eJournals Internationales Verkehrswesen 63/5

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2011-0081
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»Irritierende und folgenschwere Entwicklungen«

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Gerd Aberle
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Internationales Verkehrswesen (63) 5 | 2011 11 KURZ + KRITISCH Gerd Aberle I n der mittlerweile unsäglichen Diskussion um Stuttgart- 21 hat nach dem erfolgreich testierten Stresstest der Mediator eine vor 15 Jahren wegen gravierender Kosten- und Umweltprobleme verworfene Alternative wieder aus dem Hut gezogen. Sein Vorschlag einer Kombination von oberirdischem, aber verkleinertem Kopbahnhof und unterirdischem Fernbahnhof wurde gemeinsam mit der den Stresstest beurteilenden Schweizer Ingenieurgesellschaft sma präsentiert. Hieraus wurde - nicht zu Unrecht - von vielen Beobachtern und auch der kritischen Öfentlichkeit der Schluss gezogen, dass die von der DB AG für den Stresstest von S-21 vorgeschlagene Schweizer Ingenieurgesellschaft sma ofensichtlich die alte Kombilösung hoch einschätzt und vielleicht sogar gegenüber S-21 den Vorzug gibt. Die Vertreter der DB AG zeigten sich nach der unerwarteten Präsentation der Kombilösung durch den Mediator, der mehrmals auf die aktive Mitwirkung von sma bei der Erarbeitung seines Vorschlags hinwies, sehr überrascht. Anscheinend hat es hier eine Doppeltätigkeit von sma in einer außerordentlich heiklen Phase des Projekts S-21 gegeben: Stresstestprüfung von S-21 und Beurteilung der Kombilösung. Das ganze Procedere ist in höchstem Maße irritierend, zumal hierdurch neue und unerfreuliche Auseinandersetzungen initiiert worden sind. Nicht nachvollziehbare Entwicklungen sind derzeit (wieder) in der internationalen Containerschiffahrt zu beobachten. Bis 2013 ist aufgrund der vergebenen Bauaufträge mit einem Zugang von etwa 695 Containerschifen mit einer Stellplatzkapazität von 4,2- Mio.- TEU zu rechnen. Der derzeitige Schifsbestand beträgt etwa 14,5-Mio.-TEU. Dieser zu erwartende Kapazitätszuwachs wird nach allen Voraussagen das Nachfragewachstum weit übertrefen und zu gravierenden Überkapazitäten mit entsprechendem Ratenverfall führen. Zusätzliche Probleme ergeben sich dadurch, dass sich die Neubauaufträge der Reedereien auf Ultra Large Container Ships mit mehr als 10 000 bis mittlerweile 18 000 TEU konzentrieren, die jedoch bei Auslastungsgraden unter 85 % zu Verlustbringern mutieren. Dies heizt die Preisunterbietungsstrategien an und wird - wieder einmal - zu lauten Klagen der Reedereien führen. Dieses Schweinezyklusverhalten ist irrational und wegen der mangelnden Lernfähigkeit oder auch Lernunwilligkeit aus vorausgegangenen Krisen irritierend. Irritierend und in den wirtschaftlichen Konsequenzen unerfreulich ist das Gerangel um den mit 248- Mio.- EUR teuren und vom Land Hessen finanzierten Ausbau des Flughafens Kassel-Calden. »Das planlose Verhalten der nationalen und europäischen Politiker ist die traurige Spitze der Irritation.« Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche »Irritierende und folgenschwere Entwicklungen« Für diesen Ausbau besteht aufgrund der Nähe zu drei funktionsfähigen, teilweise aber auch unter Auslastungsproblemen leidenden Flughäfen keinerlei Luftverkehrsinteresse. Vielmehr wird nur mit regionalwirtschaftlichen Hofnungen argumentiert, die auf tönernen Füßen stehen. Nun wird dringend ein finanzkräftiger Partner für die Abdeckung der erwarteten laufenden Betriebsdefizite gesucht; eine Erwirtschaftung der vom Land Hessen, also den Steuerzahlern, finanzierten Investitionen steht überhaupt nicht zur Diskussion. Ebenfalls irritierend sind die Perspektiven für die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland. Die vom Bundeskabinett für die Jahre bis 2015 verabschiedete Finanzplanung pendelt um 10- Mrd.- EUR/ Jahr für Investitionen in die Bundesverkehrswege. Real bedeutet dies sinkende Finanzmittelverfügbarkeiten, was einen Verzicht auf neue Projekte bedeutet und auch die wichtige Substanzerhaltung nicht mehr gewährleistet. Letzteres gilt vorrangig für den Straßenbereich mit besorgniserregenden Brückenschäden, aber auch für das Schienennetz, bei dem die 2,5-Mrd.-EUR Bundesmittel der LuFV (neben den 500- Mio. von der DB- AG) nicht ausreichen werden, das Netz leistungsmäßig zu optimieren. Von den dringenden Ausbaumaßnahmen wie den Seehafenhinterlandanbindungen, der Oberrheintrasse Karlsruhe-Basel zur Anbindung an den Gotthard-Basistunnel und der Anbindung der niederländischen Betuwe-Strecke ab Emmerich kann nichts finanzpolitisch abgesichert werden. Dabei ist alles mehr ein Glasperlenspiel, denn niemand kann derzeit auch nur grob abschätzen, welche finanziellen Belastungen aus der sich immer rasanter entwickelnden Euro- und Schuldenkrise auf Deutschland zukommen werden. Und das ist die traurige Spitze der Irritation: das planlose Verhalten der nationalen und europäischen Politiker. ɷ