Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2010-0178
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2010
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Neuausrichtung der Verkehrsinfrastrukturpolitik
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2010
August Ortmeyer
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Standpunkt 58 INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN (62) 12/ 2010 Dr. August Ortmeyer ist Leiter der Abteilung Dienstleistungen, Infrastruktur und Regionalpolitik im Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), Berlin. Neuausrichtung der Verkehrsinfrastrukturpolitik Die Bedarfspläne für die Bundesschienenwege und -fernstraßen wurden, so sieht es das Gesetz vor, gerade überprüft. Das Ergebnis: neun Schienenprojekte des Bundesverkehrswegeplans 2003-2015 werden vorerst gestrichen, der „Straßenkorb“ bleibt unangetastet. Eine Priorisierung soll das nicht sein, wird gleich hinzugefügt. Es bleibt somit wie gehabt enttäuschendes, aber dafür aktualisiertes Rechenwerk. Eine Strategie zur Bewältigung des erwarteten Verkehrswachstums sieht anders aus. Dabei sind die verkehrspolitischen Herausforderungen enorm, der Bericht bestätigt sie. Die Transportleistung des Güterverkehrs steigt nach der Prognose 2004-2025 um 74%, die des Straßengüterverkehrs um 84%, der Schiene um 65%. Für den Seehafenhinterlandverkehr ist von einem Anwachsen gar um 168% auszugehen. Der Wert macht zudem deutlich, was auch auf die übrigen Hauptverkehrsachsen zukommen wird. Der grenzüberschreitende Verkehr wird 2025 57% der gesamten Verkehrsleistung ausmachen. Die Krise ist mittlerweile überwunden, der Verkehrszuwachs entwickelt sich wieder erwartungsgemäß. Die jetzige Bundesregierung ist in ihrem Koalitionsvertrag mit dem Anspruch angetreten, in der Verkehrsinfrastrukturpolitik Prioritäten zu setzen. Passiert ist bisher nichts. Dabei hatten die krisenbedingten Haushaltsprobleme den Druck erhöht, endlich ernst zu machen, denn bei knappem Budget ist es um so vernünftiger, sich auf die verkehrlich allerwichtigsten Maßnahmen zu konzentrieren. Um Prioritäten zu setzen, bedarf es eines Maßstabs. Doch dafür ist man noch in der Denkschablone des Bundesverkehrswegeplans gefangen, auch das bestätigt der Prüfbericht. Geprüft wird akribisch für jedes Vorhaben ein „Nutzen“, der wissenschaftlichen Ambitionen zur Abbildung von Komplexität genügen mag, aber für das triviale Transportproblem, wie man Güter auf den Hauptachsen zügig und ohne Stau von A nach B befördert, wenig hergibt. Wichtigstes Problem im verkehrlichen Alltag sind die Flaschenhälse auf den Hauptverkehrsachsen. Sie bestehen auf den Bundesautobahnen. Die Engpässe sind bekannt. Das gleiche Problem besteht auf der Schiene. 2008, vor der Krise, stand das Netz an der Kapazitätsgrenze, nichts ging mehr. Dabei ist die Schiene der verkehrspolitische Hoffnungsträger. Doch um die Straße um 10% zu entlasten, müsste die Schiene 40% mehr Verkehr aufnehmen. Das gilt natürlich nur rein rechnerisch. Für kleinere Sendungen ist die Bahn nicht die erste Adresse, insofern darf man das Verlagerungspotenzial nicht überschätzen. Was wäre verkehrspolitisch zu tun? Ausgehend von der prognostizierten modalen Verteilung der Verkehrsleistung ist ein Szenario zu entwickeln, was realistischerweise von der Straße auf Schiene und Binnenwasserstraßen verlagert werden kann, wie sich die Hauptverkehrsströme im Raum verteilen, an welchen Stellen der grenzüberschreitende Verkehr zu- und abfließt. Daraus ergeben sich für die jeweiligen Verkehrsträger die Hauptkorridore, die durchgängig von Engpässen befreit bzw. ausgebaut werden müssen. Daraus müsste ein Masterplan nationaler Hauptverkehrskorridore für die Bundesautobahnen wie für die Schiene abgeleitet werden, dem die verkehrspolitische Aufmerksamkeit gilt, der umgehend planfestgestellt werden muss und der auch finanziell vorrangig bedient wird. TollCollect kann für jede Stunde eines Tages veranschaulichen, wie sich der Güterkraftverkehr im Raum verteilt, welche Achsen am stärksten belastet sind. Dafür gibt es ein strategisches Vorbild: die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit, beschlossen allerdings aus vorrangig (regional)politischen Gründen, damit beauftragt eine eigens geschaffene operative Einheit, die DEGES, zügig in Angriff genommen und relativ schnell umgesetzt. Der Bundesverkehrsminister ist auf die Bundesländer angewiesen. Sie müssten einer an Verkehrskorridoren ausgerichteten Neuverteilung der ohnehin unzureichenden Mittel zustimmen.
