eJournals Internationales Verkehrswesen 62/11

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0154
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Vernetzte Systeme künftig grundlegend für erfolgreiche Logistik

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Kristina Stifter
Wie sieht der intelligente Güterverkehr von morgen aus? Welchen Einfluss wird die ständige Weiterentwicklung von Informations- und Kommunikationssystemen auf die Logistik der Zukunft nehmen? Einige Antworten lieferte das von der PTV AG veranstaltete Symposium auf der IAA Nutzfahrzeuge Ende September 2010 in Hannover.
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Technologien + Informationssysteme 37 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 11/ 2010 Container sind heute bereits mit diversen Systemen ausgerüstet, die den Informationsfluss gewährleisten. Quelle: PTV Kristina Stifter Vernetzte Systeme künftig grundlegend für erfolgreiche Logistik Wie sieht der intelligente Güterverkehr von morgen aus? Welchen Einfluss wird die ständige Weiterentwicklung von Informations- und Kommunikationssystemen auf die Logistik der Zukunft nehmen? Einige Antworten lieferte das von der PTV AG veranstaltete Symposium auf der IAA Nutzfahrzeuge Ende September 2010 in Hannover. Die Autorin Kristina Stifter, Vice President Corporate Communications, PTV AG, 76131 Karlsruhe; kristina.stifter@ptv.de G rüne Logistik ist in aller Munde, Effizienzsteigerungen zur Verbesserung der Umweltwirkung des Güterverkehrs und zur Eindämmung der Energiekosten sind notwendig. Bisher lagen die Ansätze besonders in Fahrzeugtechnologie, Fahrerschulungen und intermodaler Transportplanung. Künftig werden auch die Optimierung auf Unternehmensebene sowie der verstärkte Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zur Planung und Steuerung von verkehrsträgerübergreifenden Transporten notwendig sein, um die erwarteten globalen Güterströme zu bewältigen. Die erstmals vorgestellten Ergebnisse der Studie „Intelligent Cargo Systems“, die im Auftrag der EU-Kommission von PTV durchgeführt wurde, bieten zwei Szenarien: Eines für 2020, das realistisch skizziert, welche Veränderungen durch neue Technologien auf die Transportlogistik zukommen. Das zweite eher visionär für 2035, das beschreibt, welche weiteren Entwicklungen auf Basis der neuen Technologien voraussichtlich folgen werden. Ausgangslage Durch zunehmende Konsolidierung von Ladung - unterstützt durch IT - können heute Güterverkehre umweltschonender und effizienter abgewickelt werden als bisher. Bezogen auf die Optimierung von Transportprozessen erreichen diese Systeme jedoch nur eine geringe Vernetzung über die Supply Chain und sind in der Regel isolierte Applikationen. Eine Reaktion auf dynamische Veränderungen findet in der Regel über manuelles Eingreifen der Disponenten und Planer statt. Automatisierung und Selbststeuerung von Transport- und Logistikprozessen sind bisher Vision. Erste Ansätze werden derzeit in der Steuerung von In House-Prozessen intensiv getestet: das „Internet der Dinge“. Die Verbreitung von IKT-Technologien in der Logistik nimmt jedoch stetig Fahrt auf. Im globalen Containerverkehr gibt es bereits vielseitige Anwendungen. Dazu gehört beispielsweise die lückenlose Transportverfolgung mit Hilfe von Sensortechnologie. Einige Beispiele: das Container-ID-Tag zur Identifikation, für die Sicherheit das CSD-Tag (Container Security Device), das elektronische Zollsiegel E-Seal, das Informationen über die Ware vorhält, oder auch E-Tags für die Ausführung von logistischen Anwendungen. Unternehmen setzen zudem zunehmend auf die RFID-Technologie (radio-frequency identification) und moderne IT-Plattformen, um Transporte, Lager- und Umschlagprozesse zu überwachen und zu steuern. Der Trend geht dabei eindeutig zu vernetzten Systemen. Erste Anwendungen gibt es heute bei der Verkehrslenkung auf Basis von aktuellen Verkehrsinformationen, Verkehrsmanagementzentralen entwickeln erste kooperative Systeme, die Tourenoptimierung kann unter Berücksichtigung von Verkehrsinformationen erfolgen, im städtischen Bereich gibt es innovative Anwendungen, mit denen sich etwa Ladebuchten vorreservieren lassen. Die Erkenntnis, „der Güterverkehr wird intelligenter werden“, ist weit verbreitet. Doch was heißt „intelligenter“ Güterverkehr konkret? Das PTV-Forschungsteam hat für diese Intelligenz folgende Charakteristika herausgearbeitet: ̇ papierlose Transportdokumente - als digitale Informationen begleiten sie die Ware über alle Verkehrsträger hinweg ̇ Ladeeinheiten können autonom Entscheidungen treffen - zur optimalen Abwicklung von Transporten ̇ Formate und Schnittstellen zur Transportverfolgung sind weitgehend standardisiert, Planungs- und Steuerungssysteme sind großflächig im Einsatz ̇ dynamische Datenquellen, auch Echtzeitinformationen, werden verwendet. Meinungen Im Frühjahr 2009 haben die Forscher 15 Experten aus Logistik, Industrie, IT, Beratung und Forschung nach ihren Prognosen für die Zukunft des Güterverkehrs gefragt. Die Interviewpartner sind unter anderem der Meinung, dass ̇ die Einführung papierloser Dokumente realistisch und eine notwendige Voraussetzung für „intelligenten” Güterverkehr ist. Zur Umsetzung müssten international harmonisierte gesetzliche Rahmenbedingungen und Standards geschaffen werden. ̇ autonome Systeme für einzelne Anwendungen möglich oder bereits implementiert sind. Jedoch könne die großflächige Einführung eines „intelligenten Güterverkehrssystems” kurzfristig nicht erreicht werden und bleibe Vision. ̇ entsprechende Geschäftsmodelle wesentliche Grundlage für Grad und Ausmaß der Einführung „intelligenter” Güterverkehre sind Technologien + Informationssysteme 38 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 11/ 2010 ̇ Echtzeitinformationen vor allem auf „globalen” Routen notwendig sind ̇ mögliche Effizienzgewinne von deutlich über 10 % (Kapazitätsauslastung, Leerfahrtenvermeidung, Fehlerreduzierung, etc.) erreicht werden können ̇ die Entwicklung zu dezentraler Datenhaltung vielversprechend ist. Dies setze jedoch neue IT-Architekturen und Prozessabläufe voraus, welche derzeit noch nicht existieren. Zukunftsszenario 2020 Das erste Szenario beschreibt den intelligenten Güterverkehr, wie ihn die Befragten unter realistischen Bedingungen in 2020 erwarten: Eine abgestimmte Business-Logik für die gesamte Transportkette ist vorhanden, Standardformate und -Schnittstellen liegen vor, 2D-Barcode ist als Standard für die Identifikation eingeführt, Transporte werden papierlos dokumentiert, zentrale Backend-Systeme zur Datenverarbeitung, Transportplanung/ steuerung und Entscheidungsfindung regeln Transportprozesse, die autonome Entscheidungsfindung für erste Branchen wie Wertgüter oder Gefahrgut ist realisiert. Die Umsetzung wird von den Experten als realistisch eingestuft, da der Weg der technologischen Entwicklung mit dynamischen Routing- und Planungsverfahren, Eventmanagementsystemen und vernetzten Systemen bereits vorgezeichnet ist. Zukunftsszenario 2035 Dieses Szenario baut auf den voraussichtlichen technologischen Errungenschaften von 2020 auf. Jedoch beginnt hier ab dem Warenausgang ein neuer Prozess. Die Ladung selbst wird zur „intelligenten“ Sendung, die selbstständig entscheidet - abgestimmt mit den Plänen aus dem Materialfluss und der Transportsteuerung, wie sie mit welchem Transportdienst ausgeliefert wird. Es wird damit zu einen Paradigmenwechsel kommen von der zentralen zur dezentralen Planung: Die einzelne Ware oder Ladung bestimmt den optimalen Weg durch das vorhandene Transportnetzwerk, nicht mehr eine zentrale Planungsstelle. Materialfluss- und Transportsteuerung werden durch intelligente Sendungen verknüpft. Daten zur Transportsteuerung und Sendungsinformationen liegen jederzeit in Echtzeit vor entlang der kompletten Supply Chain. Voraussetzung für die Umsetzung ist, dass die technologische Entwicklung, wie im realistischen Szenario skizziert, stattgefunden hat. Zudem ist durch den Paradigmenwechsel eine grundlegende Änderung der Geschäfts- und Abwicklungsprozesse notwendig. Verkehrliche Wirkung Die Studie hat auch die Auswirkung auf den Güterverkehr untersucht. Die Umsetzung der Szenarien hat eine bedeutende verkehrliche Wirkung. Ökonomische Vorteile durch Treibstoffeinsparung - erzeugt durch effizientere Transportorganisation - bieten entsprechende ökologische Verbesserungen durch die damit einher gehenden sinkenden Schadstoffemissionen. Zudem gehen die Forscher davon aus, dass es durch ausgereifte Sicherungs- und Identifikationssysteme zu weniger Ladungsdiebstählen kommen kann, weniger Übergriffe auf Fahrer erfolgen, weniger Verwechslungen durch eine bessere Identifikation der Waren vorkommen und die Versicherungskosten sinken. Darüber hinaus rechnen sie damit, dass weniger Unfälle passieren, so dass auch die Zahl der Verletzten und Toten im Verkehrssektor sinkt. Europäische Ansätze Auftraggeber der Studie war die Europäische Kommission, Generaldirektion Informationsgesellschaft und Medien IKT für den Verkehr. Für die EU-Kommission war es wichtig zu erfahren, wie weit die europäische Logistikwelt beim Einsatz von IKT fortgeschritten ist und welche Maßnahmen erforderlich sind, um die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit dieser Industrie zu stärken. Von besonderem Interesse waren über den Status Quo hinaus die Effekte, die der IKT-Einsatz im Hinblick auf die Effizienz und Nachhaltigkeit des Güterverkehrs haben wird. Wie werden Schutz und Sicherheit sowohl der Güterverkehrsinfrastrukturen als auch der beteiligten Objekte (Fahrzeuge, Transportbehälter, Güter) sichergestellt? Wie soll sich der Übergang hin zum intelligente(re)n Güterverkehr gestalten? Wolfgang Hoefs, Projektleiter bei der EU-Kommission, stellte bei der Präsentation der Studienergebnisse heraus, dass eine europäische Verkehrspolitik betrieben werden muss, die für mehr Sicherheit und Effizienz sorgt sowie gesellschaftliche und nationale Interessen integriert. Für ihn zeichnet sich ein intelligentes Gut dadurch aus, dass es sich selbst identifizieren kann, Informationen mit anderen Beteiligten austauscht und über den eigenen Betriebszustand Kenntnis hat. Erreicht werde dies durch eingebettete Mikroelektronik-Module und Sensoren, die herkömmliche Waren zu intelligenten Elementen machten: Das „Internet der Dinge“ erlaube somit neuartige Informationsdienste und einen kooperativen Wissensaustausch. Für den Güterverkehr sind Komplexität, die hohe Fragmentierung des Marktes, der notwendige Investitionsbedarf und die globale Dimension die größten Herausforderungen, die zu meistern sind. Hier will die EU-Kommission die notwendige Koordinierungsarbeit vorantreiben. Zahlreiche Arbeitsprogramme sind und werden dafür aufgesetzt. Aktuell werden Unternehmen animiert, ihre Ideen für nachhaltige Mobilitäts- und Logistikkonzepte einzureichen, siehe IKT-Aufruf-7 im 7. Rahmenprogramm im September. Für 2011 ist ein Budget von 50 Mio. EUR zur Förderung der Umsetzung dieser Ideen eingestellt. In 2012 stehen im Aufruf-8 weitere 40 Mio. EUR für nachhaltige kooperative Systeme zur Verfügung. Programme wie der EU-Logistikaktionsplan oder der deutsche „Masterplan Güterverkehr und Logistik“ beschreiben die politischen Rahmenbedingungen zur Weiterentwicklung intelligenter Konzepte für den Güterverkehr, die sicherstellen werden, dass wir bei steigendem Mobilitätsbedarf auch morgen noch effiziente und umweltfreundliche Transportsysteme betreiben können. Der „Smart Truck“ von DHL nutzt RFID und eine neuartige Tourenplanungssoftware, die die Express-Fahrzeuge unter anderem an innerstädtischen Staus vorbeinavigiert. In einem Pilotprojekt sind seit Ende März 2009 zwei dieser Fahrzeuge auf Berlins Straßen im Einsatz. Grundlage der intelligenten Tourenplanung sind satellitengestützte Geo- und Telematikdaten, um das Fahrzeug zu orten und die Verkehrslage zu analysieren. Die Daten werden direkt an die dynamische Tourenplanung übermittelt, die die Touren - je nach Auftragslage und Verkehrsaufkommen - flexibel umplant. Für den reibungslosen Datenaustausch hat das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz die entsprechende IT-Architektur entwickelt. Fotos: DHL