneben ist auch die südafrikanische Questek Transit Technologies am Aufbau des ITCS beteiligt. Gemäß dem Department of Transport von Gauteng ist das neue BRT- System auch nach der WM unerlässlich für einen gut funktionierenden ÖPNV rund um Johannesburg. Die Provinzregierung will eine Verbindung schaffen zwischen den Basisnetzen des Straßensowie Schienenverkehrs und den Verkehrsknoten. Als Mittel dazu dient ihr ein rationalisiertes und regional integriertes Verkehrssystem, das den Straßen-, Schienen-, Flugverkehr sowie die Logistik umfasst. Das darin integrierte BRT-System beruht auf lateinamerikanischen Vorbildern, wo man unter ähnlichen Voraussetzungen bereits viele Erfahrungen sammeln konnte. ÖPNV wird schneller und günstiger „Rea Vaya“ vereinheitlicht Design, Betrieb, Implementierung, Management und Überwachung aller straßen- und schienengebundenen ÖPNV-Dienste. Das in Südafrika erstmals eingesetzte ITCS-Betriebsleitsystem fokussiert dabei auf Fahrdienstplanung und Flottenmanagement. Als Systemintegrator steuert Trapeze ITS auch die Schnittstellen zu bereits bestehenden Komponenten wie Lichtsignalbeeinflussung (Ampelvorrangschaltung) oder Fahrgastinformation an Haltestellen und in den Bussen. Zentral ist die Integration von Fahrplan und Fahrgeldmanagement: Ein Pendler braucht nur noch einen einzigen Fahrschein, um eine Vielzahl unterschiedlicher ÖPNV-Angebote nutzen zu können. Zudem erweitert „Rea Vaya“ das Verkehrsnetz und erhöht den Fahrplantakt deutlich. Das Rückgrat des Systems bilden spezielle Busspuren in der Fahrbahnmitte, auf denen Langstreckenbusse mit einer Kapazität für 100 Passagiere verkehren. Mit den Schnellbuslinien verbunden sind Zubringerstrecken mit kleineren Bussen (70 Passagiere) sowie spezielle Buslinien durch das Stadtzentrum, die den Privatverkehr reduzieren und die City aufwerten sollen. Parkplätze und Fußgängerbrücken ergänzen das Verkehrssystem. Videokameras und andere Installationen erhöhen zudem die Sicherheit; bisherige Verkehrsmittel boten kaum Schutz vor Überfällen. Bereits mit der ersten Ausbaustufe im vergangen Jahr ermöglichte „Rea Vaya“ auf über 25 km Strecke freie Fahrt für die Busse in und um Johannesburg. Der erste Bus fuhr im August 2009 von den Townships bei Soweto nach Johannesburg - heute befördert die Linie täglich zwischen 12 000 und 16 000 Passagiere. Bis zur Fußballweltmeisterschaft kommen weitere 65 km hinzu, eingeschlossen die Linien zu den Stadien und Trainingsorten. Speziell für die Weltmeisterschaft installiert das Department of Transport auch eine Leitstelle, um den Betriebszustand zu überwachen Foto: Institute for Transportation and Development Policy/ Aimee Gauthier Mobilität + Personenverkehr 46 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 6/ 2010 und bei Problemen rasch reagieren zu können. Region profitiert über die WM hinaus Das Netz von „Rea Vaya“ umfasst heute 97 Stationen, fünf Busterminals und vier Depots. Von den insgesamt 1200 geplanten Schnellbussen sind die ersten 143 vom schwedischen Hersteller Scania (Fahrwerk) und dem brasilianischen Aufbautenspezialisten Marco Polo im Einsatz. Der Ausbau des Fuhrparks wird über die Weltmeisterschaft hinaus fortgesetzt und ist notwendig, um den Verkehrsfluss im ÖPNV zu verbessern, so dass er wesentlich attraktiver wird als der Individualverkehr. Zurzeit sind die Ballungsräume noch geprägt durch wachsende Fahrzeugzahlen, verbunden mit zahlreichen Unfällen, einer großen Abgasbelastung und häufigen Verkehrsstaus vor allem in den Morgen- und Abendstunden. Die Situation ist besonders zugespitzt, da nicht weniger als 98 % der 11,3 Mio. Einwohner der Provinz Gauteng in Städten leben. Der öffentliche Verkehr ist schlecht ausgebaut, die Qualität sinkt laufend. Er wird betrieben durch viele unkoordiniert arbeitende Verkehrsunternehmen, darunter zahlreiche private Minibus-Taxiunternehmen, einige öffentliche Busunternehmen sowie eine U-Bahn. Viele Straßen- und Schienenfahrzeuge sind veraltet, weitere Investitionen bleiben aus. Überfüllte Verkehrsmittel, schlechter Service und Sicherheitsmängel sind die Folgen. Es wird angenommen, dass in Gauteng 85 % aller den ÖPNV nutzenden Pendler bei jeder Fahrt mit mehr als einem Verkehrsbetreiber reisen. Aufgrund verpasster Anschlüsse, nicht zusammenhängender Fahrpläne und unterschiedlicher Informationssysteme kommt es regelmäßig zu gravierenden Verspätungen. Zudem verfügt jeder Verkehrsbetreiber über ein anderes Fahrgelderhebungssystem, wodurch sich die Kosten für die Pendler verdoppeln. Derzeit geben etwa 70 % der Pendler in ganz Südafrika - was einer Zahl von mehr als 29 Mio. Menschen entspricht - bis zu 40 % ihres Haushaltseinkommens für Verkehrsleistungen aus. Die international akzeptierte Norm liegt bei maximal 5 %. Noch ist geplant, dass auch der Schnellzug Gautrain zur Weltmeisterschaft den Betrieb aufnimmt. Der Gautrain soll über eine 80 km lange Schienenstrecke mit zehn Stationen den Flughafen Johannesburgs mit der Stadt und Pretoria verbinden. Nach der Weltmeisterschaft ist das Projekt „Rea Vaya“ noch nicht abgeschlossen. Bis 2013 ist eine Erweiterung des BRT-Systems auf 122 km Streckenlänge vorgesehen mit 150 BRT-Stationen und einer Kapazität für 430 000 Passagiere pro Tag. Auch Kapstadt, Tshwane (Pretoria), eThekwini (Durban) und Bloemfontein sollen eingebunden werden. Damit wird der Grundstein gelegt für einen nachhaltigen Umgestaltungsprozess, der das Bild des öffentlichen Personenverkehrs in Südafrika verändern und die Region langfristig stark aufwerten soll: einerseits durch die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung, andererseits durch die wesentlich bessere Qualität von Luft und Umwelt. 1 Trapeze ITS ist ein weltweit führender Anbieter von durchgängigen Lösungen für Betriebsleittechnik, Fahrgastinformation und Unternehmenssteuerung im ÖPNV. Das Unternehmen entstand im November 2009 aufgrund der Übernahme des Segments Public Transit Solutions der Continental AG durch die Trapeze-Gruppe, eine Tochter der kanadischen Constellation Software Inc. Bus Rapid Transit (BRT) Bus Rapid Transit (BRT)-Systeme, auch bekannt als Busway, sollen vor allem einen schnelleren und effizienteren Service bieten als herkömmliche Bussysteme. Vorreiter waren die großen Städte Lateinamerikas, in denen der Individualverkehr aufgrund des rapiden Bevölkerungswachstums stark anstieg, während die Investitionen in den Schienenverkehr beschränkt blieben. BRT-Systeme füllen diese Lücke, indem sie bezüglich Pünktlichkeit und Frequenz die Servicequalität des Schienenverkehrs erreichen - umgekehrt jedoch wesentlich flexibler und kostengünstiger sind. Heute existieren weltweit bereits rund 40 BRT-Systeme - 80 weitere sind in Planung, darunter auch in London und New York. BRT-Systeme bestehen meist aus mehreren Hauptachsen, die von Fernverkehrsbussen mit großer Kapazität in einem schnellen Takt befahren werden. Oft verkehren die Busse dabei auf einer eigenen Busspur mit freier Fahrt, wodurch eine Geschwindigkeit von 30 bis 50 km/ h erreicht wird - dies ist durchaus vergleichbar mit überirdischen Light Rail Transit (LRT)-Systemen. Zur Geschwindigkeit trägt auch die rechnergestützte Vorrangschaltung an Ampeln bei. Fahrgelderhebung an den Haltestellen und ebenerdige Zugänge (Hochflureinstiege oder Niederflurfahrzeuge) reduzieren die Fahrzeugzeit an den Haltestellen. Vorbild Lateinamerika Busterminal am Gandhi Square in der City von Johannesburg Foto: Questek Minibus-Taxis in Johannesburg - die bisher vorherrschende Form des ÖPNV Foto: Institute for Transportation and Development Policy/ Aimee Gauthier
