Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0131
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Gerd Saueressig
Mobilität ist ein unverzichtbarer Bestandteil einer immer enger zusammen wachsenden Welt. Während die Anforderungen an die Verkehrsnetze und Transportmittel stetig steigen, gilt es, die Umweltauswirkungen des Verkehrs zu begrenzen. So wie andere Verkehrsträger ist auch der Luftverkehr gefordert, einen Beitrag zur Lärmminderung zu leisten. Lufthansa steht dabei mit innovativen Konzepten zur Lärmminderung in vorderster Reihe.
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Umwelt + Ressourcen 30 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 10/ 2010 Gerd Saueressig Leiser fliegen Mobilität ist ein unverzichtbarer Bestandteil einer immer enger zusammen wachsenden Welt. Während die Anforderungen an die Verkehrsnetze und Transportmittel stetig steigen, gilt es, die Umweltauswirkungen des Verkehrs zu begrenzen. So wie andere Verkehrsträger ist auch der Luftverkehr gefordert, einen Beitrag zur Lärmminderung zu leisten. Lufthansa steht dabei mit innovativen Konzepten zur Lärmminderung in vorderster Reihe. Der Autor Dr. Gerd Saueressig, Referent Umweltkonzepte Konzern, Deutsche Lufthansa AG, Frankfurt am Main; gerd.saueressig@dlh.de D urch Forschungs- und Entwicklungsarbeiten konnten Flugzeug- und Triebwerkhersteller in der Vergangenheit große Fortschritte bei der Reduzierung von Fluglärm erreichen. Auch künftig werden durch gezielte Maßnahmen weitere Verbesserungen möglich sein. Lufthansa beteiligt sich schon seit 1999 an Projekten im Rahmen des Forschungsverbunds „Leiser Verkehr“. Schon fünf Mal sind Lufthansa-Flugzeuge zu speziellen Überflugmessungen gestartet, um Schallquellen zu identifizieren und Daten zur Verbesserung von Fluglärmberechnungsprogrammen zu sammeln. Luft herumleiten Die wichtigsten Lärmquellen eines Flugzeugs sind die Triebwerke, die vor allem beim Abflug dominieren. Dementsprechend sind in der Vergangenheit hier die größten Fortschritte durch die Einführung der so genannten Mantelstromtriebwerke erzielt worden. Nur ein kleiner Teil der angesaugten Luft nimmt heute noch den Weg durch Verdichter, Brennkammer und Turbine und tritt an der Schubdüse wieder nach außen. Der größere Teil wird vom Fan, dem großen Rotor im Einlauf des Triebwerks, um den Kern des Triebwerks herumgeleitet und sorgt so für eine Ummantelung der heißen Kernbauteile und des heißen Abgasstrahls. Mit zunehmender Vergrößerung des Verhältnisses zwischen Mantel- und Kernstrom erreichen die Triebwerkhersteller eine immer bessere Abschirmwirkung, die in den vergangenen Jahrzehnten maßgeblich zur Verringerung der Lärmemissionen beigetragen hat. Diese Entwicklung zeigt sich auch im Vergleich der so genannten Lärmteppiche, deren Größe im selben Zeitraum deutlich reduziert werden konnte. Kanten zahnen Auch bei den neuesten Großraumflugzeugen werden wieder zahlreiche neu entwickelte lärmarme Technologien eingesetzt. Beispiel hierfür ist die gezahnte Düsenaustrittskante, die in der Scherschicht zwischen dem heißen Kernstrahl und dem kalten Mantelstrom dafür sorgt, dass die aufgrund der unterschiedlichen Strömungsgeschwindigkeiten entstehenden Verwirbelungen und damit der Lärm reduziert werden. Auch zwischen dem Mantelstrom und der Umgebungsluft entstehen Verwirbelungen, die sich je nach Triebwerk mit einer gezahnten Austrittskante reduzieren lassen. Die GEnx- 2B67-Triebwerke der neuen Boeing 747-8 Intercontinental sind an beiden Austrittskanten mit dieser Technologie ausgestattet. Stoßstellen vermeiden So genannte „spliceless liner“ stellen eine weitere neue Technologie dar, die aktuell ebenfalls an den modernsten Großraumflugzeugen (A 380, B 787, B 747-8I) eingesetzt wird. Hierbei handelt es sich um einen neuartigen Schalldämpfer, der direkt vor dem Fan positioniert ist. Bei älteren Triebwerken ist dieser Schalldämpfer aus mehreren Einzelteilen zusammengesetzt. Deren Stoßstellen beeinflussen das im Inneren des Triebwerks herrschende Schallfeld derart, dass Schallwellen nach außen abgelenkt werden können. Der neue Liner unterdrückt diesen Effekt äußerst effektiv, in dem er ohne Stoßstellen - etwa in einem Stück - gefertigt ist, so dass in Umlaufrichtung eine akustisch homogene Oberfläche entsteht. Auch bei vorhandenen älteren Flugzeugen kann diese Technologie nachgerüstet werden. Lufthansa investiert in den nächsten Monaten Millionenbeträge, um an den Triebwerken der in Frankfurt stationierten Lufthansa B 737-Flotte die bisherigen zwölf Schalldämpfer durch neue mit einer schallharten Oberfläche zu ersetzen. So lässt sich der durch die Stoßstellen bedingte Effekt weitgehend beseitigen, was zu einer beträchtlichen Lärmminderung von 2,4 dB beziehungsweise 2,0 dB bei An- oder Abflug führt. Die Umrüstung der B 737 ist Teil eines freiwilligen Maßnahmenpakets zum aktiven Schallschutz am Flughafen Frankfurt. Weitere Lärmreduzierungen sollen künftig durch Veränderungen von An- und Abflugverfahren und durch eine geänderte Bahn- und Routennutzung erreicht werden. Entwurf optimieren Bei der Landung, während die Triebwerke mit niedriger Drehzahl laufen, werden weitere Lärmquellen deutlich: Wenn Flugzeuge im Anflug nacheinander Landeklappen und Fahrwerke ausfahren, kann der Luftstrom an vielen Ecken, Kanten und in Hohlräumen Geräusche erzeugen, die ähnlich laut sind wie die der Triebwerke. Um eine Reduzierung der Geräuschemissionen bei der Landung zu erreichen, müssen verschiedene Schallquellen gleichzeitig Die kommende Boeing 747-8 Intercontinental weist zahlreiche Neuerungen auf. Die gezahnten Düsenaustrittskanten am Triebwerk stellen die augenfälligste Innovation dar. Quelle: Boeing Umwelt + Ressourcen 31 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 10/ 2010 276 Mikrofone messen das Geräusch einer Boeing 747-400 während rund 100 An- und Abflügen am Flughafen Schwerin/ Parchim. Foto: Claus Lahiri, DLR abgesenkt werden, wenn der Gesamtpegel sinken soll. Aufwändige Simulationsrechnungen sollen helfen, schon beim Entwurf von Flugzeugteilen lärmarme Varianten zu entwickeln. Großforschung, Universitäten, Flugzeug- und Triebwerkhersteller arbeiten hier Hand in Hand an der Verbesserung der Berechnungsmethoden. Zahlreiche nationale und internationale Forschungsprojekte widmen sich der Suche nach technischen Lösungen zur Lärmreduzierung von Flugzeugen. Der europäische Luftfahrtforschungsbeirat (ACARE) hat ambitionierte Technologieziele gesetzt, an denen sich die Arbeitsziele der Projekte orientieren: Bis 2020 soll der wahrgenommene Lärm neuer Flugzeuge im Vergleich zur aktuell genutzten Technologie um 50 % reduziert werden. Dies entspricht einer Pegelminderung des Flugzeuggeräuschs um 10 dB. Lufthansa unterstützt dieses Ziel und hat es entsprechend auch in ihrem strategischen Umweltprogramm als Leitlinie festgeschrieben. Berechnungsprogramme verbessern Die Beurteilung der an verschiedenen Standorten diskutierten Lärmminderungsmaßnahmen ist eine anspruchvolle Aufgabe. Die Wirkung einer Maßnahme im einzelnen Flug muss sehr detailliert bekannt sein, da sie an verschiedenen Orten sehr unterschiedlich ausfallen kann. Modifikationen am Fahrwerk machen sich beispielsweise erst in der letzten Phase des Anflugs bemerkbar, während eine Modifikation an den Triebwerken - wie bei den B 737 - über weite Strecken den Ab- und Anfluglärm reduzierend wirken kann. Die Berechnung von Fluglärm ist die effizienteste Beurteilungsmethode für vergleichende Betrachtungen. Nur wenige Berechnungsprogramme sind jedoch in der Lage, die Unterschiede mit und ohne Lärmminderungsmaßnahme ausreichend genau aufzulösen und damit die Veränderungen am Flugzeug oder im Flugverfahren entsprechend gut abzubilden. Eines der wenigen zur Verfügung stehenden hochauflösenden Programme, das diese Anforderungen erfüllt, ist das Fluglärmsimulationstool „SIMUL“ des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Gute Simulationsberechnungen hängen aber auch von der Qualität der Basisdaten ab, die durch Messungen unter kontrollierten Bedingungen ermittelt werden müssen. Deshalb haben DLR und Lufthansa in der Vergangenheit zahlreiche gemeinsame Überflugmessungen durchgeführt und dabei wichtige Daten zur Entwicklung und Verbesserung des Fluglärmsimulationsprogramms für den Airbus A 320 erhalten. Weitere Messdaten zur Erweiterung des Programms liegen derzeit noch für die Boeing 747-400 vor. Sie wurden im Rahmen von Überflugmessungen im Herbst 2008 ermittelt (Projekt „Frequenz“ im 3. nationalen Luftfahrtforschungsprogramm des BMWi). Die Lärmteppiche sind in den vergangenen Jahrzehnten deutlich geschrumpft. Quelle: Lufthansa/ Flughafen München Umwelt + Ressourcen Ohne Testflüge keine Daten Um einzelne Lärmquellen vermessen zu können, bedarf es eines speziellen Flugprogramms, in dem zahlreiche Parameter systematisch variiert werden, was im Rahmen von regulären Flügen nicht möglich wäre. Die Überflugmessungen mit der Boeing 747-400 fanden deshalb am Flughafen Schwerin/ Parchim statt, wo das DLR nicht weniger als 276 Mikrofone installierte. Die Lufthansa-Piloten flogen an vier Tagen nahezu 100 Mal über das Mikrofonsystem und veränderten bei jedem Anflug die Stellung der Klappen und des Fahrwerks sowie die Geschwindigkeit, damit die Umströmungslärmquellen genauer untersucht werden können. Abflüge mit unterschiedlichen Startschubeinstellungen und Überfluggeschwindigkeiten geben darüber hinaus Auskunft über die einzelnen Schallquellen des Triebs werks. Für eine gute Datenqualität und -vergleichbarkeit müssen möglichst konstante Ausgangsbedingungen herrschen. Deshalb waren stabile Wetterlagen (wenig Wind, kein Regen, gute Sicht) ebenso notwendig wie das regelmäßige Auftanken des Flugzeugs, um das Gewicht möglichst konstant zu halten. Momentan fehlt es jedoch an einem Nachfolgeprojekt zur Auswertung und Integration dieser Messdaten in das Simulationsprogramm. Ohne Daten keine Umsetzung Ist das Lärmminderungspotenzial einer Maßnahme ausreichend genau bekannt, so kann sie für den/ die betrachteten Flugzeugtyp(en) in ein Flughafenverkehrsszenario implementiert werden. Durch die Differenzbetrachtung der Fluglärmimmissionen mit und ohne Maßnahme lässt sich die lokale Wirkung einer Modifikation in einem komplexen Flugbetrieb gut veranschaulichen. Derzeit werden nur wenige Fluglärmberechnungsverfahren diesen Anforderungen gerecht, weil sie die Maßnahmen oft nicht genau genug abbilden können. Die Methode zur Fluglärmberechnung gemäß deutschem Fluglärmgesetz (AzB/ AzD) ist beispielsweise ein bewährtes, auf gesetzliche Zwecke ausgerichtetes Prognoseberechnungsverfahren, das für vergleichende Untersuchungen nur bedingt geeignet ist. Die standardisierte Datenbasis fasst Flugzeugtypen in Gruppen zusammen und legt gemeinsame vertikale Flugprofile fest. Mit der geplanten DIN 45689 („Ermittlung von Fluggeräuschimmissionen an Flughäfen“) sollen künftig zahlreiche Verbesserungen hin zu flexibleren Strukturen eingeführt werden. Diese Norm soll das akustische Gerüst der AzB erhalten und das flugmechanische Modell des europäischen Standards ECAC Doc.29 integrieren. Damit verbunden sind auch der Übergang von Flugzeuggruppen zu Flugzeugtypen und die Möglichkeit, variable Flugprofile zu berücksichtigen. Insgesamt gesehen bedarf es zur umfassenden Beurteilung von Maßnahmen zur Fluglärmminderung also einer Kombination aus hoch aufgelösten Berechnungen von Einzelflügen und einer flexibleren Berechnungsmethode für ganze Flughafenverkehrsszenarien. Aus Lufthansa-Sicht wäre es wichtig, diese Methoden und Werkzeuge systematisch weiterzuentwickeln. Eine gemeinsame Initiative von Flughäfen, Fluggesellschaften, Flugsicherung, Herstellern und Behörden zur Verbesserung der Methodik und Datenlage von Fluglärmberechnungswerkzeugen ist dafür der beste Weg. Weitere Informationen inden Sie in Kürze unter www.eurailpress.de! Die Bahnen Europas verbinden heute über 800 Mio. Menschen. Fortschreitende Liberalisierung, Deregulierung, vor allem aber Harmonisierung der über viele Jahrzehnte getrennten Eisenbahnräume und die Realisierung eines umweltfreundlichen Verkehrs bringen die Bahnentwicklung weiter voran. Diese Spezialausgabe des Jahrbuchs zum Jubiläum „175 Jahre Eisenbahnen in Deutschland“ trägt dazu bei, mit neuen Fakten die traditionsreiche deutsche Eisenbahngeschichte nachvollziehbar zu machen und zugleich neue Anforderungen und Ziele festzulegen. 175 Jahre Eisenbahnen in Deutschland Technische Daten: ISBN 978-3-7771-0407-2, Format 210 x 300mm, 208 Seiten, Preis: € 44,inkl. MwSt. zzgl. Versandkosten Kontakt: DVV Media Group GmbH l Eurailpress, Telefon: +49/ 40/ 2 37 14-440 · Fax +49/ 40/ 2 37 14-450, E-Mail: buch@dvvmedia.com Jubiläumsausgabe Weitere Informationen sowie eine Leseprobe inden Sie unter www.eurailpress.de/ jdB. Jahrbuch des Bahnwesens Edition 2010
