eJournals Internationales Verkehrswesen 63/4

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2011-0068
71
2011
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Motor auf Rädern

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2011
Felix Horch
Hermann Pleteit
Matthias Busse
Ein mögliches Konzept, um Elektroautos alltagstauglich zu machen, ist der Radnabenmotor. Dabei ist der komplette Motor ins Rad integriert. Dieser Direktantrieb bringt gegenüber dem Verbrennungsmotor zahlreiche Vorteile, aber auch einige technologische Herausforderungen mit sich.
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TECHNOLOGIE Radnabenmotor Internationales Verkehrswesen (63) 4 | 2011 60 Motor auf Rädern Ein mögliches Konzept, um Elektroautos alltagstauglich zu machen, ist der Radnabenmotor. Dabei ist der komplette Motor ins Rad integriert. Dieser Direktantrieb bringt gegenüber dem Verbrennungsmotor zahlreiche Vorteile, aber auch einige technologische Herausforderungen mit sich. I n Anbetracht der steigenden Kraftstofpreise, der begrenzten Ölreserven sowie der Auswirkungen des Individualverkehrs auf Umwelt und Klima mit daraus folgenden, immer schärferen Emissionsgesetzgebungen bieten Automobilhersteller zunehmend Fahrzeuge mit Elektroantrieb in verschiedenen Ausprägungen an. Während bei Hybridfahrzeugen der Hauptantrieb nach wie vor meist mit dem Verbrennungsmotor dargestellt wird, ist bei vollelektrischen Fahrzeugen der Elektromotor allein für den Antrieb zuständig. In den letzten Jahren wurden dementsprechend vermehrt Prototypen und erste Serienfahrzeuge mit Elektroantrieb vorgestellt. Zwar wird es keinen disruptiven Technologiewandel in den nächsten Jahren geben, sondern vielmehr eine parallele Entwicklung und Optimierung sowohl der verbrennungsmotorischen als auch der elektrischen Antriebstechnik in Fahrzeugen. Die Bedeutung des Verbrennungsmotors als alleinige Lösung zur Erzeugung von Antriebsenergie wird jedoch sinken. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Verkehrsaukommens insbe- Abb. 1: Demonstratorfahrzeug Frecc0 mit montiertem Radnabenmotor sondere im bevölkerungsreichen und hochdynamischen asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum ist dies unbedingt erforderlich, wenn die lokalen Emissionen in Megacities und Agglomerationen weltweit nicht weiter zunehmen sollen. Antriebskonzepte für Elektrofahrzeuge Konventionelle Fahrzeugkonzepte mit Verbrennungsmotor unterscheiden sich im Wesentlichen hinsichtlich der Art und der Zahl der angetriebenen Achsen. Bis auf einige Ausnahmen befindet sich zudem der Motorraum klassisch im Vorderwagen, während der Fahrgastraum in der Mitte und der Gepäckraum im Heck des Fahrzeugs untergebracht sind. Bei Elektrofahrzeugen sind die unterschiedlichen Konfigurationsmöglichkeiten hinsichtlich des Antriebskonzepts deutlich größer, was grundsätzlich eine bessere Anpassung des Fahrzeugs an die Kundenanforderungen ermöglicht. Üblich sind heute Zentralantriebe, die in der Regel als Asynchron- oder Synchronmaschinen mit hohen Drehzahlen (meist bis 15 000 min -1 ) ausgeführt sind. Um das erforderliche Antriebsmoment bereitzustellen und auf die anzutreibenden Räder zu verteilen, sind ein Untersetzungsgetriebe und ein Diferenzial erforderlich. Radnabenmotoren bieten als Direktantrieb die Möglichkeit, auf einen klassischen Motorraum und alle mechanischen Übertragungselemente im Antriebsstrang zu verzichten. Dadurch bieten sich größere Freiheiten und Spielräume bei der Gestaltung, Konstruktion und Umsetzung neuartiger Fahrzeugkonzepte. Die bisher existierenden Konzepte basieren auf konventionellen Antriebstopologien, da Direktantriebe und insbesondere Radnabenmotoren noch nicht in serientauglicher Reife marktverfügbar waren. Dies bildete die Ausgangslage für die Entwicklung des FhG-Radnabenmotors, der diese Lücke schließen soll. Technologische Herausforderungen für Radnabenmotoren Bei Fahrzeugen mit Radnabenmotoren sitzt der Antrieb im reifengefederten Teil des Fahrwerks. Daher ist es notwendig, das erforderliche Drehmoment durch einen Motor mit möglichst geringer Masse aufzubringen, um die Auswirkungen auf das Fahrverhalten zu reduzieren. Außerdem muss der Radnabenmotor gegen alle auftretenden Umwelteinflüsse geschützt, d. h. insbesondere gegen eindringende Flüssigkeiten abgedichtet sein, was neuartige Dichtungskonzepte für die besonders hohen Umfangsgeschwindigkeiten an der Dichtstelle erfordert. Weiterhin müssen die Radnabenmotoren geeignet in das Gesamtfahrzeug integriert werden. Der völlig unabhängige Antrieb jedes einzelnen Rades ermöglicht ein „Torque Vectoring“, also das gezielte Anpassen des jeweiligen Antriebsmoments am Rad, damit ein zusätzliches Giermoment um die Hochachse des Fahrzeugs zur Stabilisierung des Fahrzeugs im jeweiligen fahrdynamischen Zustands aufgebracht wird. Dies bietet eine erhebliche Erweiterung der Möglichkeiten existierender Fahrdynamikregelungen und Assistenzsysteme. Hierbei stellen sich bei Internationales Verkehrswesen (63) 4 | 2011 61 Abb. 2: Explosionsdarstellung des Fraunhofer-Radnabenmotors Fahrzeugen mit Mehrmotorenantrieben gegenüber Fahrzeugen mit Zentralantrieb und mechanischem Diferenzial deutlich erhöhte Anforderungen an die funktionale Sicherheit des Motors, des Steuergeräts und der gesamten Fahrzeugsteuerung. Letztlich müssen die Radnabenmotoren für ein entsprechendes Fahrzeugkonzept auch wirtschaftlich herstellbar sein, damit sich der aktuell noch höhere Aufwand z. B. gegenüber einem Zentralantrieb bei vergleichbarer Leistung sowohl aus einer Nutzenals auch aus einer Kostenbetrachtung heraus tatsächlich lohnt. Fraunhofer-Radnabenmotor Vier Institute der Fraunhofer-Gesellschaft haben im Rahmen der »Fraunhofer Systemforschung Elektromobilität FSEM« unter diesen Randbedingungen gemeinsam einen Radnabenmotor mit integrierter Leistungselektronik und hoher Drehmomentdichte entwickelt und als Prototyp umgesetzt. Im ebenfalls innerhalb der FSEM aufgebauten Demonstratorfahrzeug »Fraunhofer e-concept car type 0 - Frecc0« (vgl. Abbildung 1) werden zwei Radnabenmotoren an der Hinterachse dargestellt und getestet. Beim Fraunhofer-Radnabenmotor handelt es sich um eine permanentmagneterregte Synchronmaschine (PMSM) in Außenläuferbauweise (vgl. Abbildung 2). Die aus Aluminium gefertigte Rotorglocke überträgt das erzeugte Antriebsmoment auf die Räder. Sie trägt einen weichmagnetischen Blechring, in den die Permanentmagnete eingeklebt werden. Das Statorgehäuse trägt das Blechpaket mit den Spulen und verfügt über integrierte Kanäle für die Flüssigkeitskühlung des Statorblechpakets und der ebenfalls im Motorbauraum integrierten Leistungselektronik. Die statischen und dynamischen Radlasten werden durch eine Lagereinheit mit im Hinblick auf möglichst geringe Lagerreibung optimierten Wälzlagern bei gleichzeitig hoher Steifigkeit getragen und an den Radträger bzwdas Fahrwerk weitergeleitet. Auf der Innenseite des Radträgers ist im Demonstratorfahrzeug weiterhin eine konventionelle Bremsanlage appliziert. In dieser Konfiguration ist der Radnabenmotor im Dauerbetrieb auf eine Leistung von ca. 55 kW und ein Drehmoment von ca. 700 Nm ausgelegt. Innerhalb der FSEM wurden Arbeiten zur Gefahren- und Risikoanalyse und zur ASIL- Einstufung gemäß ISO-26262 durchgeführt und in einem übergreifenden Sicherheitskonzept umgesetzt. Vor diesem Hintergrund ist der Fraunhofer-Radnabenmotor kurzschlussfest ausgelegt und sechsphasig ausgeführt, was eine Redundanz durch zwei unabhängige Teilmaschinen in jedem Rad bedeutet. Daher ist auch bei Ausfall einer Teilmaschine ein sicheres Anhalten und sogar eine Weiterfahrt des Fahrzeugs bis zur nächsten Werkstatt möglich sowie die Fahrsicherheit stets gewährleistet. Fazit Im Rahmen der »Fraunhofer Systemforschung Elektromobilität FSEM« wurde ein Radnabenmotor mit integrierter Leistungselektronik und hoher Drehmomentdichte entwickelt und als Prototyp umgesetzt, der am Demonstratorfahrzeug »Fraunhofer e-concept car type 0 - Frecc0« appliziert und getestet wird. Hierbei wurden sowohl die technischen als auch die sicherheitsrelevanten Fragestellungen betrachtet und unter Berücksichtigung einer serientauglichen Fertigung Lösungen entwickelt, die den Einsatz von Radnabenantreiben an künftigen Elektrofahrzeugen ermöglichen. Damit eröfnen sich neue Perspektiven für nutzungsoptimierte Fahrzeugkonzepte beispielsweise für platzsparende Stadtfahrzeuge, bei denen der gestalterisch nutzbare Raum bei minimalen Abmessungen deutlich vergrößert ist. Somit bietet die Entwicklung des Radnabenmotors neue Freiheiten zur Umsetzung innovativer Fahrzeugkonzepte und eröfnet ein breites Spektrum elektromobiler Anwendungen. ɷ Felix Horch, Dipl.-Ing. Fraunhofer IFAM, Bremen felix.horch@ifam.fraunhofer.de Hermann Pleteit, Dr. rer. nat. Fraunhofer IFAM, Bremen hermann.pleteit@ifam.fraunhofer.de Matthias Busse, Prof. Dr.-Ing. Fraunhofer IFAM matthias.busse@ifam.fraunhofer.de