eJournals Internationales Verkehrswesen 63/6

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2011-0100
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2011
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»Pkw-Maut: Unverständnisse, Missverständnisse, Unredlichkeiten«

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Gerd Aberle
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KURZ + KRITISCH Gerd Aberle Internationales Verkehrswesen (63) 6 | 2011 11 S eit Monaten gewinnt das Thema Pkw-Maut in Deutschland wieder an Fahrt, vor allem getrieben durch steigende Finanzierungsdefizite für die Verkehrsinfrastruktur generell und die Bundesfernstraßen speziell. 35 % aller Fernstraßen sind in schlechtem bzw. sehr schlechtem Zustand, 15 % aller Brücken werden bautechnisch als nicht ausreichend bis ungenügend bewertet! Bereits die Substanzerhaltung ist bei der durch Baupreissteigerungen ausgehöhlten nominalen Verfügbarkeit der für die nächsten Jahre jeweils vorgesehenen rund 10- Mrd.- EUR Investitionsmittel für alle Bundesverkehrswege nicht mehr möglich. Dringend erforderliche Erweiterungsinvestitionen scheiden weitestgehend aus. Die Privatfinanzierung, etwa im Rahmen der A-Modelle, ist nicht wesentlich ausweitbar, da hierdurch das frei verfügbare Lkw-Mautaukommen zu stark reduziert wird. Unverständnis wird in der Pkw-Mautdiskussion mit dem stereotypen Einwand demonstriert, der Pkw zahle bereits über seine Mineralöl- und Kfz-Steuerzahlungen weit mehr als seine Wegekosten betrügen. Es sei also Geld genug in den öfentlichen Haushalten vorhanden. Hier jedoch liegt ein echtes, allerdings auch gepflegtes Missverständnis vor. Es stimmt, dass die genannten Einnahmen 2010 (Bund: Mineralölsteuer des Kraftverkehrs 33,6- Mrd.- EUR; Länder: Kfz- Steuer 8,89-Mrd.-EUR) die Ausgaben für das Straßenwesen von rund 19-Mrd.-EUR (zzgl. Tiebauverwaltung, Winterdienste der Gemeinden usw.) weit übersteigen. Aber es wird immer wieder übersehen, dass Einnahmen aus Steuern grundsätzlich nicht zweckgebunden sind, sondern für sämtliche Staatsausgaben zur Verfügung stehen (Nonafektationsprinzip). Alle Versuche der Vergangenheit, auch über das Straßenbaufinanzierungsgesetz von 1960, eine Zweckbindung anteilsmäßig zu erreichen, sind gescheitert. Es entscheiden ausschließlich die Finanz- und nicht die Verkehrspolitiker über die Mittelverwendung. Nachhaltige Steigerungen der Verkehrsinvestitionen durch Haushaltsmittel sind angesichts der zukünftigen Risiken des Bundeshaushalts aus der Eurokrise kaum möglich Erinnert werden sollte in diesem Zusammenhang, dass bei Berechnung der Lkw-Maut die fiskalischen Abgaben des Straßengüterverkehrs ausdrücklich nicht berücksichtigt werden. Das wird auch für den Pkw gelten, der aufgrund seiner Massierung erhebliche Straßenkapazitäten beansprucht. Ökonomisch elegant wäre eine fahrleistungsbezogene Maut, die als Gebühr dem Äquivalenzprinzip (Leistung - Gegenleistung) unter- »Der dringende Finanzmittelbedarf erfordert hier eine grundsätzliche Politikveränderung.« liegt. Sie hätte wichtige Steuerungsfunktionen. Aber: ihre Umsetzung würde viele Jahre beanspruchen mit erheblichen Erhebungs- und Kontrollkosten (bei der Lkw-Maut private Betreiberkosten rund 500 Mio. EUR p. a. zzgl. Kosten beim Bundesamt für Güterverkehr). Angesichts des dringenden Finanzbedarfs zur Sicherung der Finanzierung der Bundesfernstraßen ist daher eine Vignette die geeignete Lösung. Sie ist ökonomisch weniger „elegant“, aber als Gebühr schnell und ohne nennenswerte Erhebungskosten einführbar, auch für ausländische Pkw, wie Österreich und die Schweiz es zeigen. Sie hat bei Jahresbeträgen zwischen 50 und 100- EUR und zwingender Nutzung und Geltung für alle Bundesfernstraßen keine Steuerungsfunktion, sichert aber ein zusätzliches Mittelaukommen zwischen 2 und 4-Mrd.-EUR p. a. Der einzelne Fahrzeughalter wird nur mit dem Betrag von gut einer Tankfüllung belastet. Klagen über ungerechte Belastungen sind daher unangebracht. Unredlich ist es allerdings, wenn der Staat die zusätzlichen Mauteinnahmen dazu benutzt, die Haushaltsfinanzierung der Bundesfernstraßen zu kürzen. Dies ist leider bei der Lkw-Maut eingetreten und fördert Verdrossenheit und Misstrauen gegenüber Mautüberlegungen. Der dringende Finanzmittelbedarf erfordert hier eine grundsätzliche Politikveränderung. Eine generelle Ablehnung der Pkw-Maut führt nicht nur zu einer weiteren Substanzvernichtung im Straßenbereich, sondern ist auch eine traurige Demonstration interessengebundener Uneinsichtigkeit ohne Rücksicht auf gesamtwirtschaftliche Belange. Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche »Pkw-Maut: Unverständnisse, Missverständnisse, Unredlichkeiten«