eJournals Internationales Verkehrswesen 62/7-8

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0093
71
2010
627-8

Fahrgastpolitik

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2010
Martin Schiefelbusch
Der Kunde ist nach einem viel zitierten Sprichwort „König“ (oder Königin). Auch nach der Grundidee der Marktwirtschaft wetteifern die Anbieter von Gütern und Dienstleistungen um die Käufer. Doch von diesem Ideal sind in der Realität oft Abstriche zu machen. Im öffentlichen Verkehr sind die Einschränkungen dieses Modells besonders groß: Hier haben wir es nicht nur mit einem meist gesetzlich geschützten Anbietermonopol zu tun, sondern auch mit starken politischen Einflüssen, die das Angebot direkt und indirekt bestimmen. Wie können sich die Kunden beteiligen, um im Sinne einer „Fahrgastpolitik“ Einfluss zu nehmen?
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Mobilität + Personenverkehr 18 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Abb. 1: Politikzyklus nach Howlett/ Ramish (1995) Martin Schiefelbusch Fahrgastpolitik Mitgestaltung des öffentlichen Verkehrs durch seine Nutzer Der Kunde ist nach einem viel zitierten Sprichwort „König“ (oder Königin). Auch nach der Grundidee der Marktwirtschaft wetteifern die Anbieter von Gütern und Dienstleistungen um die Käufer. Doch von diesem Ideal sind in der Realität oft Abstriche zu machen. Im öffentlichen Verkehr sind die Einschränkungen dieses Modells besonders groß: Hier haben wir es nicht nur mit einem meist gesetzlich geschützten Anbietermonopol zu tun, sondern auch mit starken politischen Einflüssen, die das Angebot direkt und indirekt bestimmen. Wie können sich die Kunden beteiligen, um im Sinne einer „Fahrgastpolitik“ Einfluss zu nehmen? Der Autor Dr. Martin Schiefelbusch MA MSc, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Bereichsleiter Raum, Demografie, Mobilität, nexus Institut für Kooperationsmanagement und interdisziplinäre Forschung GmbH, Berlin; schiefelbusch@nexusinstitut.de 1 Ungleiche Kräfteverhältnisse im Gestaltungsprozess Nach der klassischen Arbeit des amerikanischen Ökonomen Albert Hirschman 1 sind „exit“ (die Wahl eines anderen Produkts oder Anbieters) und „voice“ (das Artikulieren von Unzufriedenheit) die wesentlichen Mittel für Verbraucher, ihre Meinung und Erwartungen zum Ausdruck zu bringen. Für die Kunden des öffentlichen Verkehrs (ÖV) entfällt jedoch oft die Möglichkeit, durch Wahl eines anderen Anbieters Unzufriedenheit mit der Leistung des bisherigen Dienstleisters auszudrücken, da Verkehrsleistungen vielfach durch - öffentliche oder private - Unternehmen erbracht werden, die durch die Marktverfassung eine Monopolstellung erhalten. Andererseits war und ist der politische Einfluss auf die Anbieter stärker und umfassender als in vielen anderen Bereichen: Auf politischem Wege wird über Zuschüsse entschieden, der intermodale Wettbewerb gestaltet und auch durchaus in die Fahrplan-, Tarif- und Liniengestaltung eingegriffen. Die Reformen der letzten Jahre hier eine weitere Facette hinzugefügt: Mit der Vergabe im Wettbewerb werden die öffentlichen Aufgabenträger zu den wichtigsten Geschäftspartnern der Verkehrsunternehmen, da ihre Zuschüsse in der Regel den größten einzelnen Einnahmeposten darstellen. Die Nutzer könnten daher versuchen, über die Politik das Angebot in ihrem Sinne zu beeinflussen. Dabei stoßen sie jedoch auf das Problem, einen indirekten und zeitaufwendigen Weg beschreiten zu müssen, der sich zudem mit den Interessen der Politik als Eigentümer von Verkehrsunternehmen oft nicht verträgt. Auch der Einsatz von „voice“ ist angesichts der Verflechtungen zwischen Politik und Anbietern nicht ohne weiteres wirksam. Der folgende Text geht der Frage nach, wie die Nutzer des ÖV angesichts dieser Randbedingungen ihre Wünsche zum Ausdruck bringen können. Dabei ist es sinnvoll, die Fahrgastinteressen im Hinblick auf ihre Verortung im Prozess der Angebotsentwicklung und -umsetzung zu differenzieren. Vier Phasen sind dabei zu unterscheiden: 2 ̇ Auf der politischen Ebene werden die Rahmenbedingungen für den öffentlichen Verkehr gesetzt und strategische Entscheidungen getroffen. ̇ In der Planung des Angebots werden Konzepte für die zu erbringende Leistung entwickelt und ihre Umsetzung detailliert vorbereitet. ̇ Die Produktion der Verkehrsleistung im täglichen Betrieb setzt diese Vorgaben um, wobei als zentraler Teil der Angebotsqualität Abweichungen vom geplanten Zustand gering zu halten sind. ̇ In der Praxis sind Schwierigkeiten jedoch nicht auszuschließen; damit stellt sich die Frage, wie mit Problemen, die aus Qualitätsmängeln entstehen, umzugehen ist. Auf jeder dieser Ebenen stehen unterschiedliche Fragen zur Entscheidung an und unterschiedliche Ansatzpunkte für eine Artikulation von Kundeninteressen zur Verfügung. Die Überlegungen in diesem Beitrag konzentrieren sich auf die politische Ebene. Ergänzend wird auf einige Grundfragen zur Bürgerbeteiligung in Planungsprozessen des ÖV eingegangen. 3 Besondere Herausforderungen für die Artikulation von Fahrgastinteressen liegen dabei in folgenden Charakteristika der Verkehrspolitik: ̇ die Grundlagenfunktion von Mobilität mit zahlreichen Bezügen zu anderen Politikfeldern, ̇ die vielfältigen Auswirkungen des Verkehrs auf Menschen und Umwelt, ̇ das Auseinanderfallen von Verursachern und Betroffenen sowie die unterschiedliche Internalisierung dieser Effekte, ̇ die in der Fachdiskussion oft ignorierten oder rationalisierten psychischen, physiologischen und sozialen Dimensionen der Mobilität, ̇ die starke bis dominierende Stellung des (motorisierten) Individualverkehrs (MIV) auf den Verkehrsmärkten. Fahrgastinteressen auf der politischen Ebene zu vertreten bedeutet daher vor allem, trotz - oder wegen - dieser Randbedingungen, das Interesse der Entscheider am öffentlichen Verkehr zu wecken, zu erhalten und zu fördern. 2 Politik als Prozess Politikgestaltung vollzieht sich in einem Zyklus (Abbildung 1), der sich unter anderem aus dem Erleben der gegenwärtigen Situation speist. In der Problemwahrneh- Mobilität + Personenverkehr 19 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 mung, wie der Reaktion darauf, gibt es allerdings fast immer Unterschiede in der Bewertung der Situation wie der Handlungsmöglichkeiten, die u. a. durch unterschiedliche inhaltliche Vorstellungen bedingt sind. Daraus ergeben sich drei grundsätzliche Ansatzpunkte, um die Politikgestaltung zu beeinflussen: ̇ die Wahrnehmung von Problemen, ̇ das Entwickeln und Bewerten von Lösungsalternativen und ̇ die Einflussnahme auf grundsätzliche Wertvorstellungen. Politikgestaltung ist somit letztlich ein Aushandlungsprozess, bei dem konsensbzw. mehrheitsfähige Positionen gefunden werden müssen. Dabei spielen einerseits die Machtverhältnisse, andererseits die kommunikativen Fähigkeiten der Beteiligten eine Rolle. Dieser Prozess vollzieht sich entlang bestimmter formaler Schritte (s. u.), zugleich aber auch im informellen Dialog zwischen den Beteiligten. Für eine erfolgreiche Mitsprache ist es erforderlich, sich beider Bereiche bewusst zu sein und soweit möglich beide zu nutzen. Organisationen, die Fahrgastinteressen vertreten, tun dies normalerweise parteiübergreifend. Mitgliedschaften ihrer Angehörigen in Parteien oder Parlamenten sind ebenfalls eher zufällig und spielen in der Arbeit der Organisation eine nachrangige Rolle. Fahrgastorganisationen stehen somit außerhalb des engeren politischen Systems (Abgeordnete, Regierungsmitglieder, Parlamentsmitarbeiter). Damit besteht eine grundsätzliche Herausforderung darin, dass sie einerseits die Arbeit dieses Systems mitgestalten möchten, andererseits nur begrenzt in dessen Abläufe eingebunden sind. Der informelle Dialog erhält so besondere Bedeutung. Im folgenden Abschnitt werden zunächst politische Verfahren vorgestellt, die auch „Außenstehenden“ eine Mitwirkung erlauben, bevor auf informelle Teilnahmemöglichkeiten (Lobbyarbeit) eingegangen wird. 3 Instrumente 3.1 Politische Verfahren Parlament und Regierung kommen im demokratischen Politikbetrieb zentrale Bedeutung zu. Das Idealmodell einer frei von äußeren Einflüssen stattfindenden Willensbildung der Abgeordneten wird indes nicht nur durch Lobbying erheblich modifiziert, auch die parlamentarischen Verfahren selbst bieten durchaus Möglichkeiten einer „geordneten“ Einflussnahme durch Interessengruppen. Die folgende Aufzählung strebt weder Vollständigkeit an noch soll damit der Eindruck erweckt werden, diese Möglichkeiten stünden uneingeschränkt überall zur Verfügung. Vielmehr muss dies angesichts der im Detail sehr unterschiedlichen Regelungen auf den verschiedenen Ebenen (Bund, Länder, Gemeinden) und zwischen verschiedenen Regionen anhand der jeweils gültigen Bestimmungen (etwa den Gemeindeordnungen der Bundesländer) überprüft werden. ̇ Petitionen sind ein Grundrecht, das Einzelpersonen wie Organisationen gleichermaßen offensteht. 4 Eine inhaltliche Auseinandersetzung durch die zuständigen parlamentarischen Ausschüsse ist insofern sichergestellt, dies umfasst auch Recherchen und Konsultationen mit weiteren Akteuren. Petitionen werden oft als „letztes Mittel“ verstanden, wenn andere Formen der Einflussnahme nicht erfolgreich waren. ̇ Eine ähnliche Funktion erfüllen auch Bürgerbeauftragte bzw. Beauftragte für die Belange bestimmter Gruppen. 5 ̇ Volksbzw. Bürgerbegehren und -entscheide können auch für verkehrspolitische Fragen genutzt werden. Neben den formellen Bedingungen ist zu bedenken, dass nur Parlament, Regierung und Verwaltung als Adressaten solcher Begehren in Frage kommen. Verkehrsunternehmen oder Zweckverbände mit eigener Rechtspersönlichkeit können nur indirekt angesprochen werden, indem die Exekutive zu einem bestimmten Handeln ihnen gegenüber verpflichtet wird. Für ein solches Begehren ist eine Mindestanzahl an Unterschriften von Unterstützern erforderlich, deren Sammlung Ausdauer und Kapazitäten erfordert. Dieses Instrument eignet sich daher am ehesten für Grundsatzfragen oder andere Themen, für die ein breites Interesse zu erwarten ist. ̇ Die Anerkennung als „Sachkundige Bürger“ bietet Einzelpersonen (die aber auch Interessengruppen angehören können) die Möglichkeit, mit beratender Stimme an politischen Prozessen teilzunehmen. Im Unterschied zum informellen Austausch geschieht dies hier mit Rederecht bzw. auf Einladung, um Fachwissen oder Positionen in die Debatte einfließen zu lassen. Besonders auf kommunaler Ebene ist dies interessant, da einerseits separate Anhörungen zu bestimmten Themen weniger verbreitet sind, andererseits die Politikgestaltung oft auf ehrenamtlicher Tätigkeit beruht, die weniger auf eigenes Fachwissen und Recherchemöglichkeiten zurückgreifen kann. ̇ Die Teilnahme an parlamentarischen Anhörungen bietet dagegen Verbänden die Möglichkeit, ihren Standpunkt zu vertreten. Eine entsprechende Einladung sollte in jedem Fall genutzt werden, zumal solche Veranstaltungen auch eine gute Öffentlichkeitswirksamkeit und die Möglichkeit zu weiterführenden Kontakten bieten. Anhörungen finden auch im Rahmen von Planungsverfahren statt. Um eingeladen zu werden, müssen Organisationen aber formell oder durch vorherige Überzeugungsarbeit anerkannt sein. ̇ Parlamentarische Anfragen können in der Regel nur von Abgeordneten bzw. Fraktionen gestellt werden. Bestehen entsprechende Kontakte, können externe Organisationen jedoch durchaus Anregung dazu geben. Parlamentarier können dies nutzen, um sich zu profilieren, gerade wenn die Frage auf ein politisch aktuelles oder brisantes Thema zielt. Nicht selten haben Anfragen auch eine Kontrollfunktion gegenüber Regierung und Verwaltung. Interessant ist auch die Möglichkeit, damit Informationen zu erhalten und öffentlich zu machen, die sonst nicht oder nur mit hohem Aufwand zu beschaffen sind. ̇ Eine Mitwirkung in Beiräten bietet eine dauerhafte und daher relativ umfassende Mitsprachemöglichkeit. Häufigster Typ im öffentlichen Verkehr sind die sogenannten „Fahrgastbeiräte“, die oft bei Verkehrsunternehmen, zum Teil aber auch bei den Aufgabenträgern und Kommunen, eingerichtet sind. Unabhängig von einer direkten Teilnahme von Fahrgastorganisationen bieten diese Verfahren durch ihre Dokumentation (in Presseberichten, aber auch Sitzungsprotokollen, Jahresberichten u. ä.) einen Nutzen als Informationsquelle, der auch für die informelle Lobbyarbeit wichtig ist. 3.2 Lobbyarbeit 6 Lobbying wird in der deutschen Öffentlichkeit oft negativ wahrgenommen und mit intensiver Einflussnahme zur Durchsetzung „egoistischer“ Positionen bis hin zur Korruption assoziiert. Ansprüche an die Politik zu formulieren ist jedoch zunächst einmal legitim und in einer Demokratie auch außerhalb des Parteiensystems nicht zu verhindern. Daher ist ein breites Bewusstsein über Lobbyingaktivitäten und eine offene Diskussion über seine nötigen Grenzen sinnvoller als eine Tabuisierung. Hauptinstrument des Lobbying ist der informelle Dialog, der sich nicht auf Abgeordnete beschränken muss, sondern auch ihre Mitarbeiter und die der Verwaltung einschließen sollte. Dabei ist Fachwissen sehr hilfreich, um angesichts des komplexen Zuständigkeitsgeflechts die richtigen Ansprechpartner zu finden. Ein effizienter Mitteleinsatz ist für Verbraucherorganisationen angesichts der deutlich besseren Ausstattung der Lobbyorganisationen der Anbieter umso wichtiger. Den zweiten Schwerpunkt stellt die Öffentlichkeitsarbeit dar, bei der wiederum unterschiedliche Instrumente zum Einsatz kommen können: Pressemitteilungen, Pressekonferenzen, Thesenpapiere und andere ausführlichere Dokumente, Unterschriftensammlungen, Demonstrationen und ähnliche Aktionen. Gemeinsames Ziel ist letzten Endes, öffentliche Aufmerksamkeit zu finden, Unterstützung zu gewinnen und so die politische Meinungsbildung zu beeinflussen. Beide Bereiche lassen sich kaum trennen. Wichtig ist in jedem Fall ein abgestimmter Einsatz der verschiedenen Instrumente. Für erfolgreiche Lobbyarbeit lassen sich leider kaum einfache Regeln aufstellen. Letztlich handelt es sich um eine Überzeugungsaufgabe, deren Erfolgsaussichten vom Thema (Qualität der Argumente), von der Art ihrer Vermittlung und den verfügbaren Ressourcen abhängen. Dabei ist der Professionalisierungsgrad auf Seiten Mobilität + Personenverkehr 20 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 der Politiker wie der Lobbyisten auf den verschiedenen Ebenen durchaus unterschiedlich. Als grundsätzliche Anforderungen können aber gelten: ̇ Aktualität ̇ Fachliche Kompetenz ̇ Koordinationsfähigkeit ̇ Strategisches Bewusstsein ̇ Persönlichkeit. Insgesamt sind somit zum einen Fachwissen, andererseits kommunikative Fähigkeiten und Reflexionsvermögen erforderlich, um wirksam an der politischen Diskussion teilnehmen zu können. 3.3 Beteiligungsinstrumente in der Angebotsplanung Neben den auf der politischen Ebene entschiedenen Fragen vollzieht sich die Planung öffentlicher Verkehrsangebote in unterschiedlichen Teilaufgaben, die teils von politiknahen Einrichtungen (Ministerien, Ämter, Aufgabenträger), zum Teil von gewerblichen Akteuren (insbesondere den Verkehrsunternehmen) bearbeitet werden. Das Geflecht der Aufgabenverteilung ist nicht leicht zu durchschauen 7 , die Zuständigkeiten sind aber in den meisten Fällen eindeutig geregelt. Für viele Planungsaufgaben (z. B. Vergabe von Verkehrsleistungen im Wettbewerb, Planfeststellung) bestehen dabei gesetzlich oder anderweitig weitgehend festgelegte Vorgehensweisen. Partizipation meint im Kontext von Planungsfragen die „Teilnahme der Öffentlichkeit an planungsrelevanten Entscheidungsvorgängen“ 8 ; als Kurzbegriff hat sich im deutschen Sprachraum „Bürgerbeteiligung“ etabliert. Mit ihr werden unterschiedliche Ziele verbunden, die sich grob in zwei Gruppen einteilen lassen: die Gewinnung von Informationen und Anregungen aus Sicht der Beteiligten (Kreativitätsgewinn) und das Vermitteln der Planungsziele einschließlich der Diskussion und Beilegung damit verbundener Konflikte (Akzeptanzförderung) 9 . Beide Zielbereiche dienen letztlich einer besseren Qualität und Effizienz des Planungsprozesses. Im Kontext der ÖV-Angebotsentwicklung gliedern sich Beteiligungsmöglichkeiten in drei grundsätzliche Verfahrensweisen (siehe auch Abbildung 2): ̇ Für bestimmte Planungsaufgaben ist eine sogenannte „formelle Bürgerbeteiligung“ zwingend vorgeschrieben. Damit sind in der Regel auch Beteiligte und Vorgehensweise weitgehend vorbestimmt. Die zu erörternden Vorhaben, sind bereits detailliert ausgearbeitet. Oft beschränkt sich die Beteiligung auf eine „Anhörung“ der Betroffenen und wird genutzt, um Einwände geltend zu machen. Über den Umgang mit dem Beteiligungsergebnis entscheiden dann wiederum die für das Projekt verantwortlichen Stellen und ggf. die Verwaltungsgerichte. Im Ergebnis wird eine solche Bürgerbeteiligung vor allem seitens der beteiligten Experten oft eher als Stör- und Verzögerungsfaktor wahrgenommen. 10 ̇ Informelle Beteiligungsverfahren zielen dagegen auf Austausch, Verständigung, gemeinsames Erarbeiten von Ideen und Beilegen von Meinungsverschiedenheiten. 11 Die zur Anwendung kommenden Verfahren 12 weisen dabei durchaus einen strukturierten Ablauf auf, die Bezeichnung „informell“ verweist auf die Tatsache, dass eine Durchführung solcher Verfahren weder an sich noch hinsichtlich ihres Ablaufs vorgeschrieben ist. Insgesamt ist informelle Beteiligung vielfältig einsetzbar. Da sie außerhalb des geregelten Planungsablaufs stattfindet, ist allerdings auch die Verwendung ihrer Ergebnisse offen. ̇ Als dritter Weg der Beteiligung steht auch für Planungsfragen der informelle Dialog - in diesem Fall mit den fachlich beteiligten Akteuren - zur Verfügung. In der Praxis ist eine Anwendung mehrerer dieser Beteiligungsstrategien ebenso verbreitet wie von Zwischenformen. Zugleich ist aber zu betonen, dass eine Mitwirkung der Öffentlichkeit oder zivilgesellschaftlicher Organisationen in vielen ÖV-spezifischen Verfahren nicht vorgeschrieben ist und auch informelle Partizipationsverfahren nicht zur täglichen Praxis gehören. 13 Um so größere Bedeutung kommt daher weiter dem informellen Dialog durch engagierte Einzelpersonen und bürgerschaftliche Initiativen zu. 4 Herausforderungen für die „Fahrgastpolitik“ Auch planerische Beteiligungsverfahren bieten keine Gewähr dafür, dass die Wünsche der Fahrgäste oder irgendeiner anderen Gruppe vollständig akzeptiert werden, sondern sie stellen ein Forum bereit, die verschiedenen Erwartungen einzubringen und an einer gemeinsam getragenen Lösung mitzuwirken. Auch hier sind also kommunikative und argumentative Fähigkeiten, insbesondere bei der Arbeit in Gruppen 14 , von Vorteil, um mit der Vielfalt der Erwartungen produktiv umgehen zu können. Eine weitere Herausforderung liegt in der Ausgangslage der Lobbyarbeit für den öffentlichen Verkehr. Zwischen der Dominanz des MIV und den eher begrenzten Möglichkeiten der Interessenvertretung für den ÖV besteht zweifellos ein Zusammenhang, der leicht zu einer „Motivationsbremse“ für ein solches Engagement werden kann. Andererseits ist Motivation zur Überwindung dieser Situation nötig. Hiermit muss auch Lobbyarbeit in diesem Bereich umgehen. Sie kann und sollte versuchen, die Problemwahrnehmung der Entscheider zu verändern, braucht dazu allerdings in der Regel Ausdauer und Geduld. Dies ist umso kritischer, als diese Arbeit meist aus Interesse an der Sache - und mit entsprechendem Idealismus - erbracht wird. Für den öffentlichen Verkehr gilt dies angesichts der oft eher lokal agierenden Fahrgastinitiativen in besonderem Maße. Eine lokale Ausrichtung ist auch insofern von Nachteil, als viele Fragen, insbesondere zu den finanziellen und rechtlichen Randbedingungen, inzwischen auf höheren politischen Ebenen entschieden werden. Bei lokalen Organisationen spielen inhaltliches Interesse und Engagement der Mitglieder eine entsprechend größere Rolle. Auch damit ist eine sinnvolle Lobbyarbeit möglich, wenn es gelingt, Defizite der materiellen Ausstattung durch fachliche und kommunikative Fähigkeiten zu kompensieren. Dazu sollten zunächst die eigenen Erfahrungen und die von den Aktiven eingebrachten Fähigkeiten erschlossen werden. Kommunikative und soziale Kompetenzen können außerdem auf Seminaren vermittelt werden, die von den Trägern politischer Bildungsarbeit veranstaltet werden und sich zum Teil direkt an ehrenamtliche Organisationen richten. Kritisch kann vor diesem Hintergrund auch die oben unter „strategisches Bewusstsein“ angedeutete Notwendigkeit sein, das eigene Anliegen zu reflektieren und in Relation zu anderen zu setzen. Zwar gilt in der Außendarstellung oft die (ungeschriebene) Regel, den eigenen Standpunkt plakativ und werbend zu vertreten (wozu u. a. der Hinweis gehört, dies sei auch im Interesse der Allgemeinheit), unrealistische Forderungen tragen jedoch nicht dazu bei, in der Debatte ernst genommen zu werden. Für Fahrgastvertreter bedeutet dies etwa, auf die Frage „und wie sollen wir das finanzieren? “ vorbereitet zu sein und notfalls auch Vorschläge machen zu können, an welchen Stellen geforderte Mehrleistungen durch „relativ verträgliche“ Einsparungen ausgeglichen werden können. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion ist auch von Nutzen, wenn es darum geht, Verbündete für das eigene Anliegen zu finden. Die Belange der ÖV-Nutzer werden nicht nur von Fahrgastverbänden im engeren Sinne vertreten, sondern auch von Abb. 2: Grundtypen partizipativer Prozesse (eigene Darstellung) Mobilität + Personenverkehr 21 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 for urban development in central and eastern European cities, Berlin: Selbstverlag. Falkemark, G. (1999): Is and ought in Swedish traffic planning, in: Andersson-Skog, L.; Krantz, O. (Hg): Institutions in the transport and communications industries. Canton (Mass.): Science history publications. Fürst, D.; Scholles, F.; Sinning, H. (1998): Partizipative Planung in: http: / / www-user.tu-chemnitz.de/ ~koring/ quellen/ paed01/ kreativitaets-techniken/ ptm_part.htm#bezug (zuletzt Apr. 2007). Hippel, E. von (2001): Präventiver Verbraucherschutz: Vorbeugen ist besser als Heilen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B24/ 200. Hirschman, A. O. (1970): Exit, voice, and loyalty. Responses to decline in firms, organizations, and states. 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Berlin (unveröffentlicht). aber auch die Kreativität der Beteiligten wecken, die zu neuen und unerwarteten Ideen, in anderen Fällen wenigstens zu größerem Verständnis von Planungsentscheidungen führen. Schließlich kann Bürgerbzw. Nutzerbeteiligung der Meinung der Betroffenen Stimme und Gewicht geben, wenn unterschiedliche Sichtweisen zur Diskussion stehen. 1 Hirschman (1970) 2 ausführlicher zu dem hier nur kurz skizzierten Verhältnis der Kunden und Anbieter im ÖV und zu den vier Ebenen siehe etwa Schiefelbusch (2004 und 2009) 3 zur Produktions- und Praxisebene vgl. Kapitel 2 und 3 in Schiefelbusch/ Dienel (2009) 4 Näheres siehe etwa Deutscher Bundestag (o. J.) 5 vgl. zu Beauftragten Hopp (1993) 6 zu diesem Abschnitt vgl. Ebbers (2005); Kleinfeld/ Willems/ Zimmer (2007); Leborgne (2005); Schuster (1996); als Beispiel anon (2007) 7 vgl. Ebbers (2005), Karl (2002) 8 Fürst (1998), S. 6 9 ausführlich siehe Bodensteiner/ Neugebauer (2009), S. 166 f 10 vgl. Reinert (2005) 11 vgl. Schmithals (2009), S. 192 f 12 Verfahrens- und Beispielsammlungen etwa Apel (1998); European Academy for the Urban Environment (2000); Kelly u. a. (2005); Lackner (1999); Schmithals (2009) 13 vgl. Bodensteiner (2009), S. 179 f 14 vgl. Bodensteiner/ Neugebauer (2009), S. 175 f 15 vgl. Jansen (2009), S. 206 f 16 vgl. etwa Burger (2006); Falkemark (1999), S. 312; Hippel, von (2001) 17 ausführlich dazu vgl. Schiefelbusch (2005), Schiefelbusch/ Fliegel (2006) 18 als Beispiel für solche Effekte vgl. Kamphausen (1999); Emmerson (2005) Für Anregungen, insbesondere zu Abschnitt 3, danke ich Christian Bodensteiner, Holger Jansen und Heike Walk. Literatur Apel, H. (Hg.) (1998): Wege zur Zukunftsfähigkeit - ein Methodenhandbuch, Arbeitshilfen für Selbsthilfe- und Bürgerinititativen Nr. 19. Bonn: Stiftung Mitarbeit. Bodensteiner, C. (2009): Beteiligung bei der Erstellung eines Nahverkehrsplans (Kap. 4.4.1), in: Schiefelbusch, M.; Dienel, H.-L. (Hg.): Kundeninteressen im öffentlichen Verkehr. 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Während Unternehmens- und auch Arbeitnehmerinteressen in der Regel durch gut ausgestattete Organisationen vertreten werden, die einen entsprechenden Kompetenzaufbau betreiben können, ist dies bei Verbraucherinteressen deutlich weniger der Fall. 16 Dies führt zur Frage, wer eigentlich „die Fahrgastinteressen“ vertritt. Hier bietet sich eine Unterscheidung an zwischen Interessierten, die sich als Angehörige von Verbänden engagieren, und „Laien“, die ohne Anbindung an eine solche Organisation in Beteiligungsverfahren oder Gremien wie Fahrgastbeiräten mitarbeiten. In der Realität mischen sich die Angehörigen beider Gruppen durchaus, ebenso wie ein Wechsel von der einen zur anderen Gruppe möglich ist. Bei der Auswahl zwischen diesen Gruppen sind Unterschiede in Perspektive, Kompetenzniveau und Ressourcen zu bedenken. Vereinfacht gesagt bieten „Laien“ eher die genannte „unverfälschte Bürgermeinung“, Verbandsvertreter dagegen ein größeres fachliches Vorwissen und bessere Ressourcen, um sich auch längerfristig zu engagieren. 17 Letzteres gilt auch für den weiteren Umgang mit den Ergebnissen der Beteiligung. In der Regel haben Beteiligungsverfahren eine beratende Funktion. Die Entscheidung zum Vorgehen fällt an anderer Stelle, und die entwickelten Ideen bedürfen weiterer Bearbeitung. Die Begleitung der Umsetzung mit partizipativen Elementen ist bisher jedoch kaum verbreitet. 5 Schlussbetrachtung Was kann ein verkehrspolitisches Engagement bringen? Eine erfolgreiche Einflussnahme auf politische Entscheidungen - sei es „fördernd“, indem zusätzliche Mittel bereitgestellt werden, oder „verhindernd“, wenn Angebotskürzungen zur Diskussion stehen - steht natürlich im Vordergrund. Aber auch wenn Anregungen und Kritik im Einzelfall nicht erfolgreich sind, können sie Öffentlichkeit und Entscheider sensibilisieren und dazu führen, dass Entscheidungen in Zukunft anders getroffen werden oder vorher zumindest eine breitere Diskussion stattfindet 18 . Nicht auszuschließen ist auch, dass erst im Lauf der Zeit ein Umdenken stattfindet. In solchen Fällen ist zwar eine Erfolgszuweisung schwer, aber das Ziel - wenn auch mit Verzögerung - erreicht. Bürger- und Verbraucherbeteiligung kann eine Effektivierung von Planungsabläufen auch im öffentlichen Verkehr erreichen. Mit der Anwendung partizipativer Methoden können beispielsweise Probleme identifiziert werden, die ohne eine Beteiligung so nicht zu erkennen sind. Darüber hinaus kann geeignete Beteiligung Summary Passenger interests in public transport planning and transport policy The paper explores which instruments are available to individuals and organizations to represent passenger interests in public transport planning and transport policy. For political issues, both parliamentary procedures and informal lobbying can be used, but the strong position of other stakeholders makes it difficult for transport users to “voice” their concerns. On the planning level, specific participatory procedures exist for some issues, and sometimes consultation with citizens is required. Often, however, this is left to voluntary initiatives by operators and authorities and, again, informal dialogue with user organizations.