eJournals Internationales Verkehrswesen 62/7-8

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0098
71
2010
627-8

Den „grünsten“ Verkehrsträger fördern, nicht behindern

71
2010
André A. Auderset
Dass der Transport von Personen und vor allem Gütern umweltfreundlicher organisiert werden muss, ist unbestritten. Ebenso unbestritten ist, dass die Binnenschifffahrt der umweltfreundlichste Verkehrsträger ist. Trotzdem wird der Gütertransport auf den Binnenwasserstraßen noch zu oft behindert und zu wenig gefördert. Zu kurzsichtig ist auch die Betrachtungsweise aufgrund der heutigen Wirtschaftssituation.
iv627-80037
Güterverkehr + Logistik 37 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 André A. Auderset Den „grünsten“ Verkehrsträger fördern, nicht behindern Dass der Transport von Personen und vor allem Gütern umweltfreundlicher organisiert werden muss, ist unbestritten. Ebenso unbestritten ist, dass die Binnenschifffahrt der umweltfreundlichste Verkehrsträger ist. Trotzdem wird der Gütertransport auf den Binnenwasserstraßen noch zu oft behindert und zu wenig gefördert. Zu kurzsichtig ist auch die Betrachtungsweise aufgrund der heutigen Wirtschaftssituation. Der Autor André A. Auderset, Vizepräsident der Europäischen Binnenschifffahrts-Union (EBU), Brüssel; svs@swissonline.ch G reening the transport. Das ist eines der meist gehörten Schlagwörter der jüngeren Zeit, wenn es um Klima, CO 2 -Ausstoß und Ähnliches geht. Sicher ist es eine richtige und wichtige Forderung: Nachdem sich in der Industrie und hinsichtlich der Gebäudetechnik viel getan hat, um weniger Energie zu verbrauchen und vor allem weniger Schadstoffe zu produzieren, ist nun verstärkt auch der Verkehrssektor gefordert, seinen Beitrag für die Umwelt und gegen die Klimaerwärmung zu leisten. Problematisch ist es aber, alle Verkehrsträger über einen Leisten zu schlagen und dabei zu vergessen, dass die Binnenschifffahrt heute schon der „grünste“ Verkehrsträger ist. Eine 2007 erstellte und heute noch genauso gültige Studie des deutschen Planco-Instituts in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Gewässerkunde zeigt auf, dass die externen Kosten (Bau und Unterhalt der Verkehrswege, Emissionen, Unfälle, Lärm) eines Massengutransports mit dem Binnengüterschiff um 83 % niedriger sind als diejenigen des Transports auf der Straße und um immer noch 70 % niedriger liegen im Vergleich zum Schienentransport. Bei der Containerbeförderung lauten die Zahlen 78 % respektive 68 %. Erschwerend kommt hinzu, dass die so genannten „externen“ Kosten oft in einer für die Binnenschifffahrt ungünstigen Weise berechnet werden. So ist es selbstverständlich, dem Straßenverkehr die Kosten für Bau und Unterhalt der Verkehrswege vollständig anzurechnen, werden Straßen doch naturgemäß ausschließlich für den Verkehr gebraucht. Dasselbe gilt für den Schienenverkehr. Anders sieht es dagegen bei den Wasserstraßen aus. Diese dienen natürlich auch dem Transport von Gütern und Personen, aber eben nur „auch“. Aus den europäischen Wasserstraßen wird die Wasserversorgung der umliegenden Städte und Dörfer bestritten, sie dienen Freizeitaktivitäten und teilweise sogar der Ernährung (Fischfang). Dazu sind Standorte am Wasser naturgemäß attraktive Wohnlagen. Es ist deshalb keineswegs fair, der Binnenschifffahrt alle Aufwendungen für Erhalt und Unterhalt der Wasserwege anzulasten. „Greening the transport“ heißt: Binnenschifffahrt nutzen Wie stark die Performance des Gütertransports auf dem Wasser ist, vermag am besten das folgende Beispiel zu verdeutlichen: Ein Rheincontainerschiff mit 3000 t kann gleich viel Tonnage befördern wie 120 Lkw oder 75 Bahnwagen. Dazu kennen die Wasserstraßen ein Wort nicht, welches an Land allgegenwärtig ist: Stau. Die Fracht kommt auf Rhein, Main oder Donau zwar langsamer vorwärts als auf Straße und Schiene. - Dies stimmt aber nur, solange Lkw und Zug freie Fahrt haben, was immer seltener der Fall ist. Die Schifffahrt auf den europäischen Wasserstraßen ist also die am wenigsten umweltbelastende und gleichzeitig diejenige Transportart, die noch am meisten freie Kapazitäten aufweist. Drastischer formuliert ist sie sogar der einzige Verkehrsträger, der überhaupt noch über freie Kapazitäten verfügt. Mit anderen Worten: Es gibt gar keine bessere Möglichkeit, dem Postulat „Greening the transport“ nachzukommen, als das Binnenschiff zu benutzen. Weil die Nutzung der Binnenschifffahrt bereits so umweltfreundlich ist, fällt es in diesem Bereich naturgemäß schwer, sich noch weiter zu verbessern. Trotzdem arbeiten die Branche und unser internationaler Verband hart daran. Bereits 2006 nahm die Europäische Kommission eine Mitteilung zur Förderung der Binnenschifffahrt an. Das darauf beruhende Aktionsprogramm „Naiades“ gilt für den Zeitraum 2008 bis 2013 und enthält fünf strategische Bereiche einer umfassenden Binnenschifffahrtspolitik: Markt, Flotte, Arbeitsplätze und Fachwissen, Image und Infrastruktur. Die Maßnahmen fügen sich zu einer geeigneten Organisationsstruktur zusammen. Die EBU arbeitet gemeinsam mit der EU-Kommission an konkreten Projekten, die unter Naiades finanziert und umgesetzt werden sollen. Um auch in Zukunft für den umweltfreundlichsten Verkehrsträger zuständig Terminalstrukturen ausbauen, Bild in der Öffentlichkeit verbessern, politische Unterstützung einfordern - das sind die Aufgaben der Branche. Foto: Daimler AG Güterverkehr + Logistik 38 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 zu sein, setzte sich die EBU aktiv für eine rasche Umstellung der Binnenschifffahrt auf schwefelarmen Treibstoff ein und plädierte für eine europaweit harmonisierte Regelung. Diese europäische Vereinbarung wurde bereits beschlossen und tritt am 1. Januar 2011 in Kraft. Zudem wird die Branche in ihrem Streben auch von diversen nationalen Förderprogrammen für die Beschaffung emissionsarmer Dieselmotoren für den Antrieb von Binnenschiffen unterstützt. Zur Umweltfreundlichkeit des Verkehrsträgers hat auch das jüngst in Kraft gesetzte Abfall-Übereinkommen in der Rheinschifffahrt beigetragen. Es bringt klare Regelungen über die Entsorgung von Abfällen, verhindert ein Verschmutzen des Gewässers durch Einleitung von Abfall und führt das Verursacherprinzip ein. Mit einer an die Treibstoffaufnahme gekoppelten Abgabe werden die Aufwendungen zu einer noch saubereren Schifffahrt finanziert. Zu viel Behinderung ... Wenn also die Binnenschifffahrt besonders „grün“ ist, sollte eigentlich angenommen werden, dass sie vor allem von ökologisch motivierter Seite unterstützt wird. Leider ist dies nicht im gewünschten Maß der Fall. Da werden - etwa auf der Donau - ein paar kleinere Staustufen bis aufs Blut bekämpft und damit verhindert, dass auf der dortigen Strecke weitere Gütermengen von der Straße auf die Schiene verlagert werden können. Oder es wird der Bau eines Terminals verschleppt, weil auf dem Areal ein seltener Käfer gesichtet worden sein soll. Behindert wird die Binnenschifffahrt auch durch Begehrlichkeiten, die sich auf die Hafenanlagen richten. Selbstverständlich sind solche Areale attraktiv für andere Nutzungen wie Wohnen oder Freizeit. Ebenso klar ist aber auch, dass ein Nebeneinander von solchen Nutzungen und Hafenaktivitäten unvereinbar ist. Die Binnenschifffahrt ist ein 24-Stunden-Job und der Umschlag der Ladungen in den Häfen naturgemäß mit Emissionen wie Lärm oder Staub verbunden. Stolze Loftbesitzer in Hafennähe werden nach ihrem Einzug umgehend gegen den Hafen klagen und so scheibchenweise erreichen, dass die Hafentätigkeit zuerst eingeschränkt und dann ganz unmöglich wird. Der Schreibende hat sich bereits mit Beschwerden auseinandersetzen müssen, welche Anwohner auf der gegenüberliegenden Seite eines kleineren Hafens wegen des Piepsgeräuschs rückwärts fahrender Lkw äußerten. ... und zu wenig Förderung Auf der anderen Seite ist es oft nur schwer oder gar nicht zu erreichen, dass die öffentliche Hand die Binnenschifffahrt hinsichtlich der Infrastrukturen unterstützt, während dies bei Bahnterminals nahezu selbstverständlich ist. So subventionierte etwa kürzlich die Schweiz ein Hupac- Terminal für den Kombinierten Verkehr in Antwerpen mit, obwohl dieser zumindest teilweise in Konkurrenz zu den Schiffsverkehren auf dem Rhein zwischen Antwerpen und Basel steht. Im etwa gleichzeitig veröffentlichten „Bericht über die Schweizerische Schifffahrtspolitik“ wurde dagegen zwar die Wünschbarkeit von besserer Unterstützung der Schifffahrtsinfrastrukturen deklariert, gleichzeitig aber bedauernd abgewinkt, dass zur Zeit dafür kein Geld vorhanden sei. Herausforderung annehmen Als Begründung, warum man ganze Hafenteile getrost zum Wohnen umwidmen oder auf die Unterstützung von Terminalplanungen verzichten kann, werden von Politikern oft Fotos mit Hafenarealen gezeigt, die ziemlich leer sind oder auf denen nur ein paar Container herumstehen. Dabei wird zum einen übersehen, dass gerade der Containerumschlag ein sehr flächenintensives Geschäft ist. Vor allem ist diese Sicht aber zu kurz greifend, weil sich die gerade überwundene (? ) Wirtschaftskrise naturgemäß besonders im Gütertransport äußerst stark bemerkbar machte. Wenn weniger konsumiert und weniger produziert wird, so wird eben auch weniger transportiert und umgeschlagen. Vor der Krise zeigte gerade der Containerverkehr Jahr für Jahr Rekordzuwächse. Nach einem Einbruch 2009 wird es nun wohl ein bis zwei Jahre dauern, bis die Umsatzzahlen von 2008 wieder erreicht werden. Dass die Binnenschifffahrt der Verkehrsträger der Zukunft ist, kann aber unschwer aus den Planungen der Seehäfen abgelesen werden. So rechnet der Hafen Rotterdam bis 2030 mit einem Umschlagvolumen von 800 Mio. t, was quasi einer Verdoppelung gegenüber 2007 (407 Mio. t) gleichkommt. Der Containerumschlag soll in derselben Zeitspanne von 11 Mio. auf 27 Mio. TEU eine Verzweieinhalbfachung erleben. Dazu kommt, dass sich der Hafen aus ökologischen Motiven einer deutlichen Verschiebung des Modal Splits bei Zu- und Abfuhr der Container verschrieben hat. Der Anteil der Straße soll bis zum Jahr 2035 von 49 % auf 35 % sinken, derjenige der Binnenschifffahrt von 37 % auf 45 % steigen. Auch wenn die Prognosen nur zur Hälfte zutreffen sollten, kommt auf die Binnenschifffahrt eine gewaltige Herausforderung zu. Die Wasserstraße selbst kann das Zusatzvolumen relativ problemlos aufnehmen. Wo es aber fehlen wird, wenn nicht große Anstrengungen unternommen werden, ist bei den Terminalstrukturen. Auch wenn der Termin 2035 noch weit weg scheint: Die Planung für diese Strukturen muss jetzt in Angriff genommen werden. Die politischen Mühlen mahlen bekanntlich langsam und die unweigerlich auftretenden Einsprecher und Protestierer haben einen langen Atem beim Beschreiten des Rechtswegs durch alle Instanzen. Es geht nur gemeinsam Bewältigen kann man diese Herausforderungen sicher nicht, wenn jeder Hafen für sich alleine werkelt. Allianzen und Zusammenschlüsse sind notwendig. Düsseldorf und Neuss haben es bereits vorgemacht, und im Dreiländereck des Oberrheins spannen die Schweizer Rheinhäfen mit denjenigen in Weil am Rhein und Mülhausen sogar grenzübergreifend zusammen. Dies muss der Weg der Zukunft sein. Diese großen Herausforderungen wird die Binnenschifffahrt aber nicht allein bewältigen können. - Unterstützung aus der Politik und das Verständnis der Öffentlichkeit sind entscheidend. Hier ist die Branche gefordert, vermehrt nach außen zu agieren und mit ebenso gesundem wie berechtigtem Selbstbewusstsein die Rolle des ökologisch wie ökonomisch nachhaltigsten Verkehrsträgers zu verdeutlichen. Die EBU wird sich - mit Unterstützung der nationalen Verbände - dieses Ziels auch weiterhin annehmen.