eJournals Internationales Verkehrswesen 62/12

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0171
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EU-Verkehrskommissar Siim Kallas muss eine deutliche Sprache sprechen

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Christian Dahm
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Aus der Europäischen Union 42 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 12/ 2010 Gut neun Monate ist EU-Verkehrskommissar Siim Kallas im Amt. Bei öffentlichen Auftritten fällt auf, dass der Este sich schwer tut, ein gutes Bild abzugeben. Zum einen mag es insbesondere an den dürftigen Englischkenntnissen liegen, dass er so seine Schwierigkeiten hat, klare Worte zu finden. Zum anderen lässt auch weiterhin seine unzureichende Einarbeitung in die Materie zu wünschen übrig. Bezeichnend war unter anderem der jüngste Auftritt vor dem Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments (EP). Da brachte die Europaabgeordnete Eva Lichtenberger (Die Grünen) den Kommissar in Verlegenheit. Die Österreicherin wollte eigentlich nur wissen, wie es um die Kontrolle der Lenk- und Ruhezeiten in den EU-Mitgliedstaaten bestellt ist. Doch Kallas ließ mehr Fragen offen, als er beantwortete: So gestand er zwar ein, dass es ein Problem gebe und einige Länder besser, andere schlechter kontrollierten, erklärte aber gleichzeitig auch, dass das Thema ganz oben auf der Agenda der Kommission stehe und letztlich jegliche Kritik an der EU- Behörde in dieser Frage haltlos sei. Schließlich forderte er Lichtenberger auf, ihm doch Vorschläge zu unterbreiten, was besser gemacht werden könne. Unsouverän! Und bei der Frage, wann denn nun die angekündigte Aufhebung der Kabotagebeschränkungen im Güterkraftverkehr vorgenommen wird, fiel der Este nicht gerade durch Detailkenntnisse auf. Denn Kallas war der Meinung, dass die Beschränkungen in einigen Jahren sowieso automatisch auslaufen würden. Falsch! Das EP hatte dies zwar für 2014 gefordert, der EU-Ministerrat war diesem Wunsch aber nicht gefolgt. Nichtsdestotrotz wissen Insider, dass Kallas bei weitem nicht so „planlos“ ist, wie seine öffentlichen Auftritte vermuten lassen. Er hat eine genaue Vorstellung davon, was er als Verkehrskommissar erreichen EU-Verkehrskommissar Siim Kallas muss eine deutliche Sprache sprechen Die Kommission sollte den Mitgliedstaaten auf die Finger klopfen will. Eines seiner vorrangigsten Ziele ist, die Liberalisierung der Transportmärkte zu vollenden. Das ist natürlich ein steiniger Weg, bei dem er insbesondere auf den Widerstand der Mitgliedstaaten stößt. Umso wichtiger ist es, dass die Kommission nicht bereits bei der Ausarbeitung ihrer Gesetzesvorschläge zu sehr auf die Bedenken und nationalen Sonderwünsche der Mitgliedstaaten eingeht. Das Resultat sind halbherzige Vorschläge, wie nicht zuletzt die Überarbeitung des ersten Eisenbahnpakets (Recast) zeigt. Mit den unterbreiteten Maßnahmen lässt sich die vollständige Marktöffnung nicht erreichen. Die Kommission hat wieder einmal zu viel Respekt vor den Mitgliedstaaten gezeigt! Apropos Respekt. An dem fehlt es vor allem den nationalen Regierungen. Diese zeigen sich häufig sehr nachlässig, wenn es darum geht, ihre eigenen Entscheidungen und Zusagen zu respektieren. Beispiel ist die weit verbreitete unzureichende Umsetzung geltenden EU-Rechts. Leider lässt die Kommission hier allzu oft die Zügel schleifen, indem EU-Verfahren auf die lange Bank geschoben werden. Ein Dorn im Auge ist der Kommission auch die schleppende Fertigstellung der vorrangigen Projekte des Transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN). Hier hat sie aber erstmals mit einer Maßnahme reagiert, die Schule machen sollte: Den Mitgliedstaaten wurden die EU-Mittel für nicht fristgerecht verwirklichte Projekte gestrichen (siehe Kasten) . Wichtiger als die öffentlichen Auftritte Kallas’ sind solche Entscheidungen, die den Mitgliedstaaten weh tun. Finanzielle Einschnitte oder zügig eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren, die konsequent weiter verfolgt werden, sprechen eine deutliche Sprache. Eine Sprache, die keiner Übersetzung oder Erläuterung bedarf. Christian Dahm, EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Logistik- Zeitung in Brüssel Projekte des Transeuropäischen Verkehrsnetzes Aufgrund der nicht fristgerechten Verwirklichung von Projekten des Transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN) gehen Deutschland EU-Fördergelder von rund 29 Mio. EUR verloren. Erstmals hat die Europäische Kommission eine Kürzung der Mittel beschlossen, wenn Mitgliedstaaten ihre Investitionszusagen nicht einhalten. Ganz gestrichen wurde Deutschland der Zuschuss von 9 Mio. EUR für die Ausrüstung der Bahnstrecke Aachen − Oberhausen mit dem europäischen Kommunikations- und Zugleitsystem ERTMS/ ETCS. Für den Ausbau der Strecke Kehl − Appenweier sowie der Strecke Aachen − Köln werden 3,52 Mio. EUR beziehungsweise 2,92 Mio. EUR weniger aus Brüssel gezahlt. Und für Studien zum Bau der Neubaustrecke Rhein/ Main − Rhein/ Neckar kürzt die EU ihre Förderung um satte 12,46 Mio. EUR. Auch der DB Schenker Rail Deutschland AG gehen 1,6 Mio. EUR für die technische Aufrüstung von Lokomotiven verloren. Deutschlands Verkehrsminister haben die Schiene zugunsten der Straße über Gebühr vernachlässigt“, kritisierte der SPD-Europaabgeordnete Ismail Ertug. Das werde auch anhand der Kommissionsentscheidung deutlich. Geprüft hat die Kommission 92 TEN-Projekte mit einem Fördervolumen von 5,3 Mrd. EUR und einem Gesamtinvestitionsumfang von 32,6 Mrd. EUR. Insgesamt wurden EU-Fördermittel in Höhe von 311,5 Mio. EUR gestrichen. Die einbehaltenen Mittel fließen in den TEN-Topf zurück und werden voraussichtlich 2011 und 2012 über Ausschreibungen erneut an Mitgliedstaaten vergeben. Betroffen ist auch die Bahnstrecke zwischen dem Antwerpener Hafen und Duisburg (Eiserner Rhein). Für das Projekt waren insgesamt 7,28 Mio. EUR bewilligt worden. Nun wurden die verbleibenden Fördermittel von nahezu 4,5 Mio. EUR gestrichen. Wie aus Kommissionskreisen verlautete, hatten die Vertragspartner zu erkennen gegeben, dass das Projekt nicht vor 2020 in Angriff genommen werde. Beim Ausbau der Brenner-Achse kürzt die EU ihren Beitrag von insgesamt 59 Mio. EUR um rund 13 Mio. EUR, da diese nicht vor 2015 verwendet werden. Gleiches gilt für die Bahnverbindung Lyon − Turin, in die rund 9 Mio. EUR weniger aus Brüssel fließen. Rund 73 Mio. EUR weniger stehen der Verwirklichung der Fehmarnbelt-Querung zur Verfügung. EU-Kommission streicht Deutschland TEN-Mittel