Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0097
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Krisen beflügeln Verhandlungen über Eurovignette-Richtlinie
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Christian Dahm
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Aus der Europäischen Union 36 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Belgien steckt in der Krise. Die Streitigkeiten zwischen Flamen und Wallonen haben vergangenen Juni vorgezogene Neuwahlen erforderlich gemacht. Ungünstig für die Europäische Union - denn am 1. Juli hat Belgien für sechs Monate die EU-Präsidentschaft übernommen. Die Regierungsbildung gestaltet sich wie immer schwierig und dürfte sich wohl über hinziehen. Aber auch ohne Föderalregierung hat sich das Königreich viel vorgenommen. Im Verkehrsbereich soll endlich eine Einigung unter den EU-Mitgliedstaaten über die geplante Anlastung externer Kosten für den Schwerlastverkehr (Eurovignette-Richtlinie) gefunden werden. Belgische Chefunterhändler sind optimistisch, dass dies vor Jahresende gelingen kann. Dabei hilft offenbar auch die derzeitige Wirtschafts- und Finanzkrise. Diese habe den Druck auf die Mitgliedstaaten erhöht, nach neuen Geldquellen zu suchen. Viele Länder, die bislang zurückhaltend in der Frage waren, hätten nun den Nutzen einer Änderung der Richtlinie erkannt. Doch das allein dürfte wohl noch nicht ausreichen, um einen Durchbruch in einem Dossier erzielen zu können, an dem sich beispielsweise die französische und tschechische Präsidentschaft die Zähne ausgebissen haben. Die beiden letzten Präsidentschaften unter dem Vorsitz von Schweden und Spanien haben es erst gar nicht versucht. Zu den umstrittenen Fragen zählt insbesondere die Zweckbindung der Mauteinnahmen. Da sich hier der vorherrschende Konflikt zwischen Rand- und Transitstaaten widerspiegelt, ist eine Lösung dieses Problems gleichzeitig der Schlüssel für einen Gesamtkompromiss. Während die Transitstaaten gern Herr über ihre Mauteinahmen blieben, wollen die Randstaaten, dass diese in Verkehrsinfrastrukturprojekte fließen. Belgien ist ein komplizierter Staat - aber gerade deshalb verfügt es wie kein zweites Land über Politiker, denen die Fähigkeit, Kompromisse zu suchen und zu finden, sozusagen mit in die Wiege gelegt wurde. Eine Fähigkeit, die sich auch auf dem europäischen Parkett gewinnbringend einsetzen lässt. Ihre Fähigkeit haben die belgischen Unterhändler in einem Arbeitsdokument in die Tat umgesetzt, das die Diskussionsgrundlage für die Verhandlungen im EU-Verkehrsministerrat über die Eurovignette- Richtlinie bildet. Demnach sollen die Stau- Krisen beflügeln Verhandlungen über Eurovignette-Richtlinie Belgische EU-Präsidentschaft will Einigung über Anlastung externer Kosten für Schwerlastverkehr erzielen kosten nicht in die Anlastung externer Kosten für den Schwerlastverkehr einbezogen werden. Staus würden nicht durch höhere Einnahmen sondern größere Variationen der Mautsätze je nach Tageszeit beseitigt, heißt es zur Begründung. Deshalb setzt sich Belgien für eine höhere Flexibilität bei der Differenzierung der Mautgebühren ein. Somit würden dem Lkw letztlich nur Umwelt- und Lärmkosten angerechnet. Keine Notwendigkeit sieht die belgische Präsidentschaft für eine Zweckbindung von Mauteinnahmen aus externen Kosten. Den Mitgliedstaaten soll größtmögliche Freiheit bei der Verwendung der Mittel eingeräumt werden. Ignoriert wird damit auch der Vorschlag von EU-Verkehrskommissar Siim Kallas, zumindest einen kleinen Teil der Gebühren in einen EU-Fonds zur Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur von europäischem Interesse fließen zu lassen. Eine Mehrheit der EU-Länder, darunter Deutschland, unterstützt das Vorgehen Belgiens in dieser Frage. Positiv für die Verhandlungen könnte sich auch auswirken, dass der belgische Staatssekretär für Verkehr, Etienne Schouppe, die Verhandlungen über die Eurovignette-Richtlinie ungezwungen angeht. Nachdem die Partei des flämischen Christdemokraten eindeutig zu den Wahlverlierern zählte, ist es beschlossene Sache, dass der Ex-Chef der Staatsbahn SNCB die politische Bühne seines Landes verlassen wird. Bis zur Ernennung einer neuen Regierung könnte er − befreit vom stressigen Tagesgeschäft − seine Zeit in einen Eurovignette- Deal stecken. Wer weiß, vielleicht ist es ja die Voraussetzung für eine Einigung, wenn erfahrene Politiker eines Landes in der Krise die Führung der EU übernehmen. Christian Dahm, EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Logistik- Zeitung in Brüssel Belgische EU Präsidentschaft Neben der Anlastung externer Kosten für den Schwerlastverkehr (Eurovignette- Richtlinie) steht die See- und Binnenschifffahrt ganz oben auf der Prioritätenliste der belgischen EU-Präsidentschaft. Am 15. und 16. September widmet Belgien vor allem der Förderung von Short Sea Shipping einen informellen Verkehrministerrat, der in Antwerpen stattfinden soll. Um die Potenziale des Kurzstreckenseeverkehrs verstärkt ausschöpfen zu können, soll dieser besser in die Logistikketten integriert werden. Dazu zählen für Belgien insbesondere die Hinterlandanbindung über die Schiene sowie Binnenwasserstraßen. Generell stützt sich Belgien auf den Aktionsplan der Kommission, einen europäischen Seeverkehrsraum ohne Grenzen zu schaffen. Dabei sollen nicht zuletzt die administrativen Auflagen reduziert und vereinfacht werden. Einige Dossiers erben die Belgier von ihren spanischen Vorgängern. Dazu gehören städtischer Verkehr und Logistik, Flugraummanagement und -sicherheit sowie die Überarbeitung des Logistikaktionsplans von 2007. Zudem wird das dritte Richtlinienpaket zur Meeressicherheit („Erika III“) umgesetzt. Am 25. und 26. Oktober steht vor dem großen EU-Luftfahrtsgipfel am 26. und 27. Oktober in Brügge ein Kolloquium zum Flughafenmanagement an. Die EU-Verkehrsministerräte wurden auf den 15. Oktober und den 2. Dezember terminiert. Short Sea im Blickpunkt
