Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2011-0043
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»Zu wenig Geld für die Verkehrsinfrastruktur?«
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Gerd Aberle
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KURZ + KRITISCH Gerd Aberle Internationales Verkehrswesen (63) 3 | 2011 11 D ie Klagen über zu geringe Finanzmittel für die Verkehrsinfrastruktur sind seit vielen Jahren Standard. Dabei stimmt es: Qualität und Quantität der Verkehrswege befinden sich in Deutschland in einem besorgniserregenden Defizit. In jüngerer Zeit wird vor allem die Situation des Schienennetzes beklagt - und dies auch mit Recht. Doch das ist nur die eine Seite des Problems. Nicht gern wird von der Politik die Verwendungseizienz der Investitionsmittel angesprochen, vor allem bei der Schiene. Eine der Ursachen der dortigen Finanzmittelknappheit ist die - oft auch durch politische Entscheidungen bewirkte - extreme Finanzmittelversenkung in Neubauprojekte, die für das System Schienenverkehr nur einen vergleichsweise geringen Nutzen bringen. Diese Milliarden fehlen nun für dringende Maßnahmen. Zur Erinnerung: Die Kosten einer Investition bemessen sich nach dem entfallenden Nutzen der durch sie wegen Finanzmittelrestriktionen verdrängten Maßnahmen. Hier ist eine fundamentale Umorientierung erforderlich. Hinzu kommt, dass diese problematischen Großprojekte sich durch extrem lange Realisierungszeiten mit erschreckenden Kostensteigerungen auszeichnen. Daher ist es unabdingbar, alle Projekte auf einen harten Prüfstand zu stellen. Bereits derzeit sind die Finanzmittel für neue Schieneninvestitionen äußerst knapp bemessen. Sie werden durch den neuen umfänglichen Euro-Rettungsschirm (ESM), der am 24.- März in Brüssel beschlossen wurde und der für Deutschland unübersehbare Zahlungsverpflichtungen für insolvenzgefährdete Euro-Staaten beinhaltet, zusätzlich gefährdet. Durch die Japankrise ist dieser folgenschwere Brüsseler Beschluss kaum öfentlich wahrgenommen worden. Wie dann noch die Zielsetzungen der deutschen und der EU- Verkehrspolitik mit erheblichen Verlagerungen langströmiger Straßengüterverkehre auf die Schiene ohne milliardenschwere Ausbauprojekte bewältigt werden sollen, bleibt eines der großen Rätsel. Aber wahrscheinlich ist es gar keines, sondern eine Fata Morgana. »Es ist unabdingbar, alle Großprojekte auf einen harten Prüfstand zu stellen.« Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche Deutschlandtakt ausdiskutiert »Zu wenig Geld für die Verkehrsinfrastruktur? « D ie Hofnung geistert seit Jahren in interessierten Kreisen, in Deutschland einen integrierten Taktfahrplan für alle Nah- und Fernverkehrsrelationen im Schienenpersonenverkehr einzuführen. Als Vorbild wird stets auf die Schweiz verwiesen; eine (vom Bund zu finanzierende) Machbarkeitsstudie wird gefordert. Als letzter öfentlich ausgetragener Versuch wurde mit einem Parlamentarischen Abend zum Thema Deutschlandtakt am 22.-Februar in Berlin die Diskussion zu beleben versucht. Heraus kam, außer den Hofnungen der Befürworter, etwas anderes als von den Initiatoren erwartet: Deutschland und die Schweiz sind unvergleichbar; die Schweiz praktiziert bei konstanten Entfernungen zwischen allen wichtigen Knoten von rd. 140 km weitestgehend ein Nahverkehrssystem mit engen und vor allem nächtlichen Zeitfenstern für den Güterverkehr. In Deutschland sind bereits gegenwärtig wichtige Knoten überlastet; nur geringe Störungen im Betriebsablauf lassen die Nahverkehrstakte auseinanderbrechen. Zwar bestellen einige Aufgabenträger auch Nahverkehrszüge über 50 km Strecke; dies resultiert jedoch vor allem aus der räumlichen Größe der Nahverkehrsräume und der völlig veralteten rechtlichen Abgrenzung von Nah- und Fernverkehr. Andererseits sind sogar Verkehrsverbünde wie der RMV, der NVV oder der RRV noch nicht einmal immer in der Lage, kundenorientierte Taktabstimmungen bei verbundraumüberschreitenden Verkehren zu realisieren. Und der Güterverkehr? Seine Behandlung bei einem Deutschlandtakt bleibt völlig im Dunkeln. Man kann Ideen haben und diskutieren. Aber wenn sie sich als Utopie herausstellen, kann auch keine Machbarkeitsstudie mehr helfen. ɷ
