eJournals Internationales Verkehrswesen 62/10

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0130
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Anlastung externer Kosten

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Christian Dahm
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Aus der Europäischen Union 29 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 10/ 2010 Fast vier Monate nach den Parlamentswahlen hat Belgien immer noch keine neue Föderalregierung. Das hindert Etienne Schouppe, Staatsekretär für Transport der ausscheidenden und derzeit nur noch geschäftsführenden Regierung, aber nicht daran, unter den EU-Mitgliedstaaten eine Einigung über die geplante Anlastung externer Kosten für den Schwerlastverkehr (Eurovignette) zu suchen. Die Kompromissvorschläge der belgischen EU-Präsidentschaft haben sich in den jüngsten Wochen konkretisiert. Die belgischen Unterhändler ist mehr als optimistisch, bereits beim kommenden EU-Verkehrsministerrat am 15. Oktober erzielen zu können. So hat offenbar eine Mehrheit der Mitgliedstaaten überzeugt werden können, die Staukosten nicht als feste Größe einzubeziehen und nur Umwelt- und Lärmkosten zu berücksichtigen. Wie aus diplomatischen Kreisen verlautete, bestehe darüber im Prinzip Einvernehmen. Offen ist, wie groß künftig die Spreizung der Mautsätze je nach Tageszeit sein darf. Belgien hatte 500 % statt der derzeit erlaubten 50 % vorgeschlagen. Im Rat zeichne sich unter den EU-Ländern 300 % als Kompromisslösung ab, verlautete aus Brüssel. Die Staukosten würden nach Schätzungen von Experten über 80 % der vorgeschlagenen externen Kosten ausmachen. Einer Einigung im Rat steht aber noch die vorgesehene Zweckbindung der Einnahmen aus den externen Kosten im Wege. Es besteht nach wie vor eine Pattsituation zwischen Transit- und Randstaaten. Letztere wollen, dass diese Mittel ausschließlich zum Ausbau der Verkehrsinfrastruktur genutzt werden. Die belgische Präsidentschaft hatte vorgeschlagen, den EU-Ländern die Entscheidung zu überlassen, wie die Einnahmen verwendet werden sollen. Auf der Suche nach neuen Geldquellen zur Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur zeigen sich die Mitgliedstaaten zwar aufgeschlossen, die Anlastung externer Kosten zu nutzen. Die Entscheidungsbefugnisse über die Einnahmen wollen vor allem die Transitstaaten aber auf keinen Fall abgeben. Kein Wunder, dass die EU- Kommission nach neuen Wegen sucht, die EU-Länder zu Investitionen in Infrastrukturprojekte von europäischem Interesse zu animieren. Deutlich wird das insbesondere bei den aktuellen Diskussionen über die Revision der Leitlinien zum Ausbau des Transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN). Angesichts begrenzter Geldmittel sollen sich die EU-Subventionen auf grenzüberschreitende Teilstücke konzentrieren. Vor allem aber denkt die Kommission über ein Bonus-Malus-System für TEN-Mittel Anlastung externer Kosten EU-Kommission und Mitgliedstaaten streiten um Einnahmen nach. Als Verkehrsinfrastrukturprojekt in das TEN-Kernetz integriert zu werden, dürfte demnach künftig nicht nur die Aussicht auf eine üppigere finanzielle Unterstützung aus Brüssel bieten. Diese will die EU-Kommission verstärkt an Bedingungen knüpfen. Die Dienststellen der Generaldirektion Move feilen an Modellen, welche die EU-Länder anhalten sollen, ihren Investitionszusagen nachzukommen. Im Gespräch ist insbesondere eine Art Bonus-Malus- System: Verschleppt ein Mitgliedstaat beispielsweise den Ausbau eines Korridors, könnte das Projekt von der Liste vorrangiger Projekte gestrichen oder die Zuschüsse könnten für andere Vorhaben des betreffenden Landes gekürzt werden. Zeigt sich eine nationale Regierung aber besonders investitionsfreudig, könnte dies im Gegenzug mit zusätzlichen TEN-Mitteln honoriert werden. Unterdessen zeichnet sich ab, dass die Häfen zum Rückgrat des künftigen Transeuropäischen Verkehrsnetzes werden. Ausgemacht scheint, alle Binnenhäfen in das geplante TEN-Kernnetz einzubeziehen. Begründung: Die Binnenhäfen hätten sich in der Regel zu wichtigen logistischen Knotenpunkten für den Güterumschlag entwickelt. Bei den Seehäfen soll die Anzahl hingegen auf 10 bis 20 begrenzt werden. Wie die Begründung bei den Binnenhäfen erkennen lässt, werden vor allem Häfen mit guten Hinterlandanbindungen eine Chance haben. Offen ist jedoch, ob sich die Kommission dazu durchringen wird, Prioritäten unter den TEN-Projekten nach deren europäischen Wert festzulegen. Nur so kann garantiert werden, dass angesichts der spärlichen Geldmittel zumindest die wichtigsten Achsen des europäischen Verkehrsnetzes kein Stückwerk bleiben. Christian Dahm, EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Logistik- Zeitung in Brüssel TEN Der Gedanke, transeuropäische Netze insbesondere für den Bereich Verkehr zu entwickeln, entstand Ende der 80er-Jahre. Mit dem Maastricht-Vertrag 1993 bekam die europäische Verkehrspolitik und damit das Transeuropäische Verkehrsnetz (TEN) einen neuen Stellenwert. 1994 einigten sich in Essen die Staats- und Regierungschefs auf die ersten 14 vorrangigen TEN-Projekte, zu deren Verwirklichung 1996 erstmals Leitlinien verabschiedet wurden. Diese legen insbesondere die Struktur des Verkehrsnetzes fest. Bis zum Jahr 2020 soll das Transeuropäische Verkehrsnetz rund 89 500 km, ein Schienennetz von rund 94 000 km und ein Binnenwassernetz von rund 11 250 km umfassen. Ferner gehören 210 Binnenhäfen, 294 Seehäfen und 366 Flughäfen zum TEN-Netz. Die Umsetzung der Projekte gestaltet sich jedoch schwierig. So waren 2003 nur ein Drittel des geplanten Verkehrsnetzes sowie lediglich drei der 14 vorrangigen Projekte aus dem Jahr 1994 fertiggestellt. Daraufhin wurden 2004 die Leitlinien erneut überarbeitet und auf Basis der Vorschläge der Mitgliedstaaten eine Liste mit insgesamt 30 vorrangigen Projekten festgelegt, die das Rückgrat des TEN-Netzes bilden. Derzeit arbeitet die Kommission an einer Revision der TEN-Leitlinien, die voraussichtlich im Frühjahr 2011 vorgelegt werden. Die EU und das transeuropäische Verkehrsnetz