Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0113
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RCAS – Kollisionsverhinderung auch ohne ortsfeste Anlagen
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Christoph Müller
Züge gelten als sicheres Verkehrsmittel. Dennoch kommt es immer wieder zu Kollisionen. Nur eine frühzeitige und exakte Information kann Zusammenstöße verhindern. Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben mit RCAS (Railway Collision Avoidance System) ein neuartiges System entwickelt, das Unfälle auf der Schiene vermeiden soll.
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20 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 9/ 2010 Technologien + Informationssysteme Christoph Müller RCAS - Kollisionsverhinderung auch ohne ortsfeste Anlagen Züge gelten als sicheres Verkehrsmittel . Dennoch kommt es immer wieder zu Kollisionen. Nur eine frühzeitige und exakte Information kann Zusammenstöße verhindern. Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben mit RCAS (Railway Collision Avoidance System) ein neuartiges System entwickelt, das Unfälle auf der Schiene vermeiden soll. Der Autor Dipl.-Ing. Christoph Müller, DVV Media Group, Hamburg; christoph.mueller@dvvmedia.com R CAS ist ein System, das unabhängig von Sicherungstechnik entlang der Strecke funktioniert. Damit ist das System deutlich kostengünstiger als alle bisherigen Zugsicherungssysteme. Infrastrukturlose Zug-zu-Zug-Kommunikation So nutzt das System modernste Kommunikations- und Sensortechnologien, die eine direkte Zug-zu-Zug-Kommunikation ermöglichen - infrastrukturfeste Einrichtungen werden nicht benötigt. Die Züge tauschen Informationen zu Position, Geschwindigkeit, geplanter Streckenführung und Lademaß aus, sobald sie in Funk- Reichweite sind. Jedes mit RCAS ausgerüstete Fahrzeug bestimmt seinen Standort und seine Geschwindigkeit und sendet diese Informationen aus, die von anderen RCAS-Fahrzeugen empfangen werden können. Die RCAS-Einheit besteht aus Sensoren zur Erfassung der Position. Eine zentrale Rolle spielt hierbei die Satellitennavigation. Da diese aber insbesondere bei Weichenfahrten und in Bahnhöfen zu ungenau ist, wird beim Demonstrator zusätzlich ein Kamerasystem eingesetzt. Dem hinterlegt sind aktuelle digitale Karten mit den Streckeninformationen zur genauen Ortsbestimmung. Die Kamera erfasst bei einer spitz befahrenen Weiche auch sehr schnell, welcher Strang befahren wird. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgt über Satelliten und Dopplerradar. Jede RCAS-Einheit sendet ihre Daten unabhängig von möglichen Empfängern immer aus. Aktuell verwendet das DLR dabei den digitalen Behördenfunk Tetra mit einer Reichweite von rund 5 km. Die Übertragung erfolgt periodisch, dabei wählen die RCAS-Einheiten ihren Übertragungskanal entsprechend ihrer aktuellen Position. Am Ende jeder Übertragung reserviert die Einheit dann einen Zeitslot und Kanal für die nächste Übertragung. So ist gesichert, dass auch bei mehreren Zügen in einem Empfangsbereich jedes Signal empfangen wird. Stellt das System einen drohenden Zusammenstoß fest, warnt es den Triebfahrzeugführer und unterstützt ihn mit Lösungsmöglichkeiten. Da RCAS nicht auf funktionale Elemente in der Verkehrsinfrastruktur zurückgreift, kann das System sehr kostengünstig als reine On-Board-Unit für Züge ausgelegt und gebaut werden. RCAS soll bestehende Leit- und Sicherungssysteme ergänzen RCAS soll nicht bestehende Zugsicherungssysteme ersetzen. Es ist als Overlay- System zunächst für Strecken und Situationen vorgesehen, in denen heute gar keine Sicherung eingesetzt wird, beispielsweise Strecken mit sehr geringem Verkehrsaufkommen, reine Industriebahnen, Baustellen oder Rangierbereiche. Aber auch auf Nebenstrecken oder in Bahnhöfen ist ein Einsatz denkbar - trotz vorhandener Zugsicherungstechnik. Gerade bei Rangierfahrten, die immer ungesichert stattfinden, kann mittels RCAS eine Kollision verhindert werden. Machbar ist RCAS aber auch als tragbares System, beispielsweise für Lokrangierführer oder Gleisbauarbeiter. RCAS soll keineswegs das einheitliche europäische Eisenbahnsicherungssystem ETCS (European Train Control System) ersetzen, sondern als Safety-Overlay die Sicherheit erhöhen. Auch wenn es denkbar ist - das DLR sieht RCAS nicht für den Einsatz im relativen Bremswegabstand (wie Abb. 1: Zu RCAS gehört auch die Fahrwegerfassung mittels Kamera (hier am Integral-Demonstrator). Foto: C. Müller Abb. 2: Schematischer Aufbau von RCAS Quelle: DLR 21 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 9/ 2010 beim ETCS Level 3) vor. Schrittweise können Schienenfahrzeuge aller Art mit einer RCAS- Einheit ausgerüstet werden und sofort mit allen anderen, ebenfalls ausgerüsteten Fahrzeugen die eigenen Fahrparameter austauschen. Alle nicht RCAS ausgerüsteten Züge können nach bisherigen Sicherheitsstandards weiterfahren. Der derzeitige Prototyp basiert auf handelsüblicher Hardware und Software, die in dieser Form keine Zulassung im sicherheitskritischen Betrieb haben oder erhalten werden. Institutsübergreifendes Projekt Die Forschungsarbieten an RCAS laufen seit gut drei Jahren. Es ist ein institutsübergreifendes Forschungsprojekt des DLR. Beteiligt sind neben den Wissenschaftlern des Instituts für Kommunikation und Navigation Forscher der DLR-Institute für Verkehrssystemtechnik sowie für Robotik und Mechatronik. Darüber hinaus kooperiert das DLR bei RCAS mit der Bayerischen Oberlandbahn (BOB). Projektleiter ist Prof. Dr. Thomas Strang vom DLR-Institut für Kommunikation und Navigation, Wessling bei München. Im Frühjahr dieses Jahres wurde die erste Forschungsphase beendet, nach der gezeigt wurde, dass RCAS grundsätzlich funktioniert. Nun wird in einer zweiten Phase bis Ende 2012 das System weiterentwickelt. Im Mittelpunkt steht hier u. a. die Frage nach dem sinnvollen Einsatz von weiteren oder anderen Sensoren zur Erfassung der Zugcharakteristik. Insbesondere der Einsatz der Kamera zur Ortsbestimmung wird hinterfragt. Zudem muss eine Sicherheitsanalyse für das System erarbeitet werden. Angedacht ist auch die Erfassung von Bahnübergängen. Das DLR rechnet mit einer Marktreife in rund fünf bis sieben Jahren. Erste Tests erfolgreich verlaufen Erste Praxistests haben gezeigt, das RCAS prinzipiell funktioniert. Beim Einsatz im Siemens-Prüfcenter Wegberg-Wildenrath wurden drei unterschiedliche Testszenarien durchgespielt, beteiligt waren das Zweiwegefahrzeug RailDriVE des DLR sowie ein Triebwagen Integral der BOB. Im Rahmen des Demonstrators wurde RCAS bisher bis 80 km/ h erfolgreich getestet. Beide Fahrzeuge tauschten in den drei verschiedenen Szenarien Informationen aus: Bei der ersten Situation handelte es sich um eine Flankenfahrt, bei der zwei Fahrzeuge gleichzeitig auf eine eingleisige Strecke zufahren. Im zweiten Szenario fuhr der Zug auf eine Weiche zu, hinter der ein Gleis belegt, das andere frei sowie die Weichenstellung unklar war. Ein stehendes Fahrzeug in Weichennähe bedeutete in einem dritten Testlauf keine Gefahr, was das System ebenfalls erkannte. In allen Fällen stellte RCAS die Situation selbstständig fest und bewertete sie. Ist die Situation kritisch, fordert RCAS den Triebfahrzeugführer zum Bremsen auf. Ist die Lage unkritisch, alarmiert das System nicht und der Zug kann weiterfahren. www.collision-avoidance.org
