Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2011-0062
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2011
634
»Bewusste Fehlinterpretationen«
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2011
Gerd Aberle
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Internationales Verkehrswesen (63) 4 | 2011 11 KURZ + KRITISCH Gerd Aberle W ie jedes Jahr das gleiche Spiel: Kaum hat die DB-AG ihren Geschäftsbericht mit den Ergebniszahlen des Vorjahres vorgelegt, wird die These von hohen öffentlichen Zuschusszahlungen und der Verschleierung angeblicher Verluste anstelle der ausgewiesenen Gewinne aus der Argumentationskiste hervorgeholt. So auch dieses Jahr nach Veröfentlichung der Ergebnisse für 2010, etwa durch die Vereinigung „Bahn für alle“ und einige Verkehrspolitiker. Statt eines ausgewiesenen Ergebnisses vor Zinsen und Steuern (EBIT) von 1,86- Mrd.- EUR sei 2010 tatsächlich ein Konzernverlust von über 6- Mrd.- EUR entstanden. Begründet wird diese These insbesondere mit angeblichen Zuschüssen an DB- Regio und staatlichen Kostenübernahmen beim Netz wegen unterlassener Bilanzierung von Bundeszuschüssen. Dies bedeute: Statt des ausgewiesenen Gewinns des Konzerns sei in diesen beiden Geschäftsbereichen tatsächlich ein Milliardenverlust zu verzeichnen. Hierzu bedarf es einiger Anmerkungen. Bei den „Zuschüssen“ an DB Regio handelt es sich um von den Aufgabenträgern des öfentlichen Nah- und Regionalverkehrs eingesetzte Regionalisierungsmittel für die Finanzierung von in Fahrleistungsaufträgen vergebenen Zugleistungen des SPNV. Diese Finanzmittel kommen allen SPNV-Bahnen zugute. Für alle Bahnen stellen die Zahlungen der Aufgabenträger völlig normale Umsätze dar, denen entsprechende vertragliche Leistungen gegenüberstehen. Es handelt sich folglich nicht um eine Subvention der Verkehrsunternehmen, sondern um eine Vergünstigung für die Nutzer des ÖPNV, also die Bürger. Gerade die Regionalisierungsmittel haben seit 1996 schrittweise zu einem mittlerweile intensiven Wettbewerb im SPNV um Aufträge und damit Regionalisierungsmittel geführt. Dies äußert sich auch in fundamentalen Qualitätsverbesserungen. Es ist völlig unsinnig, hier einseitig von Zuschüssen an die DB-AG mit ergebnisverzerrender Wirkung zu sprechen. Natürlich ist es Fakt, dass die staatlichen Zahlungen an den Netzbereich für Neu- und Ausbaumaßnahmen und seit 2009 auch für Ersatzinvestitionen (Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung) als Investitionszuschüsse geleistet werden. Dies sind erhebliche Beträge: 2009 4,5- Mrd., 2010 4,7- Mrd.- EUR (Schienennetz und Stationen). Es erfolgt, entsprechend dem bilanziellen Charakter von Zuschüssen, generell keine Aktivierung. Folglich fehlen Abschreibungen und Zinsen, die den Nutzern der Investitionsobjekte, also den Bahnen und letztlich deren Nutzern, nicht in den Trassenpreisen angelastet werden. Basierend auf Art.-87e(4) und speziellen Folgegesetzen ist dies politisch ausdrücklich gewollt, um das Sys- »Es ist völlig unsinnig, hier einseitig von Zuschüssen mit ergebnisverzerrender Wirkung zu sprechen.« Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche »Bewusste Fehlinterpretationen« tem Schienenverkehr marktfähig zu halten. Die Verrechnung der vollen tatsächlichen Netzkosten würde die intermodale Position des Schienenverkehrs hochgradig gefährden. Von der Nichtaktivierung profitieren folglich alle das DB-Netz nutzenden Bahnen und deren Kunden im Personen- und Güterverkehr. Ergänzend ist anzumerken, dass die DB AG auch jährliche Investitionen in die Netze aus Eigenmitteln finanziert und sie als sog. Nettoinvestitionen (etwas irreführende Bezeichnung) ausweist (2010: 813-Mio.-EUR). Für diese Investitionen werden betriebswirtschaftlich notwendige Kapitalkosten verrechnet und Aktivierungen vorgenommen. Übrigens: Die gleiche Nichtaktivierung von Investitionszuschüssen wird auch von den ÖPNV-Unternehmen für U-Bahnstrecken, Rolltreppen, Betriebshöfe und teilweise auch Fahrzeuge praktiziert. Bei erforderlichen Ersatzinvestitionen und fehlenden öfentlichen Zuwendungen führt dies zu dramatischen Finanzierungsproblemen bei der Substanzerhaltung. Dies ist die aktuelle Situation bei vielen ÖPNV-Unternehmen. Der zunächst als Vorteil erscheinende Charakter von Investitionszuschüssen (Verzicht auf Kostenpositionen und damit optisch höhere Kostendeckungsgrade) erweist sich längerfristig als Fundamentalproblem. Da die Verfasser solcher eigenwilliger Alternativrechnungen zum Wirtschaftsergebnis der DB- AG höchstwahrscheinlich die erforderlichen Fachkenntnisse besitzen, sind solche „Korrekturen“ offensichtlich vor allem dazu bestimmt, die (mediale) Öfentlichkeit in Richtung negativer Beeinflussung des Images der DB- AG zu bedienen. Oder sollte daraus eine Auforderung an die Politik abgeleitet werden, die Regionalisierungsmittel einzusparen und die Investitionszuschüsse an den Schienenverkehr mit einer Verpflichtung zur Erwirtschaftung von Abschreibungen und Zinsen zu koppeln? ɷ
