eJournals Internationales Verkehrswesen 63/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2011-0058
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2011
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Leserbriefe

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2011
Sven Maertens
Gert Marte
Teilweiser Widerspruch | Stuttgart 21: Nutzen-Kosten-Verhältnis
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SERVICE Leserbriefe Internationales Verkehrswesen (63) 3 | 2011 91 Prof. Dr.-Ing. Christoph Hupfer ist im Bereich Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der Fakultät für Architektur und Bauwesen der Hochschule Karlsruhe - Technik und Wirtschaft tätig, und nicht an der Universität Karlsruhe. BERICHTIGUNG zu Heft 2/ 2011 Teilweiser Widerspruch Heft 2/ 2011, S. 11: G. Aberle: „Neues PbefG: Ecken, Kanten, Tabus“ D ie notwendige Liberalisierung des Buslinienfernverkehrs, vor gut fünf Jahren noch nahezu ausschließlich in der Fachwelt diskutiert 1 , hat es mittlerweile in die Massenmedien geschaft 2 und könnte aus Verbrauchersicht das sichtbarste Element eines novellierten PBefG werden. Ich stimme Herrn Prof. Aberle in seiner Einschätzung, dass die Liberalisierung dieses Verkehrsmarktsegments kommen wird, zu. Seinen Forderungen zum „Wie“ der Deregulierung möchte ich hiermit allerdings teilweise widersprechen: Aberle fordert die Ausgabe von zeitlich befristeten Liniengenehmigungen, da eine unbeschränkte Freigabe in einem preis- und qualitätspolitisch unbefriedigenden Wettbewerb um den Fahrgast resultieren würde („wer zuerst die Busstation erreicht, greift die Fahrgäste ab“). Dieses Abgreifen von Fahrgästen war allerdings ausschließlich ein Phänomen des Nahverkehrs in Großbritannien und wird daher in der Literatur nicht als negatives Ergebnis der Fernverkehrsliberalisierung genannt. 3 Eine Kontrolle der Beförderungs- und Fahrplanpflicht, wie von Aberle erwünscht, ist zweifelsohne sinnvoll, kann aber auch - wie im innereuropäischen Luftverkehr - in einem weniger bürokratischen Regime ohne Konzessionierungspflicht, also mit reiner Anzeigepflicht, erfolgen. Eine existierende Behörde wie das Bundesamt für Güterverkehr könnte hierfür eingesetzt werden. Ein Verzicht auf Konzessionen hätte zur Folge, dass unnötige Bürokratiekosten vermieden werden, schnelle Markteintritte möglich sind und Renten der Konzessionsinhaber entfallen, die letztendlich die Fahrgäste zu tragen hätten. Es können sich die besten Unternehmen am Markt durchsetzen, ohne auf Konzessionen angewiesen zu sein. Zudem fordert Aberle die Bemautung eines Buslinienfernverkehrs. Im Vergleich zum Nutzverkehr ist eine Bemautung als Kompensation für Straßenschäden angebracht, müsste dann aber auch jetzt schon und für alle Gelegenheitsbusverkehre gelten. Das Argument, die Bemautung des Intercity-Busverkehrs müsse eingeführt werden, um Wettbewerbsverzerrungen zum trassenpreispflichtigen Schienenverkehr zu verhindern, ist allerdings abzuweisen, wird hierbei doch übersehen, dass der Schienenfernverkehr nach DIW-Angaben nur zu rund 56 % Teil seine Wegekosten deckt, während der Kraftomnibusverkehr einen Wegekostendeckungsgrad von 141 % aufweist und - auch ohne Bemautung - auf Bundesfernstraßen sogar zu 235 %. 4 Eine Bemautung des Buslinienfernverkehrs ist daher zumindest nicht über seine Wettbewerbsbeziehung zum Schienenverkehr begründbar. Wichtige, von Aberle nicht genannte Fragen im Rahmen der Deregulierung des Busfernverkehrs sind eher die folgenden: b Auf kommunaler Ebene: Welche innerstädtischen Haltepunkte sollen Busse ansteuern dürfen? b Aus Verbrauchersicht: Wie genau wird die Einhaltung von Fahrplänen kontrolliert, wie kann eine gute Kundeninformation erfolgen, und wie sollten Fahrgastrechte ausgestaltet werden? Dr. Sven Maertens, Bonn 1 Vgl. MAERTENS, S. (2005), Intercity-Busverkehr in Deutschland - Notwendigkeit einer Liberalisierung, in: Internationales Verkehrswesen, 6/ 2005, S. 251-256. 2 Vgl. die aktuelle Berichterstattung zum Fall Deinbus.de. 3 Vgl. z.B. House of Commons (2006), Transport - Eleventh Report, Appendix 21, verfügbar online unter http: / / www. publications.parliament.uk/ pa/ cm200506/ cmselect/ cmtran/ 1317/ 1317we22.htm [Stand: 28.03.2011], und ROB- BINS, D. H./ WHITE, P. R. (1986), The experience of express coach deregulation in Great Britain, in: Transportation, Vol. 13, S. 359-384. 4 DIW Berlin (2009), Wegekosten und Wegekostendeckung des Straßen- und Schienenverkehrs in Deutschland im Jahre 2007, Forschungsprojekt im Auftrag des BGL, ADAC und BDI. Stuttgart 21: Nutzen-Kosten-Verhältnis Heft 2/ 2011, S. 57: I. Uttech: „ Umdenken erforderlich“ U ttech weist darauf hin, dass 90 % aller Reisenden im Nah- und Regionalverkehr fahren. Außerdem erwähnt er, dass die Projekte S 21 (Hauptbahnhof Stuttgart Tief ) und die NBS (Wendlingen-Ulm) bei geschätzten Kosten von 7 Mrd. EUR nur einen Nutzen-Kosten-Quotienten von 0,92 < 1 erreichen. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass der Nutzen von Fernverkehrsprojekten weit überschätzt wird (Marte 2010). Beim verlagerten Verkehr werden Betriebskosteneinsparungen berücksichtigt, die nicht berücksichtigt werden dürfen (Helms 2001, S. 197). Wenn man z. B. bei einem Umstieg vom Auto in die Bahn genau die Reisezeit einstellt, bei der der Wechsel erfolgt, dann ist der Nutzen der verlorenen Autofahrt genau gleich dem Nutzen der gewonnenen Bahnfahrt. Als Nutzen des verlagerten Verkehrs darf man deshalb nur die Reisezeiteinsparungen berücksichtigen, die nach dem Wechseln des Verkehrsmittels erfolgen. Die zusätzliche Berücksichtigung von Betriebskostenersparnissen ist falsch (Helms 2000, S. 197). Verzichtet man auf die Berücksichtigung der Betriebskostenersparnisse des verlagerten Verkehrs, dann sinkt das NKV (Nutzen-Kosten- Verhältnis) des Projekts S 21 + NBS. Wie stark das NKV absinkt, kann man ermitteln, wenn man die Rechenergebnisse für das bis Augsburg verlängerte Projekt auswertet. Es ergibt sich ein NKV von 1,2. Vernachlässigt man die nicht zulässigen Betriebskostenersparnisse des verlagerten Verkehrs, dann sinkt das NKV auf 0,3 (Marte 2010, S. 7). Wenn man annimmt, dass sich das NKV des Projekts bis Ulm ebenfalls um den Faktor vier reduziert, sinkt das NKV von 0,92 auf 0,23. Die NKVs von Nahverkehrsprojekten werden durch die nicht zulässige Berücksichtigung der Betriebskostenersparnisse weit weniger beeinflusst, da hier der verlagerte Verkehr eine geringere Rolle spielt. Prof. Dr.-Ing. Gert Marte, Bremen Leserbriefe sind keine Meinungsäußerung der Redaktion. Die Redaktion behält sich vor, die Texte zu kürzen. LITERATUR HELMS, M. (2001): Bewertungsverfahren für Verkehrsmodelle mit induziertem Verkehr,VWF MARTE, G. (2010): Stellungnahme zur Nutzen-Kosten- Analyse des Projekts Stuttgart Augsburg (ABS/ NBS Stuttgart - Ulm - Augsburg inkl. Einbindung in den Knoten Stuttgart), www.verkehrswissenschaftler.de/ Stellungnahmen ɷ