eJournals Internationales Verkehrswesen 63/5

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2011-0083
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2011
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Wasserstraßenkonzept schlägt Wellen

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2011
Jens Schwanen
Seit Jahresbeginn 2011 sorgt die Frage des weiteren Ausbaus der Flüsse und Kanäle in Deutschland für heftige Diskussionen. Anlass ist das bereits in dem Artikel „Unterfinanzierung bremst Schifffahrt aus“ (IV 3/11) kurz dargestellte Wasserstraßenkonzept des BMVBS. Im Rahmen der vorgesehenen Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) hat das Ministerium ein Konzept vorgestellt, bei dem die Reorganisation des Behördenaufbaus an eine Neustrukturierung des Wasserstraßennetzes geknüpft ist.
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POLITIK Binnenschiffahrt Internationales Verkehrswesen (63) 5 | 2011 15 V or dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage - für den bislang vorgesehenen Erhalt und Ausbau der Wasserstraßen fehlen pro Jahr rund 500- Mio.- EUR - sollen die verfügbaren Ressourcen (Investitionsmittel und Personal) auf die Teile der Wasserstraßeninfrastruktur konzentriert werden, die bereits heute oder absehbar über ein hohes Verkehrsaukommen verfügen. Das heißt: Nur auf Wasserstraßen mit wenigstens 10-Mio.-t Transportvolumen p.a. soll noch ein Ausbau stattfinden. Dies sind beispielsweise der Rhein, die Mosel, der Main, die Donau sowie Teile des Mittellandkanals und des Dortmund-Ems-Kanals. Wichtige Verbindungen wie der Elbe-Seitenkanal, der Neckar oder die Nordstrecke des Dortmund-Ems-Kanals fallen, da hier weniger Gütermengen prognostiziert werden, bereits nicht mehr in diese Kategorie. Hier sollen „Optimierungen“ erfolgen, worunter das Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) Maßnahmen versteht, „die die Verhältnisse für die Schiffahrt verbessern“. Beispielhaft nennt das BMVBS die Anpassung der Kurvenradien, Sohlbaggerungen, aber auch Brückenanhebungen. Im Übrigen - und das betrift insbesondere die Wasserstraßen im Osten Deutschlands - sollen nur noch Unterhaltungsmaßnahmen, in Teilen aber sogar Renaturierungen, im Vordergrund stehen. So plant das Ministerium, den Stichkanal vom Mittellandkanal nach Salzgitter (hier sitzen wichtige Kunden der Güterschiffahrt) als so genanntes Randnetz nur noch mit geringerer Intensität zu unterhalten. Der Saale-Seitenkanal, im BVWP 2003 noch als „vordringlicher Bedarf“ angesehen, soll nach diesem Konzept als so genannte Restwasserstraße sogar nicht einmal mehr unterhalten werden. Wenig Konkretes Welche Infrastrukturvorhaben diesem Konzept nun genau zum Opfer fallen, verschweigt auch der zweite, im April vorgelegte Bericht. Was aber noch schwerer wiegt, ist die Tatsache, dass der Unterlage auch nicht zu entnehmen ist, welche exakte Maßnahme im Zuge dieser Neustrukturierung denn nun eigentlich schneller und umfangreicher realisiert wird. Der Vorteil der vom Ministerium vorgeschlagenen neuen Netzstrategie bleibt damit unklar. Hafenwirtschaft, Schiffahrtsgewerbe, verladende Wirtschaft und die betrofenen Bundesländer haben die als Modernisierungskonzept getitelte Strategie einstimmig abgelehnt. Fahrgastschiffahrt unberücksichtigt Am 25. Mai 2011 hat der Haushaltsausschuss des Bundestags beschlossen, dass die WSV- Reform und die Neustrukturierung des Wasserstraßennetzes voneinander getrennt werden sollen. Der für Infrastrukturfragen zuständige Verkehrsausschuss hat sich am 29. Juni 2011 im Rahmen einer öfentlichen Anhörung mit der Thematik beschäftigt. Für die Binnenschiffahrt war der Autor als Experte eingeladen, der unter anderem darauf hingewiesen hat, dass das BMVBS für den vorgesehenen Stopp zahlreicher Ausbauprojekte keine ausreichende wissenschaftliche Grundlage liefere. Eine alleinige Orientierung an der voraussichtlichen Jahresgütermenge auf Grundlage unveröfentlichter und daher nicht nachprübarer Prognosen sei nicht ausreichend. Die Fahrgastschiffahrt - mit ihren rund 17- Mio. Passagieren pro Jahr ein erheblicher Tourismus- und Wirtschaftsfaktor in Deutschland - wird in der vorgeschlagenen Netzneustrukturierung gar nicht berücksichtigt. Die vorgenommene Bildung von Netzkategorien wirkt willkürlich, sorgt für Planungsunsicherheit und beschneidet die Binnenschiffahrt in ihrer Zukunftsfähigkeit. Eine neue Bewertungsmethodik für künftige Infrastrukturvorhaben sollte in der gebotenen wissenschaftlichen Gründlichkeit für sämtliche Verkehrsträger zum Gegenstand der Erarbeitung des nächsten Bundesverkehrswegeplans gemacht werden, der 2015 vorgelegt werden soll. Betroffene Wirtschaftszweige sind dabei ebenso frühzeitig zu beteiligen wie die Bundesländer. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, zeitgleich ein Ausbaugesetz für die Wasserstraßen - analog zu entsprechenden Gesetzen für Fernstraßen und Gleisnetz - zu schafen und alternative Finanzierungsquellen zu prüfen. Kernproblem: jahrelange Unterfinanzierung Es ist zwar auch nach Ansicht des Bundesverbands der Deutschen Binnenschifahrt (BDB) richtig, dass Investitionen in die Infrastruktur sämtlicher Verkehrsträger dort getätigt werden sollten, wo der verkehrliche Bedarf am höchsten, der volkswirtschaftliche Nutzen am größten und aufgrund jahrelanger Unterfinanzierung die Erhaltungsnotwendigkeit am dringendsten ist. Dieser Ansatz ist jedoch nicht neu, sondern entspricht bei den Wasserstraßen der Investitionspolitik der vergangenen Jahre. Wasserstraßenkonzept schlägt Wellen Seit Jahresbeginn 2011 sorgt die Frage des weiteren Ausbaus der Flüsse und Kanäle in Deutschland für heftige Diskussionen. Anlass ist das bereits in dem Artikel „Unterfinanzierung bremst Schiffahrt aus“ (IV-3/ 11) kurz dargestellte Wasserstraßenkonzept des BMVBS. Im Rahmen der vorgesehenen Reform der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung (WSV) hat das Ministerium ein Konzept vorgestellt, bei dem die Reorganisation des Behördenaufbaus an eine Neustrukturierung des Wasserstraßennetzes geknüpft ist. »Kernproblem ist die jahrzehntelange Unterfinanzierung, die sich nun auf einen jährlichen Fehlbetrag von 500 Mio. EUR aufgestaut hat.« POLITIK Binnenschiffahrt Internationales Verkehrswesen (63) 5 | 2011 16 Foto: Ikar.us So gingen laut Investitionsrahmenplan im Zeitraum 2007 bis 2010 bereits 80 % der Investitionen nicht in den Ausbau, sondern in den Erhalt der Wasserstraßen. Kernproblem ist die jahrzehntelange Unterfinanzierung, die sich nun auf einen jährlichen Fehlbetrag von 500 Mio. EUR aufgestaut hat. Verschärft wird das Problem durch zahlreiche Zusatzaufgaben in der WSV, etwa die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie und des ISPS-Codes. Hierfür sind aber seitens des Bundes nie Mehrmittel zur Verfügung gestellt worden. Bevor das BMVBS einen de facto endgültigen Ausbaustopp über weite Teile des Wasserstraßennetzes verhängt, sollte es - wenn es die Zukunft der Verkehrspolitik tatsächlich in geschlossenen Finanzierungskreisläufen sieht - nach zusätzlichen Finanzierungsquellen suchen, zum Beispiel durch eine konsequente Einbeziehung sämtlicher Nutzer der See- und Binnenwasserstraßen in die Infrastrukturfinanzierung. Die Binnenschiffahrt zahlt bereits seit vielen Jahren Abgaben in Millionenhöhe für die Nutzung der Flüsse und Kanäle. Weitere Kriterien erforderlich Der Verkehrsausschuss hat am 6. Juli 2011 mit den Stimmen von CDU/ CSU und FDP dem Wasserstraßenkonzept in der derzeit vorliegenden Fassung eine klare Absage erteilt. In einem 9-Punkte-Beschluss wird das BMVBS aufgefordert, die Netzkategorisierung um eine eingehende Begründung zu ergänzen, die Kriterien für die Priorisierung von Investitionsprojekten darzustellen und die Anzahl der vorgeschlagenen Kategorien zu verringern. Zudem sollen für die Netzkategorisierung die jeweils aktuellen Daten (Prognosen, Transportmengen) zugrunde gelegt und dabei neben der Tonnage weitere Kriterien wie Verkehrsfunktion, Erschließungs- und Zugangsfunktion für das maritime Gewerbe, Sonder- und Spezialtransporte, Volumina, Leistungen der Personenschiffahrt und die Wertschöpfung der Transporte für die Einordnung der Bundeswasserstraßen in die Kategorien berücksichtigt werden. Für die einzelnen Bundeswasserstraßen sollen - entsprechend der Kategorisierung und den damit verbundenen Aufgaben (Ausbau, Optimierung, Unterhaltung, Betrieb) - die Ausbauziele und konkreten Maßnahmen mit Umsetzungsstatus genannt, die Grundkonzeption für ein Wasserstraßenausbaugesetz erarbeitet, und ein neues Gebührensystem für die Wasserstraßen entwickelt werden. Ob und wie das BMVBS dem Beschluss Rechnung trägt, wird sich nach der Sommerpause zeigen. ɷ Jens Schwanen, RA Geschäftsführer und Sprecher der Geschäftsführung, Bundesverband der Deutschen Binnenschifahrt e.V. (BDB), Duisburg bdb-schwanen@binnenschif.de »Die Binnenschifffahrt zahlt bereits seit vielen Jahren Abgaben in Millionenhöhe für die Nutzung der Flüsse und Kanäle.«