Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2011-0090
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Ferdinand Dudenhöffer
Kathrin Dudenhöffer
Leonie Hause
Elektroautos sind leise und damit eine potenzielle Gefahr für Fußgänger, Radfahrer und Handicap-Gruppen wie Blinde oder Alte. Mittlerweile wurden bereits Geräuschauflagen für Elektroautos erlassen. Gesetzgeber, auch in der EU, denken intensiv darüber nach, die lautlosen Elektroautos wieder künstlich „lärmen“ zu lassen. Ein Vorzug des Elektroautos würde damit „wegreguliert“. Ist dies sinnvoll?
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TECHNOLOGIE Elektromobilität Internationales Verkehrswesen (63) 5 | 2011 71 Gefahrenpotenzial leises Elektroauto? Elektroautos sind leise und damit eine potenzielle Gefahr für Fußgänger, Radfahrer und Handicap- Gruppen wie Blinde oder Alte. Mittlerweile wurden bereits Geräuschauflagen für Elektroautos erlassen. Gesetzgeber, auch in der EU, denken intensiv darüber nach, die lautlosen Elektroautos wieder künstlich „lärmen“ zu lassen. Ein Vorzug des Elektroautos würde damit „wegreguliert“. Ist dies sinnvoll? U m nachzuweisen, welche tatsächlichen Gefahren von den lautlosen Elektroautos ausgehen, wurde am CAR-Center Automotive Research der Universität Duisburg-Essen über einen Zeitraum von zwei Jahren intensiv geforscht. Die Forschungsarbeiten waren Bestandteil des Projekts ColognE-mobil, das vom BMVBS im Rahmen der Modellregionen Elektromobilität gefördert wird. Neben dem Autobauer Ford, der Stadt Köln und der Rheinenergie, ist die Universität Duisburg-Essen mit 15 Lehrstühlen am Projekt CologneE-mobil beteiligt. Ziel des 15- Mio.- EUR-Großprojekts ist es, die Anwendungsbedingungen von Elektroautos im Straßenverkehr zu erforschen. In einer Serie von Experimenten wurde dabei nachgewiesen, dass moderne Benzinmotoren mit Start-Stopp-Systemen nicht weniger oder mehr hörbar sind - und damit gefährlich - wie Elektroautos. Die Akustiker im Ford-Entwicklungszentrum Köln- Merkenich haben die Akustikmessungen mit Elektroautos und verbrennungsmotorisch angetriebenen Fahrzeugen wesentlich unterstützt. Versuchsaufbau In drei Versuchsreihen wurden am CAR mit insgesamt 240- Teilnehmern Akustik- und Fahrzeugwahrnehmungstests durchgeführt. Die Alterspanne der Teilnehmer reichte von fünf Jahren bis 95- Jahren und spiegelt damit sehr gut das Fußgänger- und Radfahrerverhalten im städtischen Verkehr wider. 14 % der Teilnehmer waren schwerhörig, 15 % der Teilnehmer - also 36 Personen- waren sehbehindert oder blind. Dies ist deshalb bedeutsam, da Sehbehinderte und Blinde im Verkehr extrem auf Geräuschwahrnehmungen angewiesen sind. 51 % der Teilnehmer besitzen einen Führerschein und können damit Fahrersituationen sehr gut beurteilen. Die Testpersonen mussten Fahrzeuggeräusche in der Vorbeifahrt in verkehrsberuhigten Wohngebieten bei einer Geschwindigkeit von 30 km/ h einschätzen und subjektiv das erlebte Gefährdungspotenzial beurteilen. Das Geschwindigkeitsband um 30 km/ h ist besonders wichtig, da bei höherer Geschwindigkeit immer stärker die Reifenabrollgeräusche in den Vordergrund treten und damit Elektroautos und verbrennungsmotorgetriebene Fahrzeuge in ihrem Geräuschverhalten zusehends ähnlicher werden. Objektive Messdaten Die Fahrzeuge wurden im Ford-Entwicklungszentrum „vermessen“ und auf der Ford-Teststrecke die Geräuschpegel bei Tempo 30 km/ h und 40 km/ h ermittelt. In den drei Testreihen kamen elf verschiedene Fahrzeuge zum Einsatz: die Elektroautos (BEV) Stromos (German E-Car), Mega E- City, Smart-EV, Peugeot Partner, Ford Transit sowie die konventionellen Fahrzeugen Opel Agila, Ford Fiesta, Smart Benziner, Smart Diesel, Ford Transit Diesel und Peugeot Partner. Abbildung 1 zeigt, dass es bei den gemessenen Geschwindigkeiten keine großen Abweichungen im Lärmpegel zwischen Benzinern und Elektroautos gibt. Mit dem besten Lärmpegel bei den Benzinern schnitt der Opel Agila ab, der im Prinzip kaum wahrnehmbare Abweichungen zu den Elektroautos zeigt. Da jetzt bei Luxuslimousinen diese Werte zum Teil noch unterschritten werden, kann man schlussfolgern, dass bei konstanter Geschwindigkeit im Stadtbereich kein Wahrnehmbarkeitsunterschied zwischen modernen Benzinfahrzeugen und Elektroautos bestehen. Sind Straßen gar nass, ist die Übereinstimmung noch wesentlich größer, denn bei Nässe kommt auch bei sehr niedrigen Geschwindigkeiten das Reifenabrollgeräusch deutlich stärker zum Tragen. Unterschiede im Lärmpegel zwischen Elektroauto und Benziner treten selbstverständlich bei Vollgasfahrten und sehr hochtourigem Fahren auf. Bei derartigem Fahrverhalten überwiegen die Geräusche der Benziner deutlich. Abgesehen von Autofahrern, die Kavaliersstarts praktizieren und eine deutliche Minderheit dar- Foto: Siemens TECHNOLOGIE Elektromobilität Internationales Verkehrswesen (63) 5 | 2011 72 stellen, sind Vollgasfahrten und extrem hochtouriges Fahren im Stadtverkehr in Wohngebieten nicht zu beobachten. Subjektive Messdaten Neben den objektiven Messdaten wurden im Experiment subjektive Wahrnehmungen abgetestet. Dies ist auch deshalb bedeutsam, weil etwa Blinde nur durch das Wort Elektroauto schon ein deutlich höheres Gefahrenpotenzial vermuten als durch das Wort „Auto mit Verbrennungsmotor“. Sind dies nur subjektive Einschätzungen oder erleben etwa Blinde Elektroautos tatsächlich als bedrohlicher? Um dies zu testen, wurden die 240- Testteilnehmer immer befragt, nachdem zwei gleiche Autos - mit Verbrennungsmotor und mit Elektromotor - die Teststrecke im Wohngebiet abfuhren. Für Fahrzeuge, die ein ähnliches Geräuschverhalten zeigten, ergeben sich dann Geräuschwahrnehmungsprofile wie in Abbildung 2 dargestellt. Abbildung 2 zeigt deutlich, dass die Testpersonen (einschließlich Blinde), keinen Unterschied in der subjektiven Wahrnehmung zwischen Elektroauto und modernem Benziner erkannten. In den abgefragten Kriterien „leise, schwach, leichtgängig, dumpf, gewöhnlich, gedämpft, weich, tief“ stimmen etwa das Elektroauto Stromos und der Opel Agila fast deckungsgleich überein. Fahrzeuge im Stand Selbstverständlich sind unterschiedliche Wahrnehmungen von Elektroautos und verbrennungsmotorischem Fahrzeug gegeben, wenn die Fahrzeuge stehen und der Motor läuft. Dann ist das Elektroauto absolut nicht wahrnehmbar in seinen Geräuschen, weil es eben keine gibt. Für Blinde etwa ist das stehende Fahrzeug mit laufendem Verbrennungsmotor, sehr gut wahrnehmbar. Aus dieser Situation heraus leiten Blinde ein hohes Gefahrenpotenzial von Elektroautos ab. Der Trend bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren läuft derzeit deutlich in Richtung Start-Stopp-Systeme. Start- Stopp-Systeme erlauben im Stadtverkehr Kraftstofeinsparungen zwischen 5 % - 15 %. Dies ist erheblich und erlaubt den Autobauern, auch die CO 2 -Vorgaben der EU für das Jahr 2012 (130 g CO 2 / km für Neuwagen im Schnitt) zu erfüllen. Bis zum Jahr 2015 gehen wir davon aus, dass über 80 % der Neuwagen, die in der EU verkauft werden, mit Start-Stopp ausgestattet sind. Damit werden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren im Stand nicht mehr durch Geräusche wahrgenommen. Auch in diesem Punkt hat also das Elektroauto kein höheres Gefahrenpotenzial als der mit Verbrennungsmotor angetriebene Wagen. Fazit Um Fahrzeuge sicherer zu machen, eignen sich künstliche Geräusche für Elektroautos deutlich weniger als vermutet. Die Tests haben gezeigt, dass es falsch wäre, das Elektroauto künstlich lauter zu machen. Wenn schon, müsste man auch die verbrennungsmotorgetriebenen Fahrzeuge lauter machen. Und noch etwas hat die Studie gezeigt: Für Handicap-Gruppen wie Blinde, sollten intelligente Assistenten entwickelt werden. An der Universität Duisburg-Essen, am CAR, ist gemeinsam mit den Mechatronikern geplant, ein Assistenzsystem zu entwickeln, das Blinde warnt und gleichzeitig den Autofahrern signalisiert, dass Blinde in der Nähe sind. Ähnlich wie ein App auf einem Handy soll der intelligente Assistent das „fehlende“ Geräusch für Blinde ersetzen. Es gibt also Möglichkeiten, die Vorteile der Elektromobilität zu nutzen, ohne die Vorteile „wegzuregulieren“. ɷ Abb. 1: Fahrzeuggeräusche (gesamt) Quelle: CAR Universität Duisburg-Essen Abb. 2: Geräuschwahrnehmung Agila/ Stromos Quelle: CAR Universität Duisburg-Essen Leonie Hause, Dipl.-Wirtschaftsing. * Mitarbeiterin CAR-Center Automotive Research Universität Duisburg-Essen leonie.hause@uni-due.de Kathrin Dudenhöfer, Master of Arts Mitarbeiterin CAR-Center Automotive Research Universität Duisburg-Essen kathrin.dudenhoefer@uni-due.de Ferdinand Dudenhöfer, Prof. Dr. Direktor CAR-Center Automotive Research Universität Duisburg-Essen ferdinand.dudenhoefer@uni-due.de
