Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0099
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Ökoeffizienz bei Binnenhäfen: Von den Großen lernen
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Heike Flämig
Was bei den großen Seehäfen längst Praxis ist, steckt bei den meisten (kleinen) Binnenhäfen noch in den Kinderschuhen: Der bewusste Umgang mit den Ressourcen und die Einstellung auf sich verändernde Ansprüche der Stakeholder.
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Güterverkehr + Logistik 39 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 Heike Flämig Ökoeffizienz bei Binnenhäfen: Von den Großen lernen Was bei den großen Seehäfen längst Praxis ist, steckt bei den meisten (kleinen) Binnenhäfen noch in den Kinderschuhen: Der bewusste Umgang mit den Ressourcen und die Einstellung auf sich verändernde Ansprüche der Stakeholder. Die Autorin Prof. Dr.-Ing. Heike Flämig, Technische Universität Hamburg-Harburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, 21073 Hamburg, flaemig@tu-harburg.de Verändertes Umfeld Ökoeffizienz steht synomym für einen ökonomisch und ökologisch rationalen Umgang mit Ressourcen, sowohl mit Rohstoffen als auch mit Mensch und Natur. Effizient bezogen auf Häfen bedeutet, dass dort entweder die gleiche Leistung mit weniger Ressourcen oder Energie beziehungsweise mit gleichem Einsatz eine höhere Leistung erzielt wird. In diesem Sinn ist Ökoeffizienz keine neue Zielkategorie von Unternehmen. Vielmehr fordern die verschiedenen Stakeholder - vor allem Kunden und Lieferanten, aber auch Rating-Agenturen, Versicherungen sowie Mitarbeiter und Anwohner - einen adäquaten Umgang der Unternehmen mit den veränderten Rahmenbedingungen: Ressourcenendlichkeit, Klimawandel und Umweltverschmutzung stellen Unternehmen vor neue Herausforderungen. Auf den Bereich Verkehr entfällt fast ein Viertel des weltweiten CO 2 -Ausstoßes. Aus diesem Grund liegt ein Hauptaugenmerk vieler Stakeholder auf den Transportketten. Eine der wichtigsten Maßnahmen ist die Verlagerung auf Schiff und Bahn. Durch die entstehenden multimodalen Transportketten gewinnen bi- und trimodal erschlossene logistische Knoten an Bedeutung. Dabei sehen sich Häfen in einem Dilemma: Einerseits sind sie per Knotendefinition Bündelungs- und Dekonsolidierungspunkt. Insofern sind Häfen prädestiniert für den Umschlag auf oder von großen effizienten Transportgefäßen. Andererseits treten an den Hafenstandorten vermehrt Verkehre und damit Belastungen durch den fließenden Verkehr und durch die Umschlagvorgänge auf. Die sich aufgrund weiterer Nutzungskonkurrenzen, wie beispielsweise dem Urban Waterfront Development, verstärkenden Konflikte stellen dabei die Weiternutzung der Hafenstandorte häufig in Frage. Vier Schritte zum effizienten Hafen Sensibilisieren Wie erfolgreich ein Hafen bei der Entwicklung zu einem effizienten Hafen ist, hängt stark davon ab, inwieweit es gelingt, nicht nur die Geschäftsführung, sondern auch die Beschäftigten in den dafür notwendigen kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu integrieren, sie dafür zu begeistern und zum Mitmachen zu bewegen. Für die Umsetzung von Maßnahmen ist es aber ebenso wichtig, die gesamte Akteursarena für die unterschiedlichen regionalen und gesamtwirtschaftlichen beziehungsweise gesamtökologischen Wirkungen der zwar effizienten, aber in der Regel dann auch verstärkten Nutzung von (Binnen-)Häfen zu sensibilisieren. Dies gilt insbesondere gegenüber einer regionalen, oft kritischen Öffentlichkeit, der die negativen Folgen auch für die Region durch das Wegfallen von regionalen Transportknoten häufig nicht bewusst ist. Ungenutzte Potenziale für die Häfen liegen daher vor allem im kommunikativen Bereich. Häfen sollten sich auf die Stadt einlassen - soweit dies ihre gewerbliche Zweckbestimmung nicht einschränkt. Dies kann wesentlich zur langfristigen Sicherung von (innerstädtischen) Hafenstandorten beitragen. Auch die Bewahrung des denkmalpflegerischen und baukulturellen Erbes gehört beispielsweise dazu. Bilanzieren Um schnell die sogenannten „Quick Wins“ zu identifizieren, auch ohne ein unfangreiches Managementsystem zu installieren, kann folgendes Fragenraster genutzt werden: 1. Wurden Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz der Umschlageinrichtungen, Gebäude und Transportmittel ergriffen? 2. Wurden Maßnahmen zur Reduzierung von Lärmemissionen ergriffen? 3. Wurden Maßnahmen zur Reduzierung von Lichtemissionen ergriffen? 4. Ist der Hafen bibzw. trimodal erschlossen? 5. Wie wurde gegebenenfalls mit Denkmälern auf dem Gelände umgegangen? 6. Waren zur verkehrlichen Erschließung des Hafens überdurchschnittlich hohe Eingriffe in den Naturhaushalt notwendig? 7. Wurden alle rechtlichen Rahmenbedingungen beim Betrieb und Ausbau ausreichend berücksichtigt oder gab es Probleme? 8. Ist der Hafen mit dem ÖPNV erreichbar? 9. Bestehen unbearbeitete Nutzungskonflikte am Standort? 10. Sind die Mitarbeiter in allen Strategien umfassend berücksichtigt? Je nach Hafengröße bietet es sich jedoch an, vertiefende Analysen durchzuführen. Ein erster weiterer Schritt wäre beispielsweise die Nutzung der Self Diagnosis Method (SDM) der Ecoports-Initiative (http: / / www.ecoports.com). Mit dieser speziell für Hafenmanager entwickelten Checkliste kann die Leistungsfähigkeit des eigenen Hafens im Vergleich zu anderen Häfen und bezogen auf internationale Standards ermittelt werden. Dadurch können mögliche Handlungsfelder schnell identifziert werden. Eine wirklich transparente Entscheidungssituation liefert allerdings erst eine ökologische Bilanzierung der unternehmerischen Aktivitäten, beispielsweise nach ISO 14 001 ff. Die Differenzierungstiefe der Bilanzierung bestimmt in der Regel auch, welche substanziellen Wirkungen der umgesetzten Maßnahmen nachgewiesen werden können (ex-post-Analyse). Nur so ist letztlich ein nachvollziehbarer und damit glaubwürdiger Optimierungsprozess gegenüber den Stakeholdern zu belegen. Je mehr Wirkungskategorien - Treibhauseffekt, stratosphärischer Ozonabbau, Photosmog, Versauerung, Euthropierung, Toxizität, Unfallgefahr, Bodenverlust/ Landschaftsverbrauch, aber auch Ressourcenverzehr und Verlust an Biodiversität sowie Lärmimmissionen - berücksichtigt werden, desto weniger ist zu befürchten, dass mögliche Entlastungen auf der einen Seite zu Mehrbelastungen auf der anderen Seite führen. Bei der Identifizierung der Handlungsfelder und der Festlegung der die Effizienz steigernden Maßnahmen empfiehlt es sich daher, auch mögliche negative Rückkopplungen, Reboundeffekte oder sonstige, die Gesamtbilanz verschlechternde oder anderweitig beeinflussende Wirkungszusammenhänge in einem größeren Kontext Güterverkehr + Logistik 40 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 7+8/ 2010 zu ermitteln und bei der Umsetzungsentscheidung zu berücksichtigen. Gestalten Das Handlungsspektrum des Hafens umfasst in erster Linie Gestaltungsansätze auf drei Ebenen: Strukturen und Technologien, Prozesse und Organisation sowie Mitarbeiter und Verhalten. Strukturen und Technologien: Viele Binnenhäfen stellen die letzten innerstädtischen Flächenreserven für gewerbliche Nutzungen dar, die logistisch erprobt und zugleich robust gegenüber entsprechenden Belastungen sind. Wenn sie als logistische Standorte in den Agglomerationen umweltfreundliche Transportketten ermöglichen sollen, vor allem im unmittelbaren Kernbereich der Städte, dann muss dies durch eine stadtverträgliche Nutzungskonzeption und ein effizientes Flächenmanagement durch die Häfen flankiert werden. Der stadtverträgliche, nachhaltige Standort mit autarken, kreislauforientierten und Energie spendenden Immobilien ist heute ein Leitbild bei der Hafenentwicklung. Im Bereich der technischen Optimierung der Aggregate haben die ersten Häfen in Zusammenarbeit mit den Herstellern große ökologisch-ökonomische Effizienzgewinne erzielen können. Beispielsweise konnte die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) Einsparungen von knapp 3000 t CO 2 pro Jahr durch den Einsatz von Rückstromgewinnung bei Containerbrücken und von bis zu 70 t CO 2 pro Jahr und Fahrzeug durch den Einsatz von dieselelektrischen statt hydrodynamischen Van-Carriern realisieren. Prozesse und Organisation: Hinsichtlich der ökoeffizienten Fahrzeugnutzungen liegen Potenziale neben der Auslastungserhöhung der Gefäße in der Fahrwegoptimierung und der Fahrpersonalschulung. Mitarbeiter und Verhalten: Zunehmend werden Unternehmen aber auch an ihrer sozialen Performance gemessen. Derzeitige Themen für die Häfen sind der Arbeitsbzw. Gesundheitsschutz sowie die Entwicklung der Beschäftigten. Dazu gehören prophylaktische Maßnahmen der Gesunderhaltung und Motivationssteigerung ebenso wie die individuelle Förderung von Beschäftigten, beispielsweise über Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie die Einbindung (Partizipation) in unternehmerische Entscheidungen und Aktivitäten. Darüber hinaus wird auch die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens außerhalb des eigentlichen Unternehmenszwecks immer stärker forciert. Dazu gehören Maßnahmen wie Unternehmensspenden, Sponsoring, zweckgebundenes Marketing, Corporate Volunteering, Aufträge an soziale Organisationen, Social Lobbying, aber auch eigene soziale Projekte, wie etwa ein Schulprojekt. Und natürlich bedeutet „effizienter Hafen“ auch, dass Gesetze und Richtlinien eingehalten werden. Unter dem Stichwort „Compliance“ wird ihre Beachtung sowie die Einhaltung von Selbstverpflichtungen der Unternehmen zusammengefasst. Evaluieren Ebenso gehört eine ex-post-Analyse der einzelnen Maßnahmen dazu. Erst sie zeigt explizit auf, welche Effizienzgewinne erzielt wurden. Zudem können so Erfolgsfaktoren sichtbar gemacht werden, um mögliche Hemmnisse anderer Umsetzungsprozesse überwinden zu können. Ausblick In Zukunft können Binnenhäfen für eine stadtverträgliche Ver- und Entsorgung (wieder) an Bedeutung gewinnen, wenn ihr Entlastungspotenzial erkannt und gesichert wird. Effiziente Logistikkonzepte sind auf verkehrlich gut erschlossene, aber auch durch Lager-, Umschlag- und Transporttätigkeiten belastbare Standorte angewiesen. So bieten die Stadthäfen gute Voraussetzungen für die Abwicklung der Logistik im Einklang mit den Anforderungen von Luftreinhaltebzw. Lärmaktionsplänen. Allerdings werden - getrieben durch die Product Carbon Footprint-Projekte - nur diejenigen (Binnen-)Häfen in künftigen Transportketten eine bedeutende Rolle spielen, die sowohl ihre eigenen Prozesse und Technologien effizient gestaltet haben als auch flexible, trimodale Transportketten anbieten können. Mindestens genauso wichtig wird aber auch die kollaborative Auseinandersetzung mit den Stakeholdern des Hafens (insbesondere Beschäftigte, Umfeld), um die sich konkurrierenden Ziele und Nutzungsansprüche in Einklang zu bringen. Handlungsfelder Ansatzpunkte Der Standort ̇ Vermeidung von Nutzungs-/ Nachbarschaftskonflikten ̇ entfernungsminimal ̇ bibzw. trimodale Erschließung für den Güterverkehr ̇ gute Anbindung an ÖPNV- und Fahrradnetz für Personenverkehr Die Immobilien Flächenmanagement ̇ gemeinsame Nutzung von Flächen ̇ mehrstöckige Immobilien Bau ̇ ressourcenschonend (auf Transport bezogen) ̇ Einsatz von recycelten oder nachhaltigen und schadstofffreien Materialien beim Bau (LCA) ̇ Denkmalschutz Wassermanagement ̇ Wasserschutz(gebiet) ̇ Wasserversorgung und -entsorgung ̇ Entwässerung Energie ̇ Heiz-/ Kühlenergie (Isolierung, Verblendung, Lüftung) ̇ Lichtenergie (Tageslicht, Energiesparlampen) ̇ Betriebsenergie (Förderer, Umschlaggerät, Lagertechnik) ̇ mehr produzieren als verbrauchen Green Office ̇ Nutzung von Tagesstatt Kunstlicht ̇ Nutzung von natürlicher statt künstlicher Belüftung ̇ Elektrogeräte ausschalten, no printing, Recyclingpapier Die Umschlageinrichtungen ̇ Reduzierung der Lärmimmissionen ̇ Reduzierung der Lichtemissionen ̇ Erhöhung der Energieeffizienz (z. B. Rückstromgewinnung, dieselelektrische Antriebe) ̇ Erhöhung der Ressourceneffizienz (gemeinsame Nutzung von Einrichtungen) Die Verkehrsinfrastrukturen ̇ Reduzierung der Folgen durch die Eingriffe in den Naturhaushalt ̇ Maßnahmen zur Entlastung der Bevölkerung von den Verkehrsfolgen („Betroffenenfälle“) Die Verkehrsmittel ̇ Alternative Energieversorgung am Standort (z. B. Landstrom) ̇ Umsetzung eines betrieblichen Mobilitätsmanagements ̇ Realisierung von flexiblen, trimodalen Transportkonzepten für den Hafenhinterlandverkehr ̇ Ballastwassermanagement Compliance ̇ Einhaltung naturschutzrechtlicher Rahmensetzungen ̇ Einhaltung immissionsschutzrechtlicher Rahmensetzungen ̇ Einhaltung arbeitsschutzrechtlicher Rahmensetzungen ̇ Einhaltung sicherheitsrechtlicher Rahmensetzungen ̇ Einhaltung von Selbstverpflichtungen
