eJournals Internationales Verkehrswesen 62/7-8

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0095
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2010
627-8

Finanzierung der Bundesfernstraßen

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2010
Andreas Kossak
Die Diskussion um eine Ausweitung der Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren (insbesondere Pkw-Maut) seit der Bundestagswahl 2009 wird weder der Dramatik der latenten Unterfinanzierung der Straßen und den daraus resultierenden nachteiligen Konsequenzen für Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt noch dem Wirkungspotenzial einer systematischen Umstellung auf Nutzerfinanzierung auch nur annähernd gerecht. Das birgt die Gefahr, dass sich die Situation vor dem Hintergrund der aktuellen und absehbaren Finanzprobleme der öffentlichen Hand eher noch verschlechtert, als dass endlich zumindest erste Schritte zu einer dringend erforderlichen nachhaltigen, effizienten und fairen Verkehrsinfrastrukturfinanzierung getan werden.
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Infrastruktur + Verkehrspolitik 27 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Abb. 1: Ausmaß der latenten Unterfinanzierung der Bundesfernstraßen Quellen: Bundeshaushalt, „Pro Mobilität“, „Pällmann-Kommission“, eigene Ermittlungen Andreas Kossak Finanzierung der Bundesfernstraßen Zur Diskussion um eine Pkw-Maut Die Diskussion um eine Ausweitung der Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren (insbesondere Pkw-Maut) seit der Bundestagswahl 2009 wird weder der Dramatik der latenten Unterfinanzierung der Straßen und den daraus resultierenden nachteiligen Konsequenzen für Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt noch dem Wirkungspotenzial einer systematischen Umstellung auf Nutzerfinanzierung auch nur annähernd gerecht. Das birgt die Gefahr, dass sich die Situation vor dem Hintergrund der aktuellen und absehbaren Finanzprobleme der öffentlichen Hand eher noch verschlechtert, als dass endlich zumindest erste Schritte zu einer dringend erforderlichen nachhaltigen, effizienten und fairen Verkehrsinfrastrukturfinanzierung getan werden. Der Autor Dr.-Ing. Andreas Kossak, Andreas Kossak Forschung & Beratung, Moorweg 6, 22453 Hamburg; DrKossak@aol.com Ausgangslage Am 9. Februar 2010 fand eine Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages zum Haushaltsgesetz 2010 statt. Die Überschrift der Beratungsvorlage der Koalitionsparteien lautete: „Zukünftigen Erhalt und Ausbau von Verkehrswegen sichern“ [1]. Der Erläuterungstext dazu beginnt mit den Sätzen: „Eine Voraussetzung für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft sind leistungsfähige Verkehrswege. Deshalb ist es notwendig, die Verkehrsinfrastruktur zu erhalten und bedarfsgerecht auszubauen“. Dem ist vorbehaltlos zuzustimmen. Es folgen die unvermeidlichen Stichworte zur „hoch entwickelten Mobilitätsstruktur“, zu Umwelt- und Klimaschutz und der Notwendigkeit, das alles in einem „intelligenten Gesamtkonzept besser in Einklang zu bringen“. Von zentraler Bedeutung sei vor diesem Hintergrund die bedarfsgerechte Ausstattung des Einzelplans 12 (Verkehr) im Bundeshaushalt. Dem würde mit dem Haushaltsgesetz 2010 „in vollem Umfang Rechnung getragen“. Stimmt das tatsächlich und ist der Haushaltsplan 2010 somit ein geeigneter Maßstab für die Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung? Messlatte für die positive Einordnung ist offenkundig der von der „Pällmann- Kommission“ in 2000 genannte langfristige jährliche Bedarf [2]; tatsächlich liegt der Haushaltsansatz 2010 beispielsweise bei den Bundesfernstraßen nahe daran. Der betreffende Wert beruhte allerdings auf Preisen von 2000 und war ausdrücklich mit dem Zusatz „mindestens“ versehen. Bis 2008 lagen die Haushaltsansätze jährlich um durchschnittlich rund 1,5 Mrd. EUR darunter. Seither ist der relevante Preisindex um ca. 35 % angestiegen. Darüber hinaus sind die Erhaltungsbzw. Rekonstruktionskosten aufgrund des latenten Instandhaltungsrückstaus dynamisch gestiegen. Damit ist allein für den Zeitraum seit 2000 ein Nachholbedarf in der Größenordnung von mindestens 20 - 30 Mrd. EUR aufgelaufen (siehe Abbildung 1). Dazu kommen die 15 Mrd. EUR nicht getätigter Investitionen, die laut Wegekostenrechnung von 2002 aus dem Zeitraum 1991 bis 2000 dazuzurechnen sind und die bisher ebenfalls nicht abgearbeitet wurden - auch hier: plus Kostensteigerungen (Preisindex plus Auswirkungen der Verzögerung) [3]. Allein im Bereich der Bundesfernstraßen ist somit der Investitionsstau in einer Größenordnung von 50 Mrd. Euro anzusetzen - vorausgesetzt das Zahlenwerk der Bundesverkehrswegeplanung ist einigermaßen realistisch. Der vergangene Winter hat die Konsequenzen latent vernachlässigter Instandhaltung drastisch zu Tage treten lassen. Das Ausmaß der Straßenschäden ist der Beweis. Die Folgen sind massive Beeinträchtigungen der Verkehrssicherheit und der Umwelt sowie erheblicher zusätzlicher Verschleiß an den Fahrzeugen. Unabhängige Fachleute sprechen mit Blick auf den Zustand der teuren Ingenieurbauwerke (Brücken und Tunnel) seit Jahren von „tickenden Zeitbomben“. Laut „Verkehrsinvestitionsbericht 2009“ müsste fast die Hälfte der Brücken an Bundesfernstraßen kurzfristig saniert werden [4]. Die tatsächliche Dimension der Instandhaltungskrise und ihres Bedrohungspotenzials für unsere Wirtschaft wird dennoch von der Politik offenkundig verdrängt. Anders ist kaum nachvollziehbar, dass es als mehr oder minder gegeben hingenommen wird, dass sich ab 2011 nach übereinstimmenden Aussagen von Verkehrspolitikern auf Bundesebene hinsichtlich der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur nach gegenwärtigem Stand der Dinge ein „schwarzes Loch“ auftut [5]. Meilensteine der aktuellen öffentlichen Diskussion Spätestens seit den öffentlichen Äußerungen des (seinerzeit noch designierten) Bundesverkehrsministers Peter Ramsauer zur möglichen Einführung einer Pkw- Maut auf Bundesautobahnen nach der Bundestagswahl 2009 wird das Thema in Infrastruktur + Verkehrspolitik 28 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Deutschland (wieder) heftig öffentlich diskutiert. Der ADAC hat in der Februar-Ausgabe 2010 seiner Kundenzeitschrift unter dem Titel „Kasse machen mit der Autobahn“ seine strikte Ablehnung bekräftigt [6]. Im Untertitel wird quasi eine Verschwörung behauptet: „Offiziell ist eine Pkw-Maut für die neue Bundesregierung kein Thema. Inoffiziell basteln Politik und Wirtschaft emsig an Modellen für künftige Wegezölle. Sicher ist: Die Autofahrer werden draufzahlen.“ Am 8. April 2010 brachte das ARD-Fernsehen in der Reihe „Kontraste“ einen Beitrag mit dem Titel „Pkw-Maut - Regierung setzt auf Mehreinnahmen“. In der Ankündigung dazu heißt es: „Aussprechen will es keiner und schon gar nicht vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen: Um die klammen Staatskassen zu füllen, käme eine Pkw- Maut wie gerufen. Milliardeneinnahmen wären garantiert. Mittlerweile steht die Front der Befürworter - und zwar parteiübergreifend.“ Die Ankündigung endet mit folgendem Fazit: „Die Frage ist längst nicht mehr, ob die Pkw-Maut kommt, sondern wann sie kommt. Ob das Geld dann wirklich nur in den Straßenbau fließt, kann heute aber niemand sagen“. Anschließend wird das Publikum aufgerufen, in einem Maut-Blog im Internet seine Meinung zur Pkw-Maut zu äußern - unter dem Motto: „Ist sie sinnvoll oder nur Abzocke? “ Der Maut-Blog war mit fast 500 Einträgen gut besucht; in der Summe der Einträge ist festzustellen: ̇ Der Anteil der ablehnenden Äußerungen überwiegt deutlich. Die Gegner begründen ihre Haltung fast ausschließlich mit den „Argumenten“ der Automobil-Lobby. ̇ Argumente „Pro Maut“ sowie zum Wesen eines Paradigmenwechsels sind in der Öffentlichkeit nicht in annähernd vergleichbarem Maße präsent wie die Argumente der Automobil-Lobby. Gleichwohl gibt es einen nicht unbeträchtlichen Anteil an Befürwortern. ̇ Das Vertrauen in die Politik/ die Politiker/ die Verwaltung sowie der Eindruck von ihrer Arbeit sind überwiegend miserabel; das belastet eine sachliche Diskussion des Themas erheblich. Am 15. April 2010 veröffentlichte das Umweltbundesamt (UBA) eine Studie mit dem Titel „Pkw-Maut in Deutschland? Eine umwelt- und verkehrspolitische Bewertung“ [7]. Das löste umgehend beträchtliches Aufsehen und hektische politische Reaktionen aus. Die öffentliche Diskussion konzentrierte sich dabei auf den zentralen Vorschlag, flächendeckend Straßenbenutzungsgebühren für Pkw in Höhe von durchschnittlich 3 bis 4 EUR je 100 km einzuführen. Die zuständigen Bundesminister (Verkehr und Umwelt) beeilten sich, zu erklären, dass das Gutachten weder bestellt sei noch die Vorschläge in Einklang mit der Politik beider Häuser und der Bundesregierung stünden. Vor dem Hintergrund der latent und sich seit mindestens zwei Jahrzehnten zuspitzenden dramatischen Lage der Finanzierung sowohl der Bundesfernstraßen als auch der Straßen der Länder und Kommunen ist es geboten, das Thema in der tatsächlichen Bandbreite der Aspekte sachgerecht zu diskutieren und aus dem Ergebnis die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Auslöser der Diskussion um Straßenbenutzungsgebühren Die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren hat eine bereits mehrere tausend Jahre alte Geschichte. Im modernen Verkehrswesen bezeichnete der britische Ökonom Arthur Cecil Pigou schon im Jahr 1920 direkte Benutzungsgebühren als die adäquateste Grundlage für die Straßenfinanzierung, „weil der Benutzer am Ort und zum Zeitpunkt der Benutzung zur Zahlung herangezogen wird“ [8]. Wegen der hohen Kosten der zu der Zeit verfügbaren Möglichkeiten für die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren und den mit der Erhebung verbundenen Eingriffen in den Verkehrsfluss, gab er Verkehrssteuern „als zweitbester Lösung vorerst“ den Vorzug. Bemerkenswert ist, dass Pigou bereits damals Straßenbenutzungsgebühren als wirkungsvolles Mittel der Verkehrslenkung im Sinne einer Optimierung der Nutzung der verfügbaren Infrastruktur kennzeichnete. Beginnend in den 1960er Jahren haben einzelne europäische Länder zunehmend Planung, Bau und Betrieb von Autobahnen über direkte Mauteinnahmen für alle Nutzer realisiert (Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, etc.). Daneben werden traditionell für die Benutzung von Brücken, Tunneln und Gebirgspässen Gebühren erhoben. In 1995 hat die Europäische Kommission in einem „Grünbuch - Faire und effiziente Preise im Verkehr“ die Mitgliedsländer aufgefordert, die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur schrittweise von der traditionellen Haushalts-/ Steuerfinanzierung auf Nutzerfinanzierung umzustellen [9]. Mit den Adjektiven „fair“ und „effizient“ hat die Kommission den entscheidenden Unterschied einer direkten Nutzerfinanzierung gegenüber der Budgetfinanzierung gekennzeichnet. Zentraler Befund der von der deutschen Bundesregierung 1999 eingesetzten „Pällmann-Kommission“ war, dass die Haushaltsfinanzierung sich als nicht geeignet erwiesen hat, eine qualifizierte Erhaltung und Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastruktur zu gewährleisten. Bereits in ihrem Zwischenbericht vom 2. Februar 2000 hat sie eine schrittweise systematische Umstellung auf direkte Nutzerfinanzierung empfohlen; in ihrem Schlussbericht vom 5. September 2000 hat sie die Empfehlung nachdrücklich untermauert [2]. Als maßgebliche Vorteile der Nutzerfinanzierung im Straßensektor hat die Kommission geltend gemacht: ̇ Direkter Bezug zwischen Benutzung, Bezahlung und Verwendung ̇ Deckung des tatsächlichen Finanzierungsbedarfs ̇ Unabhängigkeit von den wechselnden Einflüssen auf die öffentlichen Haushalte ̇ Dieselben Zahlungskriterien für alle Verkehrsteilnehmer (auch Ausländer) ̇ Hohes Wirkungspotenzial von Gebühren als Mittel der Verkehrslenkung und des Umweltschutzes ̇ Effizientere Verwendung der verfügbaren Mittel (PPP) Zu den Kernprinzipien der Empfehlungen gehörte die Systematik des Vollzugs des Paradigmenwechsels: Der motorisierte Straßenverkehr wird schrittweise ab dem Zeitpunkt und in dem Maße von verkehrsbezogenen Steuern entlastet, wie die Netto-Einnahmen aus den Benutzungsgebühren die latente Finanzierungslücke überschreiten. Die Empfehlungen der Kommission wurden seinerzeit in Politik und Öffentlichkeit nahezu einhellig begrüßt. Noch in 2004 forderte der zuständige Vizepräsident des ADAC in seinem Eröffnungsstatement im Rahmen eines parlamentarischen Abends in Berlin die Umsetzung der Empfehlungen der Kommission „im Maßstab 1: 1“. Seither sind weltweit zahlreiche ähnlich hochrangig besetzte Kommissionen und Gremien zu demselben Thema eingesetzt worden - z. B. [10]: ̇ 2001 - EU: Weißbuch „Die europäische Verkehrspolitik bis 2010“; Kernsatz „Die Maßnahmen der Gemeinschaft müssen darauf abzielen, die derzeit dem Verkehrssystem auferlegten Steuern schrittweise durch Instrumente zu ersetzen, die die Infrastrukturkosten und die externen Kosten am wirksamsten internalisieren“. ̇ 2002 - Großbritannien: „Commission for Integrated Transport“; Publikation: „Paying for road use“. ̇ 2004 - Schweden: „Road Taxation Commission“; Schlussbericht: „skatt pa¸ väg“ (Gebühren für den Weg). ̇ 2004 - Schweiz: Bundesamt für Raumentwicklung; Publikation: „Fair und effizient - die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe in der Schweiz.“ ̇ 2005/ 2008 - Niederlande: Runder Tisch: „Anders betalen foor Mobiliteit“. ̇ 2009 - USA: „National Surface Transportation Infrastructure Finance Commission“; Schlussbericht: „Paying Our Way - A new Framework for Transportation Finance”. Trotz unterschiedlicher Rahmenbedingungen in den verschiedenen Ländern kommen die Kommissionen/ Gremien zu denselben Grundempfehlungen wie die „Pällmann- Kommission“. Die „US-Kommission“ hat ihre Erkenntnisse exemplarisch wie folgt zusammengefasst: „Direkte Gebühren in Form entfernungsabhängiger Benutzungsgebühren sind die langfristig wirkungsvollste und nachhaltigste Option (…) für die Finanzierung des Systems (…). Sowohl die praktischen Beispiele als auch die wissenschaftliche Forschung zeigen, dass entfernungsbasierte Gebührensysteme es nicht nur ermöglichen, die erforderlichen Einnahmen zu erzielen, sondern auch zusätzliche Vorteile bieten, wie eine effizientere Nutzung der Verkehrsinfrastrukturen, verringerte Belastungen der Umwelt und Reduzierung anderer nachteiliger externer Wirkungen sowie Mehrwerte für die Nutzer (…). Infrastruktur + Verkehrspolitik 29 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Entscheidend aber ist, dass entfernungsabhängige Benutzungsgebühren die einzige aller Optionen ist, durch die neben der Erzielung von Einnahmen auch der Umfang zusätzlich erforderlicher Kapazitäten dadurch vermindert werden kann, dass die verfügbaren Kapazitäten effizienter genutzt werden können.“ Ausgewählte Argumente in der öffentlichen Diskussion (1) Mineralölsteuer ist die gerechteste und beste Benutzungsgebühr Die üblichen Argumente in diesem Zusammenhang lauten: ̇ Wer viel fährt und wer ein verbrauchsintensives Fahrzeug hat, zahlt in direkter Relation mehr als derjenige, der weniger fährt und ein verbrauchsärmeres Fahrzeug hat. ̇ Die Transaktionskosten für die Einziehung von Mineralölsteuern sind vergleichsweise gering; sie fallen ohnehin an. Das sind Eigenschaften, die der Mineralölsteuer tatsächlich zuzuschreiben sind. Dagegen steht im Sinne einer nachhaltigen, fairen und effizienten Finanzierung der Straßeninfrastruktur allerdings: ̇ Die Mineralölsteuer ist eine allgemeine Steuer; im Gegensatz zu Einnahmen aus Gebühren besteht keine Verpflichtung des Staates, die Einnahmen in dem Sektor einzusetzen, in dem sie erzielt werden. ̇ Fahrzeughalter, die im Ausland tanken und/ oder dort ihr Fahrzeug gemeldet haben, zahlen in Deutschland keine verkehrsbezogenen Steuern. ̇ Es gibt keine Möglichkeit der zeitlichen und örtlichen Variation, also der Aktivierung des Lenkungspotenzials von direkten Benutzungsgebühren. ̇ Es gibt keine Möglichkeit der direkten Zuordnung zu Straßenkategorien - und damit zu den Kostenträgern der benutzten Infrastruktur. ̇ Wegekosten werden maßgeblich durch Fahrzeuggewichte und -konfigurationen sowie das individuelle Fahrverhalten verursacht, nicht durch den Mineralölverbrauch. (2) „Doppelte Abzocke“ Grundprinzip eines systematischen Paradigmenwechsels in der Finanzierung der Straßeninfrastruktur ist nicht die „Ergänzung“ der traditionellen Finanzierung, sondern die „Umstellung“ auf Nutzerfinanzierung. Die von der Lobby und in der Öffentlichkeit in den Vordergrund gestellte Behauptung/ Erwartung der „doppelten Abzocke“ basiert offenkundig auf einem tief sitzenden Misstrauen gegenüber der Politik, die Umstellung nicht systemgerecht zu vollziehen, also die Einnahmen aus Benutzungsgebühren nicht sachgerecht zu verwenden und die Autofahrer über die bereits zu entrichtenden verkehrsbezogenen Steuern hinaus zusätzlich finanziell zu belasten, ohne Gegenleistung in Form verbesserter Straßen- und Verkehrsbedingungen. Diese Befürchtung/ Erwartung ist nachvollziehbar: Entgegen den Empfehlungen der „Pällmann-Kommission“ und politischer Zusagen sowie im Widerspruch zu Grundprinzipien der Nutzerfinanzierung wurden die Einnahmen aus der Lkw-Maut ̇ nicht direkt und in vollem Umfang dem Straßensektor zugeordnet (nominell lediglich 50 %) sowie ̇ nicht zur Kompensation der unstrittigen Finanzierungslücke eingesetzt, sondern zum Anlass genommen, den steuerfinanzierten Anteil entsprechend zu reduzieren. Zusätzlich konzentrierte sich nach erwiesener Funktionsfähigkeit des „Toll-Collect- Systems“ (ab 1. Januar 2005) im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 die politische Diskussion auf die Erzielung zusätzlicher Mittel für den allgemeinen Haushalt. Das hatte einen drastischen Umschwung der bis dahin positiven Haltung von Lobby und Öffentlichkeit gegenüber dem Paradigmenwechsel zu vehementer Ablehnung zur Folge. Die Politik reagierte darauf nicht etwa mit einer Bereinigung ihrer Handlungsweise, sondern mit der stereotypen Feststellung, die Einführung einer Pkw- Maut stehe „nicht auf der Agenda“. (3) Autofahrer bezahlt bereits ein Vielfaches der Kosten der Straßeninfrastruktur Im Mittelpunkt der Argumentation steht die Behauptung, der Pkw-Fahrer würde bereits deutlich mehr verkehrsbezogene Steuern an den Staat entrichten als dieser für die Erhaltung, Entwicklung und den Betrieb der Straßeninfrastruktur ausgibt. Das trifft zwar zu, ist aber prinzipiell irrelevant. Wie bereits in (1) angeführt, handelt es sich bei den betreffenden Steuern um „allgemeine Steuern“. Zweckbindungen sind zwar möglich und auch gängige Praxis, können aber jederzeit (z. B. per Haushaltsgesetz) außer Kraft gesetzt werden. Prinzipiell sind eine gesetzliche Absicherung von Zweckbindungen sowie mittelfristige „Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen“ möglich; im Ergebnis würden damit gleichwohl die maßgeblichen Kriterien der Nutzerfinanzierung (nachhaltig, effizient und fair) nicht erfüllt. Der ADAC hat sich in einem gemeinsam mit dem BDI und dem BGL in Auftrag gegebenen Gutachten zur Bundestagswahl 2009 vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) seine Position vermeintlich noch einmal bestätigen lassen [11]. Bemerkenswerterweise verwendet das DIW darin für die verkehrsbezogenen Steuern entgegen der fachlich üblichen und sachlich gebotenen Praxis den Begriff „Wegeeinnahmen des Straßenverkehrs“. In 2008 hatte sich die „Gegen-Lobby“ (die „Allianz pro Schiene“) eine „gutachterliche Stellungnahme“ mit dem Titel „Abgaben als Instrumente zur Kostenanlastung von externen Kosten und Wegekosten im Straßenverkehr“ eingeholt [12]; diese kommt erwartungsgemäß zu dem Schluss, dass der Straßenverkehr seine Kosten bei Weitem nicht deckt. (4) Einnahmen werden nicht für die Straße verwendet Die Befürchtung ist begründet/ verständlich, solange die Politik bzw. die zuständigen Verwaltungen nicht nachvollziehbar den Beweis erbringen, dass die Benutzungsgebühren auch tatsächlich für diejenige Infrastruktur verwendet werden, für deren Benutzung sie erhoben werden. Mit der formalen Zuordnung von 50 % der Einnahmen aus der Lkw-Maut zu den Bundeseisenbahnen und Bundeswasserwegen trägt die Bundesregierung zwar der eigenen Interpretation von Zweckbindung Rechnung, nach der die Einnahmen in dem „Sektor“ eingesetzt werden, in dem sie erhoben werden („Verkehrssektor“). Nach den Grundprinzipien der Nutzerfinanzierung ist das jedoch lediglich in klar definierten Ausnahmefällen systemkonform - also weder in dem bisher praktizierten Umfang, noch in der praktizierten Pauschalität, noch auf dem Umweg über den allgemeinen Haushalt (Finanzministerium). (5) „Big-Brother-Staat“ „Datenschutzrechtlich höchst bedenklich“ ist noch eine der eher zurückhaltenden Formulierungen der Gegner von Mautsystemen. Laut [6] würde bereits die Einführung von elektronischen Vignetten als Instrument der zeitabhängigen Gebührenerhebung für die Benutzung von Bundesautobahnen durch Pkw bedeuten, dass „jährlich 220 Mrd. Fahrzeugkilometer von 42 Mio. Privat-Pkw durch Maut-Systeme erfasst“ werden. Tatsächlich würden im Rahmen des Enforcement lediglich punktuell Stichproben-Kontrollen erfolgen; die erfassten Daten würden nach aller gängigen Praxis gelöscht, sobald festgestellt worden ist, dass dem überprüften Fahrzeug eine gültige Vignette zuzuordnen ist. Eine entfernungsabhängige Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren unter Verwendung satellitengestützter Systeme wird von den Gegnern vollends mit der Einführung eines „Big-Brother-Staates“ gleichgesetzt. Angeblich zeichnen bereits heute „300 Mautbrücken in Deutschland die Lkw-Wege auf“ [6]. Tatsächlich sind die „300 Mautbrücken“ (bei über 2200 Autobahnanschlussstellen) ausschließlich Elemente des Enforcement-Systems, nicht der Mauterhebung. Zu jedem Zeitpunkt sind zudem lediglich 10 % der Brücken in Betrieb. Nach Feststellung, dass für ein überprüftes Fahrzeug die Maut bezahlt wurde, werden die Daten gelöscht. Bemerkenswerterweise hat der BGL (Mitauftraggeber der DIW-Studie zur Wegekostendeckung) wiederholt bemängelt, dass die Lkw-Kontrollen viel zu durchlässig seien; Mautpreller kämen ungeschoren davon, die Dummen seien die ehrlichen Mautzahler. In einer Zeit der fast flächendeckenden Vollversorgung mit Mobiltelefonen, Kreditkarten und/ oder Navigationssystemen etc. ist die betreffende Unterstellung absurd. Gleichwohl haben die Anbieter von satellitengestützten Systemen zur Erhebung entfernungsabhängiger Straßenbenutzungsgebühren längst den betreffenden Bedenken Halle 18, Stand 131 ... nur noch 1 Monat bis zur InnoTrans! Internationale Fachmesse für Verkehrstechnik 21.-24.09.2010 Wir freuen uns auf Sie! www.eurailpress.de www.railwaygazette.com E urailpress und Railway Gazette - Die offiziellen Medienpartner der InnoTrans. Starke Aussteller in Halle 18 Direkt am Eingang Nord Infrastruktur + Verkehrspolitik 32 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 aus den verkehrsbezogenen Steuern in einer Größenordnung deutlich über dem durchschnittlichen Investitionsvolumen der letzen Jahre, bei strikter Ablehnung einer Pkw-Maut, ist gleichbedeutend mit einer Verhinderung der Verbesserung der Situation der Finanzierung der Bundesfernstraßen. Realistisches Ziel kann gegenwärtig nur die Vermeidung einer weiteren Reduzierung der Haushaltsansätze sein. Verbesserungen sind allein über zusätzliche Benutzungsgebühren zu erreichen. Das sollte im ersten Schritt in Form einer Pkw-Vignette auf moderatem Kosten-Niveau geschehen. Vor jedem weiteren Schritt im Sinne eines systematischen Paradigmenwechsels ̇ wird damit der Politik Gelegenheit gegeben, zu beweisen, dass die Einnahmen tatsächlich zusätzlich zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur verwendet werden und ̇ der Nutzer erhält die Möglichkeit, die Wirkungen im wahrsten Sinne des Wortes zu „erfahren“. Literatur [1] Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Beratungsunterlage zur 5. Sitzung am 9. Februar 2010; Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP [2] Regierungskommission Verkehrsinfrastrukturfinanzierung: Schlussbericht vom 5. September 2000 [3] IWW/ ProgTrans AG: Wegekostenrechnung für die Bundesfernstraßen in Deutschland; Basel/ Karlsruhe 2002 [4] BMVBS: Verkehrsinvestitionsbericht 2009 [5] Parlamentarischer Abend Binnenschifffahrt am 2. Dezember 2009 in Berlin: Statements verkehrspolitischer Sprecher von Bundestagsfraktionen [6] ADAC: Kasse machen mit der Autobahn; in Motorwelt Heft 2/ 2010 [7] Umweltbundesamt: Pkw-Maut in Deutschland? Eine umwelt- und verkehrspolitische Bewertung; Dessau im April 2010 [8] Kossak, A.: Straßenbenutzungsgebühren weltweit; in Internationales Verkehrswesen 6/ 2004 [9] Europäische Kommission: Grünbuch Faire und Effiziente Preise im Verkehr; Brüssel 1995 [10] Kossak, A.; Pällmann, W.: Paradigmenwechsel in der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung; in „10 Jahre Regierungskommission Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“; DVV Media Group 2009 [11] DIW Berlin: Wegekosten und Wegekostendeckung des Straßen- und Schienenverkehrs in Deutschland im Jahre 2007; Forschungsprojekt im Auftrag des BGL, ADAC und BDI; Berlin 2009 [12] Hirte, G.: Abgaben als Instrumente zur Kostenanlastung von externen Kosten und Wegekosten im Straßenverkehr; Studie im Auftrag der „Allianz pro Schiene“; Endfassung vom 27. Juni 2008 [13] Kossak, A.: Straßenbenutzungsgebühren, Mittel der Stauminderung und Verkehrslenkung; in Internationales Verkehrswesen 12/ 2004 [14] Richtlinie 2006/ 38/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 1999/ 62/ EG über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge; Brüssel 2006 gebaute öffentliche Nahverkehrssysteme auszuweichen und damit zur Reduzierung der Staus auf den Straßen beizutragen. Darüber hinaus sind Sonderregelungen für Zwangs-Fernpendler durchaus denkbar. Die regelmäßig in diesem Zusammenhang behauptete Benachteiligung sozial schwächerer Bevölkerungsgruppen durch die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren ist weltweit durch zahlreiche qualifizierte Studien widerlegt. (9) Lenkungswirkung von Gebühren nur eine Legende Alle einschlägigen Kommissionen, Untersuchungen und Erkenntnisse aus der Praxis weltweit bestätigen, dass die zeitliche und örtliche Variation von Straßenbenutzungsgebühren ein wirkungsvolles Mittel der Verkehrslenkung ist [13]. Nicht zuletzt deshalb empfiehlt auch die EU- Kommission in der gültigen Eurovignetten- Richtlinie mit Nachdruck die Nutzung der Lenkungswirkung [14]. Behauptungen, dass es keine zeitlichen Spielräume in der Benutzung der Straßeninfrastruktur gibt, begleiten das Straßenverkehrswesen seit Jahrzehnten und werden regelmäßig durch die Praxis widerlegt; das gilt für den Personenverkehr ebenso wie für den Güterverkehr. Die von der Lobby praktizierte Einordnung der betreffenden Zusammenhänge als „Mythen“ kann vor dem Hintergrund der Fakten nur als Beleg für fehlende Argumente und/ oder fachliche Unkenntnis interpretiert werden. (10) Vignetten bevorzugen Vielfahrer und führen zu Mehrverkehr Bei klassischen Vignettensystemen zahlt der Vielfahrer tatsächlich in der Regel vergleichsweise weniger je gefahrenem Kilometer als der Gelegenheitsfahrer. Bei Verwendung der modernen elektronischen Vignette sind die Relationen aufgrund der höheren Flexibilität in der Differenzierung verbesserbar, jedoch nicht vollends nivellierbar. In Ländern, in denen Vignetten bereits eine lange Tradition haben, haben die Nutzer mit dem betreffenden Umstand offensichtlich keine Probleme. Belastbare Anhalte und plausible Gründe dafür, dass langzeitgültige Vignetten dazu veranlassen, die mautpflichtige Infrastruktur häufiger zu nutzen, also Mehrverkehr zu erzeugen, gibt es nicht. Fazit Die Versteifung der Automobil-Lobby auf eine Zweckbindung von Einnahmen Rechnung getragen. Heute sind Systeme auf dem Markt, die eine externe Verfolgung von Fahrzeugwegen praktisch nicht mehr zulassen. (6) Tote, Verletzte und Umweltbeeinträchtigungen durch Ausweichverkehre Ausweichverkehre sind in Übergangsphasen der Entwicklung einer in der Endphase flächendeckenden Gebührenerhebung nicht auszuschließen, ggf. aber mit Maßnahmen der Straßenverkehrsordnung in engen Grenzen zu halten. Ausweichverkehre finden allerdings auch ohne Gebührenerhebung statt - insbesondere zur Umfahrung von Staus, die bei Nutzung des Verkehrslenkungspotenzials von Straßenbenutzungsgebühren nach allen Erfahrungen weltweit beträchtlich reduziert werden können. Die behaupteten 20 % Ausweichverkehre mit der Folge von jährlich 350 Verkehrstoten und 13 000 Verletzten zusätzlich [6] sind sachlich nicht nachvollziehbar und vermutlich auf der Grundlage fragwürdiger Pauschal-Annahmen hergeleitet. (7) Hohe Transaktionskosten entfernungsabhängiger Gebührenerhebung „Der Staat will Geld eintreiben. Aber wie? Am liebsten ohne großen Aufwand. Doch ohne eine teure Infrastruktur funktioniert keines der Systeme“ [6]. Der Begriff „teure Infrastruktur“ ist höchst vage gehalten. In der öffentlichen Diskussion ist von 20 bis 25 % der Einnahmen die Rede. Das ist offensichtlich aus den kolportierten Anfangskosten-Relationen des „Toll-Collect-Systems“ hergeleitet. Dabei wird unterschlagen oder verdrängt, dass es sich um ein hochinnovatives System der ersten Generation handelt. Wer sich die Kostendegression im Bereich der Elektronik in den vergangenen Jahrzehnten vor Augen hält, benötigt wenig Phantasie, um dies auch modernen Maut- Systemen zuzugestehen. Dazu kommt der Umstand, dass das „Toll-Collect-System“ aufgrund der Anforderungen der Bundesregierung vergleichsweise sehr aufwendig ausgelegt werden musste (duale Einbuchungs- und Enforcement-Systeme). Bei Systemen zur entfernungsabhängigen Gebührenerhebung von Pkw im überörtlichen Verkehr werden in Zukunft Transaktionskosten von 5 % bis maximal 10 % der Einnahmen auf Basis der internen Kosten Standard sein. Wenn auch externe Kosten in die Benutzungsgebühren einbezogen werden, sinkt der Anteil entsprechend. Die Transaktionskosten sind den Nutzen gegenüberzustellen - insbesondere dem Lenkungspotenzial. (8) Pendler werden benachteiligt Die Argumentation basiert auf der Annahme, dass eine Pkw-Maut nur auf Autobahnen erhoben wird und es keine Kompensation auf Seiten der verkehrsbezogenen Steuern gibt. Tatsächlich wird der größte Anteil des Stauvolumens zu Zeiten des Pendlerverkehrs erzeugt. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Pendler hat die Wahlfreiheit, zumindest für den maßgeblichen Teil der Fahrtstrecke auf gut aus- Summary Financing federal trunk roads Ever since the Bundestag elections of 2009, discussions concerning an extension of road user charges, also for private cars, have hardly proved satisfactory in so far as the critically latent under-financing of roads - and the resultant adverse consequences for society, the economy and the environment - and the potential impact of a system-wide switch to user financing are concerned. The danger is that this situation will further deteriorate against the background of current and predictable problems over public sector financing, before tentative steps are taken towards implementing an urgently needed long term, efficient and fair method of transport infrastructure financing.