eJournals Internationales Verkehrswesen 62/12

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0173
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Neue Materialien bieten neue Möglichkeiten und neue Herausforderungen

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Kerstin Zapp
Kosteneffiziente Leichtbaustrategien werden in nahezu allen Wirtschaftszweigen verfolgt. Im Maschinen- und Fahrzeugbau ist durch den verstärkten Einsatz von Leichtbautechnologien eine höhere Material- und Energieeffizienz und somit eine Gesamtkostenreduktion bei gleichzeitiger Dynamik- oder Nutzlaststeigerung zu erreichen. Damit nimmt der Leichtbau eine Schlüsselstellung für eine effiziente und nachhaltige Ressourcennutzung ein.
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Umwelt + Ressourcen 45 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 12/ 2010 Eine einteilige fugenlose Heckklappe mit integrierter Scheibe hat kürzlich Bayer Material Science als BayVision ® -Prototypkonzept vorgestellt. Sie zeichnet sich durch hohe Steifigkeit, erzielt durch einen innovativen Kunststoff-Metall-Verbund, und ein deutlich geringeres Gewicht als bei herkömmlichen Heckklappen üblich aus. Das Bauteil besteht aus dem Polycarbonat Makrolon ® und ist laut Hersteller gegenüber einer Konstruktion aus Metall und Glas um 30 bis 40 % leichter. Foto: Bayer Material Science Kerstin Zapp Neue Materialien bieten neue Möglichkeiten und Herausforderungen Kosteneffiziente Leichtbaustrategien werden in nahezu allen Wirtschaftszweigen verfolgt. Im Maschinen- und Fahrzeugbau ist durch den verstärkten Einsatz von Leichtbautechnologien eine höhere Material- und Energieeffizienz und somit eine Gesamtkostenreduktion bei gleichzeitiger Dynamik- oder Nutzlaststeigerung zu erreichen. Damit nimmt der Leichtbau eine Schlüsselstellung für eine effiziente und nachhaltige Ressourcennutzung ein. L eichte Bauweisen und energieeffiziente Antriebskonzepte sind prädestiniert, um den wachsenden Mobilitätsansprüchen der heutigen Gesellschaft sowie der Globalisierung des Handels gerecht zu werden und gleichzeitig die Ressourcen zu schonen. Dies betrifft nicht nur die gesamte Pkw-Branche, sondern auch Lkw- und Schienenfahrzeugbau, die Luftfahrtindustrie und den Schiffbau, hier etwa in der Kabinenausstattung. Beim Leichtbau - der Realisierung von Gewichtsminderung bei gleichzeitig hinreichender Steifigkeit, dynamischer Stabilität und Festigkeit - ist es essenziell, die gesamte Entwicklungskette zu betrachten. Parameter wie Werkstoffkosten und -eigenschaften, konstruktive Formgebungsmöglichkeiten, Bau- und Verbindungsweisen, Herstellungsaufwand und daraus resultierende Folgen für die Umwelt, Verschleiß und Recyclingfähigkeit bestimmen die Qualität einer Leichtbaustruktur. Metall bleibt Innovative Werkstofflösungen mit Hightech-Metallen oder faserverstärkten Kunststoffen sind aus dem Maschinenbau, der Automobilindustrie und der Luftfahrt nicht mehr wegzudenken. Auch bei Schienenfahrzeugen, wie etwa der Metro in Oslo, spielen sie eine immer größere Rolle. Schon heute ist der Materialmix aus hoch- und höchstfesten Stählen, Aluminium, Magnesium und faserverstärkten Kunststoffen in diesen Branchen Realität und eröffnet Potenziale für leichtere Bauweisen. Dabei kommt es darauf an, den richtigen Werkstoff an die richtige Stelle zu bringen. Andererseits scheitert der Großserieneinsatz von Faserverbundwerkstoffen bislang an zu hohen Material- und Prozesskosten sowie den deutlich zu langen Fertigungszeiten. Noch sind beispielsweise im Automobilbau metallische Werkstoffe und die dort gängigen hochproduktiven Herstellungsverfahren äußerst konkurrenzfähig, obwohl sie sehr energieintensiv sind. Und auch im Metall liegen Leichtbaupotenziale - nicht nur durch den Wechsel des Metallwerkstoffs, sondern auch in der Verarbeitung (zum Beispiel als Metallschaum), dem Design und der Fertigung. Neben den bereits heute im Automobileinsatz befindlichen Aluminium-Sinterformteilen, beispielsweise Lagerdeckeln oder Nockenwellenverstellern, bietet die Pulvermetallurgie großes Potenzial, neue Werkstoffeigenschaften zu realisieren. Thermoelektrische und wasserstoffspeichernde Materialien sind hier nur zwei Beispiele für die große Bandbreite an Möglichkeiten. Die Natur dient ebenfalls als Vorbild, sie realisiert extremen Leichtbau durch zellulare Strukturen. Höchste Steifigkeiten werden durch Konstrukte mit kompakten Außenhäuten und einem zellularen Kern erreicht. Zur Realisierung derartiger Komponenten werden Gießverfahren, die aus dem Polymerbereich bekannt sind, auf Metalle übertragen. Neben der erhöhten Struktursteifigkeit dieser Bauteile bietet die Schaumstruktur auch weitere Funktionen wie eine bessere Materialdämpfung. Zum anderen kann die Schaumstruktur selbst als Crashelement zur Aufnahme einer hohen Energiemenge bei gleichzeitig niedrigem Kraftniveau dienen. Zudem könnten Sensoren und Aktoren aus Wandlerwerkstoffen, insbesondere von Piezokeramiken, in den Leichtbauwerkstoff integriert werden und damit Zusatzfunktionen ermöglichen, etwa die Überwachung des Bauteils, aktive Schwingungskontrolle etc. Hierzu hat man am Lehrstuhl Werkstoffkunde und Technologie der Metalle an der Uni Erlangen- Nürnberg eine Methode entwickelt, die es erlaubt, trotz der hohen mechanischen und thermischen Belastung beim Druckguss kommerzielle Piezomodule erfolgreich in Aluminiumbauteile zu integrieren. Verbundwerkstoffe nehmen zu Die BMW Group setzt im Automobilleichtbau auf einen Mix aus verschiedenen Metallen, Kunststoffen und künftig auch Faserverbundmaterialien. Herausforderungen wie die forcierte Elektromobilität und wachsende Anforderungen an die passive Sicherheit beschleunigen die Entwicklung. Die BMW 7er haben mittlerweile einen Umwelt + Ressourcen 46 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 12/ 2010 Instrumententafelträger aus geschäumtem Kunststoff, der fast 3 kg leichter ist als der Vorgänger aus Kompaktspritzguss. Während BMW etwa auch die Karosserie des elektrisch betriebenen „Megacity Vehicles“ weitgehend aus Kohlefaser fertigen will, setzt Daimler von 2012 an auf den verstärkten Einsatz des Leichtbaumaterials in normalen Baureihen, war kürzlich in der Wochenzeitschrift „Focus“ zu lesen. Erprobt hat Daimler das Material bereits im SLR McLaren. Leichtgewichtige Verbundwerkstoffe, bei deren Herstellung bedeutend weniger Energie aufgewendet werden muss, können nach Aussagen einiger Werkstoffhersteller zum Beispiel das Gewicht eines Pkw um bis zu 30 % verringern und damit den Kraftstoffverbrauch deutlich reduzieren. Bayer Material Science, Leverkusen, liefert bereits Polyurethanverbundwerkstoffe zum Ersatz von Metalldächern von Autos. Darüber hinaus hat Bayer unter anderem Verscheibungskomponenten aus Polycarbonat im Angebot, die Glasscheiben ersetzen können. Faserverbundwerkstoffe sind beispielsweise auch geeignet für Schiffspropeller, die aus CFK um 30 % leichter sind als aus Metall und so eine verbesserte Dynamik des Antriebs sowie stark verringerte Vibrationen ermöglichen. Zudem ist der Werkstoff außerordentlich korrosionsbeständig und damit für maritime Anwendungen prädestiniert. Die Verwendung von CFK für Triebköpfe von Schienenfahrzeugen reduziert das Gewicht, ermöglicht eine maximale Energieabsorption im Crashfall und schafft umfassende Designfreiheiten. Ebenso sind Antriebswellen ein Einsatzfeld dieser Werkstoffe. Voith Materials etwa forscht unter anderem in all diesen Bereichen. Auch textile Strukturen in Interieuranwendungen bieten Leichtbaupotenziale. Die Kombination aus elastischen Fasereigenschaften und thermofixierter Gewebebindung ergibt einen dauerelastischen Werkstoff, der beispielsweise in Automobilsitzen zur Einsparung von Unterfederungskonstruktionen genutzt werden kann und damit Gewicht mindert. Vor allem bei dynamischer Stoßbelastung sind kontinuierlich faserverstärkte Bauteile gegenüber lediglich langfaserverstärkten Bauteilen oder Metallen durch ihre erhöhte potenzielle Energieaufnahme und ihr typisches Delaminationsverhalten im Vorteil. Jacob Plastics, Wilhelmsdorf, hat durch die Kombination von etablierten Großserientechniken wie Niederdruck- Formen und Hochdruck-Fließpressen, erstmals Serienleichtbauteile mit entsprechender Funktionsintegration hochautomatisiert hergestellt. Beispiele hierfür sind Stoßfängerträger und Rücksitzbank des BMW M3 Coupés. Neue Produktionsverfahren erforderlich Zu einem der jüngsten Erfolge der Tital GmbH im Titanfeinguss zählt die Forschungspartnerschaft mit der RWTH Aachen, in deren Rahmen ein Verfahren zur Herstellung von leichten und hitzebeständigen Turbinenschaufeln aus dem neuen Werkstoff Titan-Aluminid entwickelt wurde. Die Schaufeln halten Temperaturen von bis zu 850° C aus. Üblich sind bisher bis zu 600° C. Hinzu kommt, dass sie mit 4 g/ cm³ Dichte um 10 % leichter sind als herkömmliche, ohnehin schon leichte Titanlegierungen - und damit nur noch halb so schwer wie vergleichbare Sonderstahllegierungen. Die Luft- und Raumfahrt ist einer der Vorreiter für Innovationen mit neuen Materialien, seien es Metalle oder Faserverbundwerkstoffe, welche häufig in andere Branchen ausstrahlen. Die Bedeutung des Leichtbaus wird nach Meinung von Luftfahrtexperten weiter zunehmen bei gleichzeitig erhöhtem Komfort und verringertem Montageaufwand. Alle Klassen von Konstruktionsmaterialien haben ihre Spezialitäten, aus ihrer Kombination können erfolgversprechende neue Werkstoffe entstehen. Über innovative Multi-Materialsysteme und Hybridbauweisen können vielfältige Funktionen in Leichtbaustrukturen erfüllt werden. Automatisierte Produktionstechniken, um Faserverbundbauteile künftig in großen Stückzahlen zu akzeptablen Preisen fertigen zu können, sind zu entwickeln. Gleichzeitig sind Simulation, Reparaturfähigkeit und Materialrecycling Themen, an denen geforscht wird. Für diese Aufgaben sind Kooperationen der verschiedenen Industrie-, Anwender- und Forschungsbereiche erforderlich, um Kompetenzen zu bündeln. In der Verbindung von technologie-, branchen- und querschnittsorientierten Netzwerken zum Wissenstransfer liegen große Chancen. Weiterführende Informationen finden Sie zum Beispiel unter: Leichtbau-Cluster an der Hochschule Landshut, www.leichtbau-cluster. de; Carbon Composites e.V., www.carboncomposites.eu; Bayern Innovativ GmbH, Cluster Neue Werkstoffe, www.bayern-innovativ.de Forschergruppe „Schwarz-Silber“ an der Uni Bremen Nach heutigem Stand der Technik haben kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe (CFK) das höchste Leichtbaupotenzial. Daher bestehen bereits mehr als 50 % der Strukturen der neusten Flugzeuggenerationen Airbus A350 und Boeing 787 aus CFK. Doch besonders in Krafteinleitungsbereichen und dort, wo Strukturen ein anderes Verformungs- und Versagensverhalten aufweisen müssen - etwa im Bereich des Fahrwerks, ist der Einsatz von metallischen Werkstoffen nach wie vor zwingend. Die Überleitung der Lasten aus der metallischen Struktur in das CFK und umgekehrt ist bei der Konstruktion eine besondere Schwierigkeit. Die heute übliche Bolzenverbindung ist teuer und schwer. Zudem ist bei Verbindungen von CFK-Aluminium-Strukturen ein aufwändiger Korrosionsschutz notwendig. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat der Universität Bremen und vier kooperierenden Bremer Forschungsinstituten die Forschergruppe „Bauweisen für CFK-Aluminium-Übergangsstrukturen im Leichtbau“ bewilligt. Ziel der Forschergruppe „Schwarz-Silber“ ist die Entwicklung neuartiger Methoden der Krafteinleitung, welche die Bindungsarten der Textiltechnik mit Schweiß- und Gießverfahren kombinieren. Hierbei werden Kohlenstofffaserbündel mit Titandrähten über Schlaufenkonstruktionen verbunden und mit Polymeren vergossen. Über neuartige Schweiß- und Gießverfahren werden diese Hybridstrukturen an das monolithische Aluminium gefügt. Die erforderliche wissenschaftliche Breite verlangt Mitarbeiter aus verschiedenen Fachgebieten, die in einem Projekt gemeinsam forschen. Die erste Phase wird mit 1,5 Mio. EUR gefördert (Mitte 2010 bis Mitte 2013). Weitere Informationen über Ziele und Ergebnisse des Vorhabens erscheinen in Kürze auf der Homepage www.for-schwarzsilber.de. CFK-Aluminium-Übergänge optimieren Der Airbus A350 ist ein neues Langstreckenflugzeug mit bis zu 350 Sitzen, das zu großen Teilen aus Faserverbundstoffen und nicht mehr aus Metall bestehen soll. Durch den neuen Leichtbauwerkstoff und effizientere Triebwerke soll der Jet bis zu 25 Prozent weniger Sprit verbrauchen. Im niedersächsischen Werk Stade wird die obere Flügelschale des Fliegers aus CFK produziert, mit 32 x 6 m das weltgrößte Bauteil des A350. Im spanischen Illescas entsteht das untere Flügelteil (s. Foto). Foto: Airbus S.A.S