Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2011-0072
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Perspektiven für die Eisenbahn bis 2025
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Tom Reinhold
Georg Kasperkovitz
Die Deutsche Bahn blickte 2010 nicht nur auf 175 Jahre erfolgreiche Geschichte zurück, sondern warf auch einen Blick auf die künftige Entwicklung des Schienenverkehrs. Als Ergebnis legte das Unternehmen zusammen mit McKinsey & Company eine Studie zu den Perspektiven bis 2025 vor.
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Internationales Verkehrswesen (63) 4 | 2011 72 Perspektiven für die Eisenbahn bis 2025 Die Deutsche Bahn blickte 2010 nicht nur auf 175 Jahre erfolgreiche Geschichte zurück, sondern warf auch einen Blick auf die künftige Entwicklung des Schienenverkehrs. Als Ergebnis legte das Unternehmen zusammen mit McKinsey & Company eine Studie zu den Perspektiven bis 2025 vor. O b die Eisenbahn in Deutschland ihre Erfolgsgeschichte künftig fortschreiben kann, hängt im Wesentlichen von drei Faktoren ab: gesamtwirtschaftliche Entwicklung, gesellschaftliche Veränderungen und Handeln des Staates. Gesamtwirtschaftliche Entwicklung Wächst die Wirtschaft, wachsen auch Transportbedarf und Investitionsmöglichkeiten im Schienenverkehr. Hierbei kommt es vor allem darauf an, wie nachhaltig Deutschland und andere Staaten die Folgen der Wirtschaftskrise von 2008/ 9 bewältigen. Doch selbst wenn dies gut gelingt, ist künftig mit einer deutlich volatileren gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu rechnen. 1 Diese Annahme wird derzeit bestätigt durch die hohe Unsicherheit bezüglich der Rohölpreisentwicklung, durch Budgetsanierungen in einigen EU-Ländern sowie durch die Natur- und Nuklearkatastrophe in Japan. Deshalb haben die Autoren der Studie auf einen genauen Prognosewert für die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland bis zum Jahr 2025 verzichtet. Stattdessen wird ein Erwartungskorridor mittels dreier alternativer Szenarien zur Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) aufgezeigt. Im pessimistischsten Fall, dem Stagnationsszenario, wird ein BIP- Wachstum von 1 % unterstellt. Im mittleren Wachstumsszenario wird von 1,5 %, im optimistischen Chancenszenario von 2 % ausgegangen. Dieser Erwartungskorridor steht im Einklang mit vergleichbaren Prognosen Foto: Deutsche Bahn AG MOBILITÄT Zukunftsstudie Bahn Internationales Verkehrswesen (63) 4 | 2011 73 zur weiteren Wirtschaftsentwicklung, wie sie beispielsweise die Deutsche Bank, EIU, Fery, IHS Global Insight, IMF und Oxford Economics vorgelegt haben. Gesellschaftliche Veränderungen Neben den ökonomischen haben auch soziale Entwicklungen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Schienenverkehrs, vor allem auf Zahl und Art der im Personenverkehr nachgefragten Leistungen. In diesem Zusammenhang wichtige Parameter sind beispielsweise: demografische Entwicklung, Pro-Kopf-Einkommen, Arbeitslosigkeit und Erwerbstätigkeit sowie (Sub-) Urbanisierungen als Konsequenz (über-) regionaler Migrationsprozesse. Hierbei führen das vermutlich steigende Pro-Kopf- Einkommen, der voraussichtlich wachsende Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung sowie die fortgesetzte Suburbanisierung zu positiven Efekten für den Schienenpersonenverkehr. Nachteilig wirken sich dagegen die prognostizierte demografische Entwicklung sowie die Bevölkerungsausdünnung in bestimmten Regionen aus. Grundlage für diese Einschätzung gesellschaftlicher Entwicklungen waren Studien des Statistischen Bundesamts wie die 12.-koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung oder die „Bevölkerungsprognose 2005 bis 2025“ des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung. Staatliche Rahmenbedingungen Um etwa das im Wachstums- und Chancenszenario implizierte höhere Transportaukommen bewältigen zu können, sind bedarfsorientierte Investitionen in die Transportinfrastruktur unabdingbar. Im Personenverkehr kommt es zudem darauf an, dass Bund, Länder und Kommunen nicht nur Infrastrukturinvestoren sind, sondern weiterhin auch wesentliche Besteller von öfentlichen Nahverkehrsleistungen. Ebenfalls im Wachstums- und Chancenszenario unterstellt sind zusätzliche regulatorische Maßnahmen und Gesetze zur Umsetzung des 2009 von der EU verabschiedeten Klimaziels 20-20-20 2 , denn Maßnahmen zur Senkung der CO 2 -Emissionen fördern die Entwicklung des Schienenverkehrs. Die drei in sich konsistenten Szenarien für die beschriebenen Rahmenbedingungen des Schienenverkehrs definieren Entwicklungskorridore für den Schienenpersonen- und den Schienengüterverkehr. Die beteiligten Interessengruppen - insbesondere Eisenbahnverkehrsunternehmen, Zulieferindustrie und Staat - können sich daran orientieren, um die Voraussetzungen dafür zu schafen, dass das attraktive Zukunftsbild 2025 Wirklichkeit werden kann. Entwicklung der Schienenverkehrsmärkte bis 2025 Die bis 2025 für den Schienenverkehr in Deutschland zu erwartenden Veränderungen betrefen primär das Wachstum des Schienengüterverkehrs, Veränderungen der Art der Verkehrsnachfrage und Innovationen im System Schien. Personenverkehr Im Personenverkehrsmarkt ist bis zum Jahr 2025 von einem moderaten Wachstum auszugehen: Je nach Szenario werden dann rund 4 bis zu 9 % mehr Personenkilometer zurückgelegt als 2009. Der Modalanteil Schiene kann zwischen 9 und 13 % variieren (Abbildung 1). Hierbei hängt die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene nicht nur von den genannten Rahmenbedingungen ab, sondern insbesondere von der Innovationsfähigkeit der Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU). Denn auch wenn hinsichtlich der physischen Infrastruktur (Schiene und Fahrzeuge) nur graduelle Neuerungen zu erwarten sind: Beim Kundenangebot zeichnen sich grundlegende Innovationen ab. Dazu gehört die engere Verzahnung der Verkehrsträger in integrierten Mobilitätsketten bei gleichzeitiger Verbesserung der Verbindungen zwischen den Verkehrsmitteln sowie die Vereinfachung des Zugangs zum System Bahn. Beispielsweise könnte es darauf ankommen, dass die Kunden die verschiedenen Verkehrsmittel über eine einheitliche Schnittstelle buchen können und unter Nutzung eines einzigen Mediums (z. B. Smartphone). Ob die Schiene Marktanteile gewinnt, ist zudem von externen Einflussfaktoren abhängig. Kostensteigerungen für Öl und Energie etwa haben positive Auswirkungen für die Schiene, da diese Kosten hier einen im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern geringeren Anteil haben. Auch eine veränderte Einstellung zum Automobil - Bedeutungsverlust als Statussymbol und Trend zu neuen Besitzmodellen - wirkt sich zu Gunsten der Schiene aus. Ein negativer Einfluss auf den Modalanteil der Schiene ist hingegen zu erwarten, wenn beispielsweise künftig weniger öfentliche Mittel zur Finanzierung des Nahverkehrs zur Verfügung stehen oder bei Ausschreibungen im Schienenpersonennahverkehr der Kostenfokus in den Vordergrund tritt. Güterverkehr Der Transportbedarf bzw. die Verkehrsleistung im Güterverkehrsmarkt wird im Vergleich zum Personenverkehr sehr viel stärker steigen. Die Spannbreite der Szenarien reicht von rund 30 bis über 60 % Wachstum bis 2025. Der Modalanteil der Schiene wird sich - in Abhängigkeit von den Rahmenbedingungen - zwischen rund 13 und 21 % bewegen (Abbildung 1). Das prognostizierte Wachstum des Schienengüterverkehrs wird durch strukturelle Veränderungen des Güterverkehrsmarkts hervorgerufen. So ist damit zu rechnen, dass die fortschreitende Globalisierung und engere Zusammenarbeit innerhalb der EU die grenzüberschreitenden Transporte ansteigen lassen. Die Transporteure werden sich Abb. 1: Leistung Eisenbahnverkehr * CAGAR 2008 - 2009; ** CAGAR 2009 - 2025 Quelle: McKinsey, DB AG MOBILITÄT Zukunftsstudie Bahn Internationales Verkehrswesen (63) 4 | 2011 74 Tom Reinhold, Dr. Leiter Sonderprojekte Deutsche Bahn AG Berlin/ Deutschland tom.reinhold@deutschebahn.com Georg Kasperkovitz, Dr. Partner Transport & Logistik McKinsey & Company, Inc. Wien/ Österreich georg_kasperkovitz@mckinsey.com also noch stärker international ausrichten, vor allem europäisch. Zudem dürfte sich die Güterstruktur verändern: Die traditionell profitablen Verkehre für Kohle, Chemie, Stahl etc. werden an Bedeutung verlieren, während die Transporte von Autos, Maschinen sowie sonstigen Halb- und Fertigwaren überdurchschnittlich stark wachsen - und mit ihnen die kombinierten Verkehre. Für eine prosperierende Entwicklung im Schienengüterverkehr sind neben der Dynamik des Marktes aber auch Innovationen im Kundenangebot sowie in der Produktion notwendig. Diese Innovationen mit unmittelbarem Kundennutzen sind teilweise schon heute in Ansätzen vorhanden. Dazu zählen beispielsweise web-basierte „Fahrpläne“ zur sendungsspezifischen Planbarkeit sowie die unmittelbare Angebotserstellung durch Teilautomatisierung und standardisierte Mechanismen für Transferpreise zwischen kooperierenden Bahnen. Für die Produktion sind Innovationen bei der Produktionsplanung und -steuerung zur besseren Auslastung zu erwarten, wie etwa Einzelwagenverkehre mit Kapazitätsbuchungssystem oder neue Kooperationsmodelle bei der Produktion von Verkehren (z. B. Xrail). Wie im Personenverkehr wird auch im Güterverkehr die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene durch eine Reihe externer Faktoren beeinflusst. Ein Anstieg der Energiepreise, ein stärkeres Umweltbewusstsein oder die Einhaltung von Sozialstandards im Lkw-Verkehr sind Beispiele für Faktoren, die eine Modalanteilssteigerung der Schiene begünstigen würden. Dagegen dürfte es sich negativ auswirken, wenn etwa Euro- Combis europaweit zugelassen oder weitere Einzelwagenverkehre in EU-Ländern eingestellt werden. Anforderungen an die Eisenbahninfrastruktur Damit die EVU das bis 2025 wachsende Verkehrsaukommen sowohl im Personenals auch im Güterverkehr bewältigen können, muss die Eisenbahninfrastruktur teilweise neu und ausgebaut werden - und zwar bedarfs- und zeitgerecht. Denn schon heute bestehen Kapazitätsengpässe auf hoch belasteten Korridoren. Um einen höheren Modalanteil der Schiene zu ermöglichen, sind die Netzkapazitäten von 1050-Mio. Trassenkilometer auf bis zu 1200-Mio. Trassenkilometer auszubauen (Abbildung 2). Des Weiteren kommt es darauf an, die bestehende Finanzierungslücke zu schließen. Um die bis 2025 wichtigen Infrastrukturmaßnahmen realisieren zu können, werden Mittel von rund 2- Mrd.- EUR p. a. benötigt (Stand 2011). Die aktuelle Bundeshaushaltslinie liegt aber nur bei rund 1,2- Mrd.- EUR p. a. - Infrastrukturengpässe könnten folglich zu Wachstumsbremsen werden. Weitere Voraussetzungen für einen starken Schienenverkehr Eine Stärkung der Schiene setzt aber nicht nur Infrastrukturinvestitionen voraus, sondern auch ausreichende Regionalisierungsmittel. Verlässliche politische Rahmenbedingungen mittels einer marktadäquaten Regulierung schafen zudem Sicherheit für Nutzer und langfristige Investitionsentscheidungen. Daraus resultiert Handlungsbedarf auf Seiten des Staates. Aber auch Abb. 2: Ausbaubedarf der Netzkapazitäten * Umrechnungsfaktor im Schienengüterverkehr Trkm/ tkm 1/ 510, im Personenverkehr Annahme konstanter Trkm (ca. 800 Mio. Trkm p. a.); ** Modaler Anteil Bahn bezieht sich auf Pkm/ tkm am gesamten Verkehrsaufkommen Quelle: McKinsey, DB AG EVU und Zulieferindustrie stehen in der Pflicht, ihren Beitrag zu einem erfolgreichen Schienenverkehr zu leisten. Bei den EVU geht es vor allem darum, Innovationen bei Kundenangebot und Produktionslogik mit Leben zu erfüllen sowie besser über Landesgrenzen hinweg zu kooperieren. Die Zulieferindustrie hingegen sollte vor allem die Qualität bei der Entwicklung von Rollmaterial sicherstellen sowie die Herstellkosten für Rollmaterial reduzieren. Die komplette Studie kann unter http: / / www.deutschebahn. com/ site/ bahn/ de/ presse/ publikationen/ sonderpublikation/ db_zukunftsstudie_2025.html heruntergeladen werden. ɷ 1 Vgl. hierzu auch McKinsey & Company: Willkommen in der volatilen Welt - Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft durch nachhaltig veränderte Märkte. Frankfurt 2010. 2 Mit dem Klimaziel 20-20-20 ist die von der EU verabschiedete Strategie für eine umweltgerechtere Zukunft in Europa verbunden. Angestrebt sind die Senkung der Treibhausgasemissionen um 20 %, die Verringerung des Energieverbrauchs um 20 % sowie die Deckung von 20 % des Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen.
