eJournals Internationales Verkehrswesen 63/5

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2011-0097
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Vernetzt zum Erfolg!

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Doris Leuthard
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GASTKOMMENTAR Doris Leuthard Internationales Verkehrswesen (63) 5 | 2011 90 Vernetzt zum Erfolg! W er sich nicht vernetzt, stagniert. Für Europa als Kontinent ist die verkehrspolitische Vernetzung im Wettlauf um die besten Wirtschafts- und Lebensstandorte ein absolutes „must“. Denn einerseits wird der Standortwettbewerb immer weniger zwischen einzelnen Ländern und immer mehr zwischen Weltregionen, zwischen Europa, Amerika oder Asien ausgefochten. Zum andern wird die Mobilität in den nächsten 20 Jahren massiv zunehmen - im Personenwie im Güterverkehr. Daher ist das strategische europäische Schienennetz und dabei insbesondere die zentrale Nord- Süd-Achse über einen eizienten Verkehrskorridor Rotterdam - Genua die einzige Antwort auf diese großen logistischen, wirtschaftlichen, aber auch gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft. Wir, die Schweiz, nehmen diese Verkehrsführung mitten durch unser Land mit den beiden Alpentunneln am Lötschberg (2007) und Gotthard (2016) ernst - auch ohne EU-Mitgliedschaft. Wir bauen für den Transit und wir bezahlen selber. Wir sind im Güterverkehr eines der ofensten Länder mit einem diskriminierungsfreien Netzzugang. Die Gotthard-Achse wird heute von einem halben Dutzend verschiedenen, miteinander in Konkurrenz stehenden, Bahnunternehmen befahren. Die Schweiz ist weit vorangeschritten bei ihren Bemühungen, den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Über 60 % der Güter im alpenquerenden Verkehr werden per Bahn transportiert -international ein einmalig hoher Anteil. Das hat seine guten Gründe: Wir sind nicht nur an einer optimalen Verkehrsabwicklung und -einbindung interessiert. Wir sind gemäß unserer Verfassung auch verpflichtet, den empfindlichen Alpenraum vor den Auswirkungen eben dieses Transitverkehrs zu schützen. Die Förderung der Bahn und die Kostenwahrheit im Straßengütertransport (mit einer entsprechend hohen Maut) ist daher eine Konstante der erfolgreichen Verkehrspolitik der Schweiz. Dennoch sind auch wir auf eine strategische Zusammenarbeit angewiesen. Denn wenn wir die wachsenden Verkehrsaukommen bewältigen wollen, müssen alle am selben Strang ziehen und die strategischen Korridore fristgerecht realisieren. Konkret heißt dies: Ein einheitlicher Eisenbahnraum wird in Europa nur dann funktionieren, wenn auch unsere europäischen Nachbarn den Zugang zu ihrem Bahnnetz erleichtern und unnötige technische und regulatorische Hürden für Unternehmen, Rollmaterial oder Personal abbauen. Unsere neuen Basislinien durch die Alpen brauchen funktionierende Anschlüsse im Norden und Süden. Deutschland hat sich dabei zwar zum Ausbau der Oberrheinstrecke im Abkommen von Lugano verpflichtet. Aber leider ist die Realisierung auf gewissen Strecken wegen lokaler Opposition und Problemen bei der Finanzierung ins Stocken geraten. Auch Italien muss zwischen Mailand und der Schweizer Grenze bei Chiasso noch Ausbauten tätigen. Ohne einen durchgehenden und funktionierenden Verkehrskorridor verkümmert die den modernsten Verkehrskriterien entsprechende Alpenpassage durch die Schweiz und die Logistiker werden die Waren im Hafen von Rotterdam nicht auf die Bahn verladen können. Europa wächst zusammen. Menschen und Güter reisen um den Globus. Und dennoch prägen nach wie vor regionale oder nationale Betrachtungen die verkehrspolitischen Diskussionen. Wir alle sind aber aufgefordert, eine gesamtheitliche Betrachtung zu entwickeln und den Blick über die Grenzen zu werfen und noch besser, noch enger zusammenarbeiten. Dem Kombinierten Verkehr wird angesichts der zu bewältigenden Kapazitäten eine immer größere Bedeutung zukommen. Nationalismus in der Verkehrsinfrastruktur können, dürfen und wollen wir uns nicht mehr leisten oder den Passagieren und Gütern zumuten. Das Zeitalter national ausgerichteter Betriebe und Infrastrukturen ist vorbei. Europa als Kontinent kann sich im internationalen Wettbewerb behaupten, wenn sich die Länder nicht gegenseitig kleinkrämerisch das Leben schwer machen. Wenn wir Hochleistungsverbindungen aubauen, dann dürfen diese nicht am regionalen Widerstand scheitern. Wir müssen gemeinsam Lösungen finden, bevor Blockaden - in den Köpfen und in den Positionen - entstehen. Wir müssen eizient transeuropäische Netze knüpfen, um Europa attraktiv für Menschen und Wirtschaft zu erhalten. Das wird gelingen, wenn neben einer internationalen, grenzüberschreitenden Zusammenarbeit Lärmfragen ebenso ihren Platz finden und die betrofene regionale Bevölkerung frühzeitig und demokratisch eingebunden und den Menschen die großen Zusammenhänge sichtbar gemacht werden. ɷ Doris Leuthard Mitglied der Schweizer Landesregierung (Bundesrätin). Von 1999 bis 2006 war sie Nationalrätin, von 2004 bis 2006 Parteipräsidentin der CVP. Seit dem 1. August 2006 ist sie Mitglied der Schweizer Regierung, des Bundesrats, und steht dem Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) vor. Von 2006 bis 2010 war sie Vorsteherin des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements (EVD). 2009 war sie Vizepräsidentin des Bundesrats und 2010 war sie Bundespräsidentin. ZUR PERSON