eJournals Internationales Verkehrswesen 63/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2011-0071
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2011
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Neue Beweglichkeit

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Andreas Knie
Der Bedarf an individueller Mobilität bleibt weiterhin hoch. Doch die alleinige Umstellung auf elektrisch angetriebene Fahrzeuge löst weder das Raum-, noch das Effizienzproblem in Städten. Erst durch die sinnvolle Kombination mit öffentlichen Verkehren werden moderne Fahrzeugkonzepte auch zu intelligenten Lösungen.
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MOBILITÄT Zukunft Personenverkehr Internationales Verkehrswesen (63) 4 | 2011 70 Neue Beweglichkeit Der Bedarf an individueller Mobilität bleibt weiterhin hoch. Doch die alleinige Umstellung auf elektrisch angetriebene Fahrzeuge löst weder das Raum-, noch das Eizienzproblem in Städten. Erst durch die sinnvolle Kombination mit öfentlichen Verkehren werden moderne Fahrzeugkonzepte auch zu intelligenten Lösungen. W er etwas über die Zukunft erfahren will, muss Jugendliche beobachten. Jungen und Mädchen im Alter von 16 bis 19 Jahren sind in den letzten Jahren von vielen Institutionen oft und gerne befragt worden - auch zum Verkehr. Ob in Los Angeles, San Francisco, New York, Paris, London, Berlin, Moskau, Peking oder Shanghai, die jungen Menschen dieser Altersklassen tragen nicht nur die gleiche Kleidung, hören nicht nur die gleiche Musik, sondern haben auch sehr ähnliche Wertemuster: Die Welt muss zukünftig in erster Linie gerecht sein, die Prinzipien der Wirtschaft müssen auf den Grundsätzen der Nachhaltigkeit ruhen. Die Herausforderung Beim Verkehrsverhalten zeigen die Jugendlichen ähnlich konvergente Meinungen: Bewegung und Beweglichkeit ist wichtig, man neigt zu pragmatischen Lösungen. Man wählt das Verkehrsmittel aus, das einem gerade passend erscheint; allerdings müssen die angebotenen Lösungen auch auf der Höhe der Zeit sein und die Erfordernisse der Ressourceneizienz und des Umweltschutzes bedienen. Ideologisch motivierte Grundmuster spielen dabei keine Rolle mehr. Das noch aus den 1980er und 1990er Jahren bekannte Lagerdenken, Busse und Bahnen auf der einen und Auto auf der anderen Seite, ist in dieser Alterklasse überhaupt nicht mehr vorzufinden. Auch in dieser Hinsicht dominiert der Pragmatismus. Beispielsweise nutzt man gerne und oft das Flugzeug, nur müssen die Airlines neueste Triebwerksgenerationen einsetzen. Bei der Wahl des Autos ist bemerkenswert, dass diese überhaupt kaum mehr bewusst vorgenommen wird. Autos sind einfach da. Die Verfügbarkeiten und der Zugrif auf Fahrzeugflotten ist für diese Generationen in den genannten Metropolen eine Selbstverständlichkeit. Damit spielen Statussymbole als Ausweis sozialer Positionierung, wie dies noch für viele Generationen vorher der Fall war, keine Rolle mehr. Marken, Zahl der Zylinder oder andere Leistungsmerkmale sind als Unterscheidungsmerkmale einfach nicht mehr wichtig. Viel höher im Kurs steht der einfache Zugang. Allerdings darf man die zurückgehende Bedeutung des Autos als Stilmittel gesellschaftlicher Diferenzierung nicht damit verwechseln, dass Jugendliche weniger fahren. Diese Generationen sind extrem beweglich und die Ainität zu individuellen Transportmitteln bleibt hoch. Der pragmatische Nutzwert steht im Vordergrund - das kann mal die U-Bahn, der Bus und auch die Bahn sein. Der Wunsch nach Selbstbeweglichkeit, nach Souveränität, ist weiterhin wichtig, der Hang zu „Eigenzeiten“ und „Eigenräumen“ bleibt auch in dieser Generation die zentrale Fixgröße bei der Verkehrsmittelwahl. In Summe lässt das Verkehrsverhalten erkennen, dass es kein „Hauptverkehrsmittel“ mehr gibt, sondern die Kombination aus öfentlichen Verkehren, Fahrrad oder auch Auto im Eigenbetrieb oder als Mitfahrende dominiert die Praxis [2]. Natürlich muss man relativieren für die aktuelle und auch für zukünftige Situationen: Auf dem Land oder auch in großen Agglomerationsräumen sieht das Ganze schon anders aus, auch sind materielle Voraussetzungen notwendig, über die nicht alle Menschen verfügen. Und selbst in den Städten ist die multimodale Verkehrsmittelwahl nicht überall gleich. In Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet sind die klassischen ÖV Angebote deutlich schlechter als beispielsweise in Berlin und dementsprechend liegen hier klassische MIV-Anteile auch weiterhin vorn. Und natürlich verändern sich Einstellungen und Wertemuster, wenn die Menschen älter werden, wenn der berufliche und private Alltag verbindlicher und die Freiheitsgrade kleiner werden. Aber ofenkundig bleiben doch die Kernelemente dieses Verhaltens in Ballungsräumen relevant und diese „Metromobilien“ scheinen in den letzten Jahren immer weiter zuzunehmen. So wie sich klassische Milieus immer stärker auflösen und hybride Einstellungs- und auch Konsumformen populärer werden, so scheint sich das pragmatische Verkehrsverhalten mit einer extrem hohen Nützlichkeitspräferenz mehr und mehr als städtischer Alltagsverkehr zu etablieren [5]. Monomodale Bedeutungsverluste Dies verwundert eigentlich auch nicht, wenn man sich die konkrete Verkehrssituation beispielsweise in den oben genannten Metropolregionen anschaut. Ein einzelnes Verkehrsmittel allein kann bereits heute unter den gegebenen Umständen kaum noch genügend Vorteile mobilisieren. Immer vorausgesetzt, dass es eine gewisse Wahlfreiheit gibt, scheint in der Kombination der Schlüssel für die Attraktivität zu liegen. Selbst das Fahrrad kann nicht zu allen Zeiten alle Wünsche erfüllen, und die Idee immer und überall den Bus, die U-Bahn oder die Straßenbahn zu nutzen, ist keine Lösung, um die immer komplexeren Alltagsverkehre angemessen zu bewältigen. Grafik: www.markus-hofmann.de Internationales Verkehrswesen (63) 4 | 2011 71 Besonders dramatisch zeigt sich der Verlust von monomodalen Nutzen beim Automobil. Der vielfach beschriebene und oft dokumentierte Erfolg dieses Verkehrsmittels hat dazu geführt, dass durch die ungeheure Population der Fahrzeuge ein Massenefekt eingesetzt hat, der nur noch wenig Diferenzierungen erlaubt. Man kann sich mit einem Auto gesellschaftlich nicht mehr unterscheiden; das Auto kann heutzutage die gewünschte Selbstbeweglichkeit in den Ballungsräumen nicht mehr garantieren. Der durch den Kauf eines Autos ja möglich gemachte exklusive Zugrif war über viele Jahrzehnte der Garant für hohe Beweglichkeit. Die große Masse der Fahrzeuge hat aber bekanntlich dazu geführt, dass der extreme Raumbedarf der privaten Automobilflotten die ehemaligen Vorteile zunichte gemacht hat. Damit aber noch nicht genug. Ein neues Problem kommt hinzu: die Notwendigkeit, die Energieversorgung auf erneuerbare Quellen umzustellen, wird immer dringlicher und in den nächsten Jahren sicherlich zu dem strategischen Politikfeld schlechthin. Weltweit werden mehr als 50 % des Ölverbrauchs durch den Verkehr mit Personen und Gütern benötigt, im Transportsektor selbst basieren mehr als 90 % aller Personen- und Tonnenkilometer auf fossilen Treibstofen. Die schon oft und viel beschworene „postfossile Verkehrswende“ wird nun tatsächlich Teil moderner Verkehrsmittel und erhöht den Druck auf die Eizienz bei den Verkehrsmitteln nochmals. Und auch hier wird das privat genutzte Fahrzeug mit einer durchschnittlichen Nutzungszeit von rund 10 % keine Chance mehr haben, für die Bewohner ein „Hauptverkehrsmittel“ zu sein. Eine nachhaltige, also eiziente Stadtentwicklung wird dem privat genutzten Verbrennungsauto in Zukunft den Funktionsraum noch weiter einschränken müssen [4]. Aber man sollte sich auch weiterhin nicht täuschen lassen: Der Bedarf an individueller Bewegung bleibt hoch und wird sicherlich durch die Vielfalt der Lebens- und Arbeitsformen in Zukunft eher noch steigen. Die Renaissance des Fahrrads in nahezu allen großen Ballungsräumen dokumentiert dies auf imposante Weise. Eine moderne Verkehrslandschaft muss daher diese Bedarfe decken können, Busse und Bahnen allein werden nicht reichen. Die private Autoflotte wiederum kann nicht wachsen. Die in diesen Monaten so oft diskutierte Option des Elektroantriebs für Fahrzeuge hilft hier ohne Weiteres auch nicht. Es stellt keine nachhaltige Perspektive für eine moderne Stadtgestaltung dar, den vorhandenen Fahrzeugpark auf elektrische Antriebe umzustellen. Das Raum- und Eizienzproblem bleibt auf der Agenda. Ein Elektroauto kann zu einer modernen Form von Elektromobilität werden, wenn sich zum modernen Antrieb auch die intelligente Nutzungsform gesellt. Und hier kann die Philosophie nur heißen: So viele Menschen wie möglich in ihren jeweiligen Profilen auf eine Flotte zu vereinen; besonders vorteilhaft, wenn sich gewerbliche Zwecke, die mehrheitlich über den Tag absolviert werden, mit privaten am Wochenende oder in den Abendstunden kombinieren lassen. „Sharingkonzepte“ gewinnen damit eine strategische Bedeutung für das Management solcher Fahrzeugflotten [3]. Intermodale Baustelle Allerdings sind solche Fahrzeugnutzungskonzepte noch nicht wirklich „intelligent“, solange diese nicht sinnvoll mit den öffentlichen Verkehren kombiniert werden. Die Attraktivität eines „Teilautos“ steigt erst dann, wenn damit auch eine attraktive Kombination mit anderen Verkehrsmitteln gewährleistet ist. Beim elektrischen Antrieb - und nur dieser wird sich in Zukunft in den Städten dauerhaft im Bereich der Individualfahrzeuge etablieren lassen - wird dies sogar zu einer Achillesferse. Denn gemessen am gewohnten „Verbrenner“ sind diese Autos wesentlich teurer und verfügen nur über eine vergleichsweise begrenzte Reichweite. Gemessen an den objektiv gemessenen Fahrprofilen ist dies kein Problem, ein E- Auto könnte locker 90 % aller Touren eines konventionellen Fahrzeugs ersetzen. Entscheidend ist die Freiheit im Kopf, jederzeit überall hinzukommen. Ein monomodales Elektroauto wird damit bis 2017, gemäß den Berechnungen der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE), keinen sehr großen privaten Käufermarkt finden. Um also eine relevante Menge von Menschen zu einer E-Auto-Nutzung zu bewegen, stellt in Ballungsräumen die Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln eine Perspektive dar. Die oben beschriebenen Trends und die bereits erkennbare Gruppe der „Metromobilen“ demonstrieren, dass die notwendigen Marktsegmente vorhanden sind. Erste Ergebnisse verschiedener Forschungsvorhaben im Rahmen der Modellregionen Elektromobilität zeigen, dass insbesondere Männer im Alter zwischen 40 und 60 Jahren an einer kombinierten Nutzung sehr interessiert sind. Allerdings stellt für Ungeübte die Verknüpfung noch eine erhebliche Nutzungshürde dar, denn ein durchlässiges Fahren, ein Nutzen ohne Nachzudenken über alle Verkehrsmittel hinweg, gibt es noch nicht. Noch sind verschiedene Zugangs- und Einstiegshürden zu überwinden. Die Baustelle der intermodalen Verkehrsangebote ist jetzt erst richtig eröfnet worden. Interessanterweise scheinen die Automobilhersteller hier wesentlich engagierter zu sein als die Betreiber von Bussen und Bahnen. Eingezwängt in ein noch immer nicht zeitgemäßes Personenbeförderungsgesetz erlaubt es den Konzessionsinhabern nicht, unternehmerisch zu denken und bei der Neudefinition der öfentlichen Verkehrslandschaft wirklich mitzumachen. Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünde müssen sich unter den gegebenen Umständen als Hüter ihrer Privilegien generieren und den Zugang zu Bussen und Bahnen so teuer wie möglich verkaufen. Damit fehlt aber die Voraussetzung für die Entwicklung integrierter Produkte. Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass die Automobilindustrie hier schneller ist, um das Auto herum komplementäre Bausteine öfentlicher Verkehre zu bauen, als umgekehrt die ÖPNV-Branche in der Lage wäre, die Neudefinition des öffentlichen Verkehrs selbst voranzutreiben. Den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften als Besteller öfentlicher Verkehrsleistungen sowie als ordnungs- und wettbewerbspolitischer Rahmengeber fällt damit eine Schlüsselstellung zu. ɷ Andreas Knie, Prof. Dr. Geschäftsführer InnoZ - Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel GmbH, Berlin knie@wzb.eu LITERATUR [1] CANZLER, W., KNIE, A. (2011): Einfach Aufladen. Mit Elektromobilität in eine neue Zukunft, München [2] KNIE, A., CANZLER, W. (2011): Automobilität 2.0: Klimawandel - die große Herausforderung, in: FLF, Heft 4; Juli [3] Nationale Plattform Elektromobilität (NPE) (2011): Zweiter Bericht, Berlin / Bonn [4] SPERLING, D., GORDON, D. (2009): Tow Billion Cars. Driving Toward Sustainability, Oxford [5] ADLER, M. (2011): Generation Mietwagen - Die neue Lust an einer anderen Mobilität, München »Entscheidend ist die Freiheit im Kopf, jederzeit überall hinzukommen. Ein monomodales Elektroauto wird damit bis 2017 keinen sehr großen privaten Käufermarkt finden. «