eJournals Internationales Verkehrswesen 62/11

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0146
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2010
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Aus- und Weiterbildung im Verkehrswesen

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Fritz Busch
Kristina Kebeck
Daniel Monninger
Intelligente Verkehrssysteme spielen im Verkehrssektor heutzutage eine zentrale Rolle. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Effizienzsteigerung vorhandener Infrastruktur, ermöglichen die Erhöhung der Verkehrssicherheit, stellen Verkehrsinformation in Echtzeit bereit und vieles mehr. Die rasante Weiterentwicklung in diesem Bereich und die Forderung nach geeignetem Fachpersonal führen dazu, dass die Anforderungen an die Ausbildung stetig steigen. Gleichzeitig erhöht sich der Bedarf an qualifizierter Weiterbildung. Der Beitrag fasst die wichtigsten Ergebnisse einer Studie in Europa zusammen und formuliert künftige Anforderungen.
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Technologien + Informationssysteme 16 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 11/ 2010 Fritz Busch / Kristina Kebeck / Daniel Monninger Aus- und Weiterbildung im Verkehrswesen Anforderungen auf dem Gebiet der intelligenten Verkehrssysteme Intelligente Verkehrssysteme spielen im Verkehrssektor heutzutage eine zentrale Rolle. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Effizienzsteigerung vorhandener Infrastruktur, ermöglichen die Erhöhung der Verkehrssicherheit, stellen Verkehrsinformation in Echtzeit bereit und vieles mehr. Die rasante Weiterentwicklung in diesem Bereich und die Forderung nach geeignetem Fachpersonal führen dazu, dass die Anforderungen an die Ausbildung stetig steigen. Gleichzeitig erhöht sich der Bedarf an qualifizierter Weiterbildung. Der Beitrag fasst die wichtigsten Ergebnisse einer Studie in Europa zusammen und formuliert künftige Anforderungen. Die Autoren Prof. Dr.-Ing. Fritz Busch, Dipl.-Geogr. Kristina Kebeck, Dipl.-Ing. Daniel Monninger, Technische Universität München, Fakultät für Bauingenieur- und Vermessungswesen, Lehrstuhl für Verkehrstechnik, Arcisstr. 21, 80333 München, Fritz.Busch@vt.bv.tum.de D as Thema der Harmonisierung von Ausbildung in Europa wird in den kommenden Monaten mit dem Abschluss des Bologna-Prozesses stark im öffentlichen Interesse stehen. Die Umsetzung der im Bologna-Prozess vorgeschlagenen Maßnahmen, wie die Einführung eines Systems gut nachvollziehbarer und vergleichbarer Hochschulabschlüsse, die Förderung und Anrechenbarkeit der Mobilität von Studierenden, Lehrkräften und Wissenschaftlern, die Sicherung der Qualität der Bildung, die Berücksichtigung der europäischen Dimension in der Hochschulbildung und die Förderung des lebenslangen Lernens 1 , hat zu einem europaweiten Umbruch der bisherigen Lehrsituation geführt. Die Überprüfung der Maßnahmen nach Abschluss des Bologna-Prozesses in 2010 wird für neue Diskussionen über eine zukünftige Gestaltung von Aus- und Weiterbildung führen. Vor diesem Hintergrund soll die Aus- und Weiterbildungssituation im Verkehrsbereich, genauer im Bereich der sogenannten intelligenten Verkehrssysteme (IVS, englisch: ITS = Intelligent Transport Systems and Services), vertieft betrachtet werden. Hier gab es in den vergangenen Jahren eine durch technischen Fortschritt bedingte besondere Entwicklungsdynamik. Intelligente Verkehrssysteme wurden rasant weiterentwickelt und verbessert. Inzwischen ist hier eine neue Berufssparte herangewachsen. Diese Sparte durch neue Ausbildungsprogramme hinreichend zu bedienen, ist eine notwendige und verantwortungsvolle Aufgabe. Es ist für die europäischen Hochschulen von zentraler Bedeutung, hier den Anschluss nicht zu verlieren. Die Überprüfung des Bildungskonzepts und die Entwicklung von Maßnahmen zur Wissensvermittlung im Bereich ITS sind notwendig, um die Chancen dieser neuen Verkehrstechnologien sinnvoll nutzen zu können und dabei den hohen Anforderungen, die eine moderne Gesellschaft an effiziente und zugleich umweltbewusste Mobilität stellt, jetzt und in Zukunft gerecht zu werden. Stand der Aus- und Weiterbildung in ITS Intelligente Verkehrssysteme spielen im Verkehrsbereich heutzutage eine zentrale Rolle. Die Vorteile der Verkehrstelematik (der hinter ITS stehenden Verkehrstechnologie) sind vielfältig - besonders hervorzuheben sind die Steigerung der Effizienz der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur, die Minimierung von Staus, die Verringerung der Umweltbelastung durch gezielte Verkehrssteuerung sowie die Erhöhung der Verkehrssicherheit. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Professionalisierungstendenzen im Berufsfeld der intelligenten Verkehrssysteme“, gefördert durch das österreichische Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT), wurden umfangreiche Untersuchungen zum Berufsfeld ITS durchgeführt. 2 Als ein Forschungsbereich wurde die europäische Aus- und Weiterbildungssituation untersucht. Das Berufsfeld von Verkehrsfachleuten mit Schwerpunkt ITS ist relativ jung und im besonderen Maße durch schnelle und stetige Weiterentwicklung geprägt. Verschiedene Faktoren generieren für dieses Berufsfeld die Notwendigkeit einer Anpassung der bisherigen Bildungskonzepte: ̇ Die Ausbildung für das Berufsfeld der intelligenten Verkehrssysteme geht bislang nicht tief genug, um ein umfassendes Verständnis zu vermitteln. ̇ Das Themenfeld ITS ist im besonderen Maße durch einen schnell wechselnden Stand der Technik und eine sich stetig weiterentwickelnde Praxis gekennzeichnet. ̇ Insgesamt ist in der betroffenen Fachwelt noch relativ wenig Bewusstsein für die Möglichkeiten dieser oft nach außen hin unsichtbaren Technik vorhanden. ̇ Intelligente Verkehrssysteme gelangen jedoch zunehmend in die Anwendung. ITS ist daher nicht mehr ein Thema, das sich auf Expertengruppen beschränkt. ̇ Durch die Aufstellung eines Aktionsplans und die Verabschiedung der europäischen Richtlinie zur Einführung von intelligenten Verkehrssystemen im Juni 2010 ist europaweit Handlungsbedarf für die zuständigen Verwaltungen entstanden. Generell ist in verschiedenen Ländern Europas eine deutliche Tendenz zu erkennen, dass sich der ITS-Bereich technisch in einem viel schnelleren Tempo weiterentwickelt als die betreffenden Ausbildungsprogramme. Hierdurch entsteht eine Wissenslücke, die geschlossen werden muss. Ausbildung von zukünftigen Praktikern im Bereich ITS erfolgt in Europa momentan in der Regel in den ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen der Hochschulen. Schwächen in der Ausbildung von Verkehrsfachleuten sind ersichtlich, die u. a. darauf beruhen, dass häufig Grundlagenwissen in ITS vermittelt wird, Spezialwissen in ITS jedoch in der Regel nicht Bestandteil der Ausbildung ist. Insbesondere fehlt es häufig an der Darstellung aktueller Bezüge und Vermittlung des neuesten Stands der Technik. Das Fehlen geeigneter Ausbilder, Dozenten sowie Best-Practice- Beispiele zur Veranschaulichung der Inhalte der Verkehrstelematik verstärken in einigen Ländern die unzureichende Ausbildungssituation. Bezüglich der Weiterbildung im Bereich der Verkehrstelematik wird deutlich, dass es nicht genügend Angebote gibt, die unabhängig sind und wertfreies Wissen vermitteln. Die meisten diesbezüglichen Offerten sind kommerzi- Technologien + Informationssysteme 17 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 11/ 2010 ell angelegt, werden von der Industrie gehalten oder sind inhaltlich stark durch sie geprägt. Des Weiteren zeigt sich, dass ein großer Bedarf an Informationen besteht und eine Vielzahl an ITS-Themen aus Individualverkehr, öffentlichem Personennahverkehr sowie aus dem Bereich der Logistik nachgefragt wird. Zukünftige Gestaltung von Aus- und Weiterbildung im Bereich ITS Eine fundierte Ausbildung wird als das wichtigste Instrument identifiziert, um Wissen im Bereich der intelligenten Verkehrssysteme zu generieren, sei es als Vertiefung während des Studiums oder als Weiterbildungskurs. Zur Verbesserung und Verstetigung des Wissens sollten die Ausbildung sowie die Weiterbildung von Verkehrsfachleuten grundlegend überdacht und den Anforderungen des Marktes entsprechend reformiert werden. Dazu sollte es zu einer neuen Gestaltung bestehender Studiengänge mit Anknüpfungspunkten zur Verkehrstelematik kommen, um das Defizit zwischen der Ausbildung von Fachleuten und den Anforderungen des Marktes unmittelbar zu schließen. Deutlicher als bisher sollte die Ausbildung berücksichtigen, dass die Anwender- und Kundensichtweisen heutzutage von entscheidender Bedeutung für den Erfolg von ITS-Lösungen sind. Zur spezifischen Gestaltung der Ausbildung in ITS sollten Fachleute aus der Praxis mit in die Ausbildung einbezogen werden. Neben Vorträgen oder Seminaren von ITS- Anwendern an Hochschulen sind Praktika und Diplomarbeiten bei Unternehmen gute und notwendige Ausbildungsmöglichkeiten. Eine stärkere Integration von ITS-Themen in die Ausbildung wird gefordert. Entsprechendes Grundlagenwissen in Verkehrstechnik und Verkehrsplanung bleibt dabei jedoch immer die wichtigste Voraussetzung; eine zu starke Spezialisierung der Studieninhalte allein auf ITS wird allgemein nicht als zwingend notwendig erachtet. Für angehende Verkehrsfachleute ist eine solide Grundausbildung in einer der Disziplinen, die in ITS zur Anwendung kommen, von entscheidender Bedeutung. Auf dieser Basis sollte eine berufsbegleitende, dauerhafte Weiterbildung in Themen der Verkehrstelematik umgesetzt werden. Gefordert wird auch ein größeres Angebot an ein- und mehrtägigen Weiterbildungen im Bereich der Verkehrstelematik, um der schnellen Entwicklung in diesem Aufgabenfeld Rechnung zu tragen. Das Ziel von eintägigen Veranstaltungen sollte es sein, einen Überblick über Möglichkeiten und Chancen von intelligenten Verkehrssystemen zu geben sowie aktuelle Projekte vorzustellen. Zielgruppe dieser kurzen und inhaltlich nicht zu stark in die Tiefe gehenden Veranstaltungen sollten Personen sein, die in ihrer Arbeit mittelbar mit intelligenten Verkehrssystemen arbeiten und Entscheidungen treffen müssen. Des Weiteren sollte es zweibis dreitägige Weiterbildungskurse geben, in denen detailliert und intensiv verschiedene Themen von ITS abgehandelt werden. Neben einem kurzen Überblick sollten hier der aktuelle Stand der Technik sowie anhand verschiedener Praxisbeispiele auch Zukunftsideen bzw. -tendenzen vorgestellt werden. Derartige Kurse können auch die Abhandlung sehr spezifischer Themen zum Inhalt haben. Zielgruppe dieser Weiterbildungskurse wären professionelle Anwender von ITS. Nachgefragt werden Themen aus allen Bereichen der Verkehrstelematik, insbesondere ̇ Verkehrsinformations- und Navigationssysteme ̇ intelligente Mautsysteme ̇ rechnergestützte Betriebsleitsysteme (Intermodal Transport Control Systems) im ÖPNV ̇ Fahrzeugflottenmanagement ̇ intelligentes Verkehrsmanagement (innerorts und außerorts) ̇ ITS im intermodalen Stadtverkehr ̇ kooperative Systeme (Vehicle-to-X- Communication) ̇ ITS zur Steigerung der Verkehrssicherheit. Weiterbildungsangebote in einem vergleichbaren Format sind derzeit nicht vorhanden. Es sollte angestrebt werden, ein jährliches Kursprogramm aufzulegen, in dem nach Möglichkeit alle wichtigen ITS- Themen abgedeckt sind. Ein Ausbau von Weiterbildungskursen hin zu einem modularen System und einem qualifizierenden Abschluss wird für die Zukunft als weitere Möglichkeit gesehen, eine stärkere Professionalisierung in diesem Berufsfeld zu erlangen. Die Konzeption, Organisation und Durchführung von solchen Weiterbildungsmaßnahmen im Bereich ITS sollten durch eine unabhängige Einrichtung durchgeführt werden, um eine objektive Wissensvermittlung zu ermöglichen. Hierfür bietet sich das Bildungsnetzwerk ITS- EduNet e.V. als geeignete Institution an. Diese gemeinnützige und neutrale Organisation wurde aus der notwendigen Einsicht heraus gegründet, die Aus- und Weiterbildung auf dem ITS-Sektor zu verbessern. Namhafte europäische Hochschulen sowie ITS-Verbände haben sich in diesem Netzwerk zusammengeschlossen (aktueller Mitgliederstand siehe Tabelle ). ITS- EduNet hat zum Ziel, das Ausbildungsniveau im Bereich der Intelligenten Verkehrssysteme auf internationaler Ebene zu verbessern und den Wissensstand zu vernetzen und zu harmonisieren. Zudem soll auf politischer Ebene ein Bewusstsein für die Bedeutung und Notwendigkeit einer guten Ausbildung geschaffen werden. Sowohl im Bereich der Ausbildung von zukünftigen Verkehrsfachleuten wie auch im Bereich der berufsbegleitenden Weiterbildung von Verkehrstelematikern besteht ein großer Bedarf, die Professionalisierung voranzutreiben. Eine fundierte Ausbildung, zugleich aber auch eine andauernde Weiterbildung von Verkehrsfachleuten sind notwendig, um den hohen Anforderungen, die eine moderne Mobilität stellt, jetzt und in Zukunft gerecht zu werden. 1 http: / / europa.eu/ legislation_summaries/ education_ training_youth/ general_framework/ c11088_de.htm 2 Das Projekt wurde durchgeführt von der Fachhochschule Technikum Wien (Federführung), der Unternehmensberatung 3s sowie dem Lehrstuhl für Verkehrstechnik der TU München im Auftrag von ITS EduNet e.V.; Projektlaufzeit Februar 2009 bis Januar 2010. Detaillierte Ergebnisse der Studie sind unter www.its-edunet.org allgemein zugänglich. Die Autoren danken Herrn Dr. Günter Essl für seine Anregungen bei der Erstellung dieses Beitrags. Mitglieder des Netzwerks ITS-EduNet (Stand August 2010) Institution Land Technische Universität München, Lehrstuhl für Verkehrstechnik Deutschland University of Southampton, Transportation Research Group Vereinigtes Königreich Czech Technical University Tschechien Fachhochschule Technikum Wien Österreich Kungliga Tekniska Högskolan, Department of Infrastructure Schweden University of Ljubljana, Traffic Technical Institute Slowenien Technische Universität Graz Österreich Linköping University Schweden Politecnico di Torino Italien ITS Bretagne Frankreich ITS Norway Norwegen